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Ausgabe 19/03
26. November


Historische Vergleiche haben ihre Tücken. Wenn Michael Saakaschwili Parallelen zieht zwischen Ceausecsu und Schewardnadse, vor allem, was die letzten Tage des Rumänen angeht, so müsste ihm eigentlich ein wesentlicher Unterschied zwischen den Ereignissen in Bukarest vor mehr als einem Jahrzehnt und denen in Tbilissi von heute auffallen: In Bukarest waren Zehntausende, wenn nicht sogar Hunderttausende auf der Straße, um den greisen Diktator die Gefolgschaft zu versagen. Und niemand weiß bis heute, ob nicht sogar der rumänische Geheimdienst der Drahtzieher dieser Massendemonstration war, die Ceaucescu zur Flucht veranlasst hat. In Tbilissi bringt die Opposition gerade einmal 5.000 Menschen auf die Straße und die machen nicht den Eindruck, als könnten sie die Festung Schewardnadses zum Einsturz bringen. Natürlich wurden weitere Demonstranten aus der Provinz durch einen Straßenblockade der Regierung am Kommen gehindert. Aber erinnern wir uns an Leipzig: Wochenlang marschierten jeden Montag Abend Hunderttausende durch die Stadt, bis das Regime Honegger ins Wanken geriet. Oder Belgrad: Mit nur 3.000 Menschen wäre Milosevic heute noch dort, wo er - viel zu lange - sein Unwesen getrieben hatte. Und Schewardnadse hat bei allen Fehlern, die man ihm ankreiden muss, nicht verdient, mit den drei zum Teufel Gejagten in einen Topf geworfen zu werden. Dazu hat er auch zu viele Verdienste erworben.

Historische Vergleiche haben aber auch ihre Berechtigung: Wer die Bilder von der im Stadion von Batumi inszenierten Jubel-Veranstaltung für Schewardnadse und Abaschidse gesehen hat, dem fallen natürlich unweigerlich Ceaucescu und Honegger ein und - Schewardnadse wird sich dessen ganz sicher noch erinnern - der historische Ausspruch von Gorbatschow: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben." Nimmt man den optischen Eindruck dieser seltsamen Batumi-Jubel-Veranstaltung, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als ob da die Zu-spät-Gekommenen des Kaukasus ein letztes öffentliches Stelldichein hätten feiern lassen. Babu, Babu, haben sie gerufen, die Jubel-Perser, so nannte man solche Leute einmal zu Zeiten, als Schah Reza Pahlewi noch Berlin besuchen konnte. Das Schicksal des Potentaten aus dem Iran ist bekannt.

Aber: die politische Realität in Georgien ist noch nicht so, dass es für Schewardnadse gefährlich werden könnte. Die politische Realität ist jeden Tag zu besichtigen in Tbilissi, vor dem Parlament, wo die Opposition unter der Regie Michael Saakaschwilis zwar ein TV-gerechtes Demonstrationstheater aufführt, aber alles andere darstellt als eine reale Gefahr für die beiden Altmeister der Macht, Aslan und Eduard.

Nein, das sind - bis heute - keine revolutionären Massen, die sich da durch Tbilissi wälzen. Das ist eine durchaus übersichtliche Menge an Menschen, die gegen das gewiss manipulierte Ergebnis dieser Parlamentswahlen protestieren. An der Berechtigung des Protestes wird vernünftigerweise niemand zweifeln wollen. Auch daran darf vernünftigerweise niemand zweifeln, der Situation aus persönlicher Kenntnis vor Ort und nicht aus der Medienrealität der Agenturen kennt: Den überwiegenden Teil der georgischen Bevölkerung lässt dies alles kalt. Für die ist das nicht eine revolutionäre Situation, die geeignet wäre, den ungeliebten Herrscher in die Wüste zu schicken. Für mehr als 90 % der Georgier ist dies ein interner Machtkampf der politischen Elite. Und deshalb wird Schewardnadse diese Proteste aussitzen können. Wegen ein paar gefälschter Wahlscheine, mögen es auch noch so viele gewesen sein, wird einer seines Kalibers nicht gekippt. Schon gar nicht, wenn die Hauptopfer der Fälschungen nicht wissen, was sie antworten sollen, wenn man ihnen die Manipulationen von vor vier Jahren vorhält. Damals waren sie die verantwortlichen Manager für den Wahlkampf der Bürgerunion, die sich ihre Mehrheit nicht nur mit demokratisch astreinen Methoden gesichert hat. Die Opfer von heute waren die Täter von gestern, die Bevölkerung von Georgien hat dafür ein feines Gespür. Und deshalb wird die parlamentarische Opposition dieser Tage, die vor vier Jahren noch treu an der Seite Schewardnadses gestanden hat, schon noch gewaltig zulegen müssen, wenn sie sich die Schuhe anziehen will, die ihr Spitzenmann mit seinem Ceaucescu-Vergleich ins Spiel gebracht hat.

Trotzdem ist die Situation alles andere als ungefährlich, sie kann eine Eigendynamik entwickeln, weil sich am Ende alle Beteiligten in eine Sackgasse manövriert haben, aus der sie nicht mehr herauskommen. Es geht nicht um die Wahlfälschungen, denn selbst bei einwandfrei durchgeführten und ausgezählten Wahlen wäre die Situation nicht viel besser, wäre das Problem ähnlich. Aber nehmen wir erst einmal das Ergebnis, das sich jetzt abzeichnet: Schewardnadses Regierungsblock wird mit Restauszählung und Direktmandaten etwas mehr als 25 % der Parlamentssitze - und nur um die geht es am Ende - erringen, Aslan Abaschidse etwas weniger als 25 %. Michael Saakaschwili wird vermutlich bei 20 % der Mandate landen, die Arbeiterpartei bei 15 %, Burdschanadse-Schwania bei 10 %, der Rest entfällt auf diejenigen aus der Fraktion der Parteilosen, die über Direktmandate ins Parlament kamen und sich nicht irgendeinem der großen Blöcke anschließen wollen.

Damit bleibt Eduard Schewardnadse rein rechnerisch nur ein Koalitionspartner, der eine stabile Parlamentsmehrheit versprechen kann: Aslan Abaschidse. Saakaschwili und Burdschanadse/Schwania, sofern letztere überhaupt ins Parlament gehen, müssen sich entweder gemeinsam auf eine Dauer-Koalition mit ihrem Haupt-Wahlkampf-Gegner Schewardnadse einlassen oder auf zeitlich begrenzte Sach-Koalitionen. Beim gegenwärtigen Stand der Entfremdung, die mehr persönlichen Ambitionen geschuldet ist als wirklichen politischen Differenzen, ist dies kaum denkbar, schon gar nicht, wenn man in Betracht zieht, dass sich sowohl politischer Stil und Programm als auch Ambitionen und Wählerklientele von Saakaschwili und Schwania/Burdschandse eher entgegenstehen als entsprechen. Und Schalwa Natelaschwili, wenn er sich getreu sein will, wird sich mit seiner Arbeiterpartei aus alledem raushalten und seine Opposition gegen alle betreiben, mit der er in zwei Jahren seine Präsidentschaftskandidatur begründen will.

Hat Schewardnadse bei dieser Situation überhaupt eine Alternative zu Aslan Abaschidse? Vermutlich nicht, zumal das Stimmenergebnis Abaschidses in Tbilissi kaum überraschen kann. Was hat sich geändert? Nichts. Im vergangenen Parlament hatte er rund 30 % der Sitze und die waren genauso ermogelt wie in dieser Wahl. Neu ist nur, dass Schewardnadse im Lager der nicht-abchasischen Parteien keine Mehrheit mehr hat und deshalb auf Abaschidse angewiesen ist. Das - und nichts anderes - ist das, was dieses Wahlergebnis so bemerkenswert und gleichermaßen gefährlich macht. Und die Tatsache, dass Schewardnadse sich auf das Spiel mit Abaschidse - mangels Alternative - hat einlassen müssen.

Es spricht nicht vieles dafür, dass sich der Autokrat aus Batumi jemals mit einer Parlamentsmehrheit abfinden würde, in der Saakaschwili und Schwania erste und zweite Geige spielen, denn Schewardnadse könnte sie vermutlich nur mit diesem Preis in sein Boot ziehen. Die Option Friedensschluss mit der Opposition in Tbilissi, so sie denn bei der Radikalität von Saakaschwili überhaupt gegeben wäre, bedeutet für Schewardnadse in gefährlich realistischer Wahrscheinlichkeit Ärger mit Aslan Abaschidse. Wenige Tage vor den Wahlen hatte dieser bereits angekündigt, in seiner Provinz notfalls per Referendum darüber abstimmen zu lassen, ob die Wahlen in Georgien - mit Ausnahme Adschariens, versteht sich - rechtmäßig abgewickelt worden wären oder nicht. Was sollte dies anderes sein als die kaum noch kaschierte Botschaft Aslans, nach Abchasien und Südossetien eine dritte Sezession vorzubereiten, wenn das Wahlergebnis nicht seinen Vorstellungen entsprechen sollte? Zwar wird auch in Batumi nicht jede Suppe so heiß gelöffelt wie sie gekocht wird, aber allein mit dem Gedankenspiel einer weiteren Abspaltung hatte Aslan Abaschidse ein Machtinstrument in seiner Hand, das er hinter den Kulissen anscheinend erfolgreich eingesetzt hat. Nicht umsonst hat der Gurier den Adscharen sofort nach der Wahl aufgerufen, von seinem Referendum zu lassen und mit den "neuen Kräften" des Parlaments zusammenzuarbeiten, wen auch immer er mit dem Begriff "neue Kräfte" gemeint haben mag. Vor zwei Tagen haben Aslans Leute in Tbilissi vorsorglich gegen Wahlfälschungen durch die Opposition protestiert, Leute aus dem Regierungsblock, auch prominente, waren dabei. Schwardnadse ist um seine Situation nicht zu beneiden. Er ist ein Präsident auf Abruf, ein Präsident von Abaschidses Gnaden und hat zu Hause eine Opposition am Hals, die nicht kompromissfähig ist und ihm die Brücke bauen könnte, über die er dem zweifelhaften Liebeswerben des Adscharen entkommen könnte.

Auch die Opposition hat sich - dank Michael Saakaschwili - in eine ausweglose Lage manövriert. Ohne einen Hauch von Kompromissbereitschaft oder Geduld, will dieser die Machtprobe mit Schewardnadse und Abaschidse jetzt und sofort, setzt auf alles oder nichts und wird am Ende vermutlich mit nichts dastehen außer den Trümmern einer Politik, in der keiner - Opposition wie Regierung - weiß, wie man das Wort Kompromiss buchstabiert.

Es rächt sich jetzt bitter, dass es Schewardnadse nicht gelungen ist - vermutlich wollte er es auch nicht -, in seiner früher einmal stabilen Bürgerunion einen Nachfolger aufzubauen, der in der Lage gewesen wäre, diese durchaus erfolgreiche Koalition-in-der-Partei zusammenzuhalten. Kurzfristigen Zielen zuliebe und dem Erhalt seiner Ein-Mann-Dominanz hat er zu viele Leute verschlissen, verärgert und schließlich demontiert. Was zunächst wie ein Fortschritt an demokratischer Gesinnung aussah, das Herausbilden von Parteien mit eigenem Profil - von Programm-Parteien kann noch nicht geredet werden -, erweist sich jetzt als größte Gefahr für die junge Demokratie und den fragilen Staat. Die früher einmal zusammengearbeitet haben, sind heute nicht einmal mehr gesprächsfähig, geschweige denn willig, auch nur auf Zeit Koalitionen zu bilden, wenn damit dem Land ungute Entwicklungen oder gar Konfrontationen erspart werden könnten.

Vernunft wäre gefragt, Vernunft von allen Seiten. Das Gegenteil scheint einzutreffen. Abaschidse freut sich in aller Stille über seinen Coup, Schewardnadse kann nicht anders und schluckt die Kröten, die ihm jener vorsetzt in der Hoffnung, ihn später genauso fallen lassen zu können wie die Legion früherer Verbündeter, die den Zorn des großen Meisters zu spüren bekamen, wenn er glaubte, sie nicht mehr zu brauchen. Und Michael Saakaschwili verrennt sich immer mehr. Der Ton wird gereizter, die Sprache - von beiden Seiten - radikaler. Schewardnadse bezeichnet Saakaschwili als "einen wirklich gefährlichen Mann" und reist nach Adscharien, um den Schulterschluss mit dem dortigen Autokrator zu vollziehen, der zunächst einmal alle Trümpfe in seiner Hand hat. Und der lässt in seinem Lokal-TV immer wieder einen Clip ausstrahlen, in dem Michael Saakaschwili in nahezu obszönen Filmmontagen der direkten Verwandtschaft mit Adolf Hitler bezichtigt wird. Man muss sich diese Videos anschauen, um zu begreifen, auf welchen Verbündeten sich Schewardnadse einlassen musste, nur weil er - und seine politischen Ziehkinder, allen voran Saaakaschwili - unfähig sind, gemeinsam Verantwortung zu tragen für das Land.

Ob alle die verbalen Geister wieder einfangen können, sie sie in ihrem Machtkampf losgelassen haben? Es geht längst nicht mehr um Wahlfälschungen. Es geht um mehr. Die Demonstrationen am Rustaweli sind nicht viel mehr als die TV-gerecht eingerichtete Kulisse, hinter der sich ein gnadenloser Machtkampf innerhalb der politischen Elite des Landes abspielt. Er wird auch nur von der politischen Elite des Landes wahrgenommen, den überwiegenden Teil der Bevölkerung hat dieser Machtkampf noch nicht erreicht. Deshalb sieht es nicht danach aus, als ob sich Schewardnadse dem Druck der Straße beugen müsste. Er geht aber angeschlagen und machtlos in die letzten zwei Jahre seiner Präsidentschaft. Darin, nicht in den Protesten vom Rustaweli, liegt das Risiko von unkontrollierten Entwicklungen in Georgien. Und das neue Georgien muss noch ein paar Jahre länger auf seine politischen Führer warten, die in der Lage wären, es wirklich in die Zukunft zu führen.


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