Irgendwann in den Jahren 1995/96 habe ich Michael Saakaschwili zusammen
mit einer Gruppe deutscher Journalisten zum ersten Mal in Tbilissi
getroffen. Der junge Parlamentarier war damals Mitglied der Schewardnadse-Partei
"Bürgerunion", die über die absolute Mehrheit
im Parlament verfügte, und, wenn ich mich recht erinnere, Vorsitzender
des Parlamentsausschusses für Wirtschaftsreformen. Später
sollte er dann Fraktionsvorsitzender werden und Justizminister,
bevor er im Jahr 2001 im Streit mit Schewardnadse die Bürgerunion
verließ und - frustriert von der Unfähigkeit des Präsidenten,
den eingeschlagenen Reformkurs fortzuführen - den Weg in die
Opposition suchte. Surab Schwania soll Saakaschwili, der die Wirren
der Gamsachurdia-Zeit als Jurastudent in den USA verbracht hatte
und dort in einer Anwaltskanzlei arbeitete, auf Wunsch Schewardnadses
nach Georgien geholt haben. Der Präsident, der mit Hilfe alter
Seilschaften die Macht im Lande zu stabilisieren trachtete, brauchte
junge Reformkräfte, wenn er sich der Unterstützung des
Westens beim Aufbau Georgiens versichern wollte. Da passte, zusammen
mit dem Vorsitzenden der grünen Bewegung Schwania, der ehrgeizige
und unabhängige Jurist Saakaschwili ausgezeichnet ins Konzept
des alten Meisters, der in einem Personaltableau alte Betonköpfe,
korrupte Funktionäre, Vertreter altehrwürdiger Clans,
aufstrebende Technokraten und eben auch junge Reformer zu einer
Art Interessensgemeinschaft vereinigte und mit ihnen, je nach Belieben,
spielte.
Bei dieser ersten Begegnung erschien uns Saakaschwili, der mit
seinen knapp 30 Jahren selbstverständlich eher wie ein Konfirmant
daher kam denn als gestandener Politiker, schon so etwas wie das
verbale Sturmgeschütz des Reformflügels. In makellosem
Englisch und ohne Luft zu holen erklärte uns der politische
Sonnyboy, der unbelastet von sozialistischer oder nationalistischer
Vergangenheit ans Werk gehen konnte, innerhalb einer einstündigen
Begegnung, welche Reformen er alle auf den Weg bringen werde und
dass es für Georgien keine andere Chance als die einer Demokratie
nach westlichem Vorbild gäbe. Durchaus beeindruckt vom Elan
des Reformers, aber auch ein wenig zweifelnd ob des allzu offenen
Selbstbewusstseins des Jung-Parlamentariers verließen wir
damals das Gespräch und fuhren nach Kutaissi, um dort einen
anderen aufstrebenden und ähnlich selbstbewussten Politiker
zu treffen, Temur Schaschiaschwili, den Bürgermeister der
westgeorgischen Provinzhauptstadt. Er, der vormalige Komsomolzen-Funktionär
ließ sich in einer englischsprachigen Broschüre über
das postsowjetische Kutaissi, als "Selfmademan" feiern,
der die Stadt in eine marktwirtschaftliche Zukunft führen
wird. Heute ist er, der als Schewardnadses Gouverneur die Provinz
Imereti in den letzten Jahren immer selbstherrlicher regierte,
der einzige ernstzunehmende Gegenkandidat für Michael Saakschwili,
wenn man davon ausgeht, dass überhaupt jemand Chancen hat,
dem Helden der Rosenrevolution den klaren 1. Platz bei der Präsidentenwahl
streitig zu machen. Beide, Saakaschwili und Schaschiaschwili,
so meine damaligen deutschen Begleiter, es waren politische Journalisten
aus führenden Tageszeitungen, seien Leute, deren Karriere
man beobachten müsse.
Im Oktober 2002 habe ich Michael Saakaschwili wieder zu einem
längeren Gespräch getroffen, diesmal zu einem Interview
für www.georgien-news.de.
Saakaschwili hatte ein Jahr zuvor als Justizminister einen publikumswirksamen
Streit mit seinen Kabinettskollegen vom Zaune gebrochen, als er
einen Gesetzesentwurf zur Rückgabe illegal erworbenen Eigentums
mit Fotos von Privatvillen seiner Kollegen garnierte, die diese
aus ihren Ministergehältern kaum haben finanzieren können.
Zufällig fand kurze Zeit später eine Parlaments-Nachwahl
für das Direkt-Mandat des Tbilisser Wahlbezirks Saburtalo
statt, die Saakschwili nach seinem spektakulär inszenierten
Rücktritt aus der Regierung mit Glanz und Gloria - gegen
die von Schewardnadse unterstützte Irina Sarischwili-Tschanturia
- gewann und sich so das Parlamentsmandat wieder eroberte, das
er mit seinem Eintritt in die Regierung hatte aufgeben müssen.
Der Mann zeigte schon damals einen erstaunlichen Riecher für
die Chance des Augenblicks: Indem er seinen Rücktritt mit
einem glanzvollen Comeback verband, schuf er sich eine eigene,
unabhängige politische Plattform, die er nur einem Ziel unterordnete,
der Macht. Und die wollte er so schnell als möglich. Das
wird er vermutlich auch schaffen: Geboren am 21.12. erreichte
er mit dem Jahresende 2003 die Vollendung des 35. Lebensjahres,
eine der Voraussetzungen, um überhaupt als Präsident
Georgiens gewählt werden zu können. Wäre Schewardnadse
auch nur einen Monat früher zurückgetreten, hätte
der ehrgeizige Jurist einem (oder einer) anderen zumindest für
fünf Jahre den Vortritt lassen müssen.
Die Parteizentrale seiner "Nationalen Bewegung" richtete
er praktischerweise in direkter Umgebung des georgischen Machtzentrums
ein, keine fünf Gehminuten von Staatskanzlei und Parlament
entfernt. Bei der perfekten TV-Inszenierung der Rosenrevolution,
deren Markenzeichen Saakaschwilis mediale Dauerpräsenz werden
sollte, gereichte ihm dies zum entscheidenden Vorteil. Saakaschwili
war immer sofort zur Stelle, wenn Rustavi 2, der Oppositionssender,
als Break bei Gregory Peck und Audrey Hephurn statt zu einer Werbestrecke
live zur Revolution schaltete: entweder in der schwarzen Bodyguard-Lederjacke
inmitten der Demonstranten vor dem Parlament oder in staatsmännischem
Blau vor der georgischen Fahne in seinem Büro. Überall,
so schien es, waren Kameras, Mikrophone und Satellitenantennen
im Dauereinsatz für Michael, den Allgegenwärtigen. Als
er am Freitag abends vor der entscheidenden Sitzung des neuen
Parlaments mit einer riessigen Autokolonne aus Westgeorgien nach
Tbilissi einfuhr, war auch dieses eindrucksvolle Bild am nächsten
Morgen schon Bestandteil eines Music-Clips, mit dem Rustavi 2,
den Rücktritt Schewardnadses propagandistisch einforderte.
Auch ausländische TV-Stationen profitierten von der geschickten
Revolutionsregie der Leute um Saakaschwili, der so weltweit als
der entscheidende Gegenspieler Schewardnadses wahrgenommen wurde.
Und als eines frühen Morgens Eduard Schewardnadse ungestört
das Gespräch mit den Demonstranten vor dem Parlament suchte,
war Saakaschwili schnell alarmiert, sodass er - unfrisiert und
mit verschlafenem Gesicht - gerade noch rechtzeitig eintraf, um
sich dem abfahrenden Wagen des ausgepfiffenen Staatspräsidenten
in den Weg zu stellen. Politik als Medieninszenierung - das ist
ohne Zweifel eine der Stärken Saakaschwilis. Jüngstes
Beispiel: Einen Tag vor den Präsidialwahlen besuchte er Zchinvali,
die Hauptstadt der abtrünnigen Provinz Südossetien,
um dort und in südossetischen Dörfern mit georgischer
Bevölkerung mit seinen Landsleuten zu sprechen. Saakaschwili
- der Furchtlose. Geschickt bedient er immer wieder die Wünsche
gerade des nationalistischen Teils seines Klientels, das er sich
gezielt im Lager des ehemaligen Präsidenten Zwiad Gamsachurdia
gesucht hat. Mit Schirinowksi, dem russischen Nationalisten, hat
er sich im russichen Fernsehen gefetzt, im Parlamentswahlkampf
sind seine Leute handfesten Auseinandersetzungen mit übereifrigen
Polizisten in Niederkartli ebenso wenig aus dem Wege gegangen
wie adscharischen Knüppelbrüdern. Und jetzt fordert
Saakaschwilis Mann, Lewan Berdzenischwili, gar das Ende der adscharischen
Alleinherrschaft Aslan Abaschidses. Wo immer man Flagge zeigen
kann, Saakaschwili und die seinen sind vorne dran.
Die Radikalisierung Saakaschwilis, die ihm vor allem in der georgischen
Mittelschicht kaum Freunde einbrachte, kam mit den Jahren der
Opposition. Und niemand weiß bis heute, ob sie dem Naturell
des Juristen entspricht oder eher politischem Kalkül. Die
Ausgangslage vor zwei Jahren war klar: die Unzufriedenheit mit
der politischen Friedhofsruhe des zu Ende gehenden Systems Schewardnadse
war so weit verbreitet, dass es unmöglich erschien, aus dem
Windschatten des großen Meisters heraus zu Macht gelangen
zu wollen. Da war verbale Radikalität angesagt, vor allem
um die wirkliche Opposition, den Arbeiterparteiführer Schalwa
Natelaschwili, auf dessen ureigenstem Terrain, der prinzipiellen
Gegnerschaft zu Schewardnadse, überholen und schlagen zu
können. Natelaschwili, der jahrlang das Potential der Schewardnadse-Gegner
nahezu im Alleingang beackerte und bei früheren Wahlen von
der Regierungsmacht, damals noch mit Saakschwili und Schwania,
ähnlich wegmanipuliert wurde wie im November die Parteien
der Rosen-Koalition, ist der eigentliche Verlierer der politischen
Entwicklung. Im November liess er sich noch als Präsidentschaftskandidat
feiern, gleich nach der Revolution hat er das Handtuch geworfen
und aufgerufen, die Präsidialwahlen zu boykottieren. Zumindest
dieses Kalkül Saakaschwilis ist aufgegangen, es gibt keine
nennenswerte Opposition zum Regierungslager Schewardnadses außer
denen, die von ihm abgesprungen sind.
Mein zweites Treffen mit Michael Saakschwili vor etwas mehr als
einem Jahr lief ab wie das erste sieben Jahre zuvor. Saakaschwili
war nach dem Gewinn der Kommunalwahl vom Mai 2002 zu einem der
ernsthaften Anwärter auf die Nachfolge Schewardnadses avanciert.
Ihn und seine Clans loszuwerden, war das alleinige Ziel seines
Programms: "Alle minus einen" lautete seine Formel für
die politische Zukunft des Landes. Schon in der Kommunalwahl war
er mit dem Slogan "Georgien ohne Schewardnadse" hausieren
gegangen. "Wie von einem Wasserfall gespeist sprudelten die
Anschuldigungen hervor, ohne den Ansatz einer Pause", notiere
ich in meinen Bericht, nachdem mich mein Gesprächspartner
eine Stunde lang mit den Verfehlungen seines ehemaligen Mentors
konfrontiert hatte, die in der Feststellung gipfelten: "Da
gibt es nichts zu diskutieren. Der Mann handelt nicht wie ein
demokratischer Führer. Je schwächer seine Position wird,
desto autokratischer wird er. Er führt Georgien auf den Weg
in eine Milosevic-Republik." Verbale Holzschnitttechnik statt
politischer Argumentation, das Zuspitzen der Attacken auf Personen,
auch das ist eine der Stärken Saakaschwilis. Nur so, hat
er einmal gesagt, nur so könne man in diesem Land Aufmerksamkeit
erregen und Mehrheiten schaffen. Und nur so könne er Schewardnadse
loswerden.
Mit der Milosevic-Gleichung hatte Saakaschwili vor einem Jahr
schon, wie wir heute wissen, die Marschrichtung vorgegeben. Nach
Belgrader Muster, das ist inzwischen offenkundig, inszenierte
Saakaschwili denn auch die Demonstrationen, die zum Rücktritt
Schewardndases führten, wobei er, auch das weiß man
mittlerweile, ideelle und finanzielle Sponsoren aus den USA hinter
sich wusste. Und mangels Masse haben beide, Saakschwili und die
Regisseure im Hintergrund, das Medien Fernsehen als Multiplikator
in des Wortes wahrster Bedeutung eingesetzt wie selten zuvor:
Was sich auf einem einzigen Kilometer Rustaweli-Prospekt abgespielt
hatte, kam zwei Tage lang rund um die Uhr in die Wohnstuben des
globalen Weltdorfes als hätte sich ein ganzes Volk im Aufruhr
befunden.
Viele Gesprächspartner des wohl künftigen georgischen
Präsidenten bestätigen den Eindruck, den wir aus diesen
beiden längeren Gesprächen mit Saakaschwili haben: Er
deklamiere ununterbrochen, hören wir immer wieder, auch bei
sehr privaten und intimen Gesprächssituationen, und zeige
wenig Neigung, seinem Gegenüber zuzuhören oder auch
nur auf dessen Reaktionen einzugehen. Öffentlich zu besichtigen
bei allen Interviews: Der Mann redet ohne Punkt und Komma, ist
von sich und seiner Mission überzeugt, anscheinend ohne darüber
nachzudenken, ob und wie er denn die Erwartungen, die er mit seiner
populistischen Rhetorik überhaupt wird erfüllen können.
Und die sind groß: die Auszahlung von Gehältern und
Renten hat er versprochen, vor allem den Kampf gegen Korruption
und Vetternwirtschaft. Seine Verwandtschaft, erklärte er
mit deutlichem Hinweis auf seine holländische Frau, wohne
überwiegend in den Niederlanden, sie müsse deshalb in
Georgien nicht versorgt werden. Sein neuer Justizminister, der
einzige bislang aus der Partei Saakaschwilis, wird darüber
nachzudenken haben, wenn er den Chef des georgischen Justiz-Trainigs-Zentrums
spricht, einen gewissen David Saakaschwili. Er ist der Bruder
des früheren Justizministers und bekam seinen Job gegen durchaus
kompetentere Wettbewerber zu Zeiten, als Michael noch in Diensten
Eduard Schewardnadses stand.
Bei unserem Gespräch vor zwei Jahren stand auch die Frage
einer Verfassungsänderung im Raum. Die Rechte des Präsidenten
sollten auf eher repräsentative und außenpolitische
Kompetenten zurecht gestutzt werden, Regierung als Exekutive und
das Parlament erheblich aufgewertet, die Regierung direkt dem
Parlament verantwortlich gemacht werden. Nino Burdschanadse und
Surab Schwania hatte sich auch in Interviews mit www.georigen-news
deutlich dafür ausgesprochen. Nicht so Michael Saakaschwili.
Die Verfassungskonstruktion mit einem starken Präsidenten
hielt er damals für richtig, wenn dieser Präsident nur
ein starker Reformer sei, so einer wie er es sein würde,
war wohl damals schon gemeint. Für eine parlamentarische
Demokratie, in der sich die politische Mehrheit im Parlament herauszubilden
hätte, sei Georgien und seine politische Elite noch nicht
reif genug, da würde viel zu viel hinter den Kulissen gekungelt.
"Starker Präsident und starkes Parlament" lautete
seine Formel, wobei er die Tatsache offenkundig unterschlug, dass
die starke Position des georgischen Präsidenten eben nur
auf Kosten des Parlaments geht, beides zusammen ist verfassungsrechtlich
nicht zu haben. 20 % der Bevölkerung als Wähler würden
als Basis ausreichen, das Land zu regieren, verabschiedete er
mich damals vielsagend. Am heutigen 4. Januar des Jahres 2004
wird er den Wahrheitsgehalt dieser These wohl antreten.
Trotzdem wird der Präsident Saakaschwili nicht annähernd
die Macht seines Vorgängers haben. Die Verfassungsdebatte
wird, die Anzeichen sind bereits deutlich zu sehen, die innenpolitische
Konfliktlinie der nächsten Jahre werden. Ohne Schwania und
Burdschanadse hätte Saakaschwili Schewardnadse nicht aus
dem Amt jagen können. Beide haben im vergangenen Monat ihre
Position ausgebaut, als Saakaschwili noch nicht agieren konnte.
Schwania hat seine Visitenkarte in Eriwan und Baku abgegeben,
Burdschandse wurde als Interims-Präsidentin noch am Weihnachtstag
von Putin in Moskau empfangen, ein deutlicher Hinweis dafür,
dass sich die Sympathien für Saakaschwili durchaus in Grenzen
halten. Schwania hat die Staatskanzlei zu seiner Machtzentrale
ausgebaut, er hat Schlüsselpositionen der Regierung mit seinen
Vertrauten besetzt (Innen-, Außen- und Finanzministerium),
er wird sich als Staatsminister keineswegs so vorführen lassen,
wie es seine Vorgänger unter Schewardnadse geduldet haben.
Die Stärke des Präsidenten Saakaschwili wird wohl definiert
durch die Stärke des Regierungschefs Schwania. Ein Grund
dafür, dass Saakschwili bereits angekündigt hat, anders
als sein Vorgänger, seinen Dienstsitz nicht in der Staatskanzlei
einrichten zu wollen? Der Dualismus Saakaschwili-Schwania, Staatspräsident-Regierungschef,
kann, wenn er produktiv geführt wird, dem Land nur nützen.
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