Newsletter
Währungskurse
Wetterprognose
E-Mail an GN
Ausgabe 14/03
17. September



















































Nur wer das orthodoxe Fest Mariä Entschlafung am 28. August auf Zminda Sameba erlebt hat, kann von sich behaupten, einen tiefen Einblick in die See-lenlage Georgiens genom-men zu haben. Vom frü- hen Morgen an kämpfen sich Tausende von Pilgern - in diesem Jahr waren es etwas weniger als früher, schätzungsweise ein knappes Tausend - auf einem steilen und felsigen Pfad hinauf auf die große Wiese vor dem Kazbek, auf deren Kante zum Steilabhang nach Kasbeghi die Wallfahrts-kirche Zminda Sameba schwebt. Meist sind es junge Leute und Frauen, sonntäglich herausgeputzt mit feinem Schuhwerk, dem man kaum zutraut, die Strapazen des Auf-stiegs und gar des Ab-stiegs unversehrt zu über-stehen. Oben angekom-men, umrunden die Pilger dreimal die Dreifaltig-keitskirche, küssen die Eckpfeilder des mittelal-terlichen Bauwerks, bevor sie im Gotteshaus ihre Kerzchen anzünden und die Ikonen küssen. Ein paar Hundert Menschen drängen sich den ganzen Tag über im engen Kirch-hof und der Kirche, in der mittlerweile wieder ein großer Gottesdienst zum Mittelpunkt des religiösen Geschehens wurde. Vor ein paar Jahren noch war der Gottesdienst eher eine Randerscheinung, in die-sem Jahr haben wir zum ersten Mal den christlichen Teil von Mariamoba als dominierend empfunden.

Nach dem Gottesdienst spielte sich allerdings das-selbe Opferritual ab, das diesem Wallfahrtstag sei-nen archaischen Charak-ter verleiht: Zahllose Schafe, von ihren Besit-zern nach oben gezerrt, müssen dreimal die Kirche umrunden, bevor sie ein letztes Mal gesegnet wer-den, indem man ihr Fell mit der Flamme einer klei-nen Kerze ansengt. Und dann werden sie im Kirch-hof geschlachtet. Der Kopf verbleibt im Kirchhof, den dampfenden Rumpf tra-gen junge Männer hinaus auf die Wiese, wo die Fa-milienverbände ihre Pick-nickplätze aufgebaut und den Kockkessel fürs Schaffleisch bereits ange-heizt haben. Selten gehen christliche Religion, die das Tieropfer durch mysti-sche Opferriten überwun-den hat, und vorchristliche Opferschlächterei eine innigere Verbindung ein als hier oben vor einer der faszinieresnten Berg-kulissen des Großen Kau-kasus. Nur in Swanetien oder Chewsuretien sind die heidnisch-christlichen Rituale noch archaischer, noch eindrucksvoller als am Kazbek.

Gegen Abend spielt sich dann auf der Wiese ein riesiges Fress- und Sauf-gelage ab, dem man sich als Fremder entweder widerstandslos hingeben oder rechtzeitig entzie-hen muss. Die Foto-Re-portage von Mariamoba zeigt die schönen und archaischen Seiten des Festes. Weniger schön sieht der Platz dann tags darauf aus: ein riesiger Müll- und Abfallhaufen, der erst nach einigen Wochen von den Winden des Kaukasus wieder freigefegt wird.

Copyright © 2003 ERKA-Verlag E-mail Impressum Kontakt Webmaster