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Ausgabe 14/03
17. September



Gogi Tsereteli müsste eigentlich Herkules heissen oder über dessen Kräfte verfügen, wollte er seine Aufgabe in der georgischen Straßenbauverwaltung wirklich erfüllen. Der ebenso bullige wie umgängliche Ingenieur ist dort Abteilungsleiter für Unterhaltung und Modernisierung des georgischen Straßenwesens und musste sich in den letzten Jahren eher vorgekommen sein wie Sissyphus: Wann immer seine Leute ein Schlagloch aufgefüllt hatten, wuchs ihnen gleich nebenan ein neues nach. Es wird Jahrzehnte dauern, bis der Allgemeinzustand der georgische Straßen ein einigermassen zufriedenstellendes Niveau erreicht haben wird. Und trotzdem: In den vergangenen zwei Jahren hat sich einiges im georgischen Straßenbau getan. Wer mit offenen Augen durchs Land fährt, wird Fortschritte nicht verleugnen können. So ist zum Beispiel die gesamte Strecke von Poti über Tbilissi bis zur aserischen Grenze an der Roten Brücke in den letzten Jahren saniert und teilweise völlig neu asphaltiert worden. Mit Ausnahme von zwei Waschbrett-Stücken am Rikoti-Pass ist die gesamte West-Ost-Durchfahrtsstraße jetzt in einem passablen Zustand. Die georgische Heerstrasse bis Mleta ist in

einem einwandfreien Zustand und die wichtige Durchgangsstrasse von Samtredia über Lanchuti nach Grigoleti am Schwarzen Meer wird in wenigen Tagen eine durchgehend neue Asphaltdecke haben. Nur vier Kilometer der früheren Schlaglochpiste sind noch offen. Bis Ende nächsten Jahres wird auch die Horrorstrecke von Marneuli bis zur armenischen Grenze bei Sadachlo völlig erneuert sein, die Hälfte der Strecke ist bereits neu asphaltiert. Ähnlich sieht es auf der Strecke von Chaschuri nach Achalziche aus. Damit präsentieren sich die Hauptverbindungsstrassen alles in allem in einem ausgezeichneten Zustand, wenn man sich vergegenwärtigt, wie es auf diesen Pisten noch vor fünf, acht oder zehn Jahren ausgesehen hat. Finanziert wurde dieses Straßenbauprogramm durch Kredite der Weltbank und eines kuwaitischen Entwicklungsfonds.


Insgesamt verfügt das Land über ein öffentliches Straßennetz von 20.229 km. 4.800 km sind Nationalstraßen, 15.429 km Kommunalstraßen. Die amtliche Statistik weist aus, dass 41 % dieser Straßen einen festen Belag haben, darunter 34,5 % einen Aspahltbelag. Von den Nationalstraßen erzählt die Statistik, dass 96 % einen festen Belag aufweisen, 92,7 % davon einen Aspahltbelag. Die Statistik muss wohl über viele Jahre hinweg nicht mehr überprüft worden sein, denn der Goderzi-Pass oder der Kreuzpass werden als Nationalstraßen mit einem festen Belag geführt. Die Realität des Jahres 2003 sieht anders aus, denn seit mehr als zehn Jahren wurde im georgischen Straßenbau noch nicht einmal das allernötigste investiert, um Straßen zu erhalten, von Neubau ganz zu schweigen.

Rund 560 Millionen $ bräuchte Gogi Tsereteli, um das Straßennetz des Landes gründlich zu sanieren, dazu noch einmal rund 120 Millionen $ jährlich, um es zu unterhalten. Abgesehen von großen Investitionsprogrammen auf Kreditbasis hat er in diesem Jahr lediglich 25 Millionen für den Unterhalt der Straßen bekommen, also noch nicht einmal ein Viertel dessen, was er eigentlich bräuchte. Gespeist wird dieser Topf aus der Benzinsteuer, den Straßenbenutzungsgebühren ausländischer Fahrzeuge und der 1 %-igen Straßensteuer, die jedes Unternehmen auf seinen Umsatz bezogen dem Staat abzuführen hat. Von der Benzinsteuer, die 200 GEL pro Tonne beträgt, wandern 30 % direkt in den Straßenbauetat. Im Jahr 2002 sind dies nach Auskunft des Finanzministeriums gerademal 14 Millionen GEL gewesen.

Man braucht nicht viel Zeit, um nachzurechnen, wo der georgische Straßenbau heute stünde, wenn es allein gelänge, den Benzinhandel aus dem Schatten herauszuführen, oder wenn die Unternehmen ihre Straßensteuer vom tatsächlichen Umsatz berechneten und nicht von dem, den "man zeigt". Aber statt dem Staat zu geben, was des Staates ist, und was dieser braucht, um die öffentliche Infrastruktur sicherzustellen, gibt es anscheinend einen gesellschaftlichen Konsens, lieber auf schlechten öffentlichen Straßen private Autos zu ruinieren statt diesen auf guten Strassen eine längere Lebensdauer zu gewähren. Der Autofahrer wird so oder so zur Kasse gebeten.

Für das vierjährige Straßenbauprogramm, das 2004 auslaufen wird, standen insgesamt 78 Millionen US-$ zur Verfügung. 40 Millionen kommen von der Weltbank, 16 Millionen vom Kuwait-Fond und 22

Millionen musste der georgische Staat aus eigenen Mitteln beisteuern. Der größte Teil dieser Gelder ist aufgebraucht, Gogi Tsereteli legt eine ansehnliche Liste neu gebauter oder generalsanierter Straßen vor:

Poti-Tbilissi-Rote Brücke: 155 km repariert, 68 km Neubau
Chaschuri-Achalziche: 19 km repariert, 10 km Neubau
Achalkalaki-Ninozminda: 5 km Neubau (geplant für 2004)
Poti-Batumi: 5 km Neubau (geplant für 2004)
Senaki-Sugdidi: 14 km repariert, 10 km Neubau
Mzcheta-Gudauri: 14 km repariert, 42 km Neubau (Fertigstellung bis Gudauri geplant für 2004)
Tbilissi-Bakurziche-Lagodechi: 43 km repariert
Marneuli-Sadachlo: 20 km Neubau (weitere 10 km in 2004 geplant)
Sestafoni-Tabakuni: 9 km Neubau
Samtredia-Lanchuti-Grigoleti: 57 km Neubau
Umgehung Poti: 5 km Neubau

Dazu wurden einige Brücken saniert. Insgesamt wurden mit dem Programm also knapp 500 km an Durchgangsstraßen saniert, das ist etwa ein Drittel aller Straßen-Kilometer, die als internationale Verbindungsstraßen gelten. Insgesamt 1.474 km des georgischen Straßennetzes werden als internationale Verbindungsstraßen geführt. Aus der Sicht des Transportgewerbes und des Tourismus fehlen jetzt nur noch ein paar wenige Straßen, um wenigstens das wichtige Netz an Hauptverbindungen sicherzustellen:

- Achalziche - Vale - türkische Grenze
- Achalziche - Achalkalaki - armenische Grenze
- Kreuzpaß
- Adscharien

Auf die Sanierung der Grenzstraße in Vale wird man vermutlich noch lange warten müssen. Denn das letzte Teilstück, das von Vale bis zur Grenze, untersteht eigentümlicherweise nicht einmal der Straßenbauverwaltung. Für diese Straße ist die Zollverwaltung verantwortlich und diese versteht sich wohl eher aufs Geld Einnehmen denn aufs Ausgeben, wobei die Anmerkung erlaubt sei, dass sich auch für den Zoll in Vale eine Investition in die Reparatur der schrecklichen Straße mit einem deutlichen Anstieg des Autoverkehrs lohnen könnte. Die Strecke von Achalziche zur armenischen Grenze hat für Georgien kaum Priorität, auch hier wird man wohl noch einige Jahre warten müssen.

Völlig ausgeschlossen erscheint eine Generalsanierung des Kreuzpasses zwischen Gudauri und Kasbeghi, was von jedem ausländischen Passanten angemahnt wird. Die Kosten für eine solche Sanierung schätzt man in der georgischen Straßenbauverwaltung auf rund 55 Millionen $. Das Verkehrsaufkommen am Kreuzpass wird auf rund 500 Fahrzeuge am Tag geschätzt eine Verkehrsfrequenz, die kaum jemand nachvollziehen kann, der diese Strecke seit Jahren regelmässsssssig befährt, 100 Fahrzeuge am Tag dürften der Wahrheit näher kommen. Damit wird deutlich, dass die wirtschaftliche Bedeutung dieser Strecke eine zweistellige Millioneninvestition kaum rechtfertigen kann, zumindest solange nicht, solange noch wichtigere Teile des georgischen Straßennetzes in einem katastrophalen Zustand sind. Und wenn tatsächlich die Eisenbahnlinie durch Abchasien wieder eröffnet wird, dann versinkt der Kreuzpass verkehrstechnisch wieder im Dornröschenschlaf des kleinen Grenzverkehrs. Ohnehin ist er nur dann etwas besser frequentiert, wenn der Roki-Tunnel unpassierbar ist, und auch dann meist nur von russischen Neuwagenkolonnen, die nach Armenien rollen. Deshalb sollten sich alle, die vom Brenner träumen, wenn sie sich über den Kreuzpass quälen, daran erinnern, dass dort Zehntausende an Fahrzeugen täglich ihre Maut abliefern, mit der die Straße refinanziert und unterhalten wird. Der Kreuzpass ist meilenweit von der wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Bedeutung der Alpenübergnänge entfernt.

Bleibt noch Adscharien, das im georgischen Durchgangsnetz mittlerweile einen Engpaß ersten Ranges darstellt, auch was die Qualität der Straßen angeht. Dort arbeitet man an einer großzügigen Untertunnelung der beiden kleinen Pässe, die zwischen Kobuleti und Batumi am Schwarzen Meer entlag führen. In der georgischen Straßenbauverwaltung weiß man davon allerdings recht wenig, schon gar nicht, wer diesen Millionen-Bau investiert, das ist Angelegenheit der Adscharen. Vermutlich sind es

türkische Geldgeber, die eine Verlängerung ihrer Schwarzmeer-Autobahn realisieren. Dem Autofahrer wirds egal sein, wenn er irgendwann einmal im Anschluss an die türkische Schwarzmeer-Autobahn relativ rasch nach Tbilissi kommt. Die Vision, in sechs bis acht Stunden von Tbilissi bis Trabzon fahren zu können, nimmt langsam Gestalt an - sehr langsam, aber immerhin, die Zeit des Stillstands oder gar Rückschritts im georgischen Straßenbau scheint vorüber.

Dafür spricht auch die Qualität der jetzt neu gebauten Straßen. Rainer Siebenkees, früher Landesleiter der deutschen Straßenbaufirma Wirtgen in Georgien und heute Berater der georgischen Straßenbauverwaltung erklärt, dass vor allem der Unterbau der neuen Strecken recht solide

erstellt wurde. Dazu hat die georgische Straßenbauverwaltung die entsprechenden Maschinen angeschafft und moderne Technologien übernommen. Der Unterbau wird im sogenannten Kalt-Recycling erstellt, dabei wird alter Straßenbelag samt Unterbau gefrässt, mit Zement und einer Bitumen-Emulsion vermischt und verdichtet, bevor zwei Lagen Asphalt aufgebracht werden. Auch die Qualität des Asphalts sei

wesentlich verbessert worden, weshalb man den neu gebauten Straßen wohl eine längere Lebensdauer vorhersagen kann als den alten. Denn die verwandeln sich nach jedem Winter wieder in mittlere Schlaglochpisten, die dann im Laufe des Frühsommers geflickt werden. Mit diesem Befund des georgischen Straßenbaus wird man sich trotz erkennbarer Fortschritte noch einige Zeit abfinden müssen, ebenso damit, dass manch ein landschaftlich oder kulturell reizvolles Ziel eben nur auf äusserst rustikalen Pisten erreicht werden kann. Dafür ist man dort aber meistens alleine, denn der Massentourismus meidet Strassen a la Georgia.
















































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