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Ausgabe 17/03
29. Oktober


Wer die Demonstrationen vor dem Tbilisser Rathaus gestern Abend am Fernsehschirm verfolgte, musste den Eindruck gewinnen, als ob halb Tbilissi auf den Beinen gewesen wäre, um gegen die Manipulation der Wahlen durch die Regierung zu protestieren. Englisch-sprachige georgische Medien - civil georgia und The Messenger - berichteten von 10.000, während wir - www.georgien-news.de - vor Ort nicht mehr als 3.000 Demonstranten schätzten. Und die angesehene Neue Züricher Zeitung bezifferte in ihrem online-Dienst die Zahl der Demonstranten gar mit 20.000. Wer hat Recht?

Um unsere Schätzung noch einmal nachzuprüfen - und gegebenenfalls zu korrigieren - haben wir heute am Morgen noch einmal den Freiheitsplatz besucht und abgeschritten. Die Demonstration am gestrigen Abend umfasste den Platz direkt vor dem Rathaus bis exakt zum Rondell des Brunnens, der in der Mitte des Platzes ist. Die letzten Demonstranten standen auf dem Rasen zwischen dem Wasserbecken und dem Rathaus. Das Rathaus hat eine Breite von rund 60 Metern, die beiden Seitenstraßen dazu genommen sind das etwa 80 Meter. Die Distanz von der Rathaus-Fassade zur Mitte des Brunnens beträgt etwa 60 m. Wenn man diese gesamte Fläche nimmt, dann wären es knapp 5.000 Quadratmeter, auf denen die Demonstranten unterzubringen wären. Bei 20.000 Demonstranten würde dies vier pro Quadratmeter bedeuten, bei 10.000 immerhin zwei, bei 5.000 einer. Es war aber bei weitem nicht die gesamte zur Verfügung stehende Fläche mit Demonstranten belegt. Außerdem sind wir, zwei deutsche Journalisten mit je einem Dolmetscher, während der Demonstration mehrfach ohne jedes Problem durch die Reihen der Demonstranten marschiert, so locker stand man beieinander. Teilweise waren Lücken von mehr als einem Meter zwischen kleineren Gruppen, die dichter beieinander standen. Aus diesem Grunde können wir getrost bei unserer realistischen Schätzung von 3.000 Demonstranten bleiben, gestehen aber zu, dass man mit sehr viel Wohlwollen auch eine Zahl von bis zu 5.000 vertreten kann, mit sehr viel Wohlwollen. Vermutlich waren es am Ende nicht ganz 4.000. Alles andere ist blanker Unsinn.

Dies kann auch dadurch belegt werden, dass die Philharmonie, in der zuvor die Protestversammlung des Burdschanadse-Demokraten-Blocks stattfand, nach einer Nachfrage von heute Vormittag ziemlich genau 2.000 Sitzplätze hat. Diese waren nahezu voll belegt, der Platz vor der Philharmonie aber nahezu menschenleer, sodass man das Schwania-Burdschanadse-Lager, das zur Demonstration zum Rathaus kam, mit rund 2.000 Leuten schätzen kann. Vor dem Rathaus waren zuvor nach unserem Eindruck höchstens 1.000 Demonstranten aus dem Saakaschwili-Lager anwesend. Und als wir vor Ende der Demonstration diese verließen, um unsere Berichte möglichst aktuell ins Netz stellen zu können, machte der Rustaweli-Prospekt keinesfalls den Eindruck, als würden da noch Tausende von Demonstranten zum Rathaus strömen. Am Rustaweli pulsierte der ganz normale abendliche Auto- und Fußgängerverkehr, der von der Politischen Erregung vor dem Rathaus keine Notiz nahm. Lediglich die starken Polizeikräfte, die vor dem Gebäude, in dem die CEC - Central Election Commission - untergebracht war, deutete auf irgendwelche Ereignisse hin. Bei jedem mittleren Fussball-Länderspiel sind weitaus mehr Menschen unterwegs als gestern Abend, meist auch mehr Polizisten. Die Revolutionsmassen waren also durchaus überschaubar, was keinesfalls die Berechtigung des Protestes in Zweifel ziehen soll. Nur werden Saakaschwili und Burdschanadse in den nächsten Tagen noch weitaus mehr Menschen auf die Straße bringen müssen, wenn sie den greisen Staatschef in seiner Kanzlei-Festung wirklich beeindrucken wollen. Noch ist das alles andere als die Revolution, die Saakaschwili seinem Widersacher im Präsidentenamt gestern Nacht vollmundig ankündigte.

Rainer Kaufman


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