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Ausgabe 12/03
13. August


Was haben Tbilissi und die norddeutsche Kleinstadt Steinhude gemeinsam? Beide Stadte liegen tief im Binnenland und konnen trotzdem ein Meer ihr eigen nennen. Das war nicht immer so, denn zumindest das "Tbilisser Meer" ist noch nicht allzu alt, es feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Denn im Jahr 1953 stauten die Georgier eine hoch uber der Stadt gelegene Senke mit drei Salzseen zu einem Wasserspeicher, dessen Gro?e die Tbilisser fortan von einem eigenen Meer sprechen liess, was sich mit Landschafts-Impressionen jederzeit belegen lasst.

Vor allem im Herbst, wenn die Kaukasus-Winde die Wasseroberflache aufpeitschen, kann man sich am Ufer des Tbilissi Meeres manchmal nur schwer vorstellen, da? man sich etwa 700 m uber dem Meeresspiegel befindet. Die nuchternen Zahlen rucken das Trugbild schnell zurecht: Lange: 8,75 km, Maximale Breite: 1,85 km, Flache: 11,6 qkm, maximale Tiefe: 45 m. Gespeist wird der See durch einen kunstlichen Zuflauf vom Fluss Iori, das Wasser fliesst in der Samgori-Bewasserungssystem oder in die Wasserversorgung von Tbilissi ab.

Die vielen Hotel- und Freizeitanlagen aus sozialistischer Zeit, die meist zerstort oder fur die Naherholung heute unbrauchbar sind, zeigen, dass der See durchaus auch zum Freizeitvergnugen der Tbilisser Gesellschaft genutzt wurde. Am vergangenen Samstag Nachmittag fuhren wir einmal rund um den See, um herauszufinden, welche Freizeitangebote heute den Tbilisser aus der Stadt zu seinem Meer locken sollen. Das Angebot an touristischer Infrastruktur ist durchaus uberschaubar.

Die erste Uberraschung bietet ausgerechnet der vor wenigen Jahren eroffnete "AQUA PARK TBILISI SEA", eine gro?zugige Hallen-Anlage mit mehreren Schwimmbecken, Sauna, Fitnessraum, Whirrlpools und einer gro?en Freiluftrutsche. Im vergangenen Jahr noch haben die Investoren damit geworben, man musse sich beeilen, um zu ihrem Wassertempel zu gelangen. Heute kann man es etwas ruhiger angehen, denn das Spass-Bad ist geschlossen, Teile der Anlage sind zerstort. Das Erdbeben habe dies verursacht, erklart uns der bewaffnete

Wachmann. Aber ein neuer Besitzer werden das Bad jetzt schnell renovieren und schon in zwei Monaten werde es wieder in altem Glanz erstrahlen. Das mit dem Erdbeben erscheint uns nur schwerlich nachvollziehbar, vielmehr schenken wir Geruchten Glauben, dass sich auslandische Investoren und georgische Partner uber die Fortfuhrung des Projektes zerstritten hatten - Alltag im Investment-Klima des Landes. Jetzt suchen die georgischen Partner wohl einen neuen Geldgeber, der das Vorzeigeprojekt der noch jungen Freizeitindustrie Georgiens wieder flott macht. Ob das allerdings in zwei Monaten und damit rechtzeitig zur Winterbadesaison gelingen wird, ist mehr als fraglich.

Nicht mehr flott zu machen sind die beiden alten Intourist-Hotels am See, sie sind, wie alle anderen Hotels im Lande, mit Fluchtlingen aus Abchasien belegt, die damit wenigstens einen Hauch dessen vor ihrem Fenster haben, was sie von zu Hause gewohnt waren, ein Meer. Im Winter durfte es am Binnenmeer von Tbilissi jedoch um einiges ungemutlicher sein als an der Kuste des subtropischen Paradieses Abchasiens. Die Wassertemperatur sinkt im Winter auf 3,7 Grad, am Rande des Binnenmeeres konnen sich schon einmal ein kleiner Eisrand bilden. Im Sommer heizt sich der See auf durchschnittlich 21,6 Grad auf, die hochste gemessene Wassertemperatur geben die Statistiker mit 26,2 Grad an.

Unterhalb der arg ladierten Aqua-Burg prasentiert sich stattdessen ein neues Angebot: Auf einer Pontoninsel, die nur mit einem kleinen Motorboot erreicht wird, konnen Sonnen-Hungrige sich auf Liegestuhlen ihrer Leidenschaft hingeben, verwohnt von kuhlen Drinks und Snacks aus der Bar selbstverstandlich. Sieben Lari kostet der Bootstransfer und damit der Eintritt auf die kunstliche Insel, auf der Insider unter sich sind und wohl auch sein wollen, sogar beim abkuhlenden Sprung in die Fluten des Tbilissi-Meeres den neugierigen Blicken der Allgemeinheit entruckt.

Die Masse der Wasserratten zieht es dagegen an den gro?en Kieselstrand am Tempka-Ufer. Nur 50 Tetri kostet der Parkplatz, ansonsten wird kein Eintritt erhoben. Die gastronomische Infrastruktur ist bescheiden, wohl der Kaufkraft der meisten Badegaste angepasst. Immerhin, hier entwickelt sich auf ein paar Hundert Metern Strand mittlerweile ein durchaus ansehnlicher Badebetrieb, ein schwacher Hauch von Lido, wobei es allerdings an

Liegestuhlen und anderen Strand-Bequemlichkeiten mangelt. Aber das durfte wohl auch etwas mit der Kaufkraft derer zu tun haben, die den Strand bevolkern. Wer sich mehr leisten kann, ist im August eh am Schwarzen Meer, aber fur die Daheimgebliebenen bietet das Binnen-Meer allemal genugend Moglichkeiten der Abkuhlung. Rund um den See haben wir ein gutes Dutzend Platze entdeckt, an denen sich Wasserfreunde tummelten.

Der Hauptteil der Aktivitaten spielt sich am Stadt-seitigen Ufer des Sees zwischen der Tempka-Auffahrt und der Auffahrt vom Bahnhof ab. Da gibt es neben dem alten Yachtclub, der durchaus belebt erscheint, zum Baden allerdings recht ungeeignet ist, der in diesem Jahr erst eingeweihte Daikiri-Club. Fur zehn Lari Eintritt kann man sich dort auf einer Ponton-Insel sonnen, die Gratis-Cola schlurfen und die ebenfalls kostenlosen Mais-Chips wegmummeln.

Auch hier sind die, die sich den Eintritt leisten wollen, unter sich. Essen und Trinken gibts in der Bar, deren Naturstein-Design samt Bepflanzung wirklich einen Hauch von Espagna vermittelt. Von hiern aus kann man auch den Wasserskifahrern zuschauen, die von eimem Motorboot aus dem kleinen Naturhafen auf die Weiten des Tbilissi Meeres geschleppt werden.



Wer sich nach dem Badespass noch etwas anderes fur Leib und Seele leisten will, dem sei das Restaurant "Pazcha" empfohlen, das in einem lauschigen Waldchen hoch uber dem See liegt. Nicht, dass es dort etwas Besonderes zu essen gabe, die Speisekarte ist so georgisch variantenreich wie die aller anderen Restaurants. Aber die 17 kleinen Hutten, alle unter schattenspendenden Baumem angelegt, vier Coupees und der gro?e Saal atmen allesamt noch viel vom Charme vergangener Zeiten.

Das Pazcha, das erkennt man schon an der allee-artigen Auffahrt, war eine Nomenklatur-Absteige, bevor sie von der randalierenden Soldateska der neunziger Jahre in Beschlag genommen wurde. Erst vor zwei Jahren wurde das Restaurant wieder eroffnet, deren Alleinunterhalterin Tiniko Madikian mit ihrem Amateur-Cassio-Piano und einer sehenswerten Verstarkeranlage eine Attraktion fur sich ist.

Das Pazcha, erfahren wir, soll zu Zeiten des Parteichefs Schewardnadse schon existiert haben, weshalb dort auch ein Coupee den Namen des Mannes tragt, der von hier aus die Welt der Diplomatie eroberte und dann zuruck kam, um sein Land vor eben jenen wutenden Freischarlern zu retten, die sich zu Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts hier breit gemacht hatten: das Schewardnadse-Coupee.

Kurz vro dem Pazcha machen wir noch Halt im Restaurant "Iori", das vor der politischen Zeitenwende ebenfalls beliebt und bekannt war. Im gro?en Speisesaal hangen die kunstvoll gewundenen Vorhange noch an den Fenstern, als sei die letzten Gaste gestern erst nach einer gro?en georgischen Tafel gegangen. Auf den ansonsten leeren Tischen fallen zwei gro?e Glasflaschen frischen kachetischen Weines auf, was mit der Tristesse der Umgebung kaum in Ubereinstimmung zu bringen ist. Die Erklarung finden wir auf der von gro?en Baumen in schonen Schatten gehullten Terrasse: Sechs Manner sitzen an einem Tisch und verzehren ein Zicklein, das sie kurz zuvor geschlachtet hatten. Es sind der fruhere Verwalter des Restaurants, der sich, anscheinend arbeitslos, noch immer nicht von seiner ehemaligen Wirkungsstatte trennen kann und ein paar Freunde. Sie wenigstens sorgen hie und da auf der zu besseren Zeiten sicher einmal als besonders nobel geltenden Terrasse fur nostalgische Trinkspruche: "Sakartvelos gaumardschoss" mussen wir selbstredend einstimmen und unser Foto von der lustigen Mannerrunde mit ein paar Happen Ziegenfleisch und den obligatorischen drei Trinkspruchen verdienen.

Wie der nagelneue Aquapark, der bereits heruntergekommen ist, wartet auch das Iori auf einen Investor, der den alten Schuppen wieder flott machen soll. Ob die Architektur, die ihre sozialistische Herkunft kaum verleugnen kann, allerdings das richtige Ambiente fur ein Wiedererwecken der Naherholungsgastronomie am Tbilisser Meer herstellen kann, bleibt fraglich. Der Platz aber, auf dem das Einheits-Restaurant fruherer Zeiten steht, ist einmalig: Eine schattige Terrasse mit Meerblick. Wo kriegt man das schon geboten, ein paar Hundert Kilometer Luftlinie vom richtigen Meer entfernt?


































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