Georgien wählt wieder. Und während das Ergebnis bereits
klar zu sein scheint, vorausgesetzt mehr als 50 % der registrierten
Wählerinnen und Wähler erscheinen an den Wahlrunen, geht
es auch bei dieser Wahl vor allem um die Frage der Glaubwürdigkeit
des Wahlsystems an sich. Und da geht es jetzt im Vorfeld der Wahlen
um genau dasselbe Problem wie am 2. November: Niemand weiß,
wie viele Wahlberechtigten es im Lande wirklich gibt.
Der neue Chef der Zentralen Wahlkommission, Zurab Tschiaberaschwili,
ist um seine Aufgabe wahrlich nicht zu beneiden. Nach dem 2. November
hatte er als Präsident der Watchdog-NGO "Fair Elections"
und heftigster Kritiker der manipulierten Parlamentswahlen noch
vor dem Obersten Gerichtshof die Gültigkeit der Wahlen erfolgreich
angefochten. Jetzt ist er selbst in der Verantwortung und kann
beim besten Willen eine der zentralen Fragen dieser Wahlen nicht
beantworten: Wie viele Wählerinnen und Wähler sind überhaupt
wahlberechtigt? Da mindestens 50 % der Wahlberechtigten am Urnengang
teilnehmen müssen, soll sein Ergebnis Rechtskraft erhalten,
kommt dieser Frage eine zentrale Bedeutung zu.
Die alten Wählerlisten, die auf Dateien des Innenministeriums
basieren, enthalten Hunderttausende "toter Seelen",
während ebenfalls Hunderttausende von Bürgerinnen und
Bürgern offensichtlich herausmanipuliert wurden. Ihnen konnte
der neue Wahlorganisator nicht trauen. Neue amtliche Wählerverzeichnisse
erstellen zu lassen, das war in der Kürze der Zeit unmöglich.
Also verfiel die Zentrale Wahlkommission auf den Trick, die Wählerinnen
und Wähler aufzufordern, sich noch in den letzten Tagen des
vergangenen Jahres in den Wahllokalen selbst in die Wählerlisten
einzuschreiben. 1,8 Millionen Menschen haben dies bis zum Stichtag
getan. Bei der Novemberwahl war man anhand der offiziellen Wählerlisten
von rund 3 Millionen Wahlberechtigten ausgegangen. Wer den Stichtag
versäumt hat, kann sich am Wahltag noch mit einem gültigen
Personaldokument im Wahllokal seines Wohnortes nachträglich
registrieren lassen. Demnach kann der Vorsitzende der Zentralen
Wahlkommission die genaue Zahl der Wahlberechtigten erst bekannt
geben, wenn alle Wahllokale nach Schließen der Wahllokale
die endgültige Zahl derer gemeldet haben, die sich registrieren
ließen. Kein besonders sauberes Verfahren, aber, so die
Zentrale Wahlkommission, das einzige, das in der Kürze der
Zeit zu realisieren war, wenn man den verfassungsgemäßen
Termin für die Neuwahl des Präsidenten einhalten wollte.
In der Zahl von rund 1,8 Millionen Wahlberechtigten ist allerdings
die Schwarzmeerprovinz Adscharien nicht enthalten. Aslan Abaschidse,
der zunächst die Wahlen gänzlich boykottieren wollte,
hat sich vor allem auf Druck (oder soll man es Vermittlung nennen?)
der USA zu spät dazu entschlossen, die Wahllokale doch öffnen
zu lassen, als dass eine Registrierung der Wahlberechtigten möglich
gewesen wäre. Somit wird das Ergebnis der Präsidentenwahl
am 4. Januar wieder eine adscharische Spezialität aufweisen:
Eine Wahlbeteiligung von nahezu 100 %, egal wie viele der Wählerinnen
und Wähler tatsächlich zur Wahl gehen. Denn die Zentrale
Wahlkommission kann entsprechend ihrem für diese Wahl angeordneten
System nur die Wählerinnen und Wähler in Adscharien
akzeptieren, die sich bis einschließlich Sonntag Abend registrieren
lassen. Und das werden wohl nur diejenigen sein, die sich nicht
um den Boykottaufruf der "Partei der demokratischen Wiedergeburt".
Denn mit seiner Partei ist sich Aslan Abaschidse treu geblieben,
sie nimmt an der Präsidentenwahl nicht teil.
Natürlich rechnet man damit, dass die Wiedergeburt versuchen
wird, alle, die zur Wahl gehen wollen, irgendwie zu hindern oder
unter Druck zu setzen. Somit kommt der adscharischen Wahlbeteiligung
und dem Ergebnis eine besondere Bedeutung zu. Am adscharischen
Wahlergebnis können Beobachter vor allem auch festmachen,
wie stark die Opposition gegen den adscharischen Präsidenten
Aslan Abaschidse und seinen Clan wirklich ist. Eine hohe Wahlbeteiligung
wäre nichts anderes als eine schallende Ohrfeige für
den selbstherrlichen Provinzherren.
So oder so: Das Wahlsystem, zu dem die Zentrale Wahlkommission
keine Alternative sah, hat einen entscheidenden Haken: Wer sich
nicht in das Wählerverzeichnis eintragen ließ, wird
bei der Bestimmung der Zahl der Wahlberechtigten einfach nicht
mitgezählt. Neben der Wiedergeburt hat auch die Arbeiterpartei
dazu aufgerufen, die Wahlen zu boykottieren, insgesamt sind das
- seriös geschätzt - alleine ein Drittel der Wählerinnen
und Wähler vergangener Wahlen. Zusammen mit den ohnehin Politikverdrossenen
und den überzeugten Anhängern der alten Regierung könnte
das ausreichen, dem zu erwartenden Wahlsieg Michael Saakaschwilis
einiges von dem Glanz zu nehmen, den er so gerne hätte. Das
Erreichen einer Wahlbeteiligung von 50 % ist demnach das Hauptproblem
des Kandidaten, wobei in einigen Wochen wohl niemand mehr über
die Basis streiten wird, nach der diese Wahlbeteiligung berechnet
wurde. Es sei denn, irgendjemand wird nach dem 4. Januar die Gerichte
bemühen und diese Wahl anfechten. Denn so ganz nach den demokratischen
Prinzipien, für die die Helden der Rosenrevolution eintreten,
wird auch diese Wahl nicht ablaufen. Da aber alle, auch die ausländischen
Wahlbeobachter, die wiederum zu Hunderten das Land überfallen,
und vor allem die Donorstaaten Georgiens an einer endgültigen
Bereinigung der georgischen Staatskrise und somit an einem legitim
gewählten Präsidenten interessiert sind, wird man wohl
oder übel alle Augen zudrücken, wenn es Saakaschwili
tatsächlich schafft, eine Wahlbeteiligung von 50 % zu erreiche,
wie auch immer diese errechnet wird.
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