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Ausgabe 17/03
29. Oktober



Ein ganz normales Jazz-Konzert. Fünf Musiker - Gitarre, Bass, Schlagzeug, ein Sänger und ein Tabla-Spieler aus Indien - sind auf der Bühne. Ein meditatives Opening, dann Rhythmen. Plötzlich ein Bruch. Licht- und Szenenwechsel. Neben der Bühne erheben sich fünf Herren im Zuschauerraum und fangen an zu singen: Mrawalschamie, ein stimmengewaltiges georgisches Ritual, Jahrhunderte alt. Das Thema des Abends ist vorgegeben: TheShin meets Georgika, Jazz und traditionelle georgischer Polyphonie suchen einen gemeinsamen musikalischen Weg. Es ist für Georgien keineswegs ein normales Jazzkonzert, das da am vergangenen Donnerstag in der voll besetzten Adjara Music Hall, eigentlich eine Disco und weniger ein Saal für filigrane Aufführungen, abläuft. Die Bühne füllt sich, am Ende sind es elf Musiker und Sänger und neben den klassischen Instrumenten mischen sich kaukasische Traditionsveteranen wie Duduki (ein Doppelblatt-Blasinstrument), Tschonguri und Panduri (archaisch-einfach anmutende Saiteninstrumente) und Doli (die traditionelle Handtrommel) ins Geschehen ein - ein Experiment in dem mehr konservativ-bewahrenden musikalischen Umfeld der georgischen Hauptstadt.

TheShin - das sind im Kern des Unternehmens drei georgische Musiker der Extraklasse, die seit Jahren schon als Künstler und Musiklehrer in Deutschland arbeiten: ZaZa Miminoshvili (Gitarre), Surab J. Gagnidse (Bass) und Mamuka Ghaghanidse (Gesang und Percussion), jeweils

Virtuosen ihres Fachs. Mamuka verbindet kaukasischen Gesang mit jazziger Vokal-Akrobatik, als wäre der Jazzgesang im Kaukasus und nirgendwo anders erfunden worden. ZaZas Fingerläufe auf der Gitarre suchen Ihresgleichen und Surab kann seinem Bass gelegentlich Gefühle entlocken, die man selten zu hören bekommt. Das alles war von früher bekannt, als die drei mit der Gruppe ADIO einen nahezu akademisch-reinen kaukasischen Ethno-Jazz vorführten.


Jetzt haben sie ihren Stil weiterentwickelt und einen neuen musikalischen Ausdruck gefunden, indem sie nicht mehr nur ethnisches Notenmaterial in Jazz transponieren. Mit TheShin haben sie ihre musikalische Heimat, den Kaukasus, wieder entdeckt, sie haben ihn vor allem neu entdeckt, indem sie seine Rhythmen und Melodien gekonnt mit Musik-Elementen aus aller Welt verschmelzen. Nicht, dass es solche Versuche hierzulande nicht schon gegeben hätte, aber so konsequent wie TheShin hat sich noch niemand daran gemacht, die welt-musikalischen Dimensionen der traditionellen georgischen Musik auszuloten mit überraschenden und oft genug raffiniert versteckten Zitaten, mit musikalischen Querverbindungen, rasant wechselnden Tempi und urplötzlichen Breaks.

"Hitchcock-Musik" hat es Shangar Lal, der indische Percussionist, genannt, spannend von der ersten bis zur letzten Sekunde. Seine Tabla, mit unüberhörbarer Spielfreude eingebracht, ist da nur ein für europäische Ohren exotisch anmutender Akzent. Shankar gelingt es,

nicht zuletzt auch durch seine Gesangseinlagen, Brücken zu schlagen zwischen allen musikalischen Welten. Das Tbilisser Publikum dankte ihm mehrfach mit Szenenapplaus. Witzig die manchmal rap-nahen Sprech-Gesang-Dialoge zwischen Shankar, ZaZa und Sura, die hie und da in einer Art Vocal-Percussion enden, womit ein weiteres Element der musikalischen Entwicklung von TheShin anzusprechen wäre: die ironische Distanz, mit der das eine oder andere Musikstück betitelt, angesagt und dargeboten wurde. Wer kommt schon auf die Idee, ein Stück "Spätradschisch" zu nennen, eine Wortkreation, die man außerhalb Georgiens kaum verstehen kann.

Percussionist Ray Kaczinsky, ein Amerikaner, der wie Shankar und die drei Georgier in Deutschland lebt, ergänzt das alles mit einem Schlagzeug, das sich nie in den Vordergrund drängt, das manchmal Melodien von sich gibt und weniger Rhythmen, ein Schlagzeug, das sich bewusst klein macht und damit ganz großartig daherkommt. Auch seine beiden Soli, normalerweise die Chance eines Drummers mit

schwitzenden Gefühlsausbrüchen und Turneinlagen auf sich aufmerksam zu machen, waren von einer bemerkenswert feinen Zurückhaltung, aber alles andere als schlapp. In dieser Jazz-typischen Besetzung ist TheSin schon seit einiger Zeit in Europa zu hören und erntet von Publikum und Kritik überschwängliches Lob.

Neu an dem Tbilisser Konzert war die große Besetzung, die im Wesentlichen vom Ensemble "Georgika" kam, einer Instrumental- und Gesangs-Gruppe, die sich bislang eher an den puristischen Vorbildern traditioneller georgischer Musik orientierte. Hervorgegangen aus einem georgischen Knabenchor, der anfangs zwangsweise noch etwas vom Charme der untergehenden Allsowjet-Folklore versprühte, hatte Georgika in den 90-er Jahren mit einem erfrischend schlichten, aufs

Wesentliche reduzierten Gesang schon einmal etwas frischen Wind in die georgische Volksmusikszene gebracht. Jetzt haben sich die Dudukis von Aliko Chusanischwili und Swiad Totiauri (Erisoni-Ensemble) und die Panduri von Chwitscha Chwtisianischwili und die dreiköpfige Vocal-Crew - Mamuka Tschitschinadse, Rati Dschulakidse und Schalwa Lordkipanidse - mit The Sin getroffen und sich nahezu mühelos in den Klangteppich aus manchmal spanisch-klassicher Gitarre, rockigen Bass-Einlagen und indischer Percussion eingewoben. Eine Gesangseinlage steuerte Lela Todadse bei.

Das Konzert litt zweifelsohne unter den äußeren Umständen, die Akustik ist nicht optimal, der Barbetrieb lief ebenso weiter wie die Tisch-Gespräche auf den sogenannten VIP-Plätzen und die Mobiltelefone, die sich einfach nicht ins filigrane Musikarrangement einbauen lassen wollten. Ein Mordsjob für den deutschen Soundmixer Lumo Huber. Mag sein, dass deshalb die eine oder andere, eher intellektuell anspruchsvolle Passage, etwas zu langatmig erschien. Aber TheShin legen Wert darauf, neben den etwas populäreren Nummern auch etwas einzustreuen, was vielleicht nur Musikkritiker verstehen. Der Schritt vom Elite-Jazz zum breiteren Publikum soll vorsichtig gegangen werden.

Trotz dieser kleinen Einschränkungen macht die große TheShin-Premiere in Tbilissi Appetit auf mehr. Im nächsten Jahr will man die europäische Festivalszene erobern. Der Auftritt in der musikalischen Heimat war so etwas wie eine Feuertaufe, wobei man den "Exil-Georgiern" Anspannung und Spaß anmerkte, wieder einmal in der Heimat auftreten zu können. Trotz einiger skeptischer bis kritischer Anmerkungen - wen wundert`s bei der von Traditionalismus geprägten Kulturszene Georgiens - wurde ihr Versuch mehr als begeistert angenommen. Zum Schluss erklang von allen gesungen - Instrumentalisten und Vocalisten - Mrawalschamie. Und damit waren dann alle wieder in der musikalischen Heimat von TheShin angekommen.




































































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