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Ausgabe 17/03
29. Oktober


Noch am Freitag vor den Wahlen hatten westliche Diplomaten, die beratend bei der Vorbereitung der Wahlen beteiligt waren, erklärt, es sei noch nicht zu spät, die Wahlen könnten doch noch einigermaßen vernünftig ablaufen. Nur vier Tage später sieht es total anders aus. Es ist offensichtlich, dass die Regierung alles getan hat, um die Wahlen zu ihren Gunsten zu fälschen. Dabei - und das ist vielleicht sogar ein Fortschritt - konnte sie sich nicht mehr darauf verlassen, dass das Wahlgesetz ihr dazu jegliche Handhabe gab. Dieses wurde ja rechtzeitig geändert und gilt als durchaus akzeptabel. (siehe Wahl-Special-Archiv: Wie sicher sind die Wählerlisten?) Um ihre Wahlmanipulationen - wie früher üblich - durchziehen zu können, mussten die Handlanger des Regierungslager das Wahlrecht offen brechen. Und dies - auch das ist ein Fortschritt - vor den Augen einer ausgezeichnet funktionierenden öffentlichen Beobachtung. Mit dieser Entwicklung hatte in Tbilissi kaum jemand gerechnet, allgemein hatte man bis zur Öffnung der Wahllokale zwar mit einigem landestypischen Chaos gerechnet, aber nicht mit einer offensichtlich gut organisierten Manipulation größeren Ausmaßes.


Das Chaos begann mit der - von allen Parteien getragenen !!!! - Entscheidung der CEC (Central Election Commission), wegen der vermutlich von langer Hand vorbereiteten Konfusion um die Richtigkeit der voll computerisierten Wählerlisten doch wieder handgeschriebene Wählerlisten zuzulassen, wobei die CEC davon ausging, dass hierfür die von der CEC mit amerikanischer Unterstützung erarbeiteten "vorläufigen Wählerlisten" als Grundlage genommen wurden. Am Wahltag arbeiteten viele Wahllokale aber mit bis zu drei verschiedenen Wählerlisten, u.a. solchen, die nichts mehr mit den Vorläufigen Wählerlisten gemein hatten. Viele Wählerinnen, die sich in den computerisierten "Vorläufigen Wählerlisten" noch vorgefunden hatten, waren über Nacht in den neu von Hand gefertigten Wählerlisten gestrichen worden. Die meisten von ihnen mussten unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen, nach allgemeiner Ansicht waren dies meist Angehörige der Opposition. Bis dahin galt nämlich der Grundsatz, dass nur der wählen durfte, der auf der im Wahllokal aufliegenden Wählerliste aufgeführt war. Das Erstellen einer zusätzlichen Wählerliste, wie früher gesetzlich erlaubt, ist nach der neuen Rechtslage ausdrücklich verboten.


Für zusätzliche Verwirrung sorgte dann die Eilentscheidung der CEC, jene Wähler doch noch auf einer zusätzlichen Wählerliste aufzuführen und damit wählen zu lassen, die zwar in der aktuellen Wählerliste nicht aufgeführt waren, aber nachweisen konnten, dass sie in der computerisierten "Vorläufigen Wählerliste" noch geführt worden waren. Einige Wahllokale übernahmen diese Regelung, während andere sie als gesetzeswidrig ablehnten. Wiederum andere Wahlkommissionen entschieden, dann gleich wieder alle Wahlwilligen, die nur einen Ausweis vorzeigen konnte, der ihre Registrierung im Wahlbezirk nachwies, zuzulassen, egal, ob sie auf einer der vielen Wählerlisten gestanden haben oder nicht. So war es früher üblich und völlig legal.


Spät am Nachmittag des Wahltages korrigierte die CEC diese Entscheidung und verwies alle, die sich nicht auf der aktuellen Wählerliste vorfanden, an die Distrikt-Wahlkommissionen, die den Vorgang zu prüfen hatten. Das Chaos war total und - so behauptet es jedenfalls die Opposition - mehrere Zehntausend Wählerinnen und Wähler wurden ihres Wahlrechtes beraubt. Dies führte landesweit zu heftigen Kontroversen in den Wahllokalen. Bei dieser generellen Konfusion fallen dann einzelne, klare Gesetzesverstöße von Wahlkommissionen oder Provinz-Verwaltungen, wie sie in Rustavi, Bolnissi und Kutaissi vor allem vorgekommen sind, nicht mehr besonders auf.


Auch die von vielen westlichen Beobachtern hoch gelobte Markierung der Daumen mit einer nur unter UV-Licht zu erkennenden Tinte, mit der man ein Mehrfachwählen verhindern wollte, funktionierte nicht absolut perfekt. Zum Teil war den Wahllokalen die Tinte allzu frühzeitig ausgegangen, zum Teil weigerten sich Wählerinnen und Wähler, sich dieser Prozedur zu unterziehen. Vor allem bei Polizeibeamten, die auffälligerweise gleich in Kompaniestärke vor den Wahllokalen angetreten waren, wurde diese Prozedur ebenso auffälligerweise seltener angewandt als bei nicht uniformierten Wählern, berichten Wahlbeobachter.

All diesen kleinen und großen Unzulänglichkeiten bei der Durchführung der Wahlen schreiben es jetzt die Oppositionsparteien zu, dass sich nach Auszählung von rund 50 % der Wahllokale der Regierungsblock mit knapp 25 % der abgegebenen Stimmen auf Platz 1 der Wählergunst fühlen darf, während er in allen Umfragen vor der Wahl und nach einhelliger Experten-Einschätzung der Stimmung im Land Schwierigkeiten gehabt haben sollte, die 10-%-Hürde zu überwinden. Dagegen rangiert der Block "Burdschanadse-Demokraten", der ebenso einhellig als einer der Favoriten gegolten hatte, mit 8,4 % abgeschlagen auf Platz vier. Dabei fehlen noch die Ergebnisse aus Adscharien und Nieder-Kartli, wo dem umtriebigen Ex-Gouverneur, Schewardnadse-Vertrauten und Parlamentskandidat Lewan Mamaladse, nicht zu Unrecht, wie die vergangenen Wahlen beweisen, allerhand Einfluss zugetraut wird, die dortigen Ergebnisse in seinem Sinne zu beeinflussen.


Anscheinend, so verlautet jedenfalls aus dem Oppositionslager, habe man jetzt angeboten, die Ergebnisse in Adscharien und Nieder-Kartli so zu gestalten, dass die Oppositionsparteien das Überspringen der 7-%-Hürde garantiert wird, wenn sie dafür ihre Fälschungsvorwürfe zurücknähmen. Ansonsten, so erzählt man sich in Tbilissi, könnte es gar passieren, dass sich Nino Burdschanadse und Surab Schwania zusammen mit anderen in einer außerparlamentarischen Opposition wieder fänden. Beobachter der letzten Parlamentswahl vor vier Jahren erinnern sich noch daran, dass es einen tagelangen Auszählungsstau gegeben hat, bis die Industrialisten Gogi Topadses doch noch schlussendlich von 6,9 % auf 7,1 % und damit ins Parlament kamen. Auch bei dieser Wahl gibt es auffällig viele Wahlkreise, die jetzt, 48 Stunden nach Schließen der Wahllokale, noch immer am Zählen sind.

Ob die Straßenproteste der wieder vereinten Opposition nur Begleitmusik sind zu diesem kaukasischen Spiel hinter den Kulissen oder eine wirkliche Kontroverse um Wahlfälschung, wird sich in einigen Tagen zeigen. Bei letzterem droht dem Land möglicherweise eine längere innenpolitische Krise. Sicher ist, so oder so, dass den Gerichten eine Menge an Arbeit droht. Auch daran kann sich dann der Rechtsstaat Georgien beweisen. Es gibt jede Menge Gründe, das Mandat der langfristigen Wahlbeobachter zu verlängern.

Präsident Schewardnadse hat noch am Abend die Proteste der Opposition verurteilt und erklärt, dass jeder Druck auf die Regierung unerlaubt sei. "Niemand sollte mich unter Druck setzen. Wenn diese oder eine andere Partei nicht die notwendigen Stimmen erhalten hat, fordert sie meinen Rücktritt. Ich warne jeden, dass diejenigen, die Gewalt anwenden gegen die Regierung, bestraft werden. Wir haben im neuen Parlament zusammenzuarbeiten, dazu gibt es keine Alternative. Die Wahlen vom 2. November waren fairer und transparenter denn je." Scheward adse forderte die Opposition auf, die Probleme unter normalen Bedingungen zu besprechen.


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