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Ausgabe 21/03
24. Dezember


Irgendwann in den Jahren 1995/96 habe ich Michael Saakaschwili zusammen mit einer Gruppe deutscher Journalisten zum ersten Mal in Tbilissi getroffen. Der junge Parlamentarier war damals Mitglied der Schewardnadse-Partei "Bürgerunion", die über die absolute Mehrheit im Parlament verfügte, und, wenn ich mich recht erinnere, Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Wirtschaftsreformen. Später sollte er dann Fraktionsvorsitzender werden und Justizminister, bevor er im Jahr 2001 im Streit mit Schewardnadse die Bürgerunion verließ und - frustriert von der Unfähigkeit des Präsidenten, den eingeschlagenen Reformkurs fortzuführen - den Weg in die Opposition suchte. Surab Schwania soll Saakaschwili, der die Wirren der Gamsachurdia-Zeit als Jurastudent in den USA verbracht hatte und dort in einer Anwaltskanzlei arbeitete, auf Wunsch Schewardnadses nach Georgien geholt haben. Der Präsident, der mit Hilfe alter Seilschaften die Macht im Lande zu stabilisieren trachtete, brauchte junge Reformkräfte, wenn er sich der Unterstützung des Westens beim Aufbau Georgiens versichern wollte. Da passte, zusammen mit dem Vorsitzenden der grünen Bewegung Schwania, der ehrgeizige und unabhängige Jurist Saakaschwili ausgezeichnet ins Konzept des alten Meisters, der in einem Personaltableau alte Betonköpfe, korrupte Funktionäre, Vertreter altehrwürdiger Clans, aufstrebende Technokraten und eben auch junge Reformer zu einer Art Interessensgemeinschaft vereinigte und mit ihnen, je nach Belieben, spielte.

Bei dieser ersten Begegnung erschien uns Saakaschwili, der mit seinen knapp 30 Jahren selbstverständlich eher wie ein Konfirmant daher kam denn als gestandener Politiker, schon so etwas wie das verbale Sturmgeschütz des Reformflügels. In makellosem Englisch und ohne Luft zu holen erklärte uns der politische Sonnyboy, der unbelastet von sozialistischer oder nationalistischer Vergangenheit ans Werk gehen konnte, innerhalb einer einstündigen Begegnung, welche Reformen er alle auf den Weg bringen werde und dass es für Georgien keine andere Chance als die einer Demokratie nach westlichem Vorbild gäbe. Durchaus beeindruckt vom Elan des Reformers, aber auch ein wenig zweifelnd ob des allzu offenen Selbstbewusstseins des Jung-Parlamentariers verließen wir damals das Gespräch und fuhren nach Kutaissi, um dort einen anderen aufstrebenden und ähnlich selbstbewussten Politiker zu treffen, Temur Schaschiaschwili, den Bürgermeister der westgeorgischen Provinzhauptstadt. Er, der vormalige Komsomolzen-Funktionär ließ sich in einer englischsprachigen Broschüre über das postsowjetische Kutaissi, als "Selfmademan" feiern, der die Stadt in eine marktwirtschaftliche Zukunft führen wird. Heute ist er, der als Schewardnadses Gouverneur die Provinz Imereti in den letzten Jahren immer selbstherrlicher regierte, der einzige ernstzunehmende Gegenkandidat für Michael Saakschwili, wenn man davon ausgeht, dass überhaupt jemand Chancen hat, dem Helden der Rosenrevolution den klaren 1. Platz bei der Präsidentenwahl streitig zu machen. Beide, Saakaschwili und Schaschiaschwili, so meine damaligen deutschen Begleiter, es waren politische Journalisten aus führenden Tageszeitungen, seien Leute, deren Karriere man beobachten müsse.

Im Oktober 2002 habe ich Michael Saakaschwili wieder zu einem längeren Gespräch getroffen, diesmal zu einem Interview für www.georgien-news.de. Saakaschwili hatte ein Jahr zuvor als Justizminister einen publikumswirksamen Streit mit seinen Kabinettskollegen vom Zaune gebrochen, als er einen Gesetzesentwurf zur Rückgabe illegal erworbenen Eigentums mit Fotos von Privatvillen seiner Kollegen garnierte, die diese aus ihren Ministergehältern kaum haben finanzieren können. Zufällig fand kurze Zeit später eine Parlaments-Nachwahl für das Direkt-Mandat des Tbilisser Wahlbezirks Saburtalo statt, die Saakschwili nach seinem spektakulär inszenierten Rücktritt aus der Regierung mit Glanz und Gloria - gegen die von Schewardnadse unterstützte Irina Sarischwili-Tschanturia - gewann und sich so das Parlamentsmandat wieder eroberte, das er mit seinem Eintritt in die Regierung hatte aufgeben müssen. Der Mann zeigte schon damals einen erstaunlichen Riecher für die Chance des Augenblicks: Indem er seinen Rücktritt mit einem glanzvollen Comeback verband, schuf er sich eine eigene, unabhängige politische Plattform, die er nur einem Ziel unterordnete, der Macht. Und die wollte er so schnell als möglich. Das wird er vermutlich auch schaffen: Geboren am 21.12. erreichte er mit dem Jahresende 2003 die Vollendung des 35. Lebensjahres, eine der Voraussetzungen, um überhaupt als Präsident Georgiens gewählt werden zu können. Wäre Schewardnadse auch nur einen Monat früher zurückgetreten, hätte der ehrgeizige Jurist einem (oder einer) anderen zumindest für fünf Jahre den Vortritt lassen müssen.

Die Parteizentrale seiner "Nationalen Bewegung" richtete er praktischerweise in direkter Umgebung des georgischen Machtzentrums ein, keine fünf Gehminuten von Staatskanzlei und Parlament entfernt. Bei der perfekten TV-Inszenierung der Rosenrevolution, deren Markenzeichen Saakaschwilis mediale Dauerpräsenz werden sollte, gereichte ihm dies zum entscheidenden Vorteil. Saakaschwili war immer sofort zur Stelle, wenn Rustavi 2, der Oppositionssender, als Break bei Gregory Peck und Audrey Hephurn statt zu einer Werbestrecke live zur Revolution schaltete: entweder in der schwarzen Bodyguard-Lederjacke inmitten der Demonstranten vor dem Parlament oder in staatsmännischem Blau vor der georgischen Fahne in seinem Büro. Überall, so schien es, waren Kameras, Mikrophone und Satellitenantennen im Dauereinsatz für Michael, den Allgegenwärtigen. Als er am Freitag abends vor der entscheidenden Sitzung des neuen Parlaments mit einer riessigen Autokolonne aus Westgeorgien nach Tbilissi einfuhr, war auch dieses eindrucksvolle Bild am nächsten Morgen schon Bestandteil eines Music-Clips, mit dem Rustavi 2, den Rücktritt Schewardnadses propagandistisch einforderte.

Auch ausländische TV-Stationen profitierten von der geschickten Revolutionsregie der Leute um Saakaschwili, der so weltweit als der entscheidende Gegenspieler Schewardnadses wahrgenommen wurde. Und als eines frühen Morgens Eduard Schewardnadse ungestört das Gespräch mit den Demonstranten vor dem Parlament suchte, war Saakaschwili schnell alarmiert, sodass er - unfrisiert und mit verschlafenem Gesicht - gerade noch rechtzeitig eintraf, um sich dem abfahrenden Wagen des ausgepfiffenen Staatspräsidenten in den Weg zu stellen. Politik als Medieninszenierung - das ist ohne Zweifel eine der Stärken Saakaschwilis. Jüngstes Beispiel: Einen Tag vor den Präsidialwahlen besuchte er Zchinvali, die Hauptstadt der abtrünnigen Provinz Südossetien, um dort und in südossetischen Dörfern mit georgischer Bevölkerung mit seinen Landsleuten zu sprechen. Saakaschwili - der Furchtlose. Geschickt bedient er immer wieder die Wünsche gerade des nationalistischen Teils seines Klientels, das er sich gezielt im Lager des ehemaligen Präsidenten Zwiad Gamsachurdia gesucht hat. Mit Schirinowksi, dem russischen Nationalisten, hat er sich im russichen Fernsehen gefetzt, im Parlamentswahlkampf sind seine Leute handfesten Auseinandersetzungen mit übereifrigen Polizisten in Niederkartli ebenso wenig aus dem Wege gegangen wie adscharischen Knüppelbrüdern. Und jetzt fordert Saakaschwilis Mann, Lewan Berdzenischwili, gar das Ende der adscharischen Alleinherrschaft Aslan Abaschidses. Wo immer man Flagge zeigen kann, Saakaschwili und die seinen sind vorne dran.

Die Radikalisierung Saakaschwilis, die ihm vor allem in der georgischen Mittelschicht kaum Freunde einbrachte, kam mit den Jahren der Opposition. Und niemand weiß bis heute, ob sie dem Naturell des Juristen entspricht oder eher politischem Kalkül. Die Ausgangslage vor zwei Jahren war klar: die Unzufriedenheit mit der politischen Friedhofsruhe des zu Ende gehenden Systems Schewardnadse war so weit verbreitet, dass es unmöglich erschien, aus dem Windschatten des großen Meisters heraus zu Macht gelangen zu wollen. Da war verbale Radikalität angesagt, vor allem um die wirkliche Opposition, den Arbeiterparteiführer Schalwa Natelaschwili, auf dessen ureigenstem Terrain, der prinzipiellen Gegnerschaft zu Schewardnadse, überholen und schlagen zu können. Natelaschwili, der jahrlang das Potential der Schewardnadse-Gegner nahezu im Alleingang beackerte und bei früheren Wahlen von der Regierungsmacht, damals noch mit Saakschwili und Schwania, ähnlich wegmanipuliert wurde wie im November die Parteien der Rosen-Koalition, ist der eigentliche Verlierer der politischen Entwicklung. Im November liess er sich noch als Präsidentschaftskandidat feiern, gleich nach der Revolution hat er das Handtuch geworfen und aufgerufen, die Präsidialwahlen zu boykottieren. Zumindest dieses Kalkül Saakaschwilis ist aufgegangen, es gibt keine nennenswerte Opposition zum Regierungslager Schewardnadses außer denen, die von ihm abgesprungen sind.

Mein zweites Treffen mit Michael Saakschwili vor etwas mehr als einem Jahr lief ab wie das erste sieben Jahre zuvor. Saakaschwili war nach dem Gewinn der Kommunalwahl vom Mai 2002 zu einem der ernsthaften Anwärter auf die Nachfolge Schewardnadses avanciert. Ihn und seine Clans loszuwerden, war das alleinige Ziel seines Programms: "Alle minus einen" lautete seine Formel für die politische Zukunft des Landes. Schon in der Kommunalwahl war er mit dem Slogan "Georgien ohne Schewardnadse" hausieren gegangen. "Wie von einem Wasserfall gespeist sprudelten die Anschuldigungen hervor, ohne den Ansatz einer Pause", notiere ich in meinen Bericht, nachdem mich mein Gesprächspartner eine Stunde lang mit den Verfehlungen seines ehemaligen Mentors konfrontiert hatte, die in der Feststellung gipfelten: "Da gibt es nichts zu diskutieren. Der Mann handelt nicht wie ein demokratischer Führer. Je schwächer seine Position wird, desto autokratischer wird er. Er führt Georgien auf den Weg in eine Milosevic-Republik." Verbale Holzschnitttechnik statt politischer Argumentation, das Zuspitzen der Attacken auf Personen, auch das ist eine der Stärken Saakaschwilis. Nur so, hat er einmal gesagt, nur so könne man in diesem Land Aufmerksamkeit erregen und Mehrheiten schaffen. Und nur so könne er Schewardnadse loswerden.

Mit der Milosevic-Gleichung hatte Saakaschwili vor einem Jahr schon, wie wir heute wissen, die Marschrichtung vorgegeben. Nach Belgrader Muster, das ist inzwischen offenkundig, inszenierte Saakaschwili denn auch die Demonstrationen, die zum Rücktritt Schewardndases führten, wobei er, auch das weiß man mittlerweile, ideelle und finanzielle Sponsoren aus den USA hinter sich wusste. Und mangels Masse haben beide, Saakschwili und die Regisseure im Hintergrund, das Medien Fernsehen als Multiplikator in des Wortes wahrster Bedeutung eingesetzt wie selten zuvor: Was sich auf einem einzigen Kilometer Rustaweli-Prospekt abgespielt hatte, kam zwei Tage lang rund um die Uhr in die Wohnstuben des globalen Weltdorfes als hätte sich ein ganzes Volk im Aufruhr befunden.

Viele Gesprächspartner des wohl künftigen georgischen Präsidenten bestätigen den Eindruck, den wir aus diesen beiden längeren Gesprächen mit Saakaschwili haben: Er deklamiere ununterbrochen, hören wir immer wieder, auch bei sehr privaten und intimen Gesprächssituationen, und zeige wenig Neigung, seinem Gegenüber zuzuhören oder auch nur auf dessen Reaktionen einzugehen. Öffentlich zu besichtigen bei allen Interviews: Der Mann redet ohne Punkt und Komma, ist von sich und seiner Mission überzeugt, anscheinend ohne darüber nachzudenken, ob und wie er denn die Erwartungen, die er mit seiner populistischen Rhetorik überhaupt wird erfüllen können. Und die sind groß: die Auszahlung von Gehältern und Renten hat er versprochen, vor allem den Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft. Seine Verwandtschaft, erklärte er mit deutlichem Hinweis auf seine holländische Frau, wohne überwiegend in den Niederlanden, sie müsse deshalb in Georgien nicht versorgt werden. Sein neuer Justizminister, der einzige bislang aus der Partei Saakaschwilis, wird darüber nachzudenken haben, wenn er den Chef des georgischen Justiz-Trainigs-Zentrums spricht, einen gewissen David Saakaschwili. Er ist der Bruder des früheren Justizministers und bekam seinen Job gegen durchaus kompetentere Wettbewerber zu Zeiten, als Michael noch in Diensten Eduard Schewardnadses stand.

Bei unserem Gespräch vor zwei Jahren stand auch die Frage einer Verfassungsänderung im Raum. Die Rechte des Präsidenten sollten auf eher repräsentative und außenpolitische Kompetenten zurecht gestutzt werden, Regierung als Exekutive und das Parlament erheblich aufgewertet, die Regierung direkt dem Parlament verantwortlich gemacht werden. Nino Burdschanadse und Surab Schwania hatte sich auch in Interviews mit www.georigen-news deutlich dafür ausgesprochen. Nicht so Michael Saakaschwili. Die Verfassungskonstruktion mit einem starken Präsidenten hielt er damals für richtig, wenn dieser Präsident nur ein starker Reformer sei, so einer wie er es sein würde, war wohl damals schon gemeint. Für eine parlamentarische Demokratie, in der sich die politische Mehrheit im Parlament herauszubilden hätte, sei Georgien und seine politische Elite noch nicht reif genug, da würde viel zu viel hinter den Kulissen gekungelt. "Starker Präsident und starkes Parlament" lautete seine Formel, wobei er die Tatsache offenkundig unterschlug, dass die starke Position des georgischen Präsidenten eben nur auf Kosten des Parlaments geht, beides zusammen ist verfassungsrechtlich nicht zu haben. 20 % der Bevölkerung als Wähler würden als Basis ausreichen, das Land zu regieren, verabschiedete er mich damals vielsagend. Am heutigen 4. Januar des Jahres 2004 wird er den Wahrheitsgehalt dieser These wohl antreten.

Trotzdem wird der Präsident Saakaschwili nicht annähernd die Macht seines Vorgängers haben. Die Verfassungsdebatte wird, die Anzeichen sind bereits deutlich zu sehen, die innenpolitische Konfliktlinie der nächsten Jahre werden. Ohne Schwania und Burdschanadse hätte Saakaschwili Schewardnadse nicht aus dem Amt jagen können. Beide haben im vergangenen Monat ihre Position ausgebaut, als Saakaschwili noch nicht agieren konnte. Schwania hat seine Visitenkarte in Eriwan und Baku abgegeben, Burdschandse wurde als Interims-Präsidentin noch am Weihnachtstag von Putin in Moskau empfangen, ein deutlicher Hinweis dafür, dass sich die Sympathien für Saakaschwili durchaus in Grenzen halten. Schwania hat die Staatskanzlei zu seiner Machtzentrale ausgebaut, er hat Schlüsselpositionen der Regierung mit seinen Vertrauten besetzt (Innen-, Außen- und Finanzministerium), er wird sich als Staatsminister keineswegs so vorführen lassen, wie es seine Vorgänger unter Schewardnadse geduldet haben. Die Stärke des Präsidenten Saakaschwili wird wohl definiert durch die Stärke des Regierungschefs Schwania. Ein Grund dafür, dass Saakschwili bereits angekündigt hat, anders als sein Vorgänger, seinen Dienstsitz nicht in der Staatskanzlei einrichten zu wollen? Der Dualismus Saakaschwili-Schwania, Staatspräsident-Regierungschef, kann, wenn er produktiv geführt wird, dem Land nur nützen.


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