Newsletter
Währungskurse
Wetterprognose
E-Mail an GN
Ausgabe 19/03
12. November


Wir haben uns kurz vor den Wahlen mit der Behauptung, sie würden besser als alle früheren werden, ziemlich weit aus dem Fenster gelegt. Damit waren wir nicht alleine. Viele aus der internationalen Beobachter- und Diplomatenwelt hatte noch am Freitag vor dem Wahltag trotz aller Verwirrung um die Wählerlisten die berechtigte Hoffnung geäußert, dass Georgien wirklich einen Schritt vorwärts in Richtung Demokratie machen würde. Und jetzt dieses: ein Chaos ohne Ende. Die Welt ist geschockt über die Fähigkeiten der Georgier, auch das Mindestmaß an demokratischem Anstand mit einer fröhlichen Selbstverständlichkeit zu verfehlen, die einem schon fast wieder Bewunderung abfordern muss.

Trotz alledem, was da an Unverfrorenheit aufschien, bleiben wir zumindest im Ansatz bei unserer Behauptung, diese Wahlen sind in einigen Bereichen besser abgelaufen als die früheren, wenngleich das Gesamtbild dieser Wahlen und vor allem das der Auszählung verheerend ist. Trotzdem sind Differenzierungen angebracht, die normalen Schemata taugen wenig, um zu beurteilen, was an diesem Wahltag abgelaufen ist.

Die georgischen Behörden, die von ganz oben den Auftrag bekamen, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um ein gutes Abschneiden des Regierungsblocks zu ermöglichen und einen Sieg der Opposition zu verhindern, haben genau das getan, was sie immer taten: Sie haben - "gezwungen" durch ein von langer Hand vorbereitetes Chaos um die Wählerlisten - diese gefälscht und damit Tausende ihres Wahlrechts beraubt. Sie haben ihre Leute - Polizisten vor allem - mehrfach wählen lassen. Sie haben bis zum Schluss die Ergebnisse einzelner Wahllokale solange gefälscht, bis lokal oder landesweit das Ergebnis herauskam, das gewünscht war. Und heute, eineinhalb Wochen nach Urnenschluss sind noch nicht einmal alle Wahlkreisen soweit ausgezählt, dass sie in die offizielle Zwischenwertung der CEC - Central Election Commission - eingehen können. Der Ruf nach Annullierung und Neuwahlen wird laut

Das alles hat System und um dieses zu verstehen, muss man ein wenig tiefer forschen als nur am Wahltag, kurz davor und kurz danach. Weite Teile des georgischen Staatswesens halten durchaus demokratischen Prinzipien stand: das Parlament zum Beispiel, solange es seinen gesetzgeberischen Pflichten nachgekommen ist und nicht nur als Bühne für viel zu frühe Diadochenkämpfe missbraucht wurde; die allzu bunte Medienwelt, von der nur noch unwissende Archiv-Abschreiber im fernen Europa behaupten können, sie sei vom Familienclan des Staatsoberhauptes dominiert; auch die Wirtschaft, zu Teilen jedenfalls, die sich, im Schatten zwar, aber dennoch recht schnell marktwirtschaftliche und damit auch demokratische Spielregeln aufgegeben hat. Das alles können andere postsowjetische Länder nicht berichten, zumindest nicht in diesem Ausmaß. Es gibt auch nicht überall ein solch effizientes Netzwerk an NGO`s, die sich staatlicher Kontrolle total verweigern und Träger einer sich bildenden zivilen Gesellschaft sind. Dagegen vermisst man in Georgien sehr gerne all den Personenkult früheren Stils, mit dem sich die neuen-alten Potentaten anderer Nachfolgestaaten der UdSSR auch heute noch gerne umschmeicheln lassen. Adscharien bildet da eine Ausnahme, wie die Babu-Rufe (Väterchen) bei der von Aslan Abashidse bestellten Jubel-Orgie mit Eduard beweisen.

Anders ist es mit der Verwaltung. Diese ist bis ins kleinste Dorf noch streng zentralistisch ausgerichtet und die alles bestimmende Zentralgewalt ist der Präsident. Die Provinzgouverneure haben den offiziellen Titel "Persönlicher Vertreter des Präsidenten in der Region …". Sie werden von ihm ernannt, sie ernennen - nach Rücksprache mit dem Präsidenten natürlich - die Gamgebellis in den Rayons und Gemeinden, die Landräte und die Bürgermeister also. Es gibt keine Gemeindefinanzverfassung, die den Kommunen Luft zur Eigenentwicklung ließe. Die Kommunalsteuern sind kaum erwähnenswert, Schlüsselzuweisen nach Einwohnergröße gibt es nicht. Alle Finanzströme werden über die Kette Präsident - Gouverneur - Landrat - Bürgermeister geleitet, wo sie auf der jeweiligen Stufe nach Gutdünken des Amtsherren verteilt werden. Dies schafft Abhängigkeiten und - siehe Wahltag 2003 - auch eine besondere Art von vorauseilendem Gehorsam, der vieles erklärt. Da muss keiner Regieanweisungen geben, wie man Wahlergebnisse frisiert. Das hat mit dem über Jahrhunderte und Jahrzehnte antrainierten Überlebensinstinkt der kleinen und mittleren Verwaltungschargen zu tun, sich nach oben immer besser darstellen zu wollen als der Nachbar, um für sich und seine Schäfchen möglichst viel herausholen zu können. Alle anderen Positionen in der Verwaltung werden nach demselben Gutsherren-Verfahren besetzt. So blickt denn eine ganze Verwaltungspyramide gespannt auf den Wahltag, vor allem dann, wenn die Umfragen der Opposition einen haushohen Sieg voraussagen. Wie soll da die sybillinische Bemerkung des Staatsoberhauptes zwei Tage vor der Wahl, er traue der Opposition einen Sieg zu, anders verstanden werden denn als Aufforderung, die letzte Nacht zu nutzen, um Schlimmeres für das Verwaltungs-System zu verhindern, das sich aus eigener Überzeugung mit dem Begriff Stabilität gleichsetzt nach der Devise: "Wo wir nicht mehr sind, kann nur das Chaos sein." Und so falsch ist diese Ansicht nach den Erfahrungen der neunziger Jahre nicht einmal. Dass es so gut klappen würde, dass der Regierungsblock so gut dabei abschneiden würde, mag am Ende sogar selbst Eduard Schewardnadse überrascht haben. Vorherzusehen war das aufgrund der Wahlprognosen und der neuen Wahlgesetze nicht.

Solange es keine Demokratisierung der Regionen und Kommunen gibt - eine ehrenvolle Aufgabe für das neue Parlament, auch für die Opposition, sich mit sachlicher Reformarbeit zu profilieren -, solange sich der georgische Staat einem effizienten System von "check and balances" auf allen Ebenen verwehrt, solange wird es großformatige Wahlfälschungen dieser Art immer wieder geben. Das ist die entscheidende Botschaft des 2. November. Leider steht zu vermuten, dass auch eine Opposition, wäre sie an der Macht, daran wenig ändern würde. Köpfe würden vermutlich nur ausgetauscht, ganze Netzwerke verschoben, nicht das System reformiert. An dieser Erkenntnis kommt keine OSZE-Beobachter-Mission vorbei, auch kein amerikanisch finanziertes Computerprogramm für Wählerlisten. Ohne einen demokratischen Staatsaufbau, ohne eine Reform an Haupt und Gliederung muss und wird jede Forderung nach demokratischen Wahlen an der georgischen Realität scheitern, der Realität einer in individuelle Netzwerke zersplitterten Gesellschaft.

Eine internationale Staaten- und Medienwelt, die das Land und seine Wahlurnen am Wahltag und, natürlich nur, wenn`s schiefgegangen ist, auch in den Tagen danach heuschreckenschwarmartig mit Beobachtern überfällt, ihr abgewogen-harsches Urteil abgibt und dann wieder abzieht bis zu den nächsten Wahlen, springt eben viel zu kurz. Diese Gesellschaft ist noch nicht mit unseren Ellen zu messen und wir verstehen das eigentliche Organisationsprinzip dieser Gesellschaft viel zu wenig, das da heißt, es gibt kein Gesetz und keine Vorschrift, die zu allgemeinem Nutzen und Frommen des eigenen Netzwerkes nicht zu umgehen wären.

Ebenso kurzsichtig wäre es, jetzt den Georgiern den internationalen Finanzhahn zuzudrehen. Das ist wie Kindererziehung im vorletzten Jahrhundert. Nein, es gilt Finanzzuflüsse im Land umzuleiten, sie zu qualifizieren und Schwerpunkte zu verlagern. Wenn der staatliche Sektor überwiegend in der eigenen Unfähigkeit erstarrt, warum dann den nichtstaatlichen Sektor, der weitaus effektiver ist und das Land im Augenblick doch nach vorne bringt, vernachlässigen? Es gilt, denen im Land beim Umbau einer mittelalterlich-aristokratischen Netzwerkgesellschaft in eine moderne offene Gesellschaft beratend zur Seite zu stehen, die sich nicht als beratungsresistent gezeigt haben. Und die gibt es, man muss sie nur suchen, wenngleich der Wahltag nicht dazu angetan war, in große Euphorie zu verfallen. Da wird neue Vertrauensarbeit nötig sein. Es gibt aber eine Generation, die sich heute schon in vielen NGO`S zeigt und in der Wirtschaft, die das alles ändern will und die man nicht für die Halsstarrigkeit der ewig Gestrigen bestrafen sollte. Eine solche Politik wäre kurzsichtig und würde früher oder später wie ein Bumerang auf die internationale Staatengemeinschaft zurück kommen.

Trotz aller Unverschämtheiten, die sich das politische Georgien in den letzten Tagen geleistet hat, sind diese Wahlen - partiell zumindest - weitaus besser gewesen als die in früheren Jahren, das hat auch die OSZE-Wahlbeobachtermission in ihrem ersten Statement bei aller sonstigen Kritik eingeräumt. In früheren Wahlen konnte sich ein Großteil der "Manipulateure" im Einklang mit dem Gesetz wähnen, da dieses Wahlprozeduren vorsah, die zur Fälschung geradezu einluden. Es gab keine rechtliche Handhabe gegen die Fälscher. Das ist heute anders. Nach dem Buchstaben des neuen Wahlgesetzes ist vieles, was am Wahltag und danach abgelaufen ist, schlicht und einfach strafbar. Das macht eine neue Qualität der Fälschung aus, deshalb sind viele - auch wir - über das Ausmaß der Fälschungen überrascht. Das war angesichts der neuen Rechtslage nicht vorstellbar.

Es liegt jetzt an den Betrogenen, ob sie sich der Mühe einer Klage unterziehen, und an den Gerichten, ob diese rechtsstaatliche Chance, mit Wahlfälschungen angemessen umzugehen, genutzt wird. Da hat der ansonsten altersstarr wirkende Präsident Recht, wenn er sagt, die Gerichte und nicht er müssen die Unregelmäßigkeiten dieser Wahl aufarbeiten. Welches Rechtsstaatverständnis verbirgt sich denn hinter der Forderung der Opposition, die medien-weltweit abgekupfert wird, der Präsident habe die Wahlen zu annullieren? Natürlich verschanzt sich Schewardnadse hinter der Forderung an seinen Generalstaatsanwalt, jeden Rechtsverstoß bei dieser Wahl zu verfolgen und bestrafen zu lassen, unabhängig von wem er ausgeführt wurde. Natürlich will er persönlich nicht für alles haften, was er aber doch zu verantworten hat, weil er sein Land bei allem Reformwillen am Ende nach alter Väter Sitte regiert hat und das ist nicht nur die Sitte kommunistischer Nomenklatur. Wer Schewardnadse und die Probleme, die sich bei dieser Wahl gezeigt haben, auf einen Alt-Kommunisten reduziert, der hat vom Land nicht allzu viel verstanden. Schewardnadse ist zunächst einmal ein Kind der georgischen Netzwerkgesellschaft und die Überlebensinstinkte dieser Gesellschaft waren bei seinem Aufstieg im Sowjetsystem sicher nicht hinderlich. Die georgische Netzwerk-Gesellschaft existierte schon lange vor dem Sozialismus, sie hat diesen nur genauso listig ausgehebelt wie sie es jetzt mit der neuen Gesellschaftsordnung, die vom Westen kommt, versucht. Wenn der massenhafte Wahlbetrug ungesühnt bleibt, wird sich bei der Präsidentenwahl in zwei Jahren oder bei den nächsten Parlamentswahlen wenig ändern. Es geht um die Macht und nicht um einen demokratischen Schönheitspreis. Da waren diese Wahlen nur ein Vorspiel zu dem, was dann bevorsteht. Es sei denn, die Justiz, deren oberster Instanz zumindest einigermaßen saubere Juristenarbeit zugetraut wird, bekommt die Chance, ein paar Maßstäbe zu setzen. Das wäre allemal besser als noch so preiswerter oder teurer Rat aus Europa oder Übersee.

Diese Wahlen sind ohne jeden Zweifel transparenter gewesen als alle anderen zuvor. Da hat der Präsident ebenfalls Recht, wenngleich er, seine Regierung und Verwaltung sich dieses Verdienst zuallerletzt ans Revers heften können. Das liegt vor allem an der engagierten und teilweise auch furchtlosen Arbeit vieler NGO`s, auch vieler Medien, die sich in ihrem demokratischen Wächteramt von niemandem einschüchtern lassen. Das lässt hoffen für die Zukunft, denn ob sich eine wache jüngere Generation noch einmal so verladen lassen will wie an diesem 2. November, ist fraglich.

Auch von der Organisation her sind diese Wahlen weitaus besser abgelaufen als frühere, so paradox dies jetzt auch klingen mag. Zum einen sind die ursprünglichen Computerdaten der Wählerlisten zumindest teilweise eingesetzt worden, sie sind auch vorhanden und können für weitere Wahlen gepflegt und abgesichert werden. Zum anderen hat sich die CEC trotz aller chaotischen Umstände, für die sie nur zum Teil verantwortlich war, weitaus offener gezeigt als in früheren Jahren. Regierende und Regierte werden nicht umhin kommen, in einigen Wochen zusammen zu sitzen und nachzudenken über das, was sich das Land in den letzen zwei Wochen trotz aller Fortschritte in der Wahlgesetzgebung an Unsäglichkeiten geleistet hat. Vielleicht werden dann Lehren gezogen werden für die wichtigsten Wahlen in der Nachsowjetgeschichte des Landes: die Präsidentenwahlen im Jahr 2005. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Und vor der Wahl ist es nie zu spät.


Copyright © 2003 ERKA-Verlag E-mail Impressum Kontakt Webmaster