Newsletter
Währungskurse
Wetterprognose
E-Mail an GN
Ausgabe 14/03
17. September


In seiner Eigenschaft als stellvertretender Sprecher der Parlamentariergruppe Südkaukasus im Deutschen Bundestag bereiste das Mitglied des SPD-Fraktionsvorstandes Jörg Tauss im August die drei Kaukasusländer. GN begleitete den Abgeordneten auf dem größten Teil seiner Reise und führte jetzt dieses abschliessende Gespräch. Tauss ist SPD-Fraktionssprecher für Bildung, Forschung und Medien. In der Parlamentariergruppe Südlicher Kaukasus sind die Abgeordneten zusammengefasst, die sich speziell mit dieser Region beschäftigen.

GN: "Sie besuchten jetzt in einer zusammenhängenden Informationsreise die drei Länder des Südkaukasus. Können Sie uns einen ersten Eindruck über die Stimmung in den drei Ländern geben, ist sie ähnlich oder spürt man Unterschiede?"

Jörg Tauss: "Es gibt sicher einige Unterschiede, obwohl die Stimmung überall gleichermassen nervös erscheint. In Aserbaidschan weiss die Öffentlichkeit nicht, ob der Präsident noch handlungsfähig oder möglicherweise gar nicht mehr am Leben ist. In Armenien schaut man gespannt, ob die Justiz tatsächlich gegen die Fälscher der letzten Parlamentswahl oder gegen die Mörder im Parlament vorgeht (Anmerkung d. Red.: Vor zwei Jahren wurden mehrere Politiker im Parlamentsgebäude in Eriwan ermordet. Keiner der Schuldigen wurde bisher bestraft). Und in Georgien wartet jeder auf den Ausgang der bevorstehenden Parlamentswahlen. Die Länder scheinen politisch irgendwie paralysiert, vor allem Georgien und Aserbaidschan, wo Generationswechsel in der Führung anstehen."

GN: "Haben Sie irgendwelche Symptome von Umbruch- oder gar Aufbruchsstimmung vorgefunden angesichts der bevorstehenden Wahlen?"

Jörg Tauss: "Ja, alles wartet, nicht nur in Aserbaidschan, auf neue personelle und politische Richtungsentscheidungen. Nach der vernichtenden Niederlage bei den Kommunalwahlen stellt sich in Georgien die spannende Frage, ob sich das Schewardnadse-Lager nochmals erholt und mit neuem Personal und neu formiert an der Macht bleiben kann. Ich glaube dies, bei korrekten Wahlen, nicht. In Armenien liegt die Opposition nach den Wahlfälschungen noch am Boden. Diesen
Eindruck hat man in Tiflis und Baku, trotz aller Schikanen gegen die Opposition, keinesfalls."

GN: "In Aserbaidschan scheint die Nachfolgefrage ja nahezu dynastisch geregelt zu werden. Was haben Sie über Aliev jr. erfahren, wie wird er eingeschätzt?"

Jörg Tauss: "Es muss sich zeigen, ob sich der Präsidentensohn tatsächlich vom alten Clan seines Vaters absetzen kann. Die weitere Frage ist, ob er sich lediglich an die Spitze der Oligarchie setzt, um weiter seinen Geldbeutel aus dem Ölgeschäft zu füllen oder ob er tatsächlich auch Reformen einleitet. Für mich war erstaunlich, dass vor allem jüngere und gut gebildete Leute Hoffnungen äußern, dass letzteres der Fall sein wird und er durchaus in der Lage wäre, das Land in eine bessere Zukunft zu führen. Der Opposition traut man dies in diesen Kreisen weniger zu als Aliev jr."

GN: "Sie haben während Ihrer Reise das Chaos bei der Regelung der neuen Wahlgesetzgebung in Georgien erlebt. Da musste sogar ein ehemaliger amerikanischer Aussenminister antreten, um Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie zu geben. Das ist doch alles andere als ein gutes Omen für diese Wahlen."

Jörg Tauss: "Die Amerikaner sind hier wohl mit zu hohen Erwartungen und Forderungen gegenüber Georgien aufgetreten. Meines Erachtens sollte der im Parlament gefundene Kompromiss jetzt jedoch nicht zerredet werden, auch wenn er keineswegs westlichen Idealvorstellungen entspricht. Wichtig war, dass überhaupt Bewegung in die Sache kam und kommt und die Wahlen unter einigermassen erträglichen Bedingungen ablaufen. Ich denke schon, dass das viel besser werden kann als in Armenien oder bei früheren georgischen Wahlen und das wäre doch immerhin ein Fortschritt."

GN: "Bei Ihren politischen Gesprächen vor allem in Baku und Eriwan stand der Konlikt um Berg-Karabach im Vordergrund. Haben Sie Anzeichen für Bewegung gefunden?"

Jörg Tauss: "Karabach ist und bleibt natürlich der Zankapfel zwischen Baku und Eriwan. Vor den Wahlen in Aserbaidschan wird sich hier gar nichts bewegen lassen. Andererseits hatte ich gerade in Baku den Eindruck, dass trotz des Flüchtlingsproblems jüngere pragmatische Politiker durchaus Kompromisse andenken können. In Armenien scheint man noch nicht so weit zu sein. Hier gibt es erheblichen nationalistischen Druck vor allem von den Auslandsarmeniern, auch was das Verhältnis zur Türkei anlangt. Dennoch sind alle beteiligten Länder schon aus ökonomischen Gründen gezwungen, endlich zu Lösungen zu kommen. Insofern kann man auf Bewegung hoffen."

GN: "Georgien hat während Ihres Besuchs als besonders dramatisch empfundene Veränderungen seiner Energielandschaft erfahren. Die USA sind auf dem Rückzug, Russlands Energiegiganten als Investoren auf dem Vormarsch. Europa wird kaum wahrgenommen. Europa und Deutschland vor allem haben sich im Kaukasus bislang zwar durch vielerlei Hilfsleistungen und Projekte der Entwicklungszusammenarbeit hervorgetan, eine eindeutige Formulierung unserer deutschen und europäischen Interessen in dieser Region wird aber nicht sichtbar. Haben wir keine Interessen? Überlassen wir diese Region dem Kräftespiel USA-Russland?"

Jörg Tauss: "Ich hoffe, dass sich die Europäer wieder verstärkt diesen Fragen im südlichen Kaukasus zuwenden. Dem neuen EU-Beauftragten für den Kaukasus eilt übrigens ein sehr guter Ruf als ausgezeichneter Kenner der Region voraus. Das ist schon mal nicht schlecht. Wenn Russland nicht falsch spielt, könnte auch aus dem Minsk-Prozess für die Region durchaus noch etwas werden. Denn es wäre nicht möglich, etwa im Abchasien- Konflikt gegen Russland oder an Russland vorbei zu Lösungen zu kommen. Deshalb kann das Engagement russischer Investoren im Kaukasus durchaus positiven Einfluss auf die politische Grosswetterlage haben. Wenn man zu weiteren pragmatischen Schritten zum Thema Energie oder Eisenbahn kommt, warum dann nicht in anderen Bereichen? Hieraus könnten sich auch für die EU und Deutschland noch interessante ökonomische Perspektiven bei einer verbesserten Zusammenarbeit ergeben. Es stimmt: Wir haben im Kaukasus auch wirtschaftliche Interessen und müssen diese deutlicher als bisher definieren."

GN: "Vor allem die deutsche Wirtschaft glänzt in allen drei Kaukasus-Ländern eher durch ein bescheidenes Auftreten. Was kann getan werden, um die Präsenz deutscher Unternehmen im Kaukasus zu fördern?"

Jörg Tauss: "Ich verstehe dies - ungeachtet der bekannten Probleme in dieser Region - ehrlich gesagt nicht. Man wartet in allen drei Staaten gerade auch auf die Deutschen. Das ist mir sehr deutlich geworden bei allen Gesprächen. Da gibt es einigen Nachholfbedarf. Wir haben einen hervorragenden Ruf. Es würde mich sehr ärgern, wenn wir mit unseren wirklich tollen Entwicklungsprojekten in der Region langfristig Investoren aus allen Ländern den Weg bereiteten und mit unserer eigenen Wirtschaft in dieser wichtigen Region abseits stehen. Es kann doch nicht sein, dass wir zum Beispiel mit dem Katasterprojekt in Georgien gerade für ausländische Investoren Sicherheiten geschaffen haben, die es in anderen Nachfolgestaaten der UdSSR nicht gibt, es dann aber versäumen, dies unserer deutschen Wirtschaft auch klar zu machen. Ähnlich ist es mit dem Rechtsberatunsgsprojekt in allen drei Ländern, wo wir mit gutem Erfolg am Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen beteiligt sind, dies aber zu Hause kaum deutlich werden lassen. Ich werde auch gegenüber der Bundesregierung anregen, hier aktiver zu werden. Es wäre schön, wenn man im Wirtschaftsministerium und nicht nur im Entwicklungsbereich die Region Südkaukasus wieder entdeckt würde. Die Rollenverteilung, nach der wir Deutschen die "Gutmenschen" sind und beim Aufbau bürgerlicher und demokratischer Gesellschaften helfen, während andere die Geschäfte machen, muss nicht auf Zeit und Ewigkeit festgezurrt bleiben. Ich werde meine politischen Möglichkeiten in Berlin nutzen, um hier ein Umdenken einzufordern."

GN: "Sie sind vornehmlich Bildungspolitiker und haben sich bei dieser Reise auch schwerpunktmässig um diesen Bereich gekümmert. Gibt es da Ansätze für eine verstärkte Zusammenarbeit?"

Jörg Tauss: "Zunächst einmal habe ich - neben der einen oder anderen Sowjet-Nostalgie im Bildungsbereich - auch das eine oder andere hervorragende Beispiel moderner Bildungsinstitutionen besuchen können, so etwa eine neue europäische Hochschule in Eriwan, die viel Hoffnung für die Zukunft vermittelt. Allerdings wurde in vielen Gesprächen auch deutlich, dass der Hochschulbereich einen unverhältnismässig hohen Anteil am Bildungswesens dieser Länder hat, während die praktische Berufsausbildung nur unzureichend stattfindet. Wir hätten gerade auf diesem Sektor einiges an Erfahrungen anzubieten, wenn die Länder selbst die ersten Schritte unternehmen und den Wert einer effizienten Berufsausbildung erkennen. Da scheint es in den einen oder anderen Land durchaus Ansätze zu geben, zumindest verstärktes Interesse. Ich hoffe da ganz konkret, dass sich der Einsatz eines deutschen Fachberaters für Berufsausbildung im georgischen Bildungsministerium demnächst auch in erkennbaren Fortschritten auswirkt und nicht nur in Papieren, die kaum jemand zur Kenntnis nimmt. Auch da werde ich in Berlin, so gut ich kann, am Ball bleiben."

GN: "Was ist dem Forschungsspezialisten im Südkaukasus aufgefallen?"

Jörg Tauss: "Da gibt es Zwiespältiges zu berichten. Einerseits das offensichtlich zum Scheitern verdammte Bemühen von früheren Top-Instituten der sowjetischen Computer-Forschung, den Anschluss an die Entwicklung der Welt zu halten. Das war schon sehr ernüchternd, was ich da zum Beispiel in Eriwan gesehen habe. Demgegenüber habe ich aber in Tbilissi ein Forschungsinstitut für Halbleitertechnik besucht, das mich beeindruckt hat. Es gibt also doch einzelne Projekte, die den Anschluss an die Weltwirtschaft finden werden. Und dass jetzt in Tbilissi wieder Flugzeuge gebaut werden, erfreulicherweise auch zivile, wie ich besichtigen konnte, ist doch ein Zeichen, dass es um die Spüitzentechnologie in der Region nicht so schlecht steht, wie allgemein vermutet wird. Es gibt für unsere Wirtschaft durchaus Möglichkeiten der Kooperation auf hohem technischen Niveau. Wir müssen sie nur suchen."

GN: "Trotzdem, wirtschaftlich stehen alle drei Länder nicht sonderlich erfolgreich da, wenn man vom Boom der Schattenwirtschaft und des Handels einmal absieht. Wie schätzen Sie die künftige Wirtschaftsentwicklung der Region ein?"

Jörg Tauss: "Da ist Potenzial, keine Frage. Aber die ökonomische Entwicklung hängt sehr stark mit der Lösung der regionalen Konflikte und der Bereitschaft der drei Staaten, miteinander zu reden und die territorialen Fragen zu regeln, zusammen. Dies muss man auch vor Ort immer wieder deutlich machen. Das Beispiel der
heutigen deutsch-französischen Zusammenarbeit - trotz früherer "Erbfeindschaft" - kann hier Vorbild sein. Es fehlen in der Region aber noch vergleichbar mutige Pioniere wie bei uns vor vierzig Jahren mit Adenauer und de Gaulle oder den späteren Architekten der Ostpolitik wie Brandt und Bahr."

GN: "Dies war Ihr erster Besuch in allen drei Ländern des Südkaukasus. Was nehmen Sie mit, wie geht es weiter?"

Jörg Tauss: "Ich war ja schon mehrfach in Georgien und Armenien, Aserbaidschan war jetzt Neuland für mich. Es soll natürlich nicht bei dieser einen Informationsreise und ihren Kontakten bleiben. Ich habe mich sehr gefreut, vor wenigen Tagen in Berlin den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Georgiens wieder treffen zu können. Da sind jetzt eine ganze Reihe von persönlichen Kontakten, die in diesen Tagen im Kaukasus geknüpft wurden, die sicher über einen längeren Zeitraum halten werden. Solche zwischenmenschlichen Beziehungen darf man in der Politik nicht unterschätzen. Ausserdem planen wir mit unserer Parlamentarier-Gruppe Südkaukasus im nächsten Jahr einen größer angelegten Besuch in den drei Ländern, auch um das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an dieser Region stärker zum Ausdruck zu bringen. Darüber hinaus versuchen wir hier in Berlin, möglichst immer mit Vertretern aller drei Länder des Südkaukasus gemeinsame Gespräche zu führen. Dies kann unser Beitrag zu Förderung des Verständnisses in dieser für die Zukunft Europas wichtigen Region sein."

GN: "Vielen Dank für dieses Gespräch."



Copyright © 2003 ERKA-Verlag E-mail Impressum Kontakt Webmaster