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Ausgabe 19/03
26. November


Obwohl sich die Ereignisse in den letzten Tagen überschlagen haben, wollen wir unsere Serie über den Auszählungskrimi fortsetzen. Ohne die vielen Details, die in den Tagen nach der Wahl zu protokollieren waren, ist auch vieles von dem, was am vergangenen Wochenende geschah nicht zu verstehen. In dieser Ausgabe führen wir sie noch einmal zu den Auszählungen am 4. und 5. November zurück.

Dienstag, 4. November
Drei Oppositionblöcke - Nationale Bewegung, Burdschanadse-Demokraten und Ertoba - schließen sich zu einer Protest-Koalition zusammen und stellen der Regierung ein Ultimatum: Bis 6.00 Uhr abends sollen die Wahlkreisergebnisse sauber ausgezählt sein, ansonsten drohen sie mit Massendemonstrationen in ganz Georgien. Der dritte Protest-Koalitionär, Dschumber Patiaschwili von der alt/neu-kommunistischen Partei Ertoba, ein alter politischer Gegner Schewardnadses, wird in dem Bündnis aufgenommen, obwohl seine Partei jenseits der statistischen Wahrnehmungsgrenze liegt und keinerlei Bedeutung mehr hat. Da Saakaschwili, Burdschanadse und Schwania aber alle Oppositionsparteien aufgefordert hatten, ihrer Koalition beizutreten, können sie den einzigen, der diesem Aufruf gefolgt war, schlecht ausschließen. Der Altkommunist genießt sichtlich seine Bedeutung und inszeniert vielleicht einer seiner letzten Auftritte auf der großen politischen Bühne. Er habe Informationen, erklärt er, wonach die Regierung die schon gefälschten Wahlen ein zweites Mal fälschen werde. Es gäbe nämlich ein Abkommen zwischen Schewardnadse und Aslan Abaschidse, wonach sich Regierung und Wiedergeburt die Stimmen aufteilen würden. Im Gegenzug würde Aslan Abaschidse darauf verzichten, seine autonome Provinz aus dem Staatengebilde Georgiens herauszulösen.

Diese These erhält durch das Gerücht Nahrung, Finanz-Tycoon Badri Patarkatsischwili, ein Busenfreund von Wascha Lordkipanidse, dem Spitzenkandidaten des Regierungsblocks, sei nach Batumi geflogen, um mit dem dortigen Provinzfürsten und Spitzenkandidaten seiner Wiedergeburtspartei zu verhandeln. Wascha Lordkipanidse, ehemaliger georgischer Botschafter in Moskau und späterer Staatsminister unter Schewardnadse, wurde von jenem schon vor den Wahlen als möglicher und überdies besonders geeigneter Parlamentspräsident benannt. Von Badri Patarkatsischwili weiß man, dass er eigentlich die Unternehmerpartien Neue Rechte und Industrialisten hat unterstützen wollen, vom Regierungslager aber zurückgepfiffen wurde, das bis heute ein Auslieferungsverlangen Russlands gnädig übersieht. Dafür wurde Wascha Lordkipanidse, eigentlich ein politisches Auslaufmodell, Spitzenkandidat des Regierungsblocks.

Die übrigen Oppositionsparteien - Arbeiterpartei, Neue Rechte und Industrialisten - schließen sich der Oppositions-Koalition nicht an. Der Arbeiterführer Schalwa Natelaschwili beschuldigt Saakaschwili und Schwania/Burdschanadse, die Oppositionsrolle nur pro forma zu spielen, in Wahrheit aber noch immer dem Schewardnadse-Lager anzugehören. Natelaschwili, so heißt es, habe vor vier Jahren die 7-%-Hürde eigentlich überwunden gehabt, sei aber durch Stimmenmanipulationen des Regierungslagers aus dem Parlament herausgemogelt worden. Die Wahlkampf-Manager der Schewardnadse-Bürgerunion waren damals Michael Saakaschwili und Surab Schwania.

Die Neuen Rechten mit David Gamkrelidse und Lewan Gachechiladse wollen erst die Endergebnisse abwarten, sie stehen dem Oppositionsbündnis ebenso reserviert gegenüber wie Gogi Topadse von den Industrialisten, der vor vier Jahren nur deshalb noch über die 7-%-Hürde gehievt worden sein soll, weil er sich während einer er traditionellen Auszählpausen mit Aslan Abaschidse geeinigt haben soll. Vor diesen Verhandlungen standen die Industrialisten bei 6,9 %, danach bei 7,1 %. In diesem Jahr, soviel darf vorweggenommen werden, wird die Ruhe der Neuen Rechten belohnt. Obwohl sie bei allen Zwischenergebnissen mehr oder weniger deutlich unter der 7-%-Hürde rangieren, werden sie im endgültigen Wahlergebnis am am 20. November die Sperrklause um ein paar Prozentzehntel überspringen und dem neuen Parlament angehören.

Am Abend finden die ersten Demonstrationen statt. Burdschanadse und Schwania versammeln ihre Anhänger in der Philharmonie, um mit ihnen später zum Rathaus zu marschieren, wo Saakaschwili mit seinen Anhängern wartet. Insgesamt sind es 3.000 bis 4.000 Menschen, im fernen Mitteleuropa werden sie auf 20.000 aufgerundet. Schwania erklärt, rund 56.000 Wählerinnen und Wählern seines Blocks sei der Zutritt zur Wahl verwehrt worden, da man sie aus den Wählerverzeichnissen gestrichen hatte. Saakaschwili erklärt die Opposition zum alleinigen Wahlsieger und ruft in den Abendhimmel: "Wenn Schewardnadse eine Revolution will, dann kann er sie haben." Eine Aussage, an die zu dieser Stunde nur er selbst glauben konnte. Die nächste Demonstration wird für Mittwoch 13.00 Uhr angekündigt. Die Polizei hält sich im Hintergrund, der Verkehr auf dem Rustaweli nimmt kaum Notiz von der Demo. Nur ein massives Aufgebot an schwarz maskierten Uniformträgern vor dem Gebäude der CEC auf dem Rustaweli-Prospekt erinnert daran, dass irgendetwas in der Luft sein könnte. Falls die Regierung nicht einlenkt, kündigen Schwania und Saakaschwili massive Demonstrationen an. Saakaschwili droht Schewardnadse für diesen Fall dasselbe Schicksal an wie Ceaucescu.

Mittwoch 5. November
Die Regierung macht mobil. Am Morgen fahren starke Polizeieinheiten, martialisch aufgerüstet, vor den wichtigsten Regierungsgebäuden auf, der Präsidialkanzlei und der früheren Parteihochschule am Rustaweli-Prospekt, heute Heimstatt von Parlamentsausschüssen und der CEC. In der Philharmonie versammeln sich die Anhänger von Burdschanadse und Schwania. Nach einer Stunde löst sich die Versammlung ohne die angekündigten schwereren Maßahmen wieder auf. Schwania wird mit der Bemerkung zitiert, die Opposition habe ja immerhin über 75 % der Stimmen erhalten. Eine erste Andeutung auf einen taktischen Rückzug?

Die Polizei zieht auch ab, die Bilder ihrer Machtdemonstration werden den ganzen Tag über auf allen Kanälen wiederholt. Die Botschaft, die ankommen soll: Die Regierung lässt eine Destabilisierung nicht zu. Ein eilig zum Aufzug der Staatskanzlei eilender Innenminister droht mit Gewaltanwendung, falls Demonstranten Regierungsgebäude angriffen. Außerdem kündigt er nichtssagend-vielsagend die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen Oppositionspolitiker an, die auf ungenehmigten Versammlungen die Bevölkerung zum Widerstand gegen die Staatsgewalt aufstachelten. Namen nennt er allerdings nicht, Staatsgeheimnis.

Der amerikanische Botschafter spricht mit Schewardnadse, kritisiert das Wahl- und vor allem das Auszählungsverfahren, erinnert beide Seiten aber daran, im neuen Parlament zusammenarbeiten zu müssen. Später kursiert das Gerücht, die Oppositionskoalition stünde unter erheblichem Druck der Amerikaner, den Bogen nicht zu überspannen. Demonstrationen ja, Destabilisierung nein, wobei niemand die Grenze definiert, die beide Begriffe voneinander trennt. Das zweite Ultimatum der Opposition zur Anerkennung ihres Sieges ist mittlerweile verstrichen, es gehen Gerüchte um, der Burdschanadse-Schwania-Block würde seine Proteste zurückziehen für die Zusage, die 7-%-Hürde auf alle Fälle überspringen zu können.

Die CEC-Vorsitzende Nana Devdariani erklärt in einer Pressekonferenz denn auch, dass nach den vorliegenden Daten fünf Parteien die 7-%-Hürde überwunden hätten. Auf der Basis von 1.826 von insgesamt 2.870 Wahlbezirken veröffentlichte sie folgendes Zwischenergebnis: Der Regierungsblock führt knapp vor Saakaschwili, Natelaschwili, Burdschanadse/Schwania und Wiedergeburt.

Aslan Abaschidse, Präsident der autonomen Republik Adscharien, ruft die Bevölkerung Georgiens auf, Verantwortungsbewusstsein zu zeigen und keine Konfrontationen zu unterstützen, die nur den Ambitionen einzelner dienten und zum Bürgerkrieg führten. Die "so genannte Opposition" und die Regierung seien Mitglieder derselben Partei, die sich nur für eine kurze Zeit getrennt hätten, um sich später wieder zu vereinen. Badri Patakatsischwili, so heißt es, ist noch immer in Westgeorgien, um mit dem Autokraten vom Schwarzen Meer zu verhandeln. Adscharien hat der CEC bis jetzt noch keine Wählerlisten vorgelegt, geschweige denn ein Wahlergebnis.

Donnerstag, 6.11.
Der Tag der Wahrheit bricht an. Um 18.00 Uhr müssen laut Wahlgesetz alle Zählergebnisse der Wahlbezirke direkt bei der CEC eingegangen sein. Am Morgen sind 1.972 Bezirke ausgezählt, bis zum Abend sollte sich daran nichts ändern. Die erste große georgische Zählpause steht an, denn alles wartet gespannt auf die Post aus Batumi.. Bevor die Ergebnisse aus Adscharien nicht eingetroffen sind, können andere Wahlbezirke anscheinend nicht mehr eins und eins zusammenzählen. Der Zwischenstand am Morgen:

Regierungsblock 24,5 %
Nationale Bewegung 23,0 %
Arbeiterpartei 13,5 %
Burdschandse-Demokraten 8,8 %
Neue Rechte 7,7 %
Wiedergeburt 6,5 %
Industrialisten 6,0 %

Irina Sarishvili-Chanturia überrascht mit einer Pressekonferenz. Nach unbestätigten Berichten habe sich die Regierung auf einen Deal zumindest mit einer Oppositionspartei, dem Burdschanadse-Demokraten-Block, eingelassen, diesem Stimmen abgegeben, damit er auf alle Fälle die 7-%-Hürde überspringen könne. Nach Ansicht von Sarishvili-Chanturia habe der Burdschanadse-Demokraten-Block in der ansonsten Präsidenten-treuen Region Nieder-Kartli auffällig viele Stimmen bekommen, was nichts anderes heißt, als dass Stimmenpakete hinter den Kulissen offenbar als parteipolitische Verhandlungsmasse gelten. Das macht aus georgischer Sicht durchaus Sinn. Bei den noch ausstehenden Ergebnissen aus Adscharien, wo mit einer hohen Zustimmung für Aslan Abaschidse gerechnet werden muss, sieht die Lage für die Parlamentspräsidentin und ihren Vorgänger nicht gerade rosig aus: 8,8 % können da leicht zusammen schmelzen. Irina Sarishvili-Chanturia, heute Sprecherin des Regierungsblocks, vor vier Jahren noch in heftiger Opposition zu Schewardnadse und damals an der 7-%-Hürde gescheitert, wolle an diesem schamlosen Geschäft nicht beteiligt sein und stellte dem Präsidenten anheim, Sie aus seiner Liste zu streichen, wenn sich dieser Verdacht bewahrheiten sollte. Das Geschäft sei nach dem letzten Protest-Meeting der Opposition zustande gekommen. Sie wolle lieber auf ihr Mandat verzichten, erklärte Frau Sarishvili-Chanturia, als zu schweigen, was sie später dergestalt korrigiert, ihr Mandat auf alle Fälle anzunehmen, aber eine neue Kraft im Parlament zu formen, die weder mit der Regierung noch mit der Schein-Opposition etwas zu tun hätte. Wer, neben ihr, diese neue Kraft bilden soll, verschweigt die tapfere Einzelkämpferin.

Unterstützung erhält sie vom Sozialisten-Chef Wachtang Rcheulischwili, ebenfalls Mitglied im Regierungsblock, der erklärt, wenn Schewardnadse mit der radikalen Opposition unter dem Erpressungsdruck der Straße einen Kompromiss eingehe, würden sich ihre Wege trennen. Die Regierung fürchte eine Destabilisierung des Landes und sei deshalb dabei, den Konflikt mit einem Deal zu lösen, der die Betrüger "Burdschanadse-Demokraten" und einen ihrer Führer, Surab Schwania, ins Parlament brächte. So locker geht die politische Klasse Georgiens mit dem Souverän Wähler und seinen Stimmen um.

Dagegen begrüßt ein anderer Führer des Regierunsblocks, Armaz Akhvlediani, eine Stellungnahme von Aslan Abaschidse, dem Adscharien-Präsidenten. Dieser hatte in einem TV-Auftritt in Adscharien soeben die Notwendigkeit unterstrichen, nach den Wahlen im ganzen Lande Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Obwohl er vor vier Jahren als Spitzenkandidat seiner Partei schon ins georgische Zentralparlament gewählt worden war, hatte er sich nicht ein einziges Mal in Tbilissi blicken lassen. Surab Schwania, mit dem er später allerdings einen gemeinsamen Opernabend in Batumi zelebrierte, habe einen Anschlag auf sein Leben geplant, so seine jahrelang vorgetragene Begründung für die parlamentarische Enthaltsamkeit. Jetzt stellt er sich vorsorglich schon einmal als Retter des ganzen Vaterlandes dar, dem er seit Jahr und Tag nahezu jede Zoll- und Steuereinnahme verweigert. Das Law-and-order-Statement des Aslan Abaschidse zeige aber, so der Vertreter des Schewardnadse-Blocks, dass es dem Adscharien-Führer im Gegensatz zu anderen Politikern nicht an dem nötigen Verantwortungsbewusstsein für den Staat mangele und dass er keineswegs kurzfristige eigene Ziele über das Interessen des Staates stelle. Denn niemand, außer ein paar Führern der destruktiven Opposition, zweifele an der Legitimität und Fairness dieser Wahlen. Noch sind die Wahlergebnisse aus Adscharien nicht bekannt, noch ist die Zählmaschinerie der CEC gestoppt. Eine dringende Erholungspause für die Leute am PC, erfahren wir auf Anfrage. Aber irgendetwas muss bei den Verhandlungen in Adscharien gelaufen sein, soviel ist klar.

Fortsetzung in der nächsten Ausgabe von georgien-news.


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