Georgien bekommt voraussichtlich kein reines Einparteien-Parlament.
Nach dem sich jetzt abzeichneten Ergebnis kann neben dem überwältigenden
Wahlsieger "Nationale Bewegung-Demokraten"mit 66,23 %
noch mindestens eine weitere Parteien damit rechnen, die 7-%-Hürde
zu überwinden: die "Rechte Opposition-Industrialisten/Novas",
die nach der Auszählung von mehr als 2/3 der Stimmbezirken
mit 7,55 % geführt wird. Die adscharische Regionalpartei "Wiedergeburt"
scheint mit derzeit 6,71 % den Einzug ins Parlament knapp zu verfehlen.
Alle anderen Parteien haben so gut wie keine Chance mehr auf einen
Platz in der Legislative. Zusammen mit den bereits direkt gewählten
Wahlkreisabgeordneten dürften Michael Saakaschwili und Surab
Schwania damit auf eine sichere 2/3 Mehrheit der Stimmen bauen können.
Langzeitbeobachter der georgischen Politikszene sehen in dem
Ergebnis eine erstaunliche Parallele zu den regulären Parlamentswahlen
der Jahre 1999 und 1995. Damals hatte die Bürgerunion Schewardnadses,
unter der operativen Führung von Surab Schwania und Michael
Saakaschwili, ähnliche Resultate erzielt. Neben ihrer Partei
und ein paar Unabhängigen waren nur die adscharische Wiedergeburt
und - im Jahr 1999 - die Industrialisten von Bierkönig Gogi
Topadse im Parlament vertreten. Bis zum Zerfall der Bürgerunion
zeichnete sich das georgische Parlament durch eine effektive gesetzgeberische
Arbeit aus. Sollte sich diese Geschichte wiederholen, könnte
jetzt wieder eine Zeit der Reformen anbrechen und für rund
zwei Legislaturperioden anhalten, bis dann wieder die Diadochenkämpfe
um die Nachfolge des Präsidenten einsetzen und Parlament
und Politik ähnlich lähmen wie in den vergangenen zwei
Jahren. Voraussetzung aber ist, dass sowohl die Massenpartei von
Saakaschwili und Schwania zusammenhält und Präsident
wie Premierminister sich nicht in einen internen Machtkampf verbeißen.
Der eigentliche Verlierer des gesamten Wahlspektakels zwischen
2. November 2003 und 28. März 2004 heißt Schalwa Natelaschwili.
Der Führer der Arbeiterpartei galt nach den Kommunalwahlen
vom Mai 2003, als er das politische und wirtschaftliche Establishment
des Landes mit einem Traumergebnis schockte, als der eigentliche
Oppositionsführer. Viele sahen in ihm das einzige politische
Talent außerhalb der Schewardnadse-Mehrheits-Partei. Er
selbst war sich sicher, mit einem Super-Ergebnis am 2. November
seine Chancen um die Nachfolge Schewardnadses untermauern zu können.
Es ist, wie hinlänglich bekannt, anders gekommen. Und mit
bescheidenen 6 % werden er und seinen Parteifreunde erneut zu
einer Zuschauerrolle im großen politischen Leben Georgiens
verurteilt. Nichts hat sich geändert.
Der zweite Verlierer heißt Aslan Abaschidse. Selbst wenn
seine Wiedergeburtspartei die 7-%-Hürde gerade noch so eben
überspringen sollte, ist die Zeit des absolutistischen Fürsten
von Batumi mit dieser Wahl endgültig abgelaufen. Während
Michael Saakaschwili am Wahlabend noch tönte, seine Partei
habe etwa zweimal soviel Stimmen in Adscharien erhalten wie Abaschidse,
dürfte Abaschidse aber nach den bisher vorliegenden Informationen
in seiner Autonomen Provinz die absolute Mehrheit der Stimmen
gerade noch einmal verteidigt haben. Im November vergangenen Jahres
hatte sich Abaschidse noch mit fast 100 % der abgegebenen Stimmen
in Adscharien zum Neben-Präsidenten Georgiens aufschwingen
wollen.
Will man der Medien-Hysterie im In- und Ausland Glauben schenken,
die bis kurz vor den Wahltag anhielt, so stand die Durchführung
der Wahlen in Adscharien bis zu letzt auf Messers Schneide. Der
georgische Präsident schickte seinen Premierminister eigens
zur Beobachtung der Wahlen nach Batumi, wo sich am Wahltag bis
in den Abend hinein die Gerüchte hielten, dass es doch noch
zu gewaltsamen Provokationen kommen würde. Nichts davon sollte
sich bewahrheiten, die georgischen Medien hatten aber während
des Wahltages genügend Gesprächsstoff für ihre
permanenten Live-Schaltungen nach Batumi. Der Rest der Wahl war,
zumindest im Vergleich zum offenen Rennen am 2. November vergangenen
Jahres, eher langweilig. Das Ergebnis, ein haushoher Sieg Saakaschwilis
und Schwanias, stand eh von vorneherein fest.
Journalisten und internationale Wahl-Beobachter konzentrierten
ihre Aufmerksamkeit daher auf die Schwarzmeer-Provinz, deren Wahlergebnisse
der letzten Jahre zweifelsohne einzig und allein dem politischen
Willen ihres Führers entsprachen und nicht dem der Bevölkerung.
Auch bei den jetzigen 50 % für Abaschidse haben Insider erhebliche
Zweifel, ob vor allem die Auszählung der Stimmen internationalen
Anforderungen entsprach. Die Gerüchte, dass sich Schwania
und Abaschidse in ihren langen Verhandlungen am Wahltag auch auf
eine Toleranzgrenze des Wiedergeburt-Stimmenanteils geeinigt haben
könnten, die beiden Seiten helfen würde, das Gesicht
zu wahren, halten sich in Tbilissi mehr als hartnäckig. Egal,
ob das Ergebnis ein wenig zurecht gemogelt wurde oder tatsächlich
dem Wählerwillen entspricht: Mit den 50 % für Abaschidse
können beide Seiten vorerst einmal leben. Der Adschare ist
zu Hause wenigstens optisch noch einmal mit einem blauen Auge
davon gekommen, im georgischen Parlament hat er nichts mehr zu
suchen. Und der Kampf um die politische und wirtschaftliche Führung
Adschariens kann damit in seine letzte Runde gehen. Es geht in
den Verhandlungen, so hört man in Tbilissi in den berühmten
gut unterrichteten Kreisen, vornehmlich um Sicherheitsgarantien,
die Aslan Abaschidse als Gegenleistung für einen Rückzug
aus der Politik für sich und seinen Familienclan von der
Zentralregierung fordert. Mit dem Wahlergebnis vom 28. März
dürften wohl auch alle Legenden über die "Rebellen-Hochburg
Batumi" und bevorstehende "bewaffnete Auseinandersetzungen
an der NATO-Grenze" (siehe "Der Spiegel vom 22.3.) widerlegt
sein.
Wie bei der letzten Parlamentswahl scheinen sich die Industrialisten
um Gogi Topadse - erst seit kurzem vereint mit DavidGamkrelidses
"Neuen Rechten" - gerade noch einmal über die 7-%-Hürde
hangeln zu können. Auch dazu halten sich in Tbilissi schon
seit Tagen die Gerüchte, dass sich beide Seiten, Regierung
und Topadse, rechtzeitig auf diesen Deal geeinigt hätten,
wobei man dann aber angesichts der durchaus verbesserten Wahl-Organisation
davon ausgehen muss, dass das Regierungslager den Industrialisten
mit einer gewissen Zahl an Leihstimmen ausgeholfen haben muss,
ein Vorgehen, das man auch aus anderen Demokratien kennt. Die
"Rechte Opposition" ist der politische Zusammenschluss
vieler erfolgreicher Privatunternehmer, auf deren ökonomischen
Sachverstand, unabhängig von der Interessenslage, die sie
vertreten, Parlament und Regierung angewiesen sind.
Alle anderen Parteien rangieren abgeschlagen, wobei der Newcomer
"Freiheit" mit dem Gamsachurdia-Sohn Konstantin an der
Spitze mit knapp 4,5 % doch noch ein achtbares Ergebnis erzielte.
Allerdings heißt es auch für diese Gruppierung: Nichts
hat sich geändert. Auch unter Schewardnadse spielten die
Anhänger des ersten Präsidenten Georgiens nur eine untergeordnete
Rolle. Immerhin, bei einer 5-%-Sperrhürde hätte es der
jungen Partei vielleicht sogar gelingen können, ihr Potential
auszureisen und das Klassenziel Parlament zu erreichen.
Übereinstimmend berichten internationale und lokale Wahlbeobachter,
dass sich die Organisation der Wahlen erheblich verbessert hat,
wenngleich noch immer einige Unregelmäßigkeiten - vor
allem in den notorischen Trickser-Provinzen Adscharien und Nieder-Kartli
- berichtet wurden. Flächendeckende Wahlfälschungen,
wie sie am 2. November offensichtlich waren, sollen allerdings
nicht mehr vorgekommen sein. Dennoch monierte vor allem die Beobachter
von OSZE und Europarat, dass die Wählerverzeichnisse noch
immer nicht auf dem Stand sind, dass man auf Ad-hoc-Registrierungen
am Wahltag verzichten könnte. Außerdem gab man der
georgischen Regierung zu bedenken, die 7-%-Hürde für
den Einzug ins Parlament doch auf 5 % oder gar 4 % zu senken,
um wenigstens einigen oppositionellen Kräften den Einzug
ins Parlament zu ermöglichen. Die Rosen-Regierung hat jetzt
vier Jahre Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, ob sie
eine Opposition braucht oder nicht. Michael Saakaschwili hat die
Forderung nach einer Senkung der 7-%-Hürde mit der Bemerkung
abgetan, er brauche keine Opposition. Vielleicht wird er sich
nach Erledigung des Themas Abaschidse und "Wiedergeburt"
auch in dieser Frage noch einmal ein paar Nachhilfe-Stunden aus
Europa antun.
Keine vier Jahre Zeit hat die Regierung, um die hochgestellten
Erwartungen in sie zu erfüllen. Mit dem 28. März sind
jetzt alle Regularien der Machtübergabe von Schewardnadse
auf Saakaschwili und Schwania erledigt. Jetzt muss das neue Team
seine Wahlerfolge mit Sacharbeit rechtfertigen.
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