Was haben Tbilissi und die norddeutsche Kleinstadt Steinhude gemeinsam?
Beide Stadte liegen tief im Binnenland und konnen trotzdem ein Meer
ihr eigen nennen. Das war nicht immer so, denn zumindest das "Tbilisser
Meer" ist noch nicht allzu alt, es feiert in diesem Jahr seinen
50. Geburtstag. Denn im Jahr 1953 stauten die Georgier eine hoch
uber der Stadt gelegene Senke mit drei Salzseen zu einem Wasserspeicher,
dessen Gro?e die Tbilisser fortan von einem eigenen Meer sprechen
liess, was sich mit Landschafts-Impressionen jederzeit belegen lasst.
Vor allem im Herbst, wenn die Kaukasus-Winde die Wasseroberflache
aufpeitschen, kann man sich am Ufer des Tbilissi Meeres manchmal
nur schwer vorstellen, da? man sich etwa 700 m uber dem Meeresspiegel
befindet. Die nuchternen Zahlen rucken das Trugbild schnell zurecht:
Lange: 8,75 km, Maximale Breite: 1,85 km, Flache: 11,6 qkm, maximale
Tiefe: 45 m. Gespeist wird der See durch einen kunstlichen Zuflauf
vom Fluss Iori, das Wasser fliesst in der Samgori-Bewasserungssystem
oder in die Wasserversorgung von Tbilissi ab.
Die vielen Hotel- und Freizeitanlagen aus sozialistischer Zeit,
die meist zerstort oder fur die Naherholung heute unbrauchbar
sind, zeigen, dass der See durchaus auch zum Freizeitvergnugen
der Tbilisser Gesellschaft genutzt wurde. Am vergangenen Samstag
Nachmittag fuhren wir einmal rund um den See, um herauszufinden,
welche Freizeitangebote heute den Tbilisser aus der Stadt zu seinem
Meer locken sollen. Das Angebot an touristischer Infrastruktur
ist durchaus uberschaubar.
Die erste Uberraschung bietet ausgerechnet der vor wenigen Jahren
eroffnete "AQUA PARK TBILISI SEA", eine gro?zugige Hallen-Anlage
mit mehreren Schwimmbecken, Sauna, Fitnessraum, Whirrlpools und
einer gro?en Freiluftrutsche. Im vergangenen Jahr noch haben die
Investoren damit geworben, man musse sich beeilen, um zu ihrem
Wassertempel zu gelangen. Heute kann man es etwas ruhiger angehen,
denn das Spass-Bad ist geschlossen, Teile der Anlage sind zerstort.
Das Erdbeben habe dies verursacht, erklart uns der bewaffnete
Wachmann. Aber ein neuer Besitzer werden das Bad jetzt schnell
renovieren und schon in zwei Monaten werde es wieder in altem
Glanz erstrahlen. Das mit dem Erdbeben erscheint uns nur schwerlich
nachvollziehbar, vielmehr schenken wir Geruchten Glauben, dass
sich auslandische Investoren und georgische Partner uber die Fortfuhrung
des Projektes zerstritten hatten - Alltag im Investment-Klima
des Landes. Jetzt suchen die georgischen Partner wohl einen neuen
Geldgeber, der das Vorzeigeprojekt der noch jungen Freizeitindustrie
Georgiens wieder flott macht. Ob das allerdings in zwei Monaten
und damit rechtzeitig zur Winterbadesaison gelingen wird, ist
mehr als fraglich.
Nicht mehr flott zu machen sind die beiden alten Intourist-Hotels
am See, sie sind, wie alle anderen Hotels im Lande, mit Fluchtlingen
aus Abchasien belegt, die damit wenigstens einen Hauch dessen
vor ihrem Fenster haben, was sie von zu Hause gewohnt waren, ein
Meer. Im Winter durfte es am Binnenmeer von Tbilissi jedoch um
einiges ungemutlicher sein als an der Kuste des subtropischen
Paradieses Abchasiens. Die Wassertemperatur sinkt im Winter auf
3,7 Grad, am Rande des Binnenmeeres konnen sich schon einmal ein
kleiner Eisrand bilden. Im Sommer heizt sich der See auf durchschnittlich
21,6 Grad auf, die hochste gemessene Wassertemperatur geben die
Statistiker mit 26,2 Grad an.
Unterhalb der arg ladierten Aqua-Burg prasentiert sich stattdessen
ein neues Angebot: Auf einer Pontoninsel, die nur mit einem kleinen
Motorboot erreicht wird, konnen Sonnen-Hungrige sich auf Liegestuhlen
ihrer Leidenschaft hingeben, verwohnt von kuhlen Drinks und Snacks
aus der Bar selbstverstandlich. Sieben Lari kostet der Bootstransfer
und damit der Eintritt auf die kunstliche Insel, auf der Insider
unter sich sind und wohl auch sein wollen, sogar beim abkuhlenden
Sprung in die Fluten des Tbilissi-Meeres den neugierigen Blicken
der Allgemeinheit entruckt.
Die Masse der Wasserratten zieht es dagegen an den gro?en Kieselstrand
am Tempka-Ufer. Nur 50 Tetri kostet der Parkplatz, ansonsten wird
kein Eintritt erhoben. Die gastronomische Infrastruktur ist bescheiden,
wohl der Kaufkraft der meisten Badegaste angepasst. Immerhin,
hier entwickelt sich auf ein paar Hundert Metern Strand mittlerweile
ein durchaus ansehnlicher Badebetrieb, ein schwacher Hauch von
Lido, wobei es allerdings an
Liegestuhlen und anderen Strand-Bequemlichkeiten mangelt. Aber
das durfte wohl auch etwas mit der Kaufkraft derer zu tun haben,
die den Strand bevolkern. Wer sich mehr leisten kann, ist im August
eh am Schwarzen Meer, aber fur die Daheimgebliebenen bietet das
Binnen-Meer allemal genugend Moglichkeiten der Abkuhlung. Rund
um den See haben wir ein gutes Dutzend Platze entdeckt, an denen
sich Wasserfreunde tummelten.
Der Hauptteil der Aktivitaten spielt sich am Stadt-seitigen Ufer
des Sees zwischen der Tempka-Auffahrt und der Auffahrt vom Bahnhof
ab. Da gibt es neben dem alten Yachtclub, der durchaus belebt
erscheint, zum Baden allerdings recht ungeeignet ist, der in diesem
Jahr erst eingeweihte Daikiri-Club. Fur zehn Lari Eintritt kann
man sich dort auf einer Ponton-Insel sonnen, die Gratis-Cola schlurfen
und die ebenfalls kostenlosen Mais-Chips wegmummeln.
Auch hier sind die, die sich den Eintritt leisten wollen, unter
sich. Essen und Trinken gibts in der Bar, deren Naturstein-Design
samt Bepflanzung wirklich einen Hauch von Espagna vermittelt.
Von hiern aus kann man auch den Wasserskifahrern zuschauen, die
von eimem Motorboot aus dem kleinen Naturhafen auf die Weiten
des Tbilissi Meeres geschleppt werden.
Wer sich nach dem Badespass noch etwas anderes fur Leib und Seele
leisten will, dem sei das Restaurant "Pazcha" empfohlen,
das in einem lauschigen Waldchen hoch uber dem See liegt. Nicht,
dass es dort etwas Besonderes zu essen gabe, die Speisekarte ist
so georgisch variantenreich wie die aller anderen Restaurants.
Aber die 17 kleinen Hutten, alle unter schattenspendenden Baumem
angelegt, vier Coupees und der gro?e Saal atmen allesamt noch
viel vom Charme vergangener Zeiten.
Das Pazcha, das erkennt man schon an der allee-artigen Auffahrt,
war eine Nomenklatur-Absteige, bevor sie von der randalierenden
Soldateska der neunziger Jahre in Beschlag genommen wurde. Erst
vor zwei Jahren wurde das Restaurant wieder eroffnet, deren Alleinunterhalterin
Tiniko Madikian mit ihrem Amateur-Cassio-Piano und einer sehenswerten
Verstarkeranlage eine Attraktion fur sich ist.
Das Pazcha, erfahren wir, soll zu Zeiten des Parteichefs Schewardnadse
schon existiert haben, weshalb dort auch ein Coupee den Namen
des Mannes tragt, der von hier aus die Welt der Diplomatie eroberte
und dann zuruck kam, um sein Land vor eben jenen wutenden Freischarlern
zu retten, die sich zu Beginn der neunziger Jahre des letzten
Jahrhunderts hier breit gemacht hatten: das Schewardnadse-Coupee.
Kurz vro dem Pazcha machen wir noch Halt im Restaurant "Iori",
das vor der politischen Zeitenwende ebenfalls beliebt und bekannt
war. Im gro?en Speisesaal hangen die kunstvoll gewundenen Vorhange
noch an den Fenstern, als sei die letzten Gaste gestern erst nach
einer gro?en georgischen Tafel gegangen. Auf den ansonsten leeren
Tischen fallen zwei gro?e Glasflaschen frischen kachetischen Weines
auf, was mit der Tristesse der Umgebung kaum in Ubereinstimmung
zu bringen ist. Die Erklarung finden wir auf der von gro?en Baumen
in schonen Schatten gehullten Terrasse: Sechs Manner sitzen an
einem Tisch und verzehren ein Zicklein, das sie kurz zuvor geschlachtet
hatten. Es sind der fruhere Verwalter des Restaurants, der sich,
anscheinend arbeitslos, noch immer nicht von seiner ehemaligen
Wirkungsstatte trennen kann und ein paar Freunde. Sie wenigstens
sorgen hie und da auf der zu besseren Zeiten sicher einmal als
besonders nobel geltenden Terrasse fur nostalgische Trinkspruche:
"Sakartvelos gaumardschoss" mussen wir selbstredend
einstimmen und unser Foto von der lustigen Mannerrunde mit ein
paar Happen Ziegenfleisch und den obligatorischen drei Trinkspruchen
verdienen.
Wie der nagelneue Aquapark, der bereits heruntergekommen ist,
wartet auch das Iori auf einen Investor, der den alten Schuppen
wieder flott machen soll. Ob die Architektur, die ihre sozialistische
Herkunft kaum verleugnen kann, allerdings das richtige Ambiente
fur ein Wiedererwecken der Naherholungsgastronomie am Tbilisser
Meer herstellen kann, bleibt fraglich. Der Platz aber, auf dem
das Einheits-Restaurant fruherer Zeiten steht, ist einmalig: Eine
schattige Terrasse mit Meerblick. Wo kriegt man das schon geboten,
ein paar Hundert Kilometer Luftlinie vom richtigen Meer entfernt?
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