Kaum ein Thema hat die Gemüter in Georgien in den letzten Wochen
derart erhitzt wie der Verkauf der 75-%-Aktienmehrheit an dem Tbilisser
Stromverteilungsunternehmen Telasi vom amerikanischen Energie-Konzern
AES zum russischen Gegenstück UES (United Energy Systems).
Vom Ausverkauf georgischer Interessen an Russland war die Rede,
vom Rückzug der Amerikaner aus Georgien. Und die nationalistische
Opposition forderte sogar die Rückverstaatlichung strategisch
wichtiger Unternehmen wie die der Energiewirtschaft. Der Wahlkampf
hatte sein Sommerthema, der Energieminister trat zurück und
die - für den Sommer unüblichen - Stromabschaltungen in
der georgischen Hauptstadt taten ihr übriges, die Gerüchteküche
überzukochen zu lassen. Da kam alles zusammen, was sich zu
einer gross angelegten geo-politischen Machtintrige alten Stils
zusammenbrauen liess, wobei das eine mit dem anderen kaum etwas
zu tun hat.
Mit einiger Distanz und etwas nüchterner Überlegung
sieht die ganze Angelegenheit weitaus weniger dramatisch aus.
Der amerikanische Investor AES, der in den vergangenen Jahren
rund 260 Millionen US-$ ins georgische Energiechaos investierte,
hat völlig entnervt vom georgischen Geschäftsalltag
den Bettel hingeworfen und einen Großteil seines Investments
abgeschrieben. Über den Kaufpreis, den die russischen Käufer
zu entrichten hatten, wurde zwar wenig bekannt, er dürfte
jedoch weit unter dem liegen, was die Amerikaner im Laufe ihres
Engagements in Georgien investiert haben. AES, selbst finanziell
nicht gerade auf Rosen gebettet und wohl schwer angeschlagen,
hat etwas getan, was verantwortliche Unternehmen weltweit tun:
Es hat einen Unternehmenszweig abgestossen, von dem es keine betriebswirtschaftliche
Besserung erwarten konnte. Wer schreibt schon leichtfertig 260
Millionen ab, fragte der amerikanische Botschafter in einem TV-Interview,
wobei er die Versicherung nachschob, das Unternehmen wäre
sicher geblieben, wenn es einen angemessenen Return on invest
und eine angemessene Abdeckung seiner Betriebskosten hätte
erwarten können. Also ein völlig normaler Vorgang, wenn
man einmal davon absieht, dass es wohl recht schwer ist, im georgischen
Energiechaos einigermassen erfolgreich zu operieren. Aber im ewig
angespannten Verhältnis zwischen dem amerikanischen Energie-Service-Unternehmen
und den georgischen Regierungs- und Energiestrukturen haben beide
Seiten genügend Fehler gemacht, die jetzt aufzuzählen,
wenig Sinn macht.
Wie GN aus sicherer Quelle erfahren hat, haben die Amerikaner
ihren Anteil vor langer Zeit schon den Georgiern zum Rückkauf
angeboten, wobei man sich angeblich auch um eine vernünftige
Kredit-Finanzierung bemühte. Eine Rückführung in
georgischen Besitz scheiterte aber an der mangelnden Finanzkraft
georgischer Energieunternehmen oder am mangelnden Zutrauen internationaler
Kreditgeber. So blieb am Ende mit dem russischen Energiegiganten
UES der einzige Bieter, der überhaupt Interesse am Kauf des
Aktienpaketes hatte. Auch von dieser Seite besehen ist der Deal
ein völlig normaler Geschäftsvorgang und zunächst
einmal ohne jeden politischen Hintergrund, wenngleich alle Regierungen
über den Verlauf der Verkaufsverhandlungen ständig unterrichtet
gewesen waren.
Während eines halbtägigen Kurzaufenthalts in Tbilissi
hat der Vorstandsvorsitzende des russischen Käufers UES,
Alexander Dschubais, das strategische Interesse seines Konzerns
am georgischen Engagement herausgestellt. Über Georgien will
der russische Konzern die Märkte in der Türkei, in Syrien,
Jordanien und möglicherweise auch Isreal beliefern. Deshalb
ist UES an einer raschen Stabilisierung des georgischen Energiesystems
interessiert. Dschubais forderte die georgischen Politiker explizit
auf, den Vorgang nicht zu politisieren. Es habe sich ausschliesslich
um eine kommerzielle Transaktion gehandelt, wie sie zwischen internationalen
Geschäftspartnern üblich ist.
Das alles erscheint vernünftig und im Gegensatz zur Hystrie
des georgischen Wahlkampfes kann man auch zu einer anderen Bewertung
kommen: Ein global player hat an einen anderen übergeben,
in dessen Unternehemsstrategie der georgische Energiemarkt einfach
besser passt. Und in beiden Unternehmen hat das Wunderwort vom
shareholder value Vorrang vor allen anderen Überlegungen,
insbesondere politischen. Ob die russischen Energiemanager mit
dem Kauf von AES das Ziel verbinden, sich über kurz oder
lang die wenigen Filetstücke der georgischen Volkswirtschaft,
sofern es diese überhaupt gibt, unter den Nagel zu reissen,
hängt einzig und allein von den Georgiern selbst ab. Wenn
sie weiterhin dem süssen Gift erliegen, sich ihren Energiekonsum
vor allem über Lieferantenkredite finanzieren zu lassen,
dann müssen sie sich nicht wundern, wenn der Gläubiger
seine berechtigten Ansprüche irgendwann einmal mit den Vermögenswerten
des Schuldners verrechnet. Das ist eine Grunderegel der Marktwirtschaft,
die der amerikanische Botschafter in seinem einstündigen
TV-Interview auf die einfache Formel brachte: "Electricity
is a commodity, its like gasoline or cigarettes. You have to pay
for it. Someone has to pay for it."
Bewertet man den Vorgang vor dem Hintergrund des georgisch-russischen
Verhältnisses der letzten Jahre, eröffnet der Stromdeal
vor allem für Georgien neue Chancen im Umgang mit den beiden
Großmächten. Denn, wenn das Beispiel von UES und Dschubais
in Moskau Schule macht, dann hat man in Russland wohl endgültig
begriffen, dass man seine Interessen am Rande seines früheren
Reiches nicht mehr mit den militärischen Mitteln vergangener
Hegemonialpolitik definieren kann sondern viel wirkungsvoller
mit wirtschaftlichen Instrumenten, mit Investments und Kooperation.
Insoweit kann nach dem ersten bedeutenden russischen Investment
wohl eher der Ruf an Russland gelten: Welcome in the Club, willkommen
in der globalisierten Wirtschaftswelt. Fast genau vor einem Jahr
noch hat Wladimir Putin mit seiner Sotschi-Rede und einer möglichen
militärischen Intervention in Georgien das genaue Gegenteil
von dieser Politik aufgeführt, für die man ihn eigentlich
zu stehen glaubte. Es war, wie nüchterne Analytiker damals
schon vorhersahen, der letzte gross inszenierte Auftritt der russischen
Militär-Betonköpfe, die sich durch die eindeutige Reaktion
der internationalen Staatengemeinschaft eine heftige Abfuhr einhandelten.
Jetzt ist das russische Kapital auf dem Vormarsch.
Für Georgien könnte dies alles ein Stück Normalisierung
seiner Beziehungen mit dem russischen Nachbarn bedeuten. Denn
die Alternative Russland oder Amerika war wohl doch zu naiv, als
dass sich daraus eine langfristige Politik des kleinen Kaukasuslandes
hätte destilieren lassen. Der russische Markt, auch der Kapitalmarkt,
ist viel zu nahe an Georgien und viel zu attraktiv, als dass man
auf Dauer auf ihn verzichten könnte. Ein Großteil der
Millioneninvestitionen in den georgischen Weinbau der letzten
Jahre stammt aus Moskau. Die georgische Exportwirtschaft hat zunächst
einmal die traditionellen Märkte im russischen Riesenreich
und seinen früheren Vasallen zu bearbeiten. In einigen Bereichen
tut man dies ja mit durchaus beachtlichem Erfolg.
Amerika hat in den letzten Jahren erreicht, was es wollte: Es
hat seinen Fuss im Kaukasus, auch mit militärischer Präsenz,
es bekommt seine Ölpipeline vom Kaspischen Meer ans Mittelmeer.
Und in Moskau hat man ganz sicher verstanden, dass es sich kaum
lohnt, sich wegen kaukasischer Querelen globale Kooperationen
zu verbauen. Andererseits hat man in Amerika nach dem Irak-Abenteuer,
das ja wohl kaum als überstanden anzusehen ist, anscheinend
auch verstanden, dass man seine Rolle als Weltmacht Nr. eins nicht
überziehen kann. Insofern können aus dem Energiedeal,
der in seinem Ursprung ein rein kommerzieller war, doch einige
langfristige politische Überlegungen abgeleitet werden:
Georgien ist für die Großen der Welt auch heute das,
was es schon immer war, ein Durchgangsland für Waren und
Menschen. Insofern wird der Traum von der Wiederbelebung der alten
Seidenstrasse jetzt doch ein Stück Wirklichkeit. Statt Karawanen
mit Spezereien geht es in Zukunft eher um Pipelines und Stromleitungen.
Im Gegensatz zur Situation der letzten Jahrhunderte sind jetzt
aber zwei Wirtschaftsgiganten vor Ort, der aus dem Norden nd der
aus dem Westen. Manchmal stehen sie im Wettbewerb, manchmal stimmen
sie ihre Interessen auch hinter den Kulissen klammheimlich ab.
Es liegt allein an Georgien und der Weisheit seiner Wirtschaftspolitik,
was es aus dieser Situation macht. Es liegt allein an Georgien
und der Weisheit seiner Wirtschaftspolitik, was es aus dieser
Situation macht. Das russische Wirtschafts-Engagement in Georgien
bietet weitaus mehr Chancen als Gefahren, seinen angemessenen
Platz in der Weltwirtschaft zu finden.
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