Mit Surab Schwania als Regierungschef sitzt seit einigen Wochen
einer der wichtigsten ehemaligen Vertrauten des abgesetzten Staatspräsidenten
Eduard Schewardnadse erneut im Zentrum der Macht, jetzt aber in
der Exekutive, damals war er Parlamentspräsident. Statt eines
Portraits des vermutlich wichtigsten Mannes der neuen Regierung
veröffentlichen wir unkorrigiert einen Artikel aus www.georgien-news.de
vom 19. Juni vergangenen Jahres. Die Analyse des Zerwürfnisses
zwischen Schewardnadse und Schwania zeigt nicht nur in die Vergangenheit,
sie dürfte auch ein Schlüssel für die künftige
Politik Schwanias sein, denn vieles, was damals angedacht war, hat
sich heute als politische Konstellation eingestellt, wenngleich
unter etwas anderen Vorzeichen. Denn genauso wie das Zerwürfnis
zwischen ihm und Saakaschwili auf der einen sowie Schewardnadse
auf der anderen Seite von Anfang ihrer Zusammenarbeit an angelegt
war, genauso scheint das Zerwürfnis Schwania-Saakaschwili von
Anfang an angelegt. Machtbewußt sind sie beide. Und beide
wissen, dass sie derzeit aufeinander angewiesen sind. Während
Saakaschwili die Rolle des populistischen Draufgängers überzeugend
verkörpert, spielt Schwania den kühleren Rechner, den
effizienten Technokraten. Beide haben sie, jeder auf seine Weise,
getrennt marschierend und vereint schlagend, Schewardnadse in den
vorzeitigen Ruhestand geschickt. Wie weit und lange ihr Weg gemeinsam
führen wird, ist eine der spannenden Fragen der neuen georgischen
Politik. Deshalb erscheint uns die Analyse der Trennung der Reformer
von Schewardnadse auch heute noch als überaus aktuell, vor
allem vor dem Hintergrund der Frage, ob es denn wirklich eine Revolution
war, was sich da vor etwas mehr als einem Monat abgespielt hat oder
nichts anderes als eine Art Palastrevolte innerhalb der georgischen
Polit-Elite. Denn auch Surab Schwania ist jetzt da, wo er als Kronprinz
von Schewardnadse einmal hinwollte, im Zentrum der Macht.
Zum besseren Verständnis: Die Analyse war ursprünglich
als Interview mit einem der engsten Vertrauten Schwanias geschrieben.
Nach Absegnen des Wortlautes durch den Interviewten kam dieser
zwei Tage später mit der Bitte, das Interview nicht unter
seinem Namen zu veröffentlichen. Surab Schwania habe es gelesen,
es zwar im Inhalt gebilligt, aber unter allen Umständen von
einer Veröffentlichung als Interview abgeraten. Der Kompromiss,
den wir mit unserem Gesprächspartner fanden: Die wörtlichen
Zitate wurden umgeschrieben in indirekte Zitate und als Analyse
des Interviewers veröffentlicht, insoweit ist diese Analyse
auch ein authentisches Dokument aus dem inneren Zirkel der georgischen
Politik.
Der undankbare Ziehsohn?
Für einige Jahre repräsentierten sie vor allem im Ausland
ein erfolgreiches Duo: Eduard Schewardnadse, der Altmeister auf
dem internationalen Politikparkett, und Surab Schwania, der reform-orientierte
Parlamentspräsident, der lange Zeit als Ziehsohn und einziger
Nachfolgekandidat mit Erfolgsaussichten galt. Nach seinem de facto
Hinauswurf aus der Bürgerunion gründete Schwania kurz
nach den für ihn doch noch erfolgreich verlaufenen Kommunalwahlen
eine neue Partei, die "Vereinigten Demokraten". Unabhängig
vom Präsidenten unternimmt er jetzt einen neuen Anlauf auf
die Macht. Was sich für die Reformer in der Bürgerunion
gestern noch wie eine Tragödie ausnahm, könnte in wenigen
Monaten schon den Anfang vom endgültigen Ende der Ära
Schewardnadse markiert haben, die Unfähigkeit des Alten nämlich,
sich an einen potentiellen Nachfolger zu gewöhnen. GN-Herausgeber
Rainer Kaufmann führte in den letzten Wochen zahlreiche Gespräche
mit politischen Wegbegleitern Schewardnadses und Schwanias und
analysiert in dem folgenden Beitrag das Scheitern eines Tandems
aus der Sicht der Reformer, das nach außen lange Zeit blendend
funktionierte. Dabei war das Zerwürfnis zwischen Schewardnadse
und Schwania schon vom Anfang ihrer Zusammenarbeit angelegt und
zwar in der Unvereinbarkeit politischer Instinkte, Lebensläufe
und Erfahrungen.
Um das zu verstehen, muss man sich noch einmal die Situation
des Jahres 1992 vergegenwärtigen. 1992 war Eduard Schewardnadse
der einzige Politiker, der dem Land eine Zukunftsperspektive geben
konnte. Die Georgier hatten nach ihrer nationalistischen Aufwallung
praktisch nichts: keine Perspektive, keine Verbündeten, kein
Geld, keine Armee, keine Sicherheit, keine Verfassung. Sie hatten
Chaos und Anarchie und sollten und wollten einen unabhängigen
Staat aufbauen. Schewardnadse, der von einer zweifelhaften Militärjunta
ins Land geholt worden war, musste nach einer breiten Unterstützung
suchen und war damals realistisch genug, zu begreifen, dass er
neben der alten Macht- und Verwaltungselite auch junge Reformer
brauchte. Und dass er sie in ein grosses Netzwerk an Menschen
einbinden musste, die sich unter seiner Führung für
das Land und seine Zukunft engagierten. Deshalb machte er 1993
Surab Schwania, den damaligen Vorsitzenden der Grünen, zum
Generalsekretär seiner Partei, der Bürgerunion - ein
kluger Schritt, denn Schwania brachte gleich eine komplette Mannschaft
an gut ausgebildeten und offen denkenden Politikern mit. Einige
Namen, die nicht nur in der georgischen Politik einen gewissen
Klang haben, machen dies deutlich: Revaz Adamia, Michael Saakaschwili,
Giorgi Baramidse, Nino Burjanadse, Eldar Schengelaia, Surab Noghaideli,
Kacha Tschitaia, Michael Machawariani und Lana Gogoberidse, alles
Leute, die die Parlamentsarbeit der ersten Jahre entscheidend
geprägt haben, ebenso die Arbeit in der Bürgerunion.
Dabei war die Bürgerunion von Anfang an ein inhomogenes
Gebilde. Da standen sich die alten Machteliten, man könnte
sie auch Betonköpfe nennen, und die jungen Reformer gegenüber.
Und eigentlich hat diese beiden Flügel inhaltlich wenig miteinander
verbunden. Der einzige Kitt war Eduard Schewardnadse und dessen
Macht, von der sich beide Flügel - wie auch andere Gruppierungen
- entweder Einfluss oder auch nur materielle Vorteile versprachen.
Das konnte auf Dauer nicht gut gehen.
Aber auch in den Augen der Reformer hat das Land nach Bürgerkrieg
und Anarchie von Schewardnadses Netzwerk profitiert. Schewardnadse
ist ein grosser Meister im Ausbalancieren verschiedenster Kräfte.
Er konnte mit seiner Persönlichkeit Gegensätze zusammenführen,
Interessen ausgleichen und alle Kräfte immer wieder auf einen
Punkt bündeln: seine Person. Es war ein feines Netzwerk an
direkten Beziehungen zu allen, das er sich aufgebaut hatte und
das jedem das Gefühl gab, der Wichtigste für ihn zu
sei, egal ob er ihn später ins Gefängnis bringen oder
politisch abservieren würde. Solange jemand der Stabilisierung
seiner Macht diente, war er wichtig und durfte im übrigen
nahezu alles tun und lassen, was immer er wollte. Wurde er nicht
mehr zur Absicherung der Macht gebraucht oder wurde er eventuell
sogar zu stark und unabhängig, ward er zum Abschuss freigegeben.
Für die Reformer hiess Stabilisierung der Macht Schewardnadses
am Anfang nichts anderes als Stabilisierung des Landes. Das haben
selbst diejenigen im Reformerflügel, die Schewardnadse mehr
als kritisch gegenüber standen, auch so gesehen und deshalb
mitgetragen. Er war ja anfangs fast ausschliesslich von Kriminellen
umgeben, von finsteren Gestalten, die sich die Macht selbst gegriffen
hatten. Die Reformer werden es ihrem Präsidenten immer dankbar
zugute halten, dass er sie mit der Zeit viele dieser zweifelhaften
Figuren isoliert und politisch kalt gestellt hat, wenngleich der
eine oder andere noch immer in Interviews versuchen darf, seine
alte Bedeutung zu unterstreichen.
In den Augen der Reformer war es der grösste Fehler des
Präsidenten, dass er diese Politik des Ausbalancierens weiter
verfolgte, nachdem er die finstersten Gestalten aus der politischen
Verantwortung eliminiert hatte, dies auch mit anderen Leuten,
mit solchen, die es ehrlich mit ihm und dem Land meinten, statt
sich rechtzeitig für eine Gruppe von Reformern zu entscheiden
und mit ihnen zusammen das Land aufzubauen
Der Meister im Organisieren und Absichern von Macht hat in ihren
Augen nicht die Fähigkeit, das Land auch effektiv zu managen.
Georgien ist ein kleines Land mit einem Haushaltsvolumen eines
mittelgrossen Betriebes. Es brauche an seiner Spitze jemanden
mit Managementfähigkeiten, sagen sie. Schewardnadse habe
aussenpolitisch Grosses geleistet für dieses Land, in dem
er ihm eine Funktion in der Region gegeben habe, die mittlerweile
allgemein anerkannt werde. Ohne eine klare Position und Aufgabe
in der internationalen Staatengemeinschaft wäre es für
das kleine Land unendlich schwieriger, seinen Weg zu finden. Dagegen
stehe aber, dass er im Innern versagt habe.
Den Grund für dieses Versagen sehen die Reformer in der
kommunistischen Ausbildung Schewardnadses. Dafür könne
er nichts, sagen sie, aber man müsse das wissen, wenn man
ihn und seine Leistung analysiere. Die anerzogenen Kaderinstinkte
der KP habe er bis heute nicht ablegen können. In der KP
sei dein erster Stellvertreter zugleich dein grösster Feind
gewesen. Er habe alles über dich gewusst und sei in der Lage
gewesen, dich jederzeit abzuschiessen, wenn deine Position zu
schwächeln anfing. Man durfte ihm gegenüber keine Emotionen
zeigen, muss immer auf der Hut sein, immer über alles informiert
sein und man musste alle seine Entscheidungen unter die einzige
Maxime stellen: Dient sie meinem Machterhalt, meinem Fortkommen
und Überleben. Diese Erfahrung habe Schewardnadse zunächst
einmal geholfen, in Georgien Chaos und Anarchie zu überwinden,
indem er seine Macht gegen alle Anfechtungen absichern konnte.
Als er aber dann nicht einsah, dass er diesen Stil ändern
musste, wenn er ein demokratisches Georgien aufbauen wollte, als
er seine ehrlichen Freunde mit denselben Methoden der Macht traktierte,
war das für viele Reformer wie ein Schock.
Schewardnadse habe immer wieder sachlich falsche Entscheidungen
getroffen, die ihm seine Umgebung, die nur am Erhalt der Macht
und Privilegien interessiert gewesen sei, eingeflüstert hatte,
und habe von seiner Partei und dem Parlament gefordert, diese
Politik umzusetzen. Bis heute betrachte er es als einen persönlichen
Affront und einen Angriff auf seine Position, wenn jemand aus
seiner Mannschaft in der Sache eine andere Meinung vertrete und
diese auch durchzusetzen wage.
Dabei nehmen die Reformer um Schwania für sich in Anspruch,
nach aussen immer sehr moderat aufgetreten zu sein, parteiintern
aber von Anfang an Reformen und mutige Entscheidungen gefordert
und gleichzeitig mit der Regierung gestritten zu haben. In der
überwiegenden Mehrheit der Fälle habe man eine gemeinsame
Sprache gefunden und den Präsidenten unterstützt. Trotzdem
haben die Reformer registriert, wie ein nachtragender Schewardnadse
ihnen in internen Gesprächen den Vorwurf gemacht habe, dass
sie einige wenige seiner Vorschläge abgeblockt hätten.
"Es waren vielleicht 20 negative Entscheidungen von über
1.000 Initiativen des Präsidenten, die wir abbiegen konnten,"
berichtet einer aus dem inneren Zirkel der Bürgerunion. Aber
selbst dies hätte Schewardnadse nie vergessen und immer wieder
aus Tapet gebracht.
Auf den Zwischenruf, dass dieser Konflikt eigentlich ein offensichtlicher
Geburtsfehler der Bürgerunion gewesen sei, erhält man
die Antworten, dass man das heute auch so sähe. Aber sie
hätten eben die Hoffnung gehabt, Schritt für Schritt
Fortschritte erzielen zu können. Denn Schwanias Gruppe sei
ein Gewinn für die Bürgerunion gewesen, sie sei der
aktivere Teil der Partei gewesen. Und dass das georgische Parlament
innerhalb der GUS-Staaten zu den aktivsten gehörte, dass
es auch im Westen besonders geschätzt wurde, sei nahezu ausschliesslich
ein Verdienst des Schwania-Flügels der Bürgerunion gewesen,
die ja die meisten wichtigen Positionen im Parlament besetzt hatte.
Natürlich trauern die Reformer dieser einzigartigen Konstellation
in Bürgerunion und Parlament nach. Da war in der Exekutive
mit Schewardnadse ein überragender Aussenpolitiker und international
anerkannter Profi, der aus dem alten System kam, und in der Legislative
mit Schwania ein junger Parlamentspräsident, dem man überall
den Willen zu demokratischen Reform und Erneuerung abgenommen
hat. Beide seien überaus starke Persönlichkeiten und
hätten zusammen ein erfolgreiches Gespann abgegeben. Es sei
die persönliche Tragödie beider, dass sie dies nicht
bis zum Ende der Ära Schewardnadse hätten durchhalten
könnnen. "Leider ist das derzeit auch die Tragödie
des Landes" fügt ein Schwania-Vertrauter hinzu, der
vor allem die Lähmung des Parlaments in der Gesetzgebungsarbeit
beklagt.
Natürlich habe auch Schwania Fehler begangen. Er müsse
sich den Vorwurf gefallen lassen, seinen Anspruch auf die Nachfolge
des Präsidenten zu früh und zu ungeduldig angemeldet
zu haben. Das war bereits im Jahr 1999. Damit habe er die alten
Überlebens- und Abwehrinstinkte des Machtmenschen Schewardnadses
aktiviert. Dazu komme, dass der Präsident vor allem aus dem
Apparat der Staatskanzlei wie auch aus seiner familiären
Umgebung immer wieder vor Schwania gewarnt wurde. Diesen Leuten
sei ein Reformer mit Machtanspruch und der Fähigkeit, Macht
zu organisieren, die Schwania hat, natürlich gefährlich
und suspekt gewesen. Es sei ja auch der Präsidialapparat
gewesen, der immer wieder erfolgversprechende und notwendige Reformansätze
abgewürgt hätte, nur um Einfluss, Pfründe und Privilegien
zu bewahren. Leider habe der Präsident nicht immer den wahren
Hintergrund all dieser verhängnisvollen Einflüsterungen
verstanden. Schwania sei somit bei Schewardnadse zu einer der
gefährlichsten Figuren hochstilisiert worden. Anstatt ihn
als einen Nachfolger aufzubauen, habe er seinen alten Kaderinstinkten
gehorcht und ihn mit klug gesponnenen Intrigen abgehalftert.
Dass dem die Tatsache widerspricht, dass Schwania von Schewardnadse
selbst als erster Premierminister einer Regierung vorgeschlagen
wurde, die dem Parlament direkt und nicht dem Präsidenten
gegenüber verantwortlich sein sollte, wird heute von den
Reformern, die diese Idee in die politische Debatte eingeführt
hatten, ganz einfach erklärt. Diese geplante Verfassungsreform,
die er später wieder mit einem Federstrich von der politischen
Tagesordnung abgesetzt hat, sei vom Präsidenten nie wirklich
unterstützt worden. Für Schewardnadse sei Macht gleichbedeutend
mit dem alleinigen Recht, Leute auszwählen, zu ernennen und
schliesslich auch wieder feuern zu können. Niemals habe er
im Ernst daran gedacht, dieses Machtmittel aus der Hand zu geben.
Dies widerspreche total seiner politischen Lebenserfahrung und
seinen politischen Instinkten.
Indem er ausgerechnet Schwania als möglichen Premier ins
Spiel gebracht hat, habe er rechtzeitig dessen Gegner im Parlament
aktiviert, die von da an das Projekt torpedierten. Diese Personalie,
erkennen die Reformer heute, war zugleich das Ende der geplanten
Verfassungsreform. Dass Schewardnadse dies mit Absicht getan habe,
könne man heute nicht ohne weiteres von der Hand weisen.
Während die Schwania-Mannschaft für sich in Anspruch
nimmt, die eigentliche Opposition zur Regierung gewesen zu sein
und zwar innerparteilich, besteht in der Öffentlichkeit aber
der gegenteilige Eindruck. Die Reformer haben lange Zeit die Macht
des Präsidenten abgesichert. Sie haben all seine Minister
mitgetragen, auch die korruptesten und inkompetentesten. Diesen
Widerspruch haben sie der Öffentlichkeit nie hinreichend
erklären können. Sie hätten sich auf die wichtigen
Ressorts konzentriert und auf die Parlamentsarbeit, den Rest hätten
sie einfach geschluckt. Man müsse in der Politik immer wieder
Kompromisse machen, wenn man etwas erreichen wolle. Und zunächst
habe man ja auch einiges erreicht.
Auch in der internationalen Öffentlichkeit haben die Reformer
diesen politischen Spagat nur schwer erklären können,
was sich beim USA-Besuch von Schwania und Saakaschwili im letzten
Jahr abgezeichnet hatte. Manch einer im Reformerlager erkennt
heute, dass dieser Erklärungsversuch viel zu spät gekommen
sei. "Es wäre besser gewesen, diese Position schon früher
und vor allem zu Hause deutlicher zu machen, statt sich auf interne
Machtkämpfe hinter den Kulissen einzulassen, die man nur
verlieren konnte."
Auf die Frage, warum denn die eigenen Minister - Saakaschwili,
Machawariani, Noghaideli und andere - nicht sonderlich erfolgreich
waren, gibt es im Reformerlager mehrere Erklärungen. Ähnlich
wie im Fall Schwania als möglichen Premierminister dämmert
dem einen oder anderen jetzt die Vermutung, dass sie vielleicht
nur deshalb in Regierungsverantwortung berufen wurden, um sie
in den Griff zu bekommen und irgendwann einmal auffliegen zu lassen
und schassen zu können. Dass der Präsident den Reformern
wirklich die Chancen geben wollte, sich zu beweisen und Schritt
für Schritt Veränderungen umzusetzen, war eine der Hoffnungen,
an die viele viel zu lange geglaubt hätten. Manche sehen
heute, dass es der Präsident geschickt geschafft hätte,
Reformer und ihre Gegner in der Regierung direkt gegeneinander
antreten zu lassen und dann in Ruhe abzuwarten, wer sich als erster
verschleisst. Angesichts der Trägheit des Apparates habe
der Präsident davon ausgehen konnte, die Reformer würden
schon von ganz alleine gegen Betonwände laufen, sich blutige
Nasen holen und könnten dann leicht ausgetauscht und politisch
mundtot gemacht werden. Diese Variante der meist gescheiterten
Ministerkarrieren aus dem Reformerlager wird heute überhaupt
nicht mehr ausgeschlossen, wenngleich mancher "damit einen
Teil seiner früheren Hoffnungen auf Veränderungen in
unserem Lande begraben muss"
Spätestens als Saakaschwili als Justizminister jeden seiner
Kabinetts-Kollegen direkt anging, den er für korrupt und
inkompetent hielt, sei dies klar geworden. Und der Präsident
konnte sich in Ruhe zurücklehnen und die Entwicklungen abwarten.
Saakaschwili sei in dieser Hinsicht eben kompromisslos und habe
sich vielleicht auch taktisch nicht immer geschickt verhalten,
heisst es. Aber so sei er nun einmal, und so müsse man ihn
nehmen.
Immerhin, hält ihm das Schwania-Lager heute zugute, habe
er in einer Regierung, in der es fast nur Kopfnicker und Jasager
gibt, seine Position offensiv vertreten. Damit habe er eine ansehnliche
Wählerschaft hinter sich gebracht, die ebenso radikal wie
er nach Reformen verlangt. Dass er seine beiden Wahlen glänzend
gewonnen habe, zeige, dass diese Politik vermittelbar und mehrheitsfähig
sei. Und wahrscheinlich war es die Kompromisslosigkeit Saakaschwilis,
die die Brüchigkeit der Bürgerunion letztendlich aufgezeigt
habe. Bleibe nur zu hoffen, heisst es im Schwania-Lager, dass
er jetzt nicht weiter radikalisiert wird und die Bindung zur Mitte
nicht verliert. Aber Saakaschwili sei ein kluger Mann, heißt
es weiter, der wisse, was er tut
Ob der erfolgreiche Kurs von Saakaschwili nicht auch einen auf
Ausgleich bedachten Mann wie Schwania in die Versuchung bringen
könne, populistischer und radikaler zu werden, ist eine der
entscheidenden Fragen für dessen neue Partei. Erste Anzeichen
dafür gibt es ja
Seine Mitstreiter sehen es gelassen. Schwania sei durch die Intrigen
in der Bürgerunion, die vom Regierungslager unter der Führung
"dieses unseligen Lewan Mamaladse" gesteuert waren,
mehr radikalisiert worden als er eigentlich wollte. Das hätten
zunächst einmal andere zu verantworten. Und die müssen
einsehen, dass es nicht gut für das Land wäre, wenn
man jetzt Schwania weiter in die radikale Ecke drängen würde
und damit zu Saakaschwili. Man setzt vielmehr auf die Möglichkeiten,
in der Mitte eine gemässigte Reformpartei mit Surab Schwania
als politischem Kopf aufzubauen. Und vielleicht begreifen auch
andere, sagen seine politischen Freunde, dass er einer der fähigsten
Politiker ist, den dieses Land hat und dringend braucht. Die voraussichtliche
Berufung von Revaz Adamia als UN-Botschafter Georgiens wird als
erstes Zeichen einer Entkrampfung des Verhältnisses Schewardnadse-Schwania
gewertet
Ausserdem dürfte das Wählerpotential Saakaschwilis
bei einem Drittel erschöpft sein. Was solle Schwania in dieser
Ecke suchen? Dabei dürfe es aber nicht zu einer Dauerrivalität
zwischen Schwania und Saakaschwili kommen. Beides seien unterschiedliche
Temperamente und Begabungen, wobei der eine seine Ziele ohne den
anderen nicht erreichen könne. Beide hätten ihr festes
Wählerklientel, das keiner auf sich alleine vereinen könne.
Deshalb sei es richtig, dass beide Gruppierungen ihren Weg suchten
und auch unabhängig gingen. Gemeinsam hätten sie dann
die Chance, in einem künftigen Parlament Mehrheiten für
Reformen zu organisieren. Denn die Kommunalwahlen seien vor allem
ein Referendum gegen die Regierung und für eine Veränderung
in der Politik gewesen. Beide, Schwania und Saakschwili stünden
für diese Veränderungen. Ein neues Traumduo also? Wer
weiß, ob auch in dieser politischen Liaison nicht schon
von Anfang an das spätere Zerwürfnis angelegt ist. Zumindest
für diesen Fall haben sie jetzt schon vorgesorgt. Beide haben
ihre eigene Partei.
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