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Ausgabe 19/03
12. November


Der georgische Verteidigunsminister Davis Tevsadse hat anscheinend einen neuen Job: Headline-Produzent beim Spiegel-Verlag. Dieser hat in seiner online-Ausgabe vom 10. November eine Aussage des Verteidigungsministers als Überschrift übernommen, die weder inhaltlich geprüft noch als Zitat dementsprechend gekennzeichnet wurde. Somit muss für den uninformierten Leser, der den Recherchen der Spiegel-Redakteure vertraut, der Eindruck entstehen, das Land sei wirklich außer Rand und Band. Tatsache ist: Nichts stimmt an diesem Eindruck, hätten die Kolleg/innen von Spiegel-online vor Ort recherchiert, sie hätten sich diese blamable Headline nicht geleistet, die tags darauf auch der Tagesspiegel einem Artikel seiner Moskauer Korrespondentin verpasste.

Zwar entsprechen weite Teile des Spiegel-Berichts durchaus der Situation in Georgien, über folgende Absätze kann man sich, wenn man die Situation vor Ort regelmäßig genau überprüft hat, nur wundern:

Die Hauptstadt Tiflis wurde am Sonntag von schwer bewaffneten Einsatzkräften gesichert. Mit Straßensperren überall im Lande verhinderte die Polizei, dass die Demonstrationen in der Hauptstadt noch mehr Zulauf erhielten.

"Die Lage ist praktisch außer Kontrolle geraten", sagte Verteidigungsminister David Tewsadse dem Fernsehsender Mse. Er rechne zwar nicht mit einer gewaltsamen Auflösung der Proteste. "Niemand weiß, wie sich die Ereignisse entwickeln, aber die Streitkräfte werden alles tun, was ihnen die Verfassung vorschreibt", fügte Tewsadse hinzu.


Seit wann ist die Aussage des Verteidigungsministers einer mehr als nur umstrittenen Regierung soviel wert, dass sie ohne jede Differenzierung als Headline übernommen werden darf? Die Lage in Georgien war nicht eine einzige Minute außer Kontrolle, westliche Diplomaten bestätigen, dass sie keine Gefahr sähen, dass da etwas grundsätzlich schief gehen könne. Zu den nebenstehenden Fotos und ihren Erläuterungen hier noch ein paar Beispiele, die die Kolleg/innen vom Spiegel einmal zur Überprüfung ihrer Schlagzeile bedenken sollten:

Während vor dem Parlament rund 1.000 Leute - mehr waren es meistens nicht - unverdrossen weiter demonstrierten, lief im Innern des Parlamentsgebäudes der Arbeitsbetrieb ganz normal weiter. Der Autor dieser Zeilen war am Montag Morgen, als der Spiegel-online-Artikel erschien, in einer ganz gewöhnlichen Mission im Parlament. Ein deutsches GTZ-Projekt hielt für Mitarbeiter des Parlamentsapparates ein Workshop über Probleme der kommunalen Selbstverfassung. Ist so etwas denkbar in einem Land, in dem alles außer Kontrolle geraten ist und in dem sich ein massenhafter Protest auf den Straßen vor dem Parlament manifestiert? Eine ähnliche Veranstaltung der GTZ fand am Dienstag nachmittags im Marriot-Hotel statt, gerade einmal 100 Meter von der Rückfront der Protestierer entfernt. Der Vizepräsiden des hessischen Rechnungshofes überreichte dem Präsidenten der georgischen Kontrollkammer den russisch-sprachigen Erstdruck der Prüfleitlinien des deutschen Bundesrechnungshofes. Damit soll das Finanzkontrollwesen Georgiens effektiver gestaltet werden. Der Präsident des georgischen Rechnungshofes erklärte in diesem Zusammenhang, dass ungeachtet der Straßenproteste von gegenüber die staatlichen Behörden normal weiterarbeiteten. Warum wird diese Aussage nicht zur Headline? Warum die des Verteidigungsministers, deren propagandistischen Hintergrund jeder kennt, der sich auskennt? Gut, die positive Aussage des obersten Finanzkontrolleurs hat halt nicht jedermann in den fernen Redaktionstuben in Moskau und Deutschland mitbekommen. Es liegt aber auch daran, dass der weltweit vernetzte Medienbetrieb mittlerweile nur noch das als Realität anzuerkennen in der Lage ist, was er selbst als Abbild der Realität verbreitet. Alles andere wird von den Managern der Informationsvermittlung nicht mehr wahrgenommen. Was von dieser Medien-Realität Zerrbild ist und was Wirklichkeit, wer will das in dem schnelllebig gewordene Gewerbe überhaupt noch überprüfen.

Während der Demonstrationen kam Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse immer wieder über den Innenhof auf die oberste Treppenstufe zu den Demonstranten. Die Staatsmacht - eine Handvoll unbewaffneter Palast-Polizisten standen den Demonstranten gegenüber, mehr nicht - ließ die Hausherrin, die gleichzeitig einer der Anführer des Protestes ist, mit ihrem Gefolge ohne weiteres durch. Auch Michael Saakaschwili, der kein Parlamentsmandat mehr besitzt, benutzte gelegentlich diesen VIP-Hinterausgang aus der Revolution. Für Schewardnadse ist er ein sehr gefährlicher Mann….

Die angeblich schwer bewaffneten Einsatzkräfte, die Tiflis sicherten, tauchten während der vergangenen Woche nur gelegentlich auf öffentlichen Plätzen auf, auch dieses TV-und pressewirksam inszeniert. Die kurzen Spots, die da gedreht wurden, liefen den ganzen Tag über immer wieder über alle Fernsehkanäle.

Sicher hat die Polizei den Zulauf zu den Demonstrationen durch eine durch nichts zu rechtfertigende landesweite Ausgangssperre verhindert. Wir haben das in unseren Kommentaren deutlich kritisiert. Das ändert aber nichts daran, dass nahezu alle anderen Beschreibungen der georgischen Krise mehr oder wenige Märchen aus Tausend und einer Nacht sind. Und es ändert auch nichts an der Tatsache, dass in einer Millionenstadt offensichtlich nur einige wenige Tausend Bürgerinnen und Bürger zu motivieren sind, gegen den weiß Gott ungeliebten Präsidenten auf die Straße zu gehen. Vor Ort hätte man dies sauber recherchieren und einordnen können.

Die georgische Nachwahl-Krise ist eine von allen beteiligten Seiten mehr oder weniger geschickt inszenierte TV-Krise, mit der die Unfähigkeit der georgischen Politikelite kaschiert werden soll, sich zusammenzuraufen und gemeinsam das Land vorwärts zu bringen. Die politische Elite ist außer Kontrolle, nicht das Land. Das Land funktioniert -wenn man von der Blockierung des Rustaweli-Prospektes auf knapp 200 m absieht, völlig normal. Die kryptischen Aussagen eines Verteidigungsministers, die Armee würde alles tun, was ihr die Verfassung vorschreibt, sind Teil des Propagandakrieges, mit dem sich Regierung und Opposition zuordnenden TV-Kanälen überziehen. Sie haben es eigentlich nicht verdient, ungeprüft zur Schlagzeile aufgewertet zu werden.

Die politischen Dimensionen der georgischen Krise sind schwerwiegend genug. Sie zu analysieren, versuchen wir mit unseren bescheidenen Mitteln vor Ort und als unmittelbare Zeugen des Geschehens. Der Verteidigungsminister hat für uns - bis jetzt und dabei wird es höchstwahrscheinlich auch bleiben - in dieser politischen Krise keine bedeutende Rolle gespielt. In Deutschland ist er aber für jede Schlagzeile gut. Ob der Mann um seinen wirklichen Marktwert weiß?


































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