Mag sein, dass sich die neuen Regierenden in Georgien an die altbewährte
Regel halten, politische Grausamkeiten gefälligst sofort nach
erfolgreichen Wahlen zu begehen. Für viele, die während
der letzten Monate auf Seiten derer gestanden haben, die ein Ende
der Regierung Schewardnadse forderten, sind es derzeit aber einige
Grausamkeiten zu viel, die sich Saakaschwili und Schwania seit der
glanzvollen Präsidentenwahl vom 4. Januar geleistet haben.
Von Nino Burdschanadse spricht in diesem Zusammenhang kaum jemand,
sie zählt eindeutig zu den Verlierern im innenpolitischen Machtkampf
nach Schewardnadse. Mehr als eine Statistenrolle wird ihr derzeit
nicht mehr zugetraut.
"Diese neue Regierung arbeitet mit den Methoden der alten
und begründet das mit der Ausnahmesituation im post-revolutionären
Georgien", erklärt Tinatin Chidascheli von der Nicht-Regierungs-Organisation
"Georgian Young Lawyers Association", die seit nunmehr
zehn Jahren für demokratische Reformen und eine rechtsstaatliche
Entwicklung in Georgien streitet. Und sie fügt sofort hinzu,
dass diese Der-Zweck-heiligt-die-Mittel-Politik "absolut
unakzeptabel" sei.
Drei Themen sind es, die in den politischen Zirkeln der georgischen
Hauptstadt für Diskussionen sorgen:
- die Änderung der Verfassung
- der Kampf gegen die Korruption
- die zeitgleiche Absetzung mehrerer kritischer TV-Sendungen.
Und bei allen drei Themen macht die Regierung keine allzu gute
Figur, wenn man die demokratischen Prinzipien zum Maßstab
nimmt, unter denen sie angetreten ist.
Die Verfassungsänderung mit der Einführung eines von
einem Premier-Minister angeführten Minister-Kabinetts war
lange Zeit angekündigt. Dass sie kommen würde, konnte
niemanden überraschen. Überrascht waren viele aber vom
konkreten Ergebnis und vor allem auch vom Vorgehen, das alles
anderem entsprach als demokratischen Regeln.
Zum einen erklären die Kritiker, dass es wohl kaum einer
angemessenen politischen Moral entspreche, das alte Parlament,
dessen Amtszeit eigentlich längst abgelaufen ist und das
nur noch als Übergangsparlament funktioniert, solche weitreichenden
Entscheidungen treffen zu lassen. Zum anderen wird der Ablauf
des Verfahrens kritisiert. Nach der Verfassung müssen Änderungen
derselben mindestens einen Monat in der Öffentlichkeit diskutiert
werden, nachdem sie offiziell im Parlament eingebracht wurden.
Erst danach kann sich, so will es die Verfassung, das Parlament
mit den Änderungsbegehren beschäftigen. Die jetzige
Verfassungsänderung wurde aber bereits vier Tage, nachdem
sie im Parlament als Entwurf eingebracht worden war, vom Parlament
verabschiedet. Die Begründung von Präsident und designiertem
Premier, also von Saakaschwili und Schwania, sie dürften
vor allem im Kampf gegen die Korruption keine Zeit verlieren,
stuft Tinatin Chidascheli wieder als "völlig unakzeptabel"
ein.
Kopfschütteln löste bei den jungen Anwälten auch
der Verfahrenskniff aus, dessen sich die Regierung bediente, um
die umstrittene Verfassung durchs Parlament zu bringen. Um die
Umgehung der Monatsfrist für die Offenlegung der Verfassungsänderung
begründen zu können, erklärte man den neu eingebrachten
Entwurf kurzerhand als einen Folgeentwurf einer Verfassungsänderung,
die vor Jahren von Eduard Schewardnadse schon einmal dem Parlament
vorgelegt worden war. Somit beriefen sich die Rosen-Revolutionäre
ausgerechnet auf den, den sie mit Schimpf und Schande davon gejagt
hatten, dabei großzügigerweise die Tatsache übersehend,
dass sie natürlich ein paar Änderungen an dem früheren
Entwurf vorgenommen haben. In postrevolutionären Zeiten kann
man das alles nicht so genau nehmen und auch ein deutscher Innenminister
hat ja einmal erklärt, nicht jeden Tag mit der Verfassung
unter dem Arm herum laufen zu können.
Die neue Verfassung selbst - wir werden sie in einer späteren
Ausgabe in einer detaillierten Analyse vorstellen - hat einige
Besonderheiten. Während man im allgemeinen damit gerechnet
hatte, dass die Position des Parlaments gestärkt würde
und stattdessen die Rechte des Präsidenten beschnitten, wurden
die Rechte des Parlaments noch einmal entschieden eingeschränkt.
Es kann jetzt vom Präsidenten aufgelöst werden, wenn
es dessen Personal-Vorschlag einer Regierung dreimal ablehnt oder
wenn es den vom Präsidenten eingebrachten Haushalt ablehnt.
Gerade das Haushaltsrecht, das Königrecht eines jeden Parlaments,
wird dem georgischen Parlament nach dieser Verfassungsänderung
de facto vorenthalten. Nach der Entlassung des Parlaments sind
Neuwahlen innerhalb von zwei Monaten abzuhalten. Zusammen mit
der Auszählungsfrist von einem weiteren Monat kann der Präsident
in einem solchen Fall drei Monate ohne jede parlamentarische Kontrolle
regieren und zum Beispiel ein Budget per Dekret festsetzen oder
eine Regierung einsetzen, an die dann das neu gewählte Parlament
gebunden sind.
Auch gegenüber der Regierung ist die Macht des Präsidenten
gewachsen. Zwar wird der Posten des Premierministers geschaffen,
der als Kabinettschef für alle exekutiven Entscheidungen
verantwortlich ist. Aber der Präsident kann jederzeit ihm
unangenehme Entscheidungen der Regierung kassieren oder eine Regierungssitzung
einberufen, um sich mit der Regierung "zu beraten".
Entscheidungen zu strittigen Fragen trifft er alleine. Außerdem
kann er die Regierung jederzeit und ohne Nennung von Gründen
entlassen.
In einer ersten Stellungnahme der Venedig-Kommission des Europarates
(Kommission für rechtsstaatliche Demokratie) heißt
es, diese Verfassungsänderung stärke die Macht des Präsidenten,
da sie ihm die Möglichkeit eröffne, eine Regierung zu
ernennen, die vom Parlament nicht bestätigt wurde oder eine
Regierung in voller Funktion zu belassen, der vom Parlament das
Vertrauen entzogen wurde.
"Solange Saakaschwili und Schwania mit dieser Situation
klar kommen", resumiert Tinatin Chidascheli, "leben
wir in Ruhe und Stabilität, aber nie in einer Demokratie".
Was aber passieren wird, wenn diese interne und informelle Gewaltenteilung
zwischen den Führern der Revolution nicht mehr stimmt, daran
mag die engagierte Anwältin derzeit nicht denken. Noch überwiegt
bei ihr die Hoffnung, dass das alles nur zum Wohle Georgiens geschieht.
Aber das Glas ist nur noch halb voll, sagt sie auch. Manche meinen
auch, es sei schon halb leer. In ein paar Wochen, wenn die Parlamentskandidaten
des Regierungsblocks aufgestellt sein werden, wird sie klarer
sehen, wohin die Reise geht. Wenn Saakaschwili und Schwania nur
Jasager präsentieren, dann sieht auch Tinatin Chidascheli
einige weitere Tropfen im halbleeren Glas verdunsten.
Tinantin ist besonders besorgt angesichts der Gerüchte,
in Amerika sei die Parole ausgegeben worden, nichts gegen diese
Regierung zu unternehmen, will sagen, ihr den einen oder anderen
demokratischen Fehltritt durchgehen zu lassen nach dem Motto:
"Right or wrong - my ally". Noch schlimmer wäre
es, wenn sich die Gerüchte bestätigten, dass amerikanische
Finanzquellen, die in den letzten Jahren einen Großteil
der NGO`s und damit der für eine Demokratie so lebenswichtigen
"civil society" finanzierten, nicht mehr so üppig
sprudeln sollten wie in den vergangenen Zeiten, als es gegen die
Regierung Schewardnadse ging. Ohnehin seien die NGO`s durch die
Ereignisse erheblich geschwächt. Ein Teil ihrer führenden
Köpfe hat sich in die neue Regierung einbinden lassen, ein
anderer Teil sucht seine Zukunft im diplomatischen Dienst, wo
dringend eine Blutauffrischung mit jungen, im internationalen
Geschäft erfahrenen Leuten gebraucht würde. An diesem
Verlust an Führungspersonal hat die in den letzten Jahren
überaus aktive Szene an regierungskritischen Organisationen
zunächst einmal schwer zu knabbern.
Auch beim zweiten, wichtigen Thema der ersten Regierungstage
Saakaschwilis, dem Kampf gegen die Korruption, gibt es heftige
Kritik von vielen Seiten. Bürgerrechtler und Juristen monieren,
dass die Aktionen der Strafverfolgungsbehörden recht willkürlich
vonstatten gingen, insbesondere wird die Art und Weise von plötzlichen
Verhaftungen früherer Offizieller durch maskierte Spezialkommandos
kritisiert. Und dies immer vor laufenden Fernseh-Kameras. Auch
Kritiker, die nicht aus dem Lager Schewardnadses stammen, fordern
die Regierung auf, unbedingt rechtsstaatliche Prinzipien bei der
Verfolgung der Korruption einzuhalten und auf propagandistische
Aktionen zu verzichten.
So hat die Menschenrechtsgruppe "Artikel 42 der Verfassung"
in einem offenen Brief festgestellt, dass die Regierung demokratische
Reformen mit undemokratischen Mitteln angehe und unter dem Motto
Kampf gegen die Korruption die Menschenrechte verletzte. Es gehe
nicht an, dass Vertreter des Staates, unter ihnen auch Präsident
Michael Saakaschwili, mit markigen Sprüchen im Kampf gegen
die Korruption das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat
untergraben. Es sei schlimm, heißt es in dem Brief, das
auch nach dem Regierungswechsel die alte Devise fort gelte, der
Erfolg heilige die Mittel. Ähnlich drastisch äußerte
sich auch der seitherige Bildungsminister Alexander Kartosia,
der ins Fadenkreuz der Ermittler geraten ist. Kartosia warf den
Behörden vor, dass anstelle der Unschuldsvermutung eines
Rechtsstaates in Georgien heute die Vermutung der Schuld dominiere
und staatliches Handeln bestimme (siehe Background: "Erklärung
von Alexander Kartosia").
Beim dritten wichtigen Thema, das die Gemüter erhitzt, sieht
die Regierung erneut alles andere als gut aus. Die beiden TV-Sender
Mze und Rustavi 2 stellten Anfang Februar ohne Vorankündigung
und am selben Tag zwei mitternächtliche Talkshows ein, die
zu den populärsten Programmen im Lande gehörten, weil
sie mit kontroversen Diskussionen zu vielen politischen Themen
die Meinungsvielfalt im Lande sicher stellten. Eine schon länger
geplante "Reorganisation der Programm-Formate" war unisono
die Antwort der Programmverantwortlichen. Gerüchte, wonach
die Programme aus vorauseilendem Gehorsam gegenüber der neuen
Regierung oder gar auf deren diskreten Druck hin eingestellt wurden,
wollen in Tbilissi seither nicht verstummen. Inga Grigolia, ansonsten
meinungsfreudige Talkshow-Präsentatorin, wurde allerdings
recht einsilbig, als sie auf entsprechende Gerüchte angesprochen
wurde. "Ich kann diese Gerüchte weder bestätigen
noch dementieren. Ich kann nur erklären, dass ich jetzt erst
einmal ins Ausland gehe, um mich zu erholen", erklärte
sie einer englischsprachigen Tageszeitung auf deren bohrende Nachfrage.
So wartet in Tbilissi alles mit Spannung auf die neuen TV-Programme,
die für Anfang März angekündigt sind, auf die Wahlen
am 28. März und auf all die kleinen Grausamkeiten, die die
Regierung noch auf Lager hat.
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