Ein ganz normales Jazz-Konzert. Fünf Musiker - Gitarre, Bass,
Schlagzeug, ein Sänger und ein Tabla-Spieler aus Indien -
sind auf der Bühne. Ein meditatives Opening, dann Rhythmen.
Plötzlich ein Bruch. Licht- und Szenenwechsel. Neben der
Bühne erheben sich fünf Herren im Zuschauerraum und
fangen an zu singen: Mrawalschamie, ein stimmengewaltiges georgisches
Ritual, Jahrhunderte alt. Das Thema des Abends ist vorgegeben:
TheShin meets Georgika, Jazz und traditionelle georgischer Polyphonie
suchen einen gemeinsamen musikalischen Weg. Es ist für Georgien
keineswegs ein normales Jazzkonzert, das da am vergangenen Donnerstag
in der voll besetzten Adjara Music Hall, eigentlich eine Disco
und weniger ein Saal für filigrane Aufführungen, abläuft.
Die Bühne füllt sich, am Ende sind es elf Musiker und
Sänger und neben den klassischen Instrumenten mischen sich
kaukasische Traditionsveteranen wie Duduki (ein Doppelblatt-Blasinstrument),
Tschonguri und Panduri (archaisch-einfach anmutende Saiteninstrumente)
und Doli (die traditionelle Handtrommel) ins Geschehen ein - ein
Experiment in dem mehr konservativ-bewahrenden musikalischen Umfeld
der georgischen Hauptstadt.
TheShin - das sind im Kern des Unternehmens drei georgische Musiker
der Extraklasse, die seit Jahren schon als Künstler und Musiklehrer
in Deutschland arbeiten: ZaZa Miminoshvili (Gitarre), Surab J.
Gagnidse (Bass) und Mamuka Ghaghanidse (Gesang und Percussion),
jeweils
Virtuosen ihres Fachs. Mamuka verbindet kaukasischen Gesang mit
jazziger Vokal-Akrobatik, als wäre der Jazzgesang im Kaukasus
und nirgendwo anders erfunden worden. ZaZas Fingerläufe auf
der Gitarre suchen Ihresgleichen und Surab kann seinem Bass gelegentlich
Gefühle entlocken, die man selten zu hören bekommt.
Das alles war von früher bekannt, als die drei mit der Gruppe
ADIO einen nahezu akademisch-reinen kaukasischen Ethno-Jazz vorführten.
Jetzt haben sie ihren Stil weiterentwickelt und einen neuen musikalischen
Ausdruck gefunden, indem sie nicht mehr nur ethnisches Notenmaterial
in Jazz transponieren. Mit TheShin haben sie ihre musikalische
Heimat, den Kaukasus, wieder entdeckt, sie haben ihn vor allem
neu entdeckt, indem sie seine Rhythmen und Melodien gekonnt mit
Musik-Elementen aus aller Welt verschmelzen. Nicht, dass es solche
Versuche hierzulande nicht schon gegeben hätte, aber so konsequent
wie TheShin hat sich noch niemand daran gemacht, die welt-musikalischen
Dimensionen der traditionellen georgischen Musik auszuloten mit
überraschenden und oft genug raffiniert versteckten Zitaten,
mit musikalischen Querverbindungen, rasant wechselnden Tempi und
urplötzlichen Breaks.
"Hitchcock-Musik" hat es Shangar Lal, der indische
Percussionist, genannt, spannend von der ersten bis zur letzten
Sekunde. Seine Tabla, mit unüberhörbarer Spielfreude
eingebracht, ist da nur ein für europäische Ohren exotisch
anmutender Akzent. Shankar gelingt es,
nicht zuletzt auch durch seine Gesangseinlagen, Brücken
zu schlagen zwischen allen musikalischen Welten. Das Tbilisser
Publikum dankte ihm mehrfach mit Szenenapplaus. Witzig die manchmal
rap-nahen Sprech-Gesang-Dialoge zwischen Shankar, ZaZa und Sura,
die hie und da in einer Art Vocal-Percussion enden, womit ein
weiteres Element der musikalischen Entwicklung von TheShin anzusprechen
wäre: die ironische Distanz, mit der das eine oder andere
Musikstück betitelt, angesagt und dargeboten wurde. Wer kommt
schon auf die Idee, ein Stück "Spätradschisch"
zu nennen, eine Wortkreation, die man außerhalb Georgiens
kaum verstehen kann.
Percussionist Ray Kaczinsky, ein Amerikaner, der wie Shankar
und die drei Georgier in Deutschland lebt, ergänzt das alles
mit einem Schlagzeug, das sich nie in den Vordergrund drängt,
das manchmal Melodien von sich gibt und weniger Rhythmen, ein
Schlagzeug, das sich bewusst klein macht und damit ganz großartig
daherkommt. Auch seine beiden Soli, normalerweise die Chance eines
Drummers mit
schwitzenden Gefühlsausbrüchen und Turneinlagen auf
sich aufmerksam zu machen, waren von einer bemerkenswert feinen
Zurückhaltung, aber alles andere als schlapp. In dieser Jazz-typischen
Besetzung ist TheSin schon seit einiger Zeit in Europa zu hören
und erntet von Publikum und Kritik überschwängliches
Lob.
Neu an dem Tbilisser Konzert war die große Besetzung, die
im Wesentlichen vom Ensemble "Georgika" kam, einer Instrumental-
und Gesangs-Gruppe, die sich bislang eher an den puristischen
Vorbildern traditioneller georgischer Musik orientierte. Hervorgegangen
aus einem georgischen Knabenchor, der anfangs zwangsweise noch
etwas vom Charme der untergehenden Allsowjet-Folklore versprühte,
hatte Georgika in den 90-er Jahren mit einem erfrischend schlichten,
aufs
Wesentliche reduzierten Gesang schon einmal etwas frischen Wind
in die georgische Volksmusikszene gebracht. Jetzt haben sich die
Dudukis von Aliko Chusanischwili und Swiad Totiauri (Erisoni-Ensemble)
und die Panduri von Chwitscha Chwtisianischwili und die dreiköpfige
Vocal-Crew - Mamuka Tschitschinadse, Rati Dschulakidse und Schalwa
Lordkipanidse - mit The Sin getroffen und sich nahezu mühelos
in den Klangteppich aus manchmal spanisch-klassicher Gitarre,
rockigen Bass-Einlagen und indischer Percussion eingewoben. Eine
Gesangseinlage steuerte Lela Todadse bei.
Das Konzert litt zweifelsohne unter den äußeren Umständen,
die Akustik ist nicht optimal, der Barbetrieb lief ebenso weiter
wie die Tisch-Gespräche auf den sogenannten VIP-Plätzen
und die Mobiltelefone, die sich einfach nicht ins filigrane Musikarrangement
einbauen lassen wollten. Ein Mordsjob für den deutschen Soundmixer
Lumo Huber. Mag sein, dass deshalb die eine oder andere, eher
intellektuell anspruchsvolle Passage, etwas zu langatmig erschien.
Aber TheShin legen Wert darauf, neben den etwas populäreren
Nummern auch etwas einzustreuen, was vielleicht nur Musikkritiker
verstehen. Der Schritt vom Elite-Jazz zum breiteren Publikum soll
vorsichtig gegangen werden.
Trotz dieser kleinen Einschränkungen macht die große
TheShin-Premiere in Tbilissi Appetit auf mehr. Im nächsten
Jahr will man die europäische Festivalszene erobern. Der
Auftritt in der musikalischen Heimat war so etwas wie eine Feuertaufe,
wobei man den "Exil-Georgiern" Anspannung und Spaß
anmerkte, wieder einmal in der Heimat auftreten zu können.
Trotz einiger skeptischer bis kritischer Anmerkungen - wen wundert`s
bei der von Traditionalismus geprägten Kulturszene Georgiens
- wurde ihr Versuch mehr als begeistert angenommen. Zum Schluss
erklang von allen gesungen - Instrumentalisten und Vocalisten
- Mrawalschamie. Und damit waren dann alle wieder in der musikalischen
Heimat von TheShin angekommen.
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