Ausgabe 13/03
3. September
Kindergarten oder Staatstheater?
Noch keine Einigung zum Wahlrecht

Das große georgische Staatstheater um das neue Wahlrecht für die Parlamentswahlen am 2. November geht Akt um Akt, Szene um Szene unverdrossen weiter. Und noch ist keine Ende der dramaturgisch geschickt aufgebauten Spannung abzusehen. Zunächst schien eine grundsätzliche Einigung möglich, nachdem der amerikanische Präsident mit dem früheren Außenminister James Baker einen Sonderbotschafter zur Regelung dieser Frage in den Kaukasus geschickt hatte. Der Amerikaner hatte urplötzlich die Rolle des "deus ex machina" übernommen, ein klassischer part auf allen Sommerbühnen der Welt.

Der Auftritt dieses regierungsamtlichen Kindergärtners aus Washington in der georgischen Parlamentskrabbelstube endete, wie nicht anders zu erwarten, zunächst einmal mit einer Art Happy End, kennen sich Baker und Schewardnadse doch aus fernen Zeiten, als beide noch als Außenminister der damaligen Großmächte auf den ganz großen Bühnen dieser Welt agierten. Baker rang dem Georgier das Zugeständnis ab, sich auf allen Ebenen der Wahlkommissionen mit nur fünf Regierungsvertretern zufrieden zu geben und der Opposition neun Sitze zu überlassen. Diese teilte Baker mit je einem Sitz auf alle Parteien auf, die bei den letzten Kommunalwahlen erfolgreich waren: Arbeiterpartei, Nationale Bewegung, Vereinte Demokraten, Neue Rechte, Wiedergeburt, Industrialisten und Einheit. Einen weiteren Sitz sollten die Traditionalisten und die Anhänger des ehemaligen Präsidenten Gamsachurdia erhalten, womit das gesamte politische Spektrum in die Verantwortung für faire Wahlen eingebunden werden sollte. Keiner, so kann man wohl die Klugheit dieses Plans interpretieren, sollte nach den Wahlen die Chance haben, die anderen der Fälschung und des Betrugs zu bezichtigen. Als "Bakers Scorecard" machte diese Sitzverteilung die Runde, wobei der US-Diplomat, um den nächste vorprogrammierten dramaturgischen Höhepunkt des Schauspiels Knackpunkt gleich zu umgehen, vorschlug, dass der Vorsitzend aller Wahlkommissionen mit parteiunabhängigen Bürgern besetzt werden sollte, die von keiner geringeren Instanz als der OSZE auszuwählen seien. Vorschlagsrecht sollten der Präsident und die Opposition gemeinsam haben. Wer allerdings geglaubt hatte, das Sommertheater um das Wahlrecht sei mit diesem weisen Ratschluss des ehemaligen US-Außenministers zu Ende, sah sich kurze Zeit später getäuscht.

Die als Schiedsinstanz auserwählte OSZE, über Jahrzehnte erfahren in der Schlichtung großer politischer Krisen, ziert sich jedoch, sich in derart innergeorgische Händel einzumischen. Die OSZE könne bei der Abhaltung von demokratischen Wahlen assistieren, erklärte deren Generalsekretär Jan Kubis, der sich gerade auf einem Georgien-Aufenthalt befand. "Aber das sind georgische Wahlen und Georgien sollte die Verantwortung für die Wahlen übernehmen." Einen Kommentar zu dem Baker-Vorschlag lehnte der oberste OSZE-Funktionär ab, dessen Organisation als neutraler Wahl-Beobachter wohl erhebliche Schwierigkeiten bekommen könnte, sollte sie schon vorab in die Internas der georgischen Wahlvorbereitung eingebunden werden.

Auch auf georgischer Seite waren nicht alle Akteure mit der Rolle einverstanden, die ihnen der Gastspieler aus Amerika zugewiesen hatte. Zwar hatten die Regierung und die meisten Oppositionsparteien - insbesondere die Neue Rechte mit David Gamkrelidze, die Vereinten Demokraten mit Surab Schwania und die Nationale Beweung mit Michael Saakaschwili - bei einem Treffen mit dem Präsidenten am 8. Juli den US-Vorschlag akzeptiert, danach aber meldeten sich zwei der Oppositionsparteien mit nachträglichen Forderungen zu Wort. Die Industrialisten, bei der letzten Parlamentswahl als einzige wirkliche Oppositionspartei mit mehr als 7 % der Wählerstimmen erfolgreich, reklamierten aus dieser Position heraus zwei der neun Oppositionssitze für sich mit der zusätzlichen Begründung, dass es sich bei all den neuen Oppositionsparteien doch nur um Abspaltungen aus dem früheren Schewardnadse-Lager handele.

Die Wiedergeburtspartei des adscharischen Provinzfürsten Abaschidse fehlte bei dem All-Parteien-Friedensgipfel ebenso wie die Arbeiterpartei, deren Vorsitzender Schalwa Natelaschwili erklärte, dass das Treffen beim Präsidenten nur zeremoniellen Charakter habe und er selbst seine Reputation in der Bevölkerung verliere, wenn er sich auf solche Treffen mit dem Präsidenten einlasse. Den Vogel indes schoss die Wiedergeburtspartei von Aslan Abaschidse ab, indem sie alleine vier der neun Oppositionssitze in allen Wahlkommissionen forderte. Sollte diese Forderung nicht erfüllt werden, würde sich die Aghorzineba-Partei überlegen, ob sie überhaupt an den Wahlen teilnehmen werde. Ein solcher Schritt wäre gleichbedeutend mit einer de-facto Aussetzung der Parlamentswahlen in der autonomen Provinz Adscharien.

Eine Klärung des großen Durcheinander sollte eine Sondersitzung des Parlaments am 21. Juli bringen. Die Frage musste allerdings vertagt werden, da allzu viele Abgeordnete ihren Protest gegen den Baker-Plan dadurch zum Ausdruck brachten, dass sie der Parlamentssitzung einfach fernblieben. Das Parlament musste sich, wieder einmal, wegen Beschlussunfähigkeit vertagen. Vorläufig letzte Szene der unendlichen Geschichte um das neue georgische Wahlrecht: Gegenseitige Schuldzuweisung. Die neuen Oppositionsparteien, die "Bakers Scorecard" zustimmen, beschuldigen die Industrialisten und Wiedergeburt, sie würden mit der Regierung heimlich zusammen arbeiten, um das Wahlgesetz zu Fall zu bringen, während diese ihrerseits die neue Opposition der heimlichen Nähe zur Regierung bezichtigen, aus der sie ja hervorgegangen seien. The Show must go on. Und niemand weiß derzeit, welch bühnentechnischer Knalleffekt das stauende Publikum in den nächsten Tagen und Wochen erwartet. Wenn denn überhaupt noch jemand dem traurig-schaurigen Satyrspiel zuschaut.


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