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et circenses?
Kommentar zur aktuellen Adscharienkrise
Von GN-Herausgeber Rainer Kaufmann
Im alten Rom, so kann man heute noch in den Geschichtsbüchern
nachlesen, war den Herrschenden zumindest eine Weisheit bewusst,
wollten sie ihre Macht behalten: Panem et circenses. Das Volk
will Brot und das Volk will Spiele, wobei die Reihenfolge, seit
Jahrtausenden unverändert, beachtenswert erscheint: Erst
Brot, dann Spiele. Die georgische Politik-Elite hat einen Teil
dieser ewig währenden Grundregel der Staatskunst verinnerlicht,
den anderen aber vergessen, was nicht negativ sondern durchaus
positiv zu vermerken wäre, wenn man nur die Prioritätenliste
der alten Römer beachten würde: Erst Brot, dann Spiele.
Die georgische Politik dagegen bietet fast nur circenses, kaum
panem, bietet Spektakel zuhauf und wenig Brot. Und die Regierenden
glauben dabei auch noch, den "Rosenbeifall" der westlichen
Welt im Ohr und die Medien-Präsenz im In- und Ausland im
Blick, auf dem richtigen Weg zu sein. Dabei kann man sich des
Eindrucks kaum erwehren, dass hinter all dem auch gar noch System
steckt. Weil man nämlich auf des Volkes Frage nach Brot nur
wenig Überzeugendes sogar an biederem politischem Handwerk
- man wagt es ja kaum, Staatskunst einzufordern - zu bieten hat,
muss man das Volk mit Spektakulärem beschäftigen, mit
circenses eben.
Aktuelles Beispiel: Adscharien. Statt dem Wählervolk wenigstens
zwei Wochen vor den Wahlen aufzuzeigen, wie man die schlimme Management-Krise
in Staat und Gesellschaft zu lösen gedenkt, lenkt man die
TV-Massen mit einer kunstvoll hoch gejazzten Krise um Adscharien
ab, als ob die Frage, wie lange das Regime des Schwarzmeer-Napoleons
Aslan noch andauern kann, von existentieller Bedeutung für
die Mehrheit der georgischen Bevölkerung wäre. Da bauen
sich ein Staatspräsident, der die Pose des strahlenden Helden
der Straßen-Aktion verinnerlicht zu haben scheint, und ein
alle Fäden ziehender Premierminister, der seine öffentlich
gemachte Deus-ex-machina-Rolle liebt wie keine andere, vor ein
paar Hundert maskierten Polizisten, die der Operetten-König
von Adscharien an seiner angeblichen Republikgrenze aufgeboten
hat, auf und versammeln ein halbes Kabinett in Poti, um, wie immer
TV-gerecht, eine drohende Staatskrise abzuwenden, die sie selbst
heraufbeschworen haben.
Kaum jemand hätte einen Tag davor auch nur einen Pfifferling
auf das mittelfristige politische Überleben Abaschidses gesetzt.
Und kaum jemand konnte auch nur zwei oder drei Tage zuvor irgendwelche
Anzeichen von Spannungen oder Nervosität in Adscharien entdecken.
Die Lage in Adscharien vor einer Woche war alles andere als angespannt.
Vor einer Woche noch sind wir an der adscharischen "Republikgrenze"
in Tscholochi nahezu unbehelligt durchgewunken worden. Die allfällige
Frage eines jeden Uniformträgers nach dem Woher und Wohin
- eindeutig beantwortet mit "von da" und "nach
dort" - und der durchsichtige, aber erfolglose Versuch, einen
Wegezoll zu verlangen, mehr passierte nicht mehr an der Grenze
zwischen Georgien und seiner angeblich sezessionistischen Provinz.
Über Nacht wurde Tscholochi jetzt aber zum Schauplatz von
gegenseitigen Machtprotzereien und rhetorischen Muskelspielen.
Man hätte doch in Tbilissi in aller Ruhe auf das adscharische
Wahlergebnis am 28. 3. warten können. Entweder hätte
die adscharische Wahladministration unter der strengen Aufsicht
internationaler wie nationaler Beobachter ein für Aslan verheerendes,
weil realistisches Wahlergebnis gemeldet oder hätte die Zentrale
Wahlkommission das Ergebnis aus Batumi einfach annullieren können
oder sogar müssen, hätte es wiederum sozialistische
Prozentzahlen gezeitigt wie in all den Jahren zuvor. So oder so,
für Aslan konnte diese Wahl nichts Gutes versprechen, was
im Umkehrschluss bedeutet, dass Tbilissi, die Zentrale, auf alle
Fälle als Sieger hervorgegangen wäre, wenn man nur genügend
Geduld gehabt hätte, noch zwei Wochen abzuwarten.
Warum also die ganze Geschichte? Warum provozieren Michael Saakaschwili
und die Seinen den Eklat? Warum können sie nicht warten,
bis ein glorioses Wahlergebnis ihnen alle Trümpfe in die
Hand spielt, um Aslan Abaschidse ein für allemal in die Schranken
zu verweisen?
Der Verdacht lässt sich eben kaum unterdrücken, dass
sich die Regierung der Rosenrevolution in ihre - bislang durchaus
erfolgreiche - Politik des spektakulären Aktionismus derart
verliebt hat, dass sie seriöse Politik mit dem Unterhaltungswert
einer Seifenoper verwechselt. Die ungezählten privaten TV-Sender
- viel zu viel für ein Land von der Größe Georgiens
- wollen gefüttert werden. Noch lässt sich das Volk
mit spektakulären Luftsprüngen seiner Regierenden davon
abhalten, mehr Brot zu fordern. Vor den Folgen sei gewarnt: Irgendwann
einmal ist das Wählervolk der zirzensischen Qualitäten
seiner Regierung überdrüssig. Irgendwann einmal will
es einfach nur noch mehr Brot. Konkret: Irgendwann einmal wird
man sich um die Hausaufgaben kümmern müssen, um Wirtschaftsreformen
und neue Steuergesetze, um ein entsprechendes Investitionsklima,
um neue Arbeitsplätze und eine gesicherte Energieversorgung,
um die maroden Staatsfinanzen. Sollte dies mit Erfolg und vor
allem sollte dies auch in einer angemessenen Frist erledigt werden,
wird sich in Georgien einschließlich Batumi niemand mehr
um Aslan Abaschidse und sein anachronistisches, ja absurdes Provinz-Regime
kümmern. Dann wäre auch das Thema Abchasien schnell
vom Tisch. Aber dafür müsste eine komplette Regierung
ihre Hausaufgaben machen und auf die Politik-Inszenierungen auf
der Straße verzichten.
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