Erklärung von Alexander
Kartosia
Alexander Kartosia, Deutsch-Professor, Bibliotheks-Direktor,
Bildungsminister und bis zum bitteren Ende treuer Weggefährte
Eduard Schewardnadses, gab am 6. Februar in den Räumen der
Staatlichen Universität eine Erklärung ab, deren Wortlaut
wir auch dem deutschen Publikum nicht vorenthalten sollten, allerdings
nicht ohne einige erklärende Bemerkungen der Redaktion. Denn
Alexander Kartosia ist nicht nur ein persönlicher Freund
des Chefredakteurs von georgien-news aus einer Zeit, als jener
nicht im Entferntesten daran dachte, mit den Freuden eines Ministeramtes
betraut zu werden. Alexander Kartosia, ohne Zweifel ein hervorragender
und verdienter Germanist und vermutlich ein nicht ganz so hervorragender
und verdienter, weil eher glückloser Minister, hat viele
Freunde in Deutschland, die sich kaum vorstellen können,
ihn dort zu sehen, wo er vermutet, dass ihn die neue Führung
Georgiens demnächst sehen will, im Gefängnis.
Wir können und wollen die Vorwürfe, die gegen Alexander
Kartosia erhoben werden, nicht aus Gründen langjähriger
Freundschaft einfach übergehen. Wir können sie mit unseren
bescheidenen Mitteln auch nicht überprüfen. Deshalb
wollen - und können - wir ihm auch keinen Persilschein ausstellen.
Mag sein, dass es in der Amtszeit Kartosias erhebliche Verdachtsmomente
oder gar Beweise gibt für Verfehlungen, auch für persönliche
Verfehlungen des Ministers. Mag sein, dass schlimme Verfehlungen
von nachgeordneten Personen und Instanzen in Alexander Kartosias
Ministerium, für die er dann zumindest die politische Verantwortung
zu übernehmen hätte, nachzuweisen sind. Aber: Um all
dies zu prüfen, gibt es auch im georgischen Rechtswesen genügend
rechtsstaatliche Mittel, die nicht zuletzt auch mit finanzieller
und fachlicher Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland
eingeführt wurden. Deshalb wird man in Deutschland gerade
in diesem Falle ein besonders wachsames Auge auf die Einhaltung
rechtsstaatlicher Verfahrensweisen durch die georgischen Behörden
werfen. Sollte am Ende dieses Verfahrens - in Worten wiederholt:
am Ende dieses Verfahrens und nicht am Anfang - der Richterspruch
"Schuldig" stehen, dann muss Alexander Kartosia persönlich
die Konsequenzen tragen, die ein Rechtsstaat in diesem Falle vorsieht.
Wenn wir ihn beim Worte seines eigenen Statements nehmen - und
ein Sprachwissenschaftler muss wissen, wie er die Worte setzt,
muss wissen, dass er beim Wort genommen wird -, dann wird er sich
"furchtlos" diesen Konsequenzen zu stellen haben.
Wir veröffentlichen die nachfolgende Erklärung Alexander
Kartosias im Wortlaut, weil sie ein eigenartiges Licht auf das
Vorgehen der georgischen Behörden in diesen Tagen wirft,
das auch in den von Menschenrechtsorganisationen kritisierten
Erklärungen des Staatspräsidenten gipfelt, jeder Verdächtige,
der sich der Staatsautorität widersetze, müsse liquidiert
werden. Nicht nur Alexander Kartosia als Vertreter der Schewardnadse-Regierung,
auch unabhängige Menschenrechtsorganisationen und NGO's beklagen,
dass die neue Spitze des Landes in ihrem berechtigen Anliegen,
die Korruption zu bekämpfen, sich, vorsichtig ausgedrückt,
nicht immer rechtsstaatlich einwandfreier Methoden bedient (siehe
auch: Rosen, Tulpen, Nelken - alle Blumen
welken und Die Revolution verliert
ihre Kinder in dieser Ausgabe). Und spätestens dann,
das sei nicht nur der persönlichen Freundschaft geschuldet,
muss Öffentlichkeit hergestellt werden.
Wir haben Alexander Kartosia - in alter Freundschaft - nach dessen
Aufsehen erregendem Statement um ein Exklusiv-Interview gebeten.
Aus Zeitgründen konnte es jetzt nicht geführt werden.
Alexander Kartosia hat uns aber zwei Tage vor Erscheinen dieser
Ausgabe telefonisch zugesichert, in der nächsten Woche zu
einem ausführlichen Gespräch zur Verfügung zu stehen.
An dieses Wort werden wir ihn erinnern. Bei diesem Gespräch
werden wir ihn nicht mit kritischen Fragen verschonen, wir werden
ihm auch - in aller und alter Freundschaft - einige unbequeme
Fragen zur Bildungspolitik unter seiner Amtszeit nicht ersparen
können. Wir sind sicher, er wird dies alles aushalten, getreu
seiner am Ende des jetzt folgenden Statements formulierten Devise:
"Das einzige, was zu fürchten ist, ist die Angst."
Erklärung von Alexander Kartosia
Bildungsminister
Abgegeben am 6. Februar 2004
Am 4. Februar erklärte der Innenminister: "Wir ermitteln
im Bildungsministerium die Situation um jenen unglückseligen
60-Millionen-Kredit. Es wurden fast 200 Aktenbände beschlagnahmt,
die man im Bildungsministerium zu fälschen versuchte. Wir
verfügen über eine Beweisinformation, dass diese Geldsummen
veruntreut wurden und in die Taschen hochrangiger Personen geflossen
sind."
Ich fühle mich verpflichtet, klarzustellen, dass der Innenminister
getäuscht wurde. Es haben keine Versuche stattgefunden, Dokumente
zu fälschen. Es ist einfach unmöglich, Dokumente zu
fälschen, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben,
da sie Jahr für Jahr von internationalen Auditoren überprüft
wurden. Die Beurteilungen der Auditoren waren sowohl der georgischen
Regierung als auch der Weltbank bekannt.
Am Donnerstag, 29. Januar, wurden 23 Säcke mit den erwähnten
Dokumenten gefüllt und dann aus dem Bildungsministerium ins
Innenministerium überführt. Obwohl es für die Beschlagnahme
der Dokumente keine richterliche Anordnung gab, wurde den Mitarbeitern
des Innenministeriums keinerlei Widerstand entgegengesetzt. Seit
einer Woche sind diese versiegelten Säcke im Innenministerium,
sie sind dort noch nicht einmal geöffnet worden.
Der Innenminister behauptet, sein Ministerium verfüge über
eine Beweisinformation, dass diese Geldsummen veruntreut wurden
und in die Taschen hochrangiger Personen geflossen sind. Ich wiederhole:
Die Dokumente, die Mitarbeiter des Innenministeriums aus dem Bildungsministerium
abgeholt haben, liegen noch versiegelt in den Säcken. Nicht
einmal die Beschreibung und Klassifizierung von ihnen, geschweige
denn eine Untersuchung hat begonnen. Dabei ist in keiner Beurteilung
der internationalen Auditoren und des Rechnungshofs von Fälschung
oder Veruntreuung die Rede.
Der Innenminister sprach von dem "unglückseligen 60-Millionen-Kredit".
Dazu muss man wissen: Georgien hat von der Weltbank die Erlaubnis
bekommen, einen Kredit von 60 Millionen $ für die Reform
des Bildungswesens aufzunehmen. Aber wissen Sie, wie viele Millionen
Georgien bisher von diesem Kredit in Anspruch genommen hat? Bis
heute sind nur 8 Millionen, also 13 % des Kreditvolumens, ausgeliehen
worden. Der Rest, also 87 %, liegt in der Entscheidung der neuen
Regierung.
Wie gesagt, ich bin überzeugt, dass der Innenminister falsch
informiert wurde. Trotzdem ist seine Erklärung ein Urteil
und meine Inhaftierung ist - nach allem Anschein - entschieden.
Deshalb wende ich mich an alle, die eine Beziehung zum Gewissen
nicht eingestellt haben. Die Zulassung der persönlichen und
politischen Abrechnung im Pulverdampf des Kampfes gegen die Korruption
ist ein gefährliches Symptom für das Land. Es ist eine
Gefahr für jeden - ich betone: für jeden - Bürger,
wenn die Schuldvermutung anstelle der Unschuldsvermutung zur Norm
gemacht wird.
Ich mache diese Erklärung ganz bewusst in der Universität,
nicht weil ich Universitätsprofessor und Leiter dieses Institutes
bin. Dieser Arbeitsstelle, das Goethe-Kabinett, wurde von meinem
verstorbenen Lehrer, Prof. Reso Karalaschwili gegründet,
einem Mann, der den Mut hatte, sich über die Ungerechtigkeit
zu empören.
Ich habe nicht die Absicht, das Land zu verlassen und davon zu
laufen. Wenn ich eine entsprechende Aufforderung bekomme, werde
ich mich selbst der Staatsanwaltschaft stellen. Deshalb verlange
ich kategorisch, dass keine maskierten und bewaffneten Männer
meine Rechte verletzen.
Zum Schluss möchte ich die Journalisten und Jugendliche
daran erinnern, dass nichts zu fürchten ist. Das einzige,
was wirklich zu fürchten ist, ist die Angst. Lassen wir nicht
zu, dass die Angst die Herrschaft in Georgien antritt.
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