Ausgabe 9/02, 19. Juni
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Das Hornberger Schiessen muss ab sofort als eine urgeorgische Veranstaltung angesehen werden. Denn nichts ist es mit einer Nachzählung der Kommunalwahlen von Tbilissi, wie sie von fast allen Parteien lautstark gefordert worden war, und nichts mehr mit all den Manipulationsvorwürfen, die noch kurz nach der Wahl die Schlagzeilen der georgischen Presse bestimmten. Die zentrale Wahlkommission konnte sich nicht auf eine Prozedur für das eigentlich schon beschlossene Nachzählen einigen und hat die einmal ermittelten Ergebnisse dann doch noch für gültig erklärt. Die Parteien sind sichs zufrieden und rasch zur Tagesordnung übergegangen, möglicherweise werden sich die Gerichte noch damit befassen müssen. Die beiden Sieger der Wahl, "Arbeiterpartei" und die "Neue Nationale Bewegung/Demokratische Front" scheinen sich auf den Volkstribunen Michael Saakaschwili als neuen Sprecher des Tbilisser Stadtparlaments einigen zu wollen. Surab Schwania hat endlich seine eigene Partei, die "Vereinigten Demokraten", gegründet und die anderen Parteien lecken ihre Wahlkampfwunden und bereiten sich mental auf den nächsten Urnengang vor. Der findet zwar erst in mehr als einem Jahr statt, überschattet aber jetzt schon das politische Leben Georgiens: die Parlamentswahl. Es ist wie im Fussball: Nach der Wahl ist eben vor der Wahl. Auch in Georgien.

Ein erneutes Auszählen hätte vermutlich nicht allzuviel am Endergebnis der Sitzverteilung geändert. Allein das Risiko, dass nach einem eventuellen Abziehen der Karusell-Mehrfachwähler die Wahlbeteiligung unter die geforderten 33 % hätte sinken können, muss wohl hinter den Kulissen zur gemeinsamen Einsicht verholfen haben, es mit verbalen Attacken auf die Wahlorganisation zu belassen. Immerhin sind sich nahezu alle Beobachter einig, dass das Ergebnis der Kommunalwahlen in Tbilissi in etwa dem augenblicklichen Stimmungsbild in der Bevölkerung entspricht und das ist doch auch schon eine gewisse demokratische Basis, auf der sich aufbauen lässt. So sieht das endgültige Wahlergebnis aus:

1. Arbeiterpartei: 25,5 % (= 15 Sitze) - Schalwa Natelaschwili
2. Wahlblock "Nationale Bewegung-Demokratische Front": 23,75 % (14 Sitze) - Michael Saakaschwili
3. Neue Rechte: 11,36 % (7 Sitze) - Lewan Gachechiladse
4. Christlich Konservative Partei Georgiens - Surab Schwanias Team: 7,27 % (4 Sitze) - Surab Schwania
5. Industrie rettet Georgien: 7,13 % (4 Sitze) - Gogi Topadse
6. Wiederaufbau: 6,34 % (3 Sitze) - Aslan Abaschidse
7. Wahlblock Einheit: 4,13 % (2 Sitze)

Die Bürgerunion Schewardnadses hat es mit 2,52 % gleich hinter den Sozialisten (2,94 %) auf den neunten Platz in der Wählergunst geschafft. Der Regierungsapparat scheint beim Ausnutzen des Organisationschaos am wenigsten effektiv gewesen zu sein. Vielleicht ist dies das wirklich interessante Ergebnis der Wahl.

Damit hat keine Partei die erforderlichen 25 Sitze der absoluten Mehrheit erreicht. Die Zusammensetzung des Tbilisser Stadtparlaments ist noch nicht endgültig entschieden, da sich einige der prominenten Parlamentarier, die für das Kommunalparlament kandidierten, bis heute noch nicht entschieden haben, ob sie das weitaus wichtigere nationale Parlament verlassen wollen. Das gilt insbesondere für die Kandidaten des Schwania-Teams, die wohl wenig Sinn darin sehen, in einer Minderheitsfraktion im ohnehin einflusslosen Lokalparlament ihre politische Karriere fortzusetzen. Lediglich Lewan Gachechiladse von den Neuen Rechten hat bereits vor der Kommunalwahl sein Ausscheiden aus dem Parlament erklärt und wird seinen Sitz in der Sakrebulo einnehmen. Von seinem Vorhaben, Sprecher des Lokalparlaments zu werden, muss er sich aber verabschieden.

Der eigentliche Gewinner der Wahl, Schalwa Natelaschwili von der Arbeiterpartei hat auf den Prestige-Posten verzichtet und ihn Michael Saakaschwili, dem Volkstribunen der Nationalen Bewegung angeboten. Vermutlich zieht der dafür seine angekündigte Klage gegen den Ausgang der Wahlen zurück. Allzu ernst darf man diese neue Koalition der beiden populisten vom rechten und vom linken Flügel nicht nehmen, denn der Arbeiterführer hat seinen Personalvorschlag mit der süffisanten Bemerkung garniert, man wolle Saakaschwili jetzt doch einmal die Gelegenheit geben, hinaus auf die Strassen zu gehen und für die Menschen etwas zu erreichen. Bislang habe er immer nur herumgetönt, er solle später nicht sagen können, man habe ihm keine Chance gegeben. Saakaschwili hat den Deal angenommen, die Chance, über ein ganzes Jahr seine Opposition gegen die Schewardnadse-Regierung mediengerecht fortsetzen zu können, war wohl zu verlockend. Zusammen mit der Arbeiterpartei, die ebenfalls einen strengen Anti-Schewardnadse-Wahlkampf geführt hat, verfügt er über eine satte absolute Mehrheit im Kommunalparlament. Da dieses aber kaum Kompetenzen hat, wird er mit Konfrontation statt mit Sachpolitik auf sich aufmerksam machen müssen.

Ob beide Parteien mit dieser Wahl allerdings schon zu den Favoriten der nächsten Parlamentswahl gerechnet werden dürfen, ist fraglich. Nach ersten Ergebnissen haben nämlich die Neuen Rechten und die Industrialisten landesweit weitaus besser abgeschnitten als in der Hauptstadt. Die Industrialisten reklamieren 420 Gemeinderatsmandate für sich, die Neuen Rechten rund 800. Das ist etwas schwer zu ermitteln, da vor allem in kleineren Gemeinden und Dörfern nur Persönlichkeitswahlen zugelassen waren. Und die parteiliche Präferenz des einen oder anderen Mandatsträgers kann hierzulande schnell wechseln. In Rustawi beispielsweise, wo wegen des Diebstahls der Wahlscheine die Wahl erst mit einer Woche Verzögerung stattfinden konnte, führt Saakaschwili zwar mit 4 Sitzen die Rangliste an, die Bürgerunion hat aber mit zwei Sitzen durchaus Flagge gezeigt. Zwei Sitze hat auch die Arbeiterpartei, je einen die Sozialisten, der Wiederaufbau und die Neuen Rechten.

Dazu kommt, dass Surab Schwania mit seinen Leuten die Bürgerunion jetzt endlich verlassen und mit den "Vereinigten Demokraten" eine neue Reform-Partei in der Mitte des politischen Spektrums gegründet hat. Im nationalen Parlament ist seine Fraktion mit 23 Mitgliedern recht stark, während der Rest der Bürgerunion mit weniger als zehn Mitgliedern als frühere Mehrheitspartei doch kleinere Brötchen backen muss.

Eduard Schewardnadse allerdings scheint das Signal der Kommunalwahl verstanden zu haben. Zum einen will er die Bürgerunion, die er einem unappettitlichen Manchtkampf zwischen Schwania und Mamaldse überlassen hatte, wiederbeleben und bei einem Kongress Ende Juni seinen jetzigen Regierungschef Awtandil Jorbenadse als neuen Parteichef in die Schlacht schicken. Er selbst wird als neuer Ehrenvorsitzender gehandelt. Das zeigt, dass er nicht gewillt ist, die Parlamentswahlen im nächsten Jahr jetzt schon aufzugeben. Ausserdem hat er mit Revaz Adamia einen Schwania-Vertrauten zum neuen georgischen UN-Botschafter vorgeschlagen und damit wohl versucht, einen Keil zwischen die Oppositionsehe Schwania-Saakaschwili zu treiben. Das Spiel um die besten Startplätze beim Rennen um die Nachfolge Schewardnadses geht weiter.


 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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