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E-Mail an GN
Ausgabe 17/03
29. Oktober


GN: "Wenn sich in den letzten drei Monaten nicht mehr viel ändert, werden Sie in diesem Jahr ein Superergebnis einfahren."

Philip Sigwart: "Ja, wir haben in den ersten neun Monaten dieses Jahres unser Kreditportfolio um 9 Millionen US-$ auf jetzt 42 Millionen US-$ gesteigert. Bis zum Jahresende rechnen wir mit einem Zuwachs von 11 - 12 Millionen US-$, das wäre dann ein Plus von etwa 30 %."

GN: "Auch die Geldeinlagen sind kräftig gestiegen, ein Zeichen für das wachsende Vertrauen der Georgier in das Bankensystem?"

Philip Sigwart: "So kann man das sicher sehen, unsere Kundengeldeinlagen sind von 10 Millionen auf 17 Millionen US-$ gestiegen. Und der Gewinn liegt am Ende des 3. Quartals bei 1,2 Millionen US-$ nach Steuern, das sind p.a. rund 15 % auf das Kapital. Damit sind wir sehr zufrieden, wenngleich es in Georgien Geschäftsbanken gibt, die weitaus bessere Kapitalrenditen vorweisen. Aber unsere Bank ist nicht ausschließlich am Profit orientiert, wir arbeiten ja auch mit öffentlichen Finanzen und haben zuallererst den Auftrag, kleine und mittlere Unternehmen mit den notwendigen Mitteln für ihr Wachstum zu versorgen."

GN: "Wie ist das Verhältnis zwischen Handel und Gewerbe in Ihrem Kreditportfolio. Am Anfang dominierte doch eindeutig der Handel, gibt es da eine Tendenz zur Änderung?"

Philip Sigwart: "Ganz eindeutig. Es gibt immer mehr Kleingewerbe oder Kleinproduktionen, die von uns finanziert werden. Neuerdings kommt auch der Agrarsektor mit dazu, wobei wir hier nicht nur die ganz kleinen Landwirte finanzieren. Wir haben da auch schon einige größere Kredite, insbesondere aus der Lebensmittelverarbeitung dabei. Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren hier in Georgien. In dieser Zeit gab es schon eine signifikante Entwicklung hin zur Produktion."

GN: "Wenn Sie als eine ausgewiesene Mittelstandsbank mit 30 % Wachstum dastehen, muss das doch auch bedeuten, dass sich ganz langsam ein gewerblicher Mittelstand im Lande bildet."

Philip Sigwart: "Ja, der Mittelstand beginnt, sich zu entwickeln. Das ist natürlich ein ganz anderer Mittelstand als den, den wir aus Deutschland kennen. Da ist immer eine ganze Familie dahinter. Wenn so ein Unternehmerhaushalt heute ein Einkommen von 300 oder 400 US-$ im Monat hat und sich einen Kurzurlaub in Bakuriani oder Kobuleti leisten kann, dann ist das eigentlich schon Mittelstand. Dabei muss man allerdings einräumen, dass das Tempo dieser Entwicklungen durchaus gemächlich ist. Ich glaube auch, dass dies erst der Anfang ist. Die Entwicklung wird erst dann richtig losgehen, wenn sich die politische und gesamtwirtschaftliche Lage ein wenig stabilisiert hat."

GN: "Aber diese Erfolge, von denen Sie gerade berichten, stehen im Widerspruch zu dem, was man allgemein als Eindruck von der Wirtschaftsentwicklung geschildert bekommt. Da ist eher von wirtschaftlichen Rückschritten die Rede. Woher kommt denn dann Ihr Wachstum von 30 %?"

Philip Sigwart: "Das hängt von unserer Zielgruppe ab. Die kleinen und mittleren Unternehmen wachsen eben überdurchschnittlich. Dazu kommt noch, dass sich 60 % der georgischen Wirtschaft im Schatten abspielt. Und die meisten dieser Kleinunternehmen sind eben in dieser Schattenzone. Ihre Entwicklung wird offiziell gar nicht registriert, taucht in den Statistiken überhaupt nicht auf. Aber ich muss noch einmal betonen, das ist ein relativ langsames Wachstum, vor allem, wenn man es mit anderen Ländern, Russland zum Beispiel, vergleicht."

GN: "Woran liegt das?"

Philip Sigwart: "Das hängt natürlich sehr viel mit der politischen Unsicherheit zusammen, mit den ungelösten Problemen in den Konfliktgebieten zum Beispiel. Die Korruption ist natürlich auch ein gewichtiges Wachstumshindernis. Und insgesamt sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind nicht besonders unternehmerfreundlich."

GN: "Können Sie dies konkretisieren?"

Philip Sigwart: "Da gibt es vieles, das Steuersystem zum Beispiel oder die Gesetzgebung. Nehmen Sie das Arbeitsgesetz. Das stammt noch aus der Sowjetunion und fordert, wenn man es beim Wortlaut nimmt, fast mehr soziale Absicherung als in West-Europa. Das zwingt die kleinen Unternehmen dazu, in der Schattenzone zu arbeiten."

GN: "Polemisch formuliert: Finanzieren Sie dann den Schatten, die Steuerhinterziehung?"

Philip Sigwart: "Nein, es ist gerade das Gegenteil. Wenn Kleinunternehmer einen Kredit von der Bank bekommen, werden sie sozusagen gezwungen, ein bisschen offizieller zu arbeiten. Sie bekommen das Geld von einer formellen Institution, die absolut offen arbeitet. Das ist ja alles registriert, unsere finanziellen Transaktionen und überprüfbar. Was wir sehen ist, dass die meisten unserer Kunden umso offizieller arbeiten, je intensiver die Beziehungen mit einer Bank werden. Das liegt natürlich auch in dem einfachen Grund, dass, wenn die Unternehmen anfangen, Bücher zu führen, also eine Buchhaltung aufzubauen, dass es dann für uns einfacher wird, das Geschäft mitzuverfolgen und dann auch rascher Entscheidungen zu treffen, ob wir einen neuen Kredit anbieten oder nicht. Wir sind eigentlich fast ein Katalysator, der die Unternehmen formalisierter arbeiten lässt als vorher. Formalisierter heißt, dass sie ein wenig aus der Schattenwirtschaft rausgehen."

GN: "Gingen Sie nach den Steuerbilanzen, wären die meisten Ihrer Kunden doch nur bedingt kreditwürdig."

Philip Sigwart: "Es ist natürlich so, dass die meisten unserer Kunden, die Kredite bis zu 10.000 $ bekommen, keine großartigen Steuererklärungen abgeben. Es sind halt ganz kleine Unternehmen. Und ein Teil der Kredite wird ja auch als Privatkredit registriert. Wenn halt die Rahmenbedingungen so schlecht sind, dass die Leute gezwungen sind, im Schatten zu operieren, dann heißt das doch nicht, dass man ihnen die Möglichkeiten versagen darf, ihr Unternehmen weiter zu entwickeln. Mikrofinanzierung ist natürlich auch die Finanzierung der informellen Wirtschaft. Nur wenn sich der informelle Sektor entwickeln kann, kann auch ein großer Teil in den formellen Sektor abwandern."

GN: "Es gibt eine starke Diskrepanz zwischen offizieller Statistik und realer Wirtschaftsentwicklung."

Philip Sigwart: "Die Diskrepanz ist eigentlich nicht so groß. Es ist ja nicht so, dass wir sagen können, es geht hier alles prächtig voran. Das große Problem ist die makro-ökonomische Instabilität mit dem ständigen Budget-Defizit. Das spiegelt sich natürlich in der ganzen Wirtschaft wieder durch die ständige Unsicherheit, was passiert denn in nächster Zukunft. Das bringt Unsicherheit auch bei den Kleinunternehmern."

GN: "Trotzdem wächst die Kaufkraft, wächst der Handel. Wo sollte denn sonst Ihr Bankwachstum herkommen?"

Philip Sigwart: "Ja, das weisen ja auch die offiziellen Statistiken mit einem inflationsbereinigten Wachstum von rund 5 % aus."

GN: "Wenn Sie jetzt das Wachstum der Schattenwirtschaft auf diese statistischen 5 % addieren, können Sie dann das real existierende Wachstum einigermaßen einschätzen?"

Philip Sigwart: "Das ist natürlich sehr schwer abzuschätzen. Ich habe alles in allem nicht den Eindruck, dass es ein rasantes Wachstum gäbe. Es gibt ein gewisses, aber dem fehlt es doch noch ganz erheblich an Dynamik."

GN: "Wenn nach Ihrer Einschätzung 60 % der Wirtschaft im Schatten sind, es gibt Leute, die gingen da noch etwas höher ran, dann ist doch der Schatten der eigentliche Träger der Wirtschaftsentwicklung."

Philip Sigwart: "Ja natürlich, die Wirtschaft ist schon das ganze, der formelle und der informelle Sektor. Aber wie viel das in der Addition ausmacht, davon hat wohl niemand eine exakte Vorstellung. Es ist auch nicht unbedingt unsere Aufgabe, das zu bewerten."

GN: "Könnte nicht Ihr Wachstum von 30 % ein Indikator sein? Andere Banken wachsen ja auch."

Philip Sigwart: "Da kommt ein Phänomen zum Tragen. Der Bankensektor entsprach vor kurzer Zeit etwa 10 - 15 % des Bruttosozialprodukts. Dieser Koeffizient wächst langsam, das heißt, dass der Anteil des Bankensektors an der Gesamtwirtschaft wächst. Deshalb können die Wachstumsraten der Banken nicht automatisch auf das Wachstum der Gesamtwirtschaft übertragen werden."

GN: "Warum reden Sie jetzt Ihre Bilanz und Ihren Erfolg schlecht?"

Philip Sigwart: "Nein, den Erfolg der Bank wollen wir nicht schlecht reden. Aber ich möchte einfach klar machen, dass ich glaube, dass die echte Wachstumsphase erst kommt, wenn einmal die politischen Probleme geregelt sind, die in Südossetien und in Abchasien. Denn die ganze Schattenwirtschaft hängt ja auch damit zusammen, dass die Hälfte des Inlandshandels mit Waren bestritten wird, die illegal über die Grenze von Südossetien kommen."

GN: "Wer soll denn da ein Interesse haben, das Problem Südossetien zu lösen?"

Philip Sigwart: "Die Unternehmer, die formal und offiziell ihr Geschäft zu führen versuchen. Die auf jeden Fall. Es gibt natürlich auch andere Unternehmern, die Bestechungsgelder an die Behörden zahlen und Waren über die Grenzen bringen, ohne sie zu deklarieren. Die haben natürlich kein Interesse. Aber der offizielle Teil der Wirtschaft hat natürlich ein Interesse daran, dass diese Probleme gelöst werden."

GN: "Es werden immer wieder horrende Arbeitslosenzahlen genannt. Gibt es da nicht auch eine erhebliche Diskrepanz zur real existierenden Situation?"

Philip Sigwart: "Es ist schwierig, in Georgien überhaupt über die Arbeitslosigkeit zu reden, weil die Hälfte der Leute im ganzen Land eigentlich Selbstbeschäftigte, selbständige Erwerbstätige sind, um irgendwie zu überleben. Und das sind, streng genommen, keine Arbeitslosen. Das sind viel Leute, die auf dem Land wohnen. Sie haben zwar kein richtiges, regelmäßiges Einkommen in Form von Geld. Aber sie leben auf ihrem eigenen Grundstück, in ihrem eigenen Haus und haben eine paar Schweine und Kühe und leben davon. Ich habe meine Zweifel, ob man diese Leute alle unter der Rubrik Arbeitslose führen darf."

GN: "Gilt dies nicht auch für die Handwerker, die an der Straße stehen und ihre Dienstleistung anbieten. Könnte man dies nicht schon als die Keimzelle eines gewerblichen Mittelstandes betrachten oder - auf dem Land - einer Bauernschaft, wenn man sich die Potenziale im Agrarbereich oder den ungeheuren Sanierungsbedarf in Tbilissi ansieht?".

Philip Sigwart: "Ich denke, das ist vielleicht doch zu gewagt. Die meisten Leute haben leider nicht die Initiative, sich aus der Subsistenz heraus zu einem Unternehmer zu entwickeln. Diese Leute, die vor sich hin überleben, denken nicht wie Unternehmer, sie wollen nur überleben. Sie denken nicht, wie kann ich mich entwickeln, wie kann ich mehr Geld verdienen."

GN: "Obwohl es doch jede Menge an Chancen gäbe, aus dieser "Vor-Sich-Hin-Überleben-Situation" herauszukommen."

Philip Sigwart: "Ganz sicher gäbe es die. Aber das ist eine Frage der Mentalität. Ich sehe in der ganzen ehemaligen Sowjetunion dasselbe Phänomen: die Leute sind irgendwie on ihrer Erziehung her nicht in der Lage, die richtigen Initiativen zu ergreifen. Vielleicht wird dies mit der jüngeren Generation besser."

GN: "Das Thema Armut spielt in der öffentlichen Wahrnehmung Georgiens vor allem im Ausland eine große Rolle. Zwei Drittel der Georgier, so heißt es, lebten unterhalb der statistischen Armutsgrenze. Für Investitionen und Wachstumszenarien eine völlig falsche Kulisse."

Philip Sigwart: "Das ist alles sehr relativ. Es ist zunächst einmal eine ganz andere Armut als in anderen Teilen der Welt. Die meisten Leute hier haben ein Dach über dem Kopf, sie haben genügend zu essen. Ich glaube nicht, dass in Georgien viele Leute verhungern. Monetär gesehen sind sie vielleicht arm, aber sie sind nicht arm wie man arm ist in Indien oder in gewissen Ländern in Afrika. Das ist etwas anderes, das ist die postsowjetische Armut."

GN: "Die statistische Armut wird durch das Pro-Kopf-Durchschnittseinkommen in US-$ definiert. Wie sieht es da mit den großen Finanztransfers aus, die die Kaufkraft im Lande anheizen. Es geht um die legalen Transfers, nicht die illegalen wie Geldwäsche. Gibt es da eine Übersicht im Bankensektor, wie viel Geld jährlich ins Land fließt?"

Philip Sigwart: "Man spricht von mehreren Hundert Millionen US-$, die da jährlich nach Georgien fließen. Ohne diese Geldüberweisungen aus dem Ausland würde es dem Land viel schlechter gehen, das ist keine Frage. Dasselbe Phänomen haben wir auch in Armenien, auf dem Balkan oder besonders in Albanien. Das Land hängt aber nicht nur am Finanztropf seiner Arbeitsemigraten. Es gibt auch ansehnliche Geldzuflüsse etwa für viele NGO`s, es gibt die Finanzströme der internationalen Donorinstitutionen. Da kommt schon einiges an Geldzuflüssen zusammen."

GN: "Ist das der Grund für die Stabilität des georgischen Lari? Bei dem chronischen Außenhandelsdefizit müsste die Währung doch schon längst abgestürzt sein."

Philip Sigwart: "Das ist nur ein Teil der Erklärung. Der andere Teil ist, dass man die Lari-Geldmenge begrenzt hat, was zu einer sehr starken Dollarisierung der Wirtschaft führt. 80 % der Geschäfte werden im Dollar abgewickelt. Ob das langfristig gesund ist, ist eine andere Frage, derzeit funktioniert es. Auf jeden Fall wäre eine starke Abwertung des Lari für die Wirtschaft verheerend."

GN: "Sie haben von der Lösung der politischen und wirtschaftlichen Probleme gesprochen. Sehen Sie eine Chance, dass sich nach dem 2. November und den Parlamentswahlen wirklich etwas ändert, dass es aufwärts geht?"

Philip Sigwart: "Ich will mit der Stimmungslage in der Belegschaft unserer Bank antworten: 50 % sagen, es wird sich nichts ändern, während die anderen 50 % sich ziemlich optimistisch äußern."

GN: "Eine ausgewogene und diplomatisch geschickte Antwort. Vielen Dank für dieses Gespräch."


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