Der georgische Verteidigunsminister Davis Tevsadse hat anscheinend
einen neuen Job: Headline-Produzent beim Spiegel-Verlag. Dieser
hat in seiner online-Ausgabe vom 10. November eine Aussage des Verteidigungsministers
als Überschrift übernommen, die weder inhaltlich geprüft
noch als Zitat dementsprechend gekennzeichnet wurde. Somit muss
für den uninformierten Leser, der den Recherchen der Spiegel-Redakteure
vertraut, der Eindruck entstehen, das Land sei wirklich außer
Rand und Band. Tatsache ist: Nichts stimmt an diesem Eindruck, hätten
die Kolleg/innen von Spiegel-online vor Ort recherchiert, sie hätten
sich diese blamable Headline nicht geleistet, die tags darauf auch
der Tagesspiegel einem Artikel seiner Moskauer Korrespondentin verpasste.
Zwar entsprechen weite Teile des Spiegel-Berichts durchaus der Situation
in Georgien, über folgende Absätze kann man sich, wenn
man die Situation vor Ort regelmäßig genau überprüft
hat, nur wundern:
Die Hauptstadt Tiflis wurde am Sonntag von schwer bewaffneten
Einsatzkräften gesichert. Mit Straßensperren überall
im Lande verhinderte die Polizei, dass die Demonstrationen in der
Hauptstadt noch mehr Zulauf erhielten.
"Die Lage ist praktisch außer Kontrolle geraten",
sagte Verteidigungsminister David Tewsadse dem Fernsehsender Mse.
Er rechne zwar nicht mit einer gewaltsamen Auflösung der Proteste.
"Niemand weiß, wie sich die Ereignisse entwickeln, aber
die Streitkräfte werden alles tun, was ihnen die Verfassung
vorschreibt", fügte Tewsadse hinzu.
Seit wann ist die Aussage des Verteidigungsministers einer mehr
als nur umstrittenen Regierung soviel wert, dass sie ohne jede Differenzierung
als Headline übernommen werden darf? Die Lage in Georgien war
nicht eine einzige Minute außer Kontrolle, westliche Diplomaten
bestätigen, dass sie keine Gefahr sähen, dass da etwas
grundsätzlich schief gehen könne. Zu den nebenstehenden
Fotos und ihren Erläuterungen hier noch ein paar Beispiele,
die die Kolleg/innen vom Spiegel einmal zur Überprüfung
ihrer Schlagzeile bedenken sollten:
Während vor dem Parlament rund 1.000 Leute - mehr waren es
meistens nicht - unverdrossen weiter demonstrierten, lief im Innern
des Parlamentsgebäudes der Arbeitsbetrieb ganz normal weiter.
Der Autor dieser Zeilen war am Montag Morgen, als der Spiegel-online-Artikel
erschien, in einer ganz gewöhnlichen Mission im Parlament.
Ein deutsches GTZ-Projekt hielt für Mitarbeiter des Parlamentsapparates
ein Workshop über Probleme der kommunalen Selbstverfassung.
Ist so etwas denkbar in einem Land, in dem alles außer Kontrolle
geraten ist und in dem sich ein massenhafter Protest auf den Straßen
vor dem Parlament manifestiert? Eine ähnliche Veranstaltung
der GTZ fand am Dienstag nachmittags im Marriot-Hotel statt, gerade
einmal 100 Meter von der Rückfront der Protestierer entfernt.
Der Vizepräsiden des hessischen Rechnungshofes überreichte
dem Präsidenten der georgischen Kontrollkammer den russisch-sprachigen
Erstdruck der Prüfleitlinien des deutschen Bundesrechnungshofes.
Damit soll das Finanzkontrollwesen Georgiens effektiver gestaltet
werden. Der Präsident des georgischen Rechnungshofes erklärte
in diesem Zusammenhang, dass ungeachtet der Straßenproteste
von gegenüber die staatlichen Behörden normal weiterarbeiteten.
Warum wird diese Aussage nicht zur Headline? Warum die des Verteidigungsministers,
deren propagandistischen Hintergrund jeder kennt, der sich auskennt?
Gut, die positive Aussage des obersten Finanzkontrolleurs hat halt
nicht jedermann in den fernen Redaktionstuben in Moskau und Deutschland
mitbekommen. Es liegt aber auch daran, dass der weltweit vernetzte
Medienbetrieb mittlerweile nur noch das als Realität anzuerkennen
in der Lage ist, was er selbst als Abbild der Realität verbreitet.
Alles andere wird von den Managern der Informationsvermittlung nicht
mehr wahrgenommen. Was von dieser Medien-Realität Zerrbild
ist und was Wirklichkeit, wer will das in dem schnelllebig gewordene
Gewerbe überhaupt noch überprüfen.
Während der Demonstrationen kam Parlamentspräsidentin
Nino Burdschanadse immer wieder über den Innenhof auf die oberste
Treppenstufe zu den Demonstranten. Die Staatsmacht - eine Handvoll
unbewaffneter Palast-Polizisten standen den Demonstranten gegenüber,
mehr nicht - ließ die Hausherrin, die gleichzeitig einer der
Anführer des Protestes ist, mit ihrem Gefolge ohne weiteres
durch. Auch Michael Saakaschwili, der kein Parlamentsmandat mehr
besitzt, benutzte gelegentlich diesen VIP-Hinterausgang aus der
Revolution. Für Schewardnadse ist er ein sehr gefährlicher
Mann .
Die angeblich schwer bewaffneten Einsatzkräfte, die Tiflis
sicherten, tauchten während der vergangenen Woche nur gelegentlich
auf öffentlichen Plätzen auf, auch dieses TV-und pressewirksam
inszeniert. Die kurzen Spots, die da gedreht wurden, liefen den
ganzen Tag über immer wieder über alle Fernsehkanäle.
Sicher hat die Polizei den Zulauf zu den Demonstrationen durch eine
durch nichts zu rechtfertigende landesweite Ausgangssperre verhindert.
Wir haben das in unseren Kommentaren deutlich kritisiert. Das ändert
aber nichts daran, dass nahezu alle anderen Beschreibungen der georgischen
Krise mehr oder wenige Märchen aus Tausend und einer Nacht
sind. Und es ändert auch nichts an der Tatsache, dass in einer
Millionenstadt offensichtlich nur einige wenige Tausend Bürgerinnen
und Bürger zu motivieren sind, gegen den weiß Gott ungeliebten
Präsidenten auf die Straße zu gehen. Vor Ort hätte
man dies sauber recherchieren und einordnen können.
Die georgische Nachwahl-Krise ist eine von allen beteiligten Seiten
mehr oder weniger geschickt inszenierte TV-Krise, mit der die Unfähigkeit
der georgischen Politikelite kaschiert werden soll, sich zusammenzuraufen
und gemeinsam das Land vorwärts zu bringen. Die politische
Elite ist außer Kontrolle, nicht das Land. Das Land funktioniert
-wenn man von der Blockierung des Rustaweli-Prospektes auf knapp
200 m absieht, völlig normal. Die kryptischen Aussagen eines
Verteidigungsministers, die Armee würde alles tun, was ihr
die Verfassung vorschreibt, sind Teil des Propagandakrieges, mit
dem sich Regierung und Opposition zuordnenden TV-Kanälen überziehen.
Sie haben es eigentlich nicht verdient, ungeprüft zur Schlagzeile
aufgewertet zu werden.
Die politischen Dimensionen der georgischen Krise sind schwerwiegend
genug. Sie zu analysieren, versuchen wir mit unseren bescheidenen
Mitteln vor Ort und als unmittelbare Zeugen des Geschehens. Der
Verteidigungsminister hat für uns - bis jetzt und dabei wird
es höchstwahrscheinlich auch bleiben - in dieser politischen
Krise keine bedeutende Rolle gespielt. In Deutschland ist er aber
für jede Schlagzeile gut. Ob der Mann um seinen wirklichen
Marktwert weiß?