In der vergangenen Ausgabe haben wir ein Hintergrundgespräch
mit dem früheren Bildungsminister Alexander Kartosia angekündigt,
dem - als Germanisen - insbesondere in der deutsch-georgischen Szene
ein besonderer Ruf vorauseilt. Kartosia, der Eduard Schewardnadse
bis zum bitteren Ende zur Seite stand, hatte sich in einer dramatischen
öffentlichen Stellungnahme gegen die neue Regierung gewandt,
deren Verhaftungswelle gegen Mitglieder der früheren Regierung
er scharf anprangerte. In dem Exklusiv-Gespräch mit georgien-news
äußert sich Kartosia auch zu den vielen Vorwürfen,
die ihm wegen seiner Amtsführung gemacht wurde.
GN: "Seit wenigen Tagen sind Sie kein Minister mehr.
Was nun, Herr Kartosia? Was werden Sie jetzt machen?"
Alexander Kartosia: "Ich habe ja meinen Lehrstuhl
an der Universität behalten und den werde ich jetzt wieder
ausfüllen. Ich denke, dass ich schon in Kürze mit Vorlesungen
beginnen werde, das Sommersemester hat ja gerade begonnen."
GN: "Ehrlich, das alles ohne jeden Groll?"
Alexander Kartosia: "Ich hege überhaupt keinen
Groll, obwohl dies schwer ist angesichts der neuen Mode, seinen
Vorgänger mit Schmutz zu bewerfen. Man muss aber verstehen,
dass ich nicht bereit bin, zuzuschauen, wie andere sich mit den
Erfolgen meiner Arbeit schmücken. Das lässt mein Ehrgeiz
nicht zu. Irgendwann wird man schon erkennen, was in den fünfeinhalb
Jahren meiner Amtszeit auf dem Bildungssektor erreicht wurde."
GN: "Und das wäre?"
Alexander Kartosia: "Es ist uns gelungen, die Weltbank
von der Notwendigkeit und den Erfolgsaussichten einer grundlegenden
Reform des Bildungswesens Georgiens zu überzeugen. Das war
nicht einfach, schon gar nicht, weil die Weltbank den Kreditrahmen
von 60 Millionen $, der letztendlich gewährt wurde, am Anfang
weitaus enger eingeschätzt hatte. Wir konnten sie davon überzeugen,
dass in Georgien eine entsprechende Bereitschaft vorhanden ist,
ein solches Programm in Angriff zu nehmen. Das ist im Übrigen
kein Weltbank-Programm, das ist ein georgisches Projekt, das die
Weltbank finanziert. Der Kreditvertrag wurde im Jahr 2001 vom
damaligen georgischen Botschafter in Washington, Tedo Tschaparidse
(Anm. d. R.: heute Außenminister der "Revolutionsregierung")
und dem Präsidenten der Weltbank Wolfensohn unterzeichnet."
GN: "Genau um diesen Kredit geht jetzt der Streit.
Der Innenminister hat ja erklärt, Beweise dafür zu haben,
dass im Bildungsministerium große Summen dieses `unglückseligen`
Kredits in private Taschen hochrangiger Offizieller geflossen
seien."
Alexander Kartosia: "Bei diesen 60 Millionen handelt
es sich um einen Kreditrahmen, der in zwölf Jahren abgerufen
werden kann. Die Rückzahlung erfolgt über 40 Jahre zu
einem Vorzugszins von nur 0,75 %. Bis zum Jahr 2005 können
insgesamt 25 Millionen abgerufen werden, davon haben wir bis jetzt
nur 8 Millionen verbraucht. Es geht also nicht um 60 Millionen,
wie der Innenminister behauptet. Das Schicksal von über 87
% dieses Kredits liegt in der Verantwortung seiner, der neuen
Regierung. Außerdem prüfen Experten der Weltbank vor
der Freigabe einer weiteren Tranche die Fortschritte, die bis
zu diesem Zeitpunkt in der Umsetzung des Reformkonzepts gemacht
wurden, wie die Weltbank ja auch über internationale Auditoren
jährlich die ordnungsgemäße Verwendung der Gelder
überprüft. Dabei wurde noch keine einzige Beanstandung
gemacht."
GN: "Bleiben wir zunächst einmal bei den finanziellen
Fragen. Der Vorwurf lautet, dass mit diesen Geldern extrem hohe
Gehälter für die Mitarbeiter der Reform-Arbeitsgruppen
bezahlt worden seien, die allesamt dem Freundes-Netzwerk des Ministers
angehören."
Alexander Kartosia: "Zunächst einmal stimmt
es, dass die Teamleader der insgesamt sieben Arbeitsgruppen etwa
das zehnfache Gehalt dessen bekommen, was dem Minister als Leiter
der Behörde zusteht."
GN: "Und da sind Sie nicht neidisch geworden?"
Alexander Kartosia: "Warum sollte ich? Wir wollten
fähige Leute haben und haben uns entschlossen, diese auch
entsprechend zu bezahlen. Dabei ging es uns weniger um das Thema
Korruption. Wer korrupt ist, ist es auch mit 1.500 Lari Monatsgehalt.
Es ging uns darum, dafür zu sorgen, dass diese Leute sich
voll und ganz auf ihre Arbeit in den Reform-Kommissionen konzentrieren
und nicht ihr bescheidenes staatliches Salär mit allerhand
weiteren Jobs aufbessern mussten."
GN: "Das ist ja in der Zielsetzung durchaus ehrenwert.
Die georgische Realität lässt viele Menschen aber glauben,
dass der Minister an diesen Supergehältern auf irgendeine
Art und Weise partizipiert und dass deshalb natürlich nur
Freunde des Ministers auf diesen Posten untergekommen sind."
Alexander Kartosia: "Erstens lege ich Wert auf die
Feststellung, dass alle Teamleader und Experten dieser Kommissionen
in öffentlichen Ausschreibungen ausgesucht wurden, in deren
Entscheidungsgremien meistens auch Vertreter der Weltbank gesessen
haben. Ein ehrlicheres und transparenteres Auswahlverfahren kenne
ich nicht. Zweitens habe ich von niemandem auch nur einen Tetri
angenommen. Und drittens bin ich stolz darauf, dass die Teamleader
dieses Reformprogramms heute meine Freunde geworden sind. Wir
haben zusammen in einem Team an den Reformzielen dieses Programms
gearbeitet."
GN: "Hand aufs Herz: Wie viel Geld hat der Bildungsminister
in Monat bekommen?"
Alexander Kartosia: "Mein Ministergehalt betrug 165
Lari, dazu kamen 80 Lari von der Universität und 200 Lari
für eine Experten-Tätigkeit in einem Gremium. Nach Steuern
machte dies etwa 380 Lari im Monat. Es ist für viele Leute
unverständlich, dass ich davon gelebt haben soll. Aber es
ist so. Ich habe immer recht bescheiden gelebt, habe nie eine
Staats-Datscha für mich beansprucht oder einen Kuraufenthalt
auf Staatskosten. Als Professor hätte ich überall auf
der Welt Vorträge halten können und weitaus mehr verdient."
GN: "Das kann jetzt ja ausgiebig nachgeholt werden."
Alexander Kartosia: "Denken Sie, dass ich als Minister
der alten Regierung derzeit unbehelligt das Land verlassen kann?
Das sind ja mittlerweile kafkaeske Zustände. Eine Auslandsreise
eines freien Menschen kann in meinem Fall als Fluchtversuch ausgelegt
werden. Und die Folgen kennen Sie. Nein, ich werde vorerst das
Land nicht verlassen."
GN: "Noch einmal zum Thema Minister und Korruption.
Die georgische Verwaltungswirklichkeit lässt es doch als
höchst unwahrscheinlich erachten, dass ein Minister oder
anderer Vorgesetzter nicht an den Supergehältern seiner Untergebenen
partizipiert."
Alexander Kartosia: "Natürlich lässt die
Verwaltung theoretisch eine Möglichkeit zu Bestechung und
Bestechlichkeit. Bedeutet das aber schon, dass sich alle an diesem
System beteiligen? Wenn wir eine allgemeine Schuldvermutung an
die Stelle der Unschuldsvermutung setzen, begeben wir uns auf
einen gefährlichen Pfad. Die neue Regierung hat übrigens
in einer ersten Amtshandlung die Gehälter der Minister auf
3.500 Lari hoch gesetzt, wobei mich insbesondere stört, dass
diese Gehaltserhöhung nicht etwa aus dem Staats-Budget finanziert
wird sondern von einer Spende des amerikanischen Milliardärs
George Soros. Außerdem finde ich den Unterschied der Ministergehälter
zu denen der übrigen Beamten nicht vertretbar. Und ich frage
Sie, glauben Sie wirklich, dass ein Minister weniger anfällig
ist gegen Korruption, wenn er ein höheres Gehalt hat?"
GN: "Also, der Minister war sauber und ehrlich, wird
uns immer wieder gesagt. Aber seine Stellvertreter oder andere
hohe Beamte, die machen dann die unsauberen Geschäfte, damit
die Integrität des Chefs nicht angezweifelt wird. Wegschauen
kann ja auch eine Art von Beteiligung sein."
Alexander Kartosia: "Auch hier gilt: keine allgemeine
Schuldvermutung. Ich habe nie weggesehen, sondern immer sehr genau
hingeschaut. Aber: Ich habe in meinem Haus auch keine Atmosphäre
des Misstrauens zugelassen. Ich habe mit meinem Beispiel versucht,
meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu mehr Eigenverantwortung
zu animieren. Führung heißt nicht permanentes Belauern
sondern Führung heißt zunächst einmal Vertrauen
investieren. Und es heißt auch, erst dann agieren zu können,
wenn Beweismaterial für Verfehlungen vorliegt. Wenn eine
Schweinerei geschehen war und die Beweise klar waren, habe ich
das Schwein immer abgesetzt."
GN: "Ist das nicht ein bisschen blauäugig in
einer Gesellschaft, die nur im gegenseitigen Geben und Nehmen
funktioniert?"
Alexander Kartosia: "Damit agiert ja die neue Regierung
und mit diesen Kategorien ist einfach jeder zunächst einmal
schuldig. In jeder Zeit, in jedem System und in jedem Land ist
es möglich, bei jedem irgendetwas zu finden, das kann historisch
belegt werden. Ich habe in meinem Verantwortungsbereich niemals
auf irgendeinen Verdacht hin gehandelt. Ich wollte nie, dass meine
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ständiger Angst vor der
Obrigkeit lebten. Ich habe versucht, zu helfen, den Betrieb zu
organisieren und Fehler, wenn sie gefunden waren, aber auch dementsprechend
zu bestrafen."
GN: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
."
Alexander Kartosia: "Im Sowjetsystem hat sich die
Regierung alle gesellschaftlichen Rechte und Pflichten angeeignet.
Ich denke, die Regierung muss einen Großteil der Rechte
und Pflichten auf die Gesellschaft übertragen. Dass nicht
alle in der Regierung sowie nicht alle in der Gesellschaft sofort
dazu bereit sind, damit muss man leben."
GN: "Zurück zum Weltbankkredit. 8 Millionen
in zwei Jahren, das ist schon eine erkleckliche Summe. Was ist
damit geschehen?"
Alexander Kartosia: "Wir müssen uns einmal die
Ausgangssituation des sowjetischen Bildungssystems, aus dem wir
kommen, anschauen. Bildung besteht aus einer Ganzheit von Wissen,
den Fähigkeiten, dieses Wissen kreativ umzusetzen, und einer
sittlichen Einstellung des Menschen. Fehlt nur eine dieser Komponenten,
kann man schwer von einem gebildeten Menschen sprechen. Das Sowjetsystem
kannte eigentlich nur einen Schwerpunkt: Die Wissensvermittlung.
Es geht darum, diesen ganzheitlichen Ansatz eines Bildungsideals
erst einmal konzeptionell zu erarbeiten und dann auch in die Wirklichkeit
umzusetzen."
GN: "Können Sie das etwas konkreter darstellen?"
Alexander Kartosia: "Das bedeutet, dass alle Curricula
von Grund auf neu erarbeitet werden müssen. Es bedeutet,
dass alle Lehrer für dieses neue Bildungsideal gewonnen werden
müssen. Wir haben in Georgien 3.135 Schulen und 78.000 Lehrer.
Das ist nicht einfach, schon gar nicht, wenn man weiß, dass
die meisten Lehrer gewohnt waren, in einem Frontalunterricht im
Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. Wir wollen jetzt den Schüler
in den Mittelpunkt stellen und dessen Fähigkeit zu denken,
sich zu artikulieren, fördern. Die einheitlichen Benotungskriterien
und zentrale Prüfungsaufgaben sind mittlerweile zur Norm
geworden. Bisher konnte jede Schule sich die Arbeiten für
die Abschlussprüfungen selbst ausarbeiten."
GN: "Was ja nach allgemeiner Einschätzung auch
immer wieder zur Aufbesserung der Lehrergehälter benutzt
worden sein soll
"
Alexander Kartosia: "Ja, dieses System hat die Möglichkeit
der Bestechung geradezu angeboten, wobei ich mich allerdings auch
hier gegen eine pauschale Schuldvermutung wehren muss. Trotzdem
haben wir im vergangenen Jahr erstmals in allem 3.135 Schulen
des Landes in den Fächern Georgisch, Mathematik und den Fremdsprachen
einheitliche Aufgaben für die schriftlichen Prüfungen
eingeführt und den Lehrern ein einheitliches System für
die Benotung vorgelegt. Ohne jetzt auf alle Details einzugehen
und um mich kurz zu fassen sei hier bemerkt, dass insgesamt 7
Komponenten und Arbeitsfelder definiert wurden, auf denen wir
das Bildungssystem des Landes von Grund auf erneuern wollen"
GN: "Das soll bis jetzt 8 Millionen $ gekostet haben?
Die Menschen haben da erhebliche Zweifel. Gibt es konkrete Informationen
über die Verwendung dieser Gelder?"
Alexander Kartosia: ".Darüber haben wir regelmäßig
berichtet. Außerdem sind die Informationen im Internet erhältlich."
(Anm. d. Redaktion: Wir haben nach den entsprechenden Web-Adressen
gefahndet, dort allerdings nur allgemeine Informationen über
das Reform-Projekt und keine konkreten Verwendungsnachweise
der Gelder gefunden. Die uns bekannten Web-Adressen: www.naece.ge
und www.catalog.ge.)
GN: "Der Bildungssektor hat in den letzten zehn Jahren
eine reale Reform erfahren, die doch sehr bedenklich ist. Im Hochschulbereich
ist mit Duldung des Bildungsministeriums eine private Bildungsindustrie
entstanden, die heute schon mehr Geld umsetzt, als dem Bildungsminister
insgesamt an Etat zur Verfügung steht. Über die Hälfte
aller Studierenden sind an den rund 150 privaten Universitäten
oder den privatwirtschaftlichen Abteilungen der staatlichen Universitäten
eingeschrieben. Ist das ein normaler Zustand?"
Alexander Kartosia: " Auf den Begriff Bildungsindustrie
habe, nebenbei bemerkt, ich das Copyright. Das ist meine Einschätzung
dieser Situation. Man muss aber auch deren Hintergrund verstehen.
In den Jahren 1991 und 1992 ist in diesem Land alles zusammengebrochen.
Es gab keine Arbeitsplätze und für die Jugend, keine
vernünftige berufliche Perspektive. Das Land wurde von Privatarmeen
regiert, es herrschte das totale Chaos. Vielen jungen Leuten blieb
nur die Straße als Aufenthaltsort. Und die Straße
war kriminell, es herrschte die Kalschnikow. Die Zahl der staatlichen
Ausbildungsplätze war begrenzt. So haben viele Eltern nur
an eines gedacht, ihre Kinder weg zu bringen von der Straße.
Die privaten Universitäten, die wie Pilze aus dem Boden schossen,
waren für sie eine Rettung. Das muss man verstehen. Es ging
da weniger um einen Aspekt der Bildung als vielmehr um eine Lösung
akuter sozialer Probleme. Deshalb ist auch die Bildungspolitik
nur begrenzt verantwortlich für die Situation, die da entstanden
ist. Allerdings muss der Staat jetzt langsam eingreifen und den
Wildwuchs unter Kontrolle bringen."
GN: "Und woher stammte das Geld in einem Land, dessen
Bevölkerung zu einem großen Teil statistisch unterhalb
der Armutsgrenze lebt? Immerhin besuchen rund 2/3 der jungen Leute
Universitäten und davon mehr als die Hälfte gegen Bezahlung."
Alexander Kartosia: "Georgien war in der Sowjetunion
eine der reichsten Republiken und viele georgische Familien verfügten
Anfang der 90-er Jahre noch über erheblichen Besitz. Der
wurde zunächst einmal für die Lösung dieser akuten
sozialen Probleme verwendet."
GN: "Da tickt doch eine gefährliche soziale
Zeitbombe, denn die meisten jungen Leute studieren nur die Arbeitslosigkeit.
Die Universitäten, darunter auch die staatlichen, nicht nur
die privaten, kümmern sich doch kaum darum, ob ihre Absolventen
später einen Job bekommen."
Alexander Kartosia: "Die Fragestellung ist nicht
korrekt. Jeder Mensch muss frei sein, das zu studieren, was er
möchte. Es ist sein privates Risiko, ob er später mit
dieser Ausbildung einen Arbeitsplatz bekommt oder nicht. Der Staat
muss im Gegenzug dafür sorgen, dass insgesamt mehr Arbeitsplätze
angeboten werden, dass sich Wirtschaft und Produktion im Lande
entfalten."
GN: "Womit wir beim nächsten Thema wären,
den oft gerühmte `human ressources` von Georgien. Das georgische
Bildungsideal starrt wie gebannt auf einen Hochschulabschluss
und vernachlässigt in sträflicher Weise den beruflichen
Sektor. Industrie, Handwerk und Handel brauchen aber gut ausgebildete
Fachkräfte und Facharbeiter und weniger Diplom-Wissenschaftler
und Doktoranten."
Alexander Kartosia: "Erst einmal die Gegenfrage:
Gibt es derzeit einen einzigen Arbeitsplatz in Georgien, der wegen
des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften nicht besetzt
wäre? Aber Sie haben trotzdem Recht. Wir haben uns natürlich
zunächst einmal auf die Schule als die zentrale Institution
des Bildungswesens konzentriert. Wenn wir die Schule nicht grundlegend
verändern, verändern wir das ganze System nicht. Wir
haben es nicht geschafft, uns gleichzeitig auch der beruflichen
Ausbildung mit gleicher Energie zu widmen. Wir brauchen ein klares
Konzept und eine Projektion."
GN: "Muss sich da aber nicht auch das Bildungsideal
der georgischen Gesellschaft ändern?"
Alexander Kartosia: "Das ist ganz sicher auch ein
gesellschaftliches Problem und nicht allein das Problem von Politik
und Regierung. Wir müssen den Menschen den beruflichen Status
eines guten Koches, Handwerkers, Händlers oder Verkäufers
näher bringen."
GN: "Wir wollen Sie nicht entlassen ohne ein paar
Fragen zu den letzten Tagen Schewardnadses. Sie waren ja einer
der wenigen letzten Getreuen. Bereuen Sie heute, sich nicht früher
abgesetzt zu haben? Haben Sie nicht gemerkt, dass das Schiff am
Sinken war?"
Alexander Kartosia: "Ich war Minister und kein Politiker.
Als Minister hatte ich meine Pflicht zu erfüllen. Natürlich
war klar, dass es dem Ende zuging, schon gar am 22./23. November.
Aber ich bereue es auch nicht, bis zum Ende loyal geblieben zu
sein. Schewardnadse, das wird sich schon bald zeigen, war nicht
nur ein Politiker, er war auch ein großer Staatsmann. Er
hat nach den Jahren der Anarchie dem Land seine Staatlichkeit
gegeben und er hat allen die Chance gegeben, alles auf seiner
Person abzuladen, was eigentlich Fehler und Schuld der gesamten
Gesellschaft war. Schewardnadse hat immer in langfristigen Kategorien
gedacht und trotz einer schwierigen wirtschaftlichen und sozialen
Lage das Wagnis der Demokratie und Meinungsfreiheit unternommen."
GN: "Woran ist Schewardnadse letzten Endes gescheitert?"
Alexander Kartosia: "Am Defizit des staatsmännischen
Denkens und des Muts zu Uneigennützigkeit in seiner direkten
Umgebung. Zu viele Leute, die er in die Politik gebracht hatte,
haben ihn schließlich verlassen und verraten."
GN: "Herr Kartosia, wir danken Ihnen für dieses
Gespräch."
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