Ausgabe 9/02, 19. Juni
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Klaus Müller und Rainer Radloff wissen, wovon sie reden. Jahrzehntelang haben sie als Offiziere der NVA mit russischen Raketentreibstoffen gearbeitet. Der eine in einem Labor, der andere in einer Reparaturwerkstatt der Luftstreitkräfte der DDR. Jetzt setzen sie ihr umfangreiches Wissen im Auftrag der OSZE ein, um die Entsorgung solcher Treibstoffe in Georgien zu überwachen. Hierzulande hat der Chemie-Professor Awtandil Dolidse ein Verfahren entwickelt, mit dem er aus einer Treibstoffkompmonente, die auf dem ehemaligen Sowjet-Militärflugplatz im Dörfchen Meria noch lagerte, wertvollen Dünger für die Landwirtschaft herstellte. Melange heisst das gefährliche Material, das mittlerweile mitgeholfen hat, die sauren Böden der Kolchis in pH-Wert anzuheben. Statt irgendwo in der Athmosphäre zu verpuffen und einen Raketenträger abheben zu lassen, wächst jetzt junger Mais mit Hilfe des früheren Oxydators für Raketen. Eine neue Variante des Bibelworts, wonach es besser sei, Schwerter zu Pflugscharen umzuwandeln, wurde in Meria Realität. GN hat bereits kurz darüber berichtet, jetzt können Details und Fotos nachgereicht werden.

Bei dem Oxydator, Melange genannt, handelt es sich um eine 100-%-ige Salpetersäure, die mit Stickoxyden, Phosphorsäure und Flusssäure angereichert wurde. Brachte man den Oxydator mit dem hochtoxischen Treibstoff Samin zusammen, entstand ohne jede weitere Einwirkung eine Zündung, die dem Flugkörper den notwendigen Schub zum Abheben verlieh. Rund eintausend Boden-Boden und Boden-Luft-Raketen mit einer Reichweite von bis zu 20 km Höhe hätten mit den in Meria noch herumliegenden Treibstoffkomponenten abgeschossen werden können. Die Lagertanks waren zwar im wesentlichen noch in Ordnung, sie waren aber unbeaufsichtigt und frei zugänglich. Deshalb musste etwas geschehen, um die Bevölkerung zu schützen. Diese hatte nämlich teilweise versucht, das hochgiftige Samin als Brennstoff einzusetzen. In einem industriellen Verabreitungsprozess wurde daraus mittlerweile ein ungefährlicher Stoff zur Erhöhung der Klopffestigkeit in Benzin.

Anders sah es mit den rund 480 t des Oxydators aus, der im Rote-Armee-Fachjargon AK-20-k genannt wurde. Das Material ist zwar bei weitem nicht so gefährlich wie Samin, es ruft jedoch Verätzungen und Verbrennungen hervor. Der georgische Wissenschaftler Awtandil Dolidse, Leiter des P. Melikischwili Instituts für Physikalische und Organische Chemie bei der Akademie der Wissenschaften, hatte eine Methode vorgeschlagen, wie man mit geringem finanziellen Aufwand vor Ort dieses Produkt in einen wertvollen Kalkstickstoffdünger umwandeln konnte. Dabei wurde der Oxydator in vorhandenen Tanks mit einer speziellen Kalklösung neutralisiert, herauskommt ein Flüssigdünger, mit dem es gelungen ist, besonders saure Kolchisböden von einem pH-Wert von 2,5 auf 5 bis 5,5 anzuheben.

Grosstechnisch und in speziellen Verabreitungsbetrieben wurde dieses Verfahren in den neuen Bundesländern bereits angewandt. Da der Transport zu einem solchen Betrieb in Europa zu teuer und zu gefährlich gewesen wäre, musste eine einfachere Lösugn vor Ort abgesprochen werden, die einerseits umsetzbar war, andererseits aber auch den Umweltschutz-Standards der EU entsprach. Denn das Projekt, das unter dem Dach der OSZE ablief, wurde in einer Sonderfinanzierung von Grossbritannien (170.000 €), Deutschland (150.000 €), den Niederlanden (91.000 €) und der Türkei (22.000 €) bezahlt. Und diese Donors bestanden auf entsprechenden Standards. Im Auftrag der OSZE und der Donorländer haben die beiden deutschen Experten die Einhaltung der Standards überprüft. Der eine kommt vom Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, der andere von einer privaten Entsorgungsfirma MDSG (Material Depot Service GmbH) in Bonn, ein Spezialist im Auflösen, Verkaufen und Verwerten von Militärdepots aller Art. In ihrem Abschlussbericht heben sie unter anderem hervor, dass die georgische Technologie etwa 50 % der bisher bekannten Entsorgungsalternativen gekostet habe. In der Zwischenzeit, so berichten georgische Nachrichtenagenturen, interessieren sich auch andere Länder für die umweltfreundliche Umwandlung von Raketentreibstoffen zu Dünger.



 

 


Arbeit verrichtet:
Klaus Müller (li.) und Rainer Radloff


Gefährliches Lager:
Melangetanks in Meria


Findiger Chemiker:
Professor Dolidse


Gereinigt und gesäubert:
Treibtstofftanks


Gefährlicher Job:
Sicherheitsstandrads wurden eingehalten


Stimmungsvoll:
Gurische Abend in Meria


Boden entsäuert:
Junger Mais auf Melange-Dünger


Ende gut:
Tanklager gereinigt

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ERKA-Verlag ©2002