Noch am Freitag vor den Wahlen hatten westliche Diplomaten, die
beratend bei der Vorbereitung der Wahlen beteiligt waren, erklärt,
es sei noch nicht zu spät, die Wahlen könnten doch noch
einigermaßen vernünftig ablaufen. Nur vier Tage später
sieht es total anders aus. Es ist offensichtlich, dass die Regierung
alles getan hat, um die Wahlen zu ihren Gunsten zu fälschen.
Dabei - und das ist vielleicht sogar ein Fortschritt - konnte sie
sich nicht mehr darauf verlassen, dass das Wahlgesetz ihr dazu jegliche
Handhabe gab. Dieses wurde ja rechtzeitig geändert und gilt
als durchaus akzeptabel. (siehe Wahl-Special-Archiv: Wie sicher
sind die Wählerlisten?) Um ihre Wahlmanipulationen - wie früher
üblich - durchziehen zu können, mussten die Handlanger
des Regierungslager das Wahlrecht offen brechen. Und dies - auch
das ist ein Fortschritt - vor den Augen einer ausgezeichnet funktionierenden
öffentlichen Beobachtung. Mit dieser Entwicklung hatte in Tbilissi
kaum jemand gerechnet, allgemein hatte man bis zur Öffnung
der Wahllokale zwar mit einigem landestypischen Chaos gerechnet,
aber nicht mit einer offensichtlich gut organisierten Manipulation
größeren Ausmaßes.
Das Chaos begann mit der - von allen Parteien getragenen !!!!
- Entscheidung der CEC (Central Election Commission), wegen der
vermutlich von langer Hand vorbereiteten Konfusion um die Richtigkeit
der voll computerisierten Wählerlisten doch wieder handgeschriebene
Wählerlisten zuzulassen, wobei die CEC davon ausging, dass
hierfür die von der CEC mit amerikanischer Unterstützung
erarbeiteten "vorläufigen Wählerlisten" als
Grundlage genommen wurden. Am Wahltag arbeiteten viele Wahllokale
aber mit bis zu drei verschiedenen Wählerlisten, u.a. solchen,
die nichts mehr mit den Vorläufigen Wählerlisten gemein
hatten. Viele Wählerinnen, die sich in den computerisierten
"Vorläufigen Wählerlisten" noch vorgefunden
hatten, waren über Nacht in den neu von Hand gefertigten
Wählerlisten gestrichen worden. Die meisten von ihnen mussten
unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen, nach allgemeiner
Ansicht waren dies meist Angehörige der Opposition. Bis dahin
galt nämlich der Grundsatz, dass nur der wählen durfte,
der auf der im Wahllokal aufliegenden Wählerliste aufgeführt
war. Das Erstellen einer zusätzlichen Wählerliste, wie
früher gesetzlich erlaubt, ist nach der neuen Rechtslage
ausdrücklich verboten.
Für zusätzliche Verwirrung sorgte dann die Eilentscheidung
der CEC, jene Wähler doch noch auf einer zusätzlichen
Wählerliste aufzuführen und damit wählen zu lassen,
die zwar in der aktuellen Wählerliste nicht aufgeführt
waren, aber nachweisen konnten, dass sie in der computerisierten
"Vorläufigen Wählerliste" noch geführt
worden waren. Einige Wahllokale übernahmen diese Regelung,
während andere sie als gesetzeswidrig ablehnten. Wiederum
andere Wahlkommissionen entschieden, dann gleich wieder alle Wahlwilligen,
die nur einen Ausweis vorzeigen konnte, der ihre Registrierung
im Wahlbezirk nachwies, zuzulassen, egal, ob sie auf einer der
vielen Wählerlisten gestanden haben oder nicht. So war es
früher üblich und völlig legal.
Spät am Nachmittag des Wahltages korrigierte die CEC diese
Entscheidung und verwies alle, die sich nicht auf der aktuellen
Wählerliste vorfanden, an die Distrikt-Wahlkommissionen,
die den Vorgang zu prüfen hatten. Das Chaos war total und
- so behauptet es jedenfalls die Opposition - mehrere Zehntausend
Wählerinnen und Wähler wurden ihres Wahlrechtes beraubt.
Dies führte landesweit zu heftigen Kontroversen in den Wahllokalen.
Bei dieser generellen Konfusion fallen dann einzelne, klare Gesetzesverstöße
von Wahlkommissionen oder Provinz-Verwaltungen, wie sie in Rustavi,
Bolnissi und Kutaissi vor allem vorgekommen sind, nicht mehr besonders
auf.
Auch die von vielen westlichen Beobachtern hoch gelobte Markierung
der Daumen mit einer nur unter UV-Licht zu erkennenden Tinte,
mit der man ein Mehrfachwählen verhindern wollte, funktionierte
nicht absolut perfekt. Zum Teil war den Wahllokalen die Tinte
allzu frühzeitig ausgegangen, zum Teil weigerten sich Wählerinnen
und Wähler, sich dieser Prozedur zu unterziehen. Vor allem
bei Polizeibeamten, die auffälligerweise gleich in Kompaniestärke
vor den Wahllokalen angetreten waren, wurde diese Prozedur ebenso
auffälligerweise seltener angewandt als bei nicht uniformierten
Wählern, berichten Wahlbeobachter.
All diesen kleinen und großen Unzulänglichkeiten bei
der Durchführung der Wahlen schreiben es jetzt die Oppositionsparteien
zu, dass sich nach Auszählung von rund 50 % der Wahllokale
der Regierungsblock mit knapp 25 % der abgegebenen Stimmen auf
Platz 1 der Wählergunst fühlen darf, während er
in allen Umfragen vor der Wahl und nach einhelliger Experten-Einschätzung
der Stimmung im Land Schwierigkeiten gehabt haben sollte, die
10-%-Hürde zu überwinden. Dagegen rangiert der Block
"Burdschanadse-Demokraten", der ebenso einhellig als
einer der Favoriten gegolten hatte, mit 8,4 % abgeschlagen auf
Platz vier. Dabei fehlen noch die Ergebnisse aus Adscharien und
Nieder-Kartli, wo dem umtriebigen Ex-Gouverneur, Schewardnadse-Vertrauten
und Parlamentskandidat Lewan Mamaladse, nicht zu Unrecht, wie
die vergangenen Wahlen beweisen, allerhand Einfluss zugetraut
wird, die dortigen Ergebnisse in seinem Sinne zu beeinflussen.
Anscheinend, so verlautet jedenfalls aus dem Oppositionslager,
habe man jetzt angeboten, die Ergebnisse in Adscharien und Nieder-Kartli
so zu gestalten, dass die Oppositionsparteien das Überspringen
der 7-%-Hürde garantiert wird, wenn sie dafür ihre Fälschungsvorwürfe
zurücknähmen. Ansonsten, so erzählt man sich in
Tbilissi, könnte es gar passieren, dass sich Nino Burdschanadse
und Surab Schwania zusammen mit anderen in einer außerparlamentarischen
Opposition wieder fänden. Beobachter der letzten Parlamentswahl
vor vier Jahren erinnern sich noch daran, dass es einen tagelangen
Auszählungsstau gegeben hat, bis die Industrialisten Gogi
Topadses doch noch schlussendlich von 6,9 % auf 7,1 % und damit
ins Parlament kamen. Auch bei dieser Wahl gibt es auffällig
viele Wahlkreise, die jetzt, 48 Stunden nach Schließen der
Wahllokale, noch immer am Zählen sind.
Ob die Straßenproteste der wieder vereinten Opposition
nur Begleitmusik sind zu diesem kaukasischen Spiel hinter den
Kulissen oder eine wirkliche Kontroverse um Wahlfälschung,
wird sich in einigen Tagen zeigen. Bei letzterem droht dem Land
möglicherweise eine längere innenpolitische Krise. Sicher
ist, so oder so, dass den Gerichten eine Menge an Arbeit droht.
Auch daran kann sich dann der Rechtsstaat Georgien beweisen. Es
gibt jede Menge Gründe, das Mandat der langfristigen Wahlbeobachter
zu verlängern.
Präsident Schewardnadse hat noch am Abend die Proteste der
Opposition verurteilt und erklärt, dass jeder Druck auf die
Regierung unerlaubt sei. "Niemand sollte mich unter Druck
setzen. Wenn diese oder eine andere Partei nicht die notwendigen
Stimmen erhalten hat, fordert sie meinen Rücktritt. Ich warne
jeden, dass diejenigen, die Gewalt anwenden gegen die Regierung,
bestraft werden. Wir haben im neuen Parlament zusammenzuarbeiten,
dazu gibt es keine Alternative. Die Wahlen vom 2. November waren
fairer und transparenter denn je." Scheward adse forderte
die Opposition auf, die Probleme unter normalen Bedingungen zu
besprechen.
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