Seit einigen Tagen halten Demonstranten vor dem georgischen
Parlament die Öffentlichkeit in Atem. Zigtausende sollen es gewesen
sein, die Realität ist anders. Bei der großen Demonstration
waren vielleicht 10.000 anwesend, an normalen Demonstrationstagen sind
es am frühen Abend zur TV-Prime-Time vielleicht noch 2.000, tagsüber
weitaus weniger, in der Nacht ein paar Hundert. Das soll der Berechtigung
des Protestes keinen Abbruch tun. Aber wir waren seit Beginn der Demonstrationen
täglich mindestens fünf Mal vor Ort, um uns ein Bild vom wahren
Ausmaß der Proteste zu machen. Jeder, der den Bereich vor dem georgischen
Parlament kennt, wird sich anhand der Bilder, die wir über das vergangene
Wochenende geschossen haben, ein Urteil bilden können. Die Absperrung
des Rustaweli durch die Demonstranten ist identisch mit den beiden Seitenstraßen,
die rechts und links vom Parlament zum Rustaweli führen. Und rechts
und links der Absperrungen geht das normale City-Leben in der georgischen
Hauptstadt weiter. Und selbst dieser abgesperrte Platz, auf dem sich die
Revolution des Michael Saakaschwili abspielt, ist nur selten voll gefüllt.
Über die politische Brisanz der Nach-Wahl-Situation in Georgien berichten
wir an anderer Stelle dieser Ausgabe. Da gibt es keinen Zweifel, da tobt
ein gnadenloser Machtkampf, hinter den Kulissen. Die Lage ist alles andere
als komfortabel für den Präsidenten und die Opposition und schon
gar nicht für das Land. Die Wahrheit aber gebietet, dass man die
Demonstrationen in der Dimension einordnet, die ihnen gebührt: Keine
Gefahr für den Staat und das Land, auch wenn TV-Regisseure und Polit-Akteure
nicht müde werden, der eigenen Bevölkerung und der internationalen
Öffentlichkeit etwas anderes zu suggerieren. Viel mehr als eine TV-gerechte
Orchestrierung des politischen Machtkampfes sollte man hinter alledem
kaum vermuten. Dazu ist die Protest-Bewegung viel zu dünn.