Ausgabe 9/02, 19. Juni
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"Quickly! Quickly! Dawai!!" ruft ein Unteroffizier mit deutlich österreichischem Akzent seinem Multi-Kulti-Haufen zu. Soeben haben die knapp 50 Mann zehn Funkgeräte zusammengebaut, einen Funkspruch abgesetzt und die Geräte wieder zerlegt. Im Laufschritt geht es weiter zur nächsten Station des Rundkurses. Auf Tragbahren müssen je vier Soldaten einen Kameraden eine Böschung hinunter und wieder hinauf tragen. Ebenfalls im Laufschritt versteht sich, denn es geht um Sieg und Platz in diesem militärischen Wettkampf. Die teilnehmenden Teams, die da auf der georgischen Militärbasis Vasiani von Schweiss und Regen durchnässt das Zusammenspiel üben, sind bunt zusammengewürfelt. Russisch wird da herumgebrüllt, englisch, türkisch, griechisch, armenisch, georgisch, bulgarisch, rumänisch und aserisch. Lediglich die Schiedsrichter an den einzelnen Stationen spornen die Teilnehmer im NATO-Einheitsslang an: "Come on guys, you`re good in time." "Good effort, boy!" Die NATO übt in Georgien im Rahmen der sogenannten "Partnerschaft für den Frieden", zum ersten Mal mit Landstreitkräften. Russland, das vor einem Jahr erst das Übungsgelände in Vasiani geräumt hatte, ist nicht dabei. Zumindest das Militär glänzt durch Abwesenheit, dafür ist die russische Journaille umso intensiver engagiert. Am ersten Landmanöver der NATO auf georgischem Boden nehmen sechs NATO-Länder und neun Länder der sogenannten "Partnerschaft für den Frieden" teil. Es findet vom 17. bis 28. Juni auf der Militärbasis Vasiani statt.

Schon die erste Frage beim Eröffnungs-Presse-Briefing des NATO-Manövers "Best Efforts 2002" machte das besondere Interesse der Moskauer Medien an diesem Manöver deutlich: Warum denn die Russen nicht teilnähmen, wollte eine russisch sprechende und auch russisch aussehende Journalistin von den beiden Offizieren aus Kanada und Georgien wissen. Die Antwort des Kanadiers: Solch ein Manöver werde von langer Hand vorgeplant. Man habe einen Gastgeber gesucht, die Georgier hätten sich gemeldet und recht schnell den Zuschlag bekommen. Dann habe man alle NATO- und NATO-Partner-Länder zur Teilnahme eingeladen. "Wenn sich nur 15 gemeldet haben, dann wollten eben auch nur 15 teilnehmen. Und im übrigen hat das Manöver mit aktuellen welt- oder regionalpolitischen Ereignissen nichts zu tun." Ende der Durchsage. Keine allzu konkrete Antwort auf die Frage, die die georgischen und russischen Journalisten am meisten bewegt.

Dem Manöver liegt nach den Aussagen der NATO-Offiziellen aus dem Gemeinsamen Kommando Südost, das in Izmir beheimatet ist, kein Verteidigungsszenario zugrunde. Wie sollte es auch, nehmen doch neben den NATO-Staaten Kanada, USA, Griechenland, Ungarn, der Türkei und Grossbritannien die Partner-Länder Armenien, Österreich, Aserbaidschan, Bulgarien, Georgien, Lettland, Moldawien, Rumänien und Ukraine teil. Uzbekistan hatte wenige Tage vor Manöverbeginn noch einen Rückzieher gemacht. Das Szenariao sieht eine von der NATO geführte fiktive multinationale Friedensmission unter einem UN-Mandat vor. Es soll vor allem die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Streitkräfte in einem solchen Mandat trainieren. Man will die verschiedenen Leistungslevels testen und die Soldaten all dieser Länder auf ein einheitliches Verständnis bei gemeinsamen Friedensmissionen trimmen.

Besonders wichtig ist den Manöver-Strategen der NATO der medizinische Teil. Mit zehn Militärärzten aus acht Ländern habe man die grösste Medizinerabteilung eines solchen Manövers aufgeboten, um auch auf diesem Feld die multinationale Zusammenarbeit zu erproben. In Vasiani haben die Georgier mit türkischer Finanz- und Bauhilfe eine ansehnliche Krankenstation hingestellt.

800 Soldaten nehmen an der Übung teil, bei der neben dem Training der Stäbe auch gemeinsame Patrouillen und Strassenkontrollen eingeübt werden sollen. Am ersten Tag stand ein militärisch-sportlicher Wettkampf auf Zug-Ebene auf der Tagesordnung. Zu den den einzelnen Zügen hatte man Soldaten aus allen teilnehmenden Nationen abgeordnet. Gegenseitiges Verstehen und Helfen stand neben dem rein körperlichen Leistungstest im Mittelpunkt. Nicht ganz so einfach, gestand ein österreichischer Soldat. Mit den Kameraden aus dem Westen könne man sich in englisch verständigen, aber bei allen anderen müsse immer irgendeiner dolmetschen. Bei einem Hindernisparcours, der im Laufschritt zu absolvieren war, nicht ganz so einfach.

All dies ist eigentlich kein Szenario, das irgendjemanden beunruhigen könnte. Unter westlichen Militärs wird diese Übung auch nicht besonders hoch eingeschätzt, wohl ein Grund dafür, dass ein Grossteil der NATO-Länder durch Abwesenheit glänzt. "Wir können doch nicht an jeder Veranstaltung teilnehmen" heisst es bei der Bundeswehr, die mit weitaus wichtigeren Aufgaben im Ausland beschäftigt ist und sich nach NATO-Auskünften auf eine weitaus aktivere Rolle bei einem Herbstmanöver in der Ukraine vorbereitet.

Trotzdem birgt dieses Manöver eine gewisse politisch-diplomatische Brisanz. Da es von längerer Hand vorbereitet wurde, ist der Zeitpunkt der Terminierung bedeutender als der der Durchführung. Denn zu diesem Zeitpunkt konnte niemand wissen, dass der 11. September eine Annäherung von Moskau und Washington bringen würde, die schliesslich zum gemeinsamen NATO-Russlandrat und damit einer defacto-Mitgliedschaft Russlands in einem Teil der NATO-Struktur führen würde. Als das Manöver angesetzt wurde, hatten die Russen gerade die Militärbasis Vasiani verlassen und beobachteten argwöhnisch das Treiben von NATO-Ländern wie Amerika und der Türkei in Georgien. Dass diese sofort ein NATO-Manöver in Vasiani ansetzten, dürfte bei den früheren Hausherren wenig Gefallen gefunden haben. Aus dieser Zeit rührt wohl auch die Reserviertheit der russischen Militärs gegenüber diesem Manöver, die sie jetzt trotz der Annäherung Putin-Bush nicht ohne grösseren Gesichtsverlust aufgeben können. Da hat der russische Verteidigungsattachee ganz einfach die Parole ausgegeben, man sehe das Manöver neutral, nicht negativ, und damit vielen Stammtischdiskussionen und journalistischen Strategiespielchen in Tbilissi die Grundlage entzogen.

Vor einem Jahr allerdings, als im Schwarzen Meer ein ähnliches Manöver zur See stattfand, waren das Gebrummel des russischen Militärbären noch weitaus deutlicher zu vernehmen. Vielleicht gewöhnt man sich an die neuen Nachbarn und Kollegen im früheren Hinterhof des Riesenreiches. Beobachter glauben, dass den Russen das NATO-Manöver, an dem immerhin mehrere ehemalige Sowjetrepubliken teilnehmen, mittlerweile ziemlich egal sei. Es gibt wohl wichtigeres zu besprechen auf der Bühne der grossen Politik. So wird als Hauptergebnis dieses Manövers wohl die Tatsache bleiben, dass die Georgier die Militärbasis Vaziani einigermassen hergerichtet bekamen. Vermutlich hat Georgien sich deshalb um dieses Manöver beworben, weil man ohne fremde Hilfe mit der russischen Hinterlassenschaft Vasiani nicht viel hätte anfangen können.

Bleibt am Rande noch die Tatsache, dass sich die Armeen Aserbaidschans und Armeniens anscheinend erstmals gemeinsam an einem solchen Manöver beteiligen. Spannungen gäbe es keine, versichern beide Seiten pflichtgemäss. Man sei Soldat und als Soldat würde man sich problemlos verstehen. Profis unter sich. Im nächsten Jahr soll ein NATO-Partnerschafts-Manöver in Armenien stattfinden. Erst dann wird sich zeigen, wie weit die Annäherung der beiden in Karabach verfeindeten Armeen geht.

Dass wenige Tage vor Beginn des Manövers Unbekannte eine ganze Reihe von Waffen aus der neuen georgischen Militärbasis gestohlen haben, wird von den NATO-Offiziellen eher gelassen gesehen und als kaukasische Folklore abgehakt. Diese Aktion zielte auf das amerikanische GTEP-Programm, mit dem ebenfalls in Vasiani die georgische Armee aufgepäppelt werden soll. Es gibt in Sicherheitsfragen also viel zu tun, wenn die Partnerschaft für Frieden im Kaukasus langfristig Früchte tragen soll.

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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