Burgfrieden
in Batumi
Wie lange hält die Übereinkunft Saakschwili-Abaschidse?
So schnell lösen sich große Krisen in Georgien in
Luft auf und in "volles gegenseitiges Verständnis",
wie Michael Saakaschwili das Ergebnis seines vierstündigen
Tete-a-tetes mit Aslan Abaschidse beurteilte. Am Tag zuvor hatte
Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse noch in einem siebenstündigen
Verhandlungs-Marathon den halsstarrigen Adscharen weich geknetet
und die Voraussetzungen für ein Treffen des georgischen Präsidenten
mit dem Regionalfürsten geschaffen. Ihre Ankündigung,
die Gespräche zwischen den beiden Kontrahenten würden
noch härter werden als die zwischen ihr und dem Adscharen
haben sich anscheinend jedoch nicht bewahrheitet.
Nimmt man die offiziellen Ergebnisse 1:1, bleibt unverständlich,
warum die beiden in der letzten Woche die Drohkulissen haben aufbauen
müssen, mit denen sie das Land zumindest in den Augen internationaler
Beobachter an den Rand einer bewaffneten Auseinandersetzung getrieben
haben. Denn der eigentliche Konflikt zwischen Tbilissi und Batumi,
zwischen Saakschwili und Abaschidse, der darin besteht, dass für
Abaschidse kein Platz mehr ist, will Saakaschwili seine Versprechen
nach Reformen im ganzen Land einlösen, ist nicht einmal ansatzweise
geklärt, zumindest nicht in den Vereinbarungen, die Abaschidse
und Saakaschwili der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
haben.
Trotzdem erklärte Saakaschwili in staatsmännischer
Pose, die keine Frage nach dem eigentlichen Sieger des Tages aufkommen
lassen sollte, alle wichtigen Fragen seien besprochen und einvernehmlich
gelöst worden. Analysiert man die bekannt gegebenen Ergebnisse,
so muss sich einem der Eindruck aufdrängen, dass die wahren
Kontroversen hinter den Kulissen dieser Einigung weiter versteckt
wurden und nicht mehr als ein Kompromiss mit kurzer Halbwertzeit
und höchst möglichem Gesichtswahrungsfaktor für
beide Seiten gefunden wurde, um zumindest die Wahlen am 28.3 unter
einigermaßen akzeptablen Bedingungen abhalten zu können.
Alles andere hätte die internationale Staatengemeinschaft
nicht akzeptieren können.
Der georgische Präsident wird einen ständigen Vertreter
in der Autonomen Republik Adscharien installieren, der zusammen
mit den lokalen Behörden die Situation am georgisch-türkischen
Zoll von Sarpi und im Hafen von Batumi kontrollieren soll. Er
soll die Zentralregierung in Tbilissi mit Informationen über
die Geschehnisse am Zoll versorgen und eine "volle Transparenz
der Zolleinnahmen" garantieren. Vor dem Treffen mit Abaschidse
hatte Saakaschwili noch die volle Kontrolle über die Operationen
des Zolls in Sarpi und Batumi gefordert. Jetzt macht man das eben
gemeinsam, und wie die Zolleinnahmen, über die der Adschare
bisher nach Belieben verfügte, aufgeteilt werden, ist zumindest
den offiziellen Statements nicht zu entnehmen.
Die ultimative Forderung Saakaschwilis nach einer Freilassung
aller in Adscharien aus politischen Gründen Inhaftierten
- darunter hauptsächlich Angehörige der Saakaschwili
nahe stehenden Opposition "Unser Adschara" - wurde in
der Übereinkunft aufgelöst, dass der Generalstaatsanwalt
von Georgien eine Gruppe von Ermittlern nach Batumi entsendet,
die zusammen mit den dortigen Kollegen die entsprechenden Fälle
überprüfen.
Die von Abaschidse in den letzten Tagen mit Waffen versorgten
Teile der adscharischen Bevölkerung sollen entwaffnet werden,
um den Rechtsstaat in Georgien, vor allem auch auf dem Gebiet
Adschariens, wieder herzustellen. Von der Auflösung der lokalen
Sicherheitsministerien ist anscheinend keine Rede mehr.
Darüber hinaus versicherten sich beide Seiten, freie Wahlen
durchführen zu wollen, die Bewegungsfreiheit der Menschen
zu garantieren und allen Parteien die Chancen der Wahlwerbung.
Für diese Übereinkunft hob Saakaschwili noch in der
Nacht verhängte Blockade über die Schwarzmeer-Provinz
auf, ließ sich in den Tbilisser Medien als der große
Sieger der Auseinandersetzung feiern, mischte sich noch schnell
TV-gerecht unters adscharische Wählervolk, bevor er von Batumi
aus direkt zu einer internationalen Konferenz nach Bratislava
entschwand. Abaschidse verabschiedete seinen Präsidenten
persönlich auf dem Flughafen, der von diesem wenige Tage
zuvor noch geschlossen worden war. Saakaschwili hatte sich allerdings
erst eine persönliche Geste abringen müssen und erklären,
er habe keine persönliche Auseinandersetzung mit dem adscharischen
Führer, den er am Vorabend noch als einen mittelalterlichen
Feudalisten bezeichnet hatte. Über die vom georgischen Generalstaatsanwalt
vorgelegte Liste von Gefolgsleuten Abaschidses, denen schwere
Straftaten zur Last gelegt wurden, war in der plötzlichen
Übereinkunft der beiden Matadore keine Rede mehr. Die "am
meisten Gesuchten" Verdächtigen der adscharischen Administration
entziehen sich unter dem Schutz Abaschidses anscheinend weiter
jeglicher Strafverfolgung.
So kann man getrost davon ausgehen, dass die Konfrontation zwischen
Abaschidse und der georgischen Regierung noch lange nicht beendet
ist, wenngleich der Adschare durch den anscheinend wirksamen Wirtschaftsboykott
und die internationalen Reaktionen erstmals zu Zugeständnissen
gezwungen wurde. Vor allem die klare Aussage Russlands, sich nicht
auf seine Seite zu schlagen und eine neutrale Position einzunehmen,
dürfte den Ausschlag für ein Einlenken gegeben haben.
Mit der russischen Garnison von Batumi als Drohpotential, unter
Schewardnadse regelmäßig mit viel Erfolg eingesetzt,
wird der Adschare künftig verzichten müssen. Zu Beginn
der aktuellen Adscharienkrise hatten deutsche Kommentatoren noch
darüber spekuliert, ob Moskau Batumi nicht nur mit Worten
sondern auch mit Waffen helfen werde (Welt-Kommentar vom 17.3.).
An der Position Russlands hat auch die von vielen falsch eingeschätzte
Mission des Moskauer Bürgermeisters wenig geändert.
Klar wurde im Verlauf der Krise, dass es sich dabei um eine private
Angelegenheit Juri Lutschkows handelte ohne jeden offiziellen
Auftrag. Saakschwili hatte vor seiner Reise nach Adscharien eine
Vermittlung durch Lutschkow mit brüsken Formulierungen abgelehnt,
den Russen dann aber nach seinem Treffen mit Abaschidse doch noch
zu einem Gespräch empfangen. Die Reaktion Saakaschwilis auf
dieses Gespräch erhellt dabei einiges der Hintergründe
seiner Batumi-Verhandlungen: Mit kaum unterdrücktem Sarkasmus
erklärte der Präsident, er habe ein vergnügliches
Gespräch mit dem Moskauer Politiker gehabt. Worum es in diesem
vergnüglichen Gespräch gegangen ist, wurde nicht bekannt.
Bekannt ist aber, dass dem Moskauer Kommunalpolitiker große
wirtschaftliche Interessen in der Adscharien nachgesagt werden.
Seine "Bruderschaft" mit Aslan Abaschids, deretwegen
er dem Adscharen in seinen schwersten Stunden beistehen wollte,
dürften somit durchaus handfeste Gründe haben, die fernab
der offiziellen Moskauer Außenpolitik zu suchen sind. Lutschkow
war in der Begleitung des ebenfalls mit Abaschidse befreundeten
russischen Geschäftsmannes Gary Luchensky nach Adscharien
gekommen, durfte aber - vor allem im von Aslan Abaschidse kontrollierten
adscharischen TV - bedeutungsschwangere Statements über die
Verantwortung Tbilissis für die Zuspitzung der Krise um Adscharien
abgeben.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich Saakschwili
vor seiner Reise in die adscharische Provinz noch mit Badri Patakatsischwili
getroffen hatte, jenem georgisch-russischen Finanz-Tycoon, der
in Russland steckbrieflich gesucht wird. Patakatsischwili hatte
zwar zunächst erklärt, das Thema Adscharien nicht besprochen
zu haben, er sei ja schließlich Geschäftsmann und kein
Politiker. Kurze Zeit später wird er aber in den Agenturen
mit der Forderung zitiert, die Adscharien-Krise so schnell als
möglich zu beenden. Es waren an der Lösung dieser Krise
anscheinend doch mehr Leute aus der georgisch-adscharisch-russischen
Wirtschaftsszene beteiligt als in der öffentlichen Wahrnehmung
erkennbar.
Die Frage bleibt allerdings, wie lange der Burgfrieden zwischen
Tbilissi und Batumi halten kann, genauer gesagt, wann die Zeit
Abaschidses endgültig abgelaufen sein wird. Premierminister
Schwania erklärte denn auch in einem TV-Interview, die Zentralregierung
habe keine Garantien bekommen, dass der adscharische Führer
seinen totalitären Regierungsstil tatsächlich ändern
wolle. Deshalb sehen politische Beobachter dem Wahlergebnis in
Adscharien mit besondererm Interesse entgegen. Werden die Wahlen
wirklich frei abgehalten und trauen sich die Adscharen, ihrem
absolutistischen Fürsten an der Wahlurne zu zeigen, welchen
Rückhalt er wirklich in der eigenen Bevölkerung hat,
dann könnte es sein, dass das nächste und vielleicht
abschließende Kapitel dieser unendlichen Geschichte bald
geschrieben wird.
Michael Saakaschwili genoss zunächst einmal seinen Erfolg,
der seinem Ruf als starkem und furchtlosen Mann sicherlich dient,
und ließ sich - TV-gerecht, wie immer - an mehreren Plätzen
Adschariens von seinen Anhängern feiern, die sich vor Wochen
noch nicht in die Öffentlichkeit trauten. Das adscharische
Fernsehen zeigte dagegen nur Aslan-treue Demonstranten, die Saakschwili
bei seinem Eintreffen vor dem Obersten Rat der Autonomen Republik
mit "Babu-Babu"-Rufen begrüßten. Die neue
Freundschaft der beiden Rivalen hat sich noch nicht in allen TV-Stationen
herumgesprochen.
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