Wir haben uns kurz vor den Wahlen mit der Behauptung, sie würden
besser als alle früheren werden, ziemlich weit aus dem Fenster
gelegt. Damit waren wir nicht alleine. Viele aus der internationalen
Beobachter- und Diplomatenwelt hatte noch am Freitag vor dem Wahltag
trotz aller Verwirrung um die Wählerlisten die berechtigte
Hoffnung geäußert, dass Georgien wirklich einen Schritt
vorwärts in Richtung Demokratie machen würde. Und jetzt
dieses: ein Chaos ohne Ende. Die Welt ist geschockt über die
Fähigkeiten der Georgier, auch das Mindestmaß an demokratischem
Anstand mit einer fröhlichen Selbstverständlichkeit zu
verfehlen, die einem schon fast wieder Bewunderung abfordern muss.
Trotz alledem, was da an Unverfrorenheit aufschien, bleiben wir
zumindest im Ansatz bei unserer Behauptung, diese Wahlen sind
in einigen Bereichen besser abgelaufen als die früheren,
wenngleich das Gesamtbild dieser Wahlen und vor allem das der
Auszählung verheerend ist. Trotzdem sind Differenzierungen
angebracht, die normalen Schemata taugen wenig, um zu beurteilen,
was an diesem Wahltag abgelaufen ist.
Die georgischen Behörden, die von ganz oben den Auftrag
bekamen, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um ein gutes Abschneiden
des Regierungsblocks zu ermöglichen und einen Sieg der Opposition
zu verhindern, haben genau das getan, was sie immer taten: Sie
haben - "gezwungen" durch ein von langer Hand vorbereitetes
Chaos um die Wählerlisten - diese gefälscht und damit
Tausende ihres Wahlrechts beraubt. Sie haben ihre Leute - Polizisten
vor allem - mehrfach wählen lassen. Sie haben bis zum Schluss
die Ergebnisse einzelner Wahllokale solange gefälscht, bis
lokal oder landesweit das Ergebnis herauskam, das gewünscht
war. Und heute, eineinhalb Wochen nach Urnenschluss sind noch
nicht einmal alle Wahlkreisen soweit ausgezählt, dass sie
in die offizielle Zwischenwertung der CEC - Central Election Commission
- eingehen können. Der Ruf nach Annullierung und Neuwahlen
wird laut
Das alles hat System und um dieses zu verstehen, muss man ein
wenig tiefer forschen als nur am Wahltag, kurz davor und kurz
danach. Weite Teile des georgischen Staatswesens halten durchaus
demokratischen Prinzipien stand: das Parlament zum Beispiel, solange
es seinen gesetzgeberischen Pflichten nachgekommen ist und nicht
nur als Bühne für viel zu frühe Diadochenkämpfe
missbraucht wurde; die allzu bunte Medienwelt, von der nur noch
unwissende Archiv-Abschreiber im fernen Europa behaupten können,
sie sei vom Familienclan des Staatsoberhauptes dominiert; auch
die Wirtschaft, zu Teilen jedenfalls, die sich, im Schatten zwar,
aber dennoch recht schnell marktwirtschaftliche und damit auch
demokratische Spielregeln aufgegeben hat. Das alles können
andere postsowjetische Länder nicht berichten, zumindest
nicht in diesem Ausmaß. Es gibt auch nicht überall
ein solch effizientes Netzwerk an NGO`s, die sich staatlicher
Kontrolle total verweigern und Träger einer sich bildenden
zivilen Gesellschaft sind. Dagegen vermisst man in Georgien sehr
gerne all den Personenkult früheren Stils, mit dem sich die
neuen-alten Potentaten anderer Nachfolgestaaten der UdSSR auch
heute noch gerne umschmeicheln lassen. Adscharien bildet da eine
Ausnahme, wie die Babu-Rufe (Väterchen) bei der von Aslan
Abashidse bestellten Jubel-Orgie mit Eduard beweisen.
Anders ist es mit der Verwaltung. Diese ist bis ins kleinste
Dorf noch streng zentralistisch ausgerichtet und die alles bestimmende
Zentralgewalt ist der Präsident. Die Provinzgouverneure haben
den offiziellen Titel "Persönlicher Vertreter des Präsidenten
in der Region
". Sie werden von ihm ernannt, sie ernennen
- nach Rücksprache mit dem Präsidenten natürlich
- die Gamgebellis in den Rayons und Gemeinden, die Landräte
und die Bürgermeister also. Es gibt keine Gemeindefinanzverfassung,
die den Kommunen Luft zur Eigenentwicklung ließe. Die Kommunalsteuern
sind kaum erwähnenswert, Schlüsselzuweisen nach Einwohnergröße
gibt es nicht. Alle Finanzströme werden über die Kette
Präsident - Gouverneur - Landrat - Bürgermeister geleitet,
wo sie auf der jeweiligen Stufe nach Gutdünken des Amtsherren
verteilt werden. Dies schafft Abhängigkeiten und - siehe
Wahltag 2003 - auch eine besondere Art von vorauseilendem Gehorsam,
der vieles erklärt. Da muss keiner Regieanweisungen geben,
wie man Wahlergebnisse frisiert. Das hat mit dem über Jahrhunderte
und Jahrzehnte antrainierten Überlebensinstinkt der kleinen
und mittleren Verwaltungschargen zu tun, sich nach oben immer
besser darstellen zu wollen als der Nachbar, um für sich
und seine Schäfchen möglichst viel herausholen zu können.
Alle anderen Positionen in der Verwaltung werden nach demselben
Gutsherren-Verfahren besetzt. So blickt denn eine ganze Verwaltungspyramide
gespannt auf den Wahltag, vor allem dann, wenn die Umfragen der
Opposition einen haushohen Sieg voraussagen. Wie soll da die sybillinische
Bemerkung des Staatsoberhauptes zwei Tage vor der Wahl, er traue
der Opposition einen Sieg zu, anders verstanden werden denn als
Aufforderung, die letzte Nacht zu nutzen, um Schlimmeres für
das Verwaltungs-System zu verhindern, das sich aus eigener Überzeugung
mit dem Begriff Stabilität gleichsetzt nach der Devise: "Wo
wir nicht mehr sind, kann nur das Chaos sein." Und so falsch
ist diese Ansicht nach den Erfahrungen der neunziger Jahre nicht
einmal. Dass es so gut klappen würde, dass der Regierungsblock
so gut dabei abschneiden würde, mag am Ende sogar selbst
Eduard Schewardnadse überrascht haben. Vorherzusehen war
das aufgrund der Wahlprognosen und der neuen Wahlgesetze nicht.
Solange es keine Demokratisierung der Regionen und Kommunen gibt
- eine ehrenvolle Aufgabe für das neue Parlament, auch für
die Opposition, sich mit sachlicher Reformarbeit zu profilieren
-, solange sich der georgische Staat einem effizienten System
von "check and balances" auf allen Ebenen verwehrt,
solange wird es großformatige Wahlfälschungen dieser
Art immer wieder geben. Das ist die entscheidende Botschaft des
2. November. Leider steht zu vermuten, dass auch eine Opposition,
wäre sie an der Macht, daran wenig ändern würde.
Köpfe würden vermutlich nur ausgetauscht, ganze Netzwerke
verschoben, nicht das System reformiert. An dieser Erkenntnis
kommt keine OSZE-Beobachter-Mission vorbei, auch kein amerikanisch
finanziertes Computerprogramm für Wählerlisten. Ohne
einen demokratischen Staatsaufbau, ohne eine Reform an Haupt und
Gliederung muss und wird jede Forderung nach demokratischen Wahlen
an der georgischen Realität scheitern, der Realität
einer in individuelle Netzwerke zersplitterten Gesellschaft.
Eine internationale Staaten- und Medienwelt, die das Land und
seine Wahlurnen am Wahltag und, natürlich nur, wenn`s schiefgegangen
ist, auch in den Tagen danach heuschreckenschwarmartig mit Beobachtern
überfällt, ihr abgewogen-harsches Urteil abgibt und
dann wieder abzieht bis zu den nächsten Wahlen, springt eben
viel zu kurz. Diese Gesellschaft ist noch nicht mit unseren Ellen
zu messen und wir verstehen das eigentliche Organisationsprinzip
dieser Gesellschaft viel zu wenig, das da heißt, es gibt
kein Gesetz und keine Vorschrift, die zu allgemeinem Nutzen und
Frommen des eigenen Netzwerkes nicht zu umgehen wären.
Ebenso kurzsichtig wäre es, jetzt den Georgiern den internationalen
Finanzhahn zuzudrehen. Das ist wie Kindererziehung im vorletzten
Jahrhundert. Nein, es gilt Finanzzuflüsse im Land umzuleiten,
sie zu qualifizieren und Schwerpunkte zu verlagern. Wenn der staatliche
Sektor überwiegend in der eigenen Unfähigkeit erstarrt,
warum dann den nichtstaatlichen Sektor, der weitaus effektiver
ist und das Land im Augenblick doch nach vorne bringt, vernachlässigen?
Es gilt, denen im Land beim Umbau einer mittelalterlich-aristokratischen
Netzwerkgesellschaft in eine moderne offene Gesellschaft beratend
zur Seite zu stehen, die sich nicht als beratungsresistent gezeigt
haben. Und die gibt es, man muss sie nur suchen, wenngleich der
Wahltag nicht dazu angetan war, in große Euphorie zu verfallen.
Da wird neue Vertrauensarbeit nötig sein. Es gibt aber eine
Generation, die sich heute schon in vielen NGO`S zeigt und in
der Wirtschaft, die das alles ändern will und die man nicht
für die Halsstarrigkeit der ewig Gestrigen bestrafen sollte.
Eine solche Politik wäre kurzsichtig und würde früher
oder später wie ein Bumerang auf die internationale Staatengemeinschaft
zurück kommen.
Trotz aller Unverschämtheiten, die sich das politische Georgien
in den letzten Tagen geleistet hat, sind diese Wahlen - partiell
zumindest - weitaus besser gewesen als die in früheren Jahren,
das hat auch die OSZE-Wahlbeobachtermission in ihrem ersten Statement
bei aller sonstigen Kritik eingeräumt. In früheren Wahlen
konnte sich ein Großteil der "Manipulateure" im
Einklang mit dem Gesetz wähnen, da dieses Wahlprozeduren
vorsah, die zur Fälschung geradezu einluden. Es gab keine
rechtliche Handhabe gegen die Fälscher. Das ist heute anders.
Nach dem Buchstaben des neuen Wahlgesetzes ist vieles, was am
Wahltag und danach abgelaufen ist, schlicht und einfach strafbar.
Das macht eine neue Qualität der Fälschung aus, deshalb
sind viele - auch wir - über das Ausmaß der Fälschungen
überrascht. Das war angesichts der neuen Rechtslage nicht
vorstellbar.
Es liegt jetzt an den Betrogenen, ob sie sich der Mühe einer
Klage unterziehen, und an den Gerichten, ob diese rechtsstaatliche
Chance, mit Wahlfälschungen angemessen umzugehen, genutzt
wird. Da hat der ansonsten altersstarr wirkende Präsident
Recht, wenn er sagt, die Gerichte und nicht er müssen die
Unregelmäßigkeiten dieser Wahl aufarbeiten. Welches
Rechtsstaatverständnis verbirgt sich denn hinter der Forderung
der Opposition, die medien-weltweit abgekupfert wird, der Präsident
habe die Wahlen zu annullieren? Natürlich verschanzt sich
Schewardnadse hinter der Forderung an seinen Generalstaatsanwalt,
jeden Rechtsverstoß bei dieser Wahl zu verfolgen und bestrafen
zu lassen, unabhängig von wem er ausgeführt wurde. Natürlich
will er persönlich nicht für alles haften, was er aber
doch zu verantworten hat, weil er sein Land bei allem Reformwillen
am Ende nach alter Väter Sitte regiert hat und das ist nicht
nur die Sitte kommunistischer Nomenklatur. Wer Schewardnadse und
die Probleme, die sich bei dieser Wahl gezeigt haben, auf einen
Alt-Kommunisten reduziert, der hat vom Land nicht allzu viel verstanden.
Schewardnadse ist zunächst einmal ein Kind der georgischen
Netzwerkgesellschaft und die Überlebensinstinkte dieser Gesellschaft
waren bei seinem Aufstieg im Sowjetsystem sicher nicht hinderlich.
Die georgische Netzwerk-Gesellschaft existierte schon lange vor
dem Sozialismus, sie hat diesen nur genauso listig ausgehebelt
wie sie es jetzt mit der neuen Gesellschaftsordnung, die vom Westen
kommt, versucht. Wenn der massenhafte Wahlbetrug ungesühnt
bleibt, wird sich bei der Präsidentenwahl in zwei Jahren
oder bei den nächsten Parlamentswahlen wenig ändern.
Es geht um die Macht und nicht um einen demokratischen Schönheitspreis.
Da waren diese Wahlen nur ein Vorspiel zu dem, was dann bevorsteht.
Es sei denn, die Justiz, deren oberster Instanz zumindest einigermaßen
saubere Juristenarbeit zugetraut wird, bekommt die Chance, ein
paar Maßstäbe zu setzen. Das wäre allemal besser
als noch so preiswerter oder teurer Rat aus Europa oder Übersee.
Diese Wahlen sind ohne jeden Zweifel transparenter gewesen als
alle anderen zuvor. Da hat der Präsident ebenfalls Recht,
wenngleich er, seine Regierung und Verwaltung sich dieses Verdienst
zuallerletzt ans Revers heften können. Das liegt vor allem
an der engagierten und teilweise auch furchtlosen Arbeit vieler
NGO`s, auch vieler Medien, die sich in ihrem demokratischen Wächteramt
von niemandem einschüchtern lassen. Das lässt hoffen
für die Zukunft, denn ob sich eine wache jüngere Generation
noch einmal so verladen lassen will wie an diesem 2. November,
ist fraglich.
Auch von der Organisation her sind diese Wahlen weitaus besser
abgelaufen als frühere, so paradox dies jetzt auch klingen
mag. Zum einen sind die ursprünglichen Computerdaten der
Wählerlisten zumindest teilweise eingesetzt worden, sie sind
auch vorhanden und können für weitere Wahlen gepflegt
und abgesichert werden. Zum anderen hat sich die CEC trotz aller
chaotischen Umstände, für die sie nur zum Teil verantwortlich
war, weitaus offener gezeigt als in früheren Jahren. Regierende
und Regierte werden nicht umhin kommen, in einigen Wochen zusammen
zu sitzen und nachzudenken über das, was sich das Land in
den letzen zwei Wochen trotz aller Fortschritte in der Wahlgesetzgebung
an Unsäglichkeiten geleistet hat. Vielleicht werden dann
Lehren gezogen werden für die wichtigsten Wahlen in der Nachsowjetgeschichte
des Landes: die Präsidentenwahlen im Jahr 2005. Nach der
Wahl ist vor der Wahl. Und vor der Wahl ist es nie zu spät.
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