Obwohl genügend Exil-Georgier in Deutschland leben, gibt es
kaum eine nennenswerte georgische Gastronomie in der Bundesrepublik.
Das liegt zum einen an der georgischen Küche, die ihren Reiz
sowohl aus dem traditionellen Ritual eines georgischen Gastmahls
als auch aus der Vielfalt der auf dem Tisch aufgefahrenen Speisen
bezieht. Das liegt zum anderen aber auch daran, dass es kaum einem
Georgier bisher gelungen ist, georgische Speisen an europäische
Essgewohnheiten, vor allem den Essgewohnheiten in Restaurants, anzupassen.
Dazu bedarf es nämlich eines gewissen Einfühlungsvermögens
und es bedarf der Einsicht, dass georgische Speisen außerhalb
ihres Ursprungslandes einfach ein wenig anders präsentiert
werden müssen als zu Hause, will man die Menschen das Gastgeberländer
als Stammkunden gewinnen und nicht nur die eigenen Landsleute.
Bei dem einen oder anderen Versuch, Georgien in Deutschland kulinarisch
zu etablieren, waren diese Einsichten mehr oder weniger unterentwickelt.
Jetzt gibt es ein georgisches Restaurant in Berlin, in dem ganz
offensichtlich versucht wird, aus den Fehlern anderer zu lernen
und sich dem kulinarischen Umfeld anzupassen, mit einiger Aussicht
auf Erfolg, wie der Testbesuch von www.georgien-news.de ergab.
Das Restaurant ist erst seit einigen Monaten eröffnet, es
liegt in der Windscheidstraße, einer Nebenstraße der
Kantstraße im Stadtteil Charlottenburg. Das ist eine durchaus
gute Adresse in Berlin, eine Adresse auch, auf der man sich gegen
allerhand Wettbewerb behaupten muss.
"GENAZVALE" heißt das Restaurant, was man auf
deutsch vielleicht mit "Zum gutem Kumpel" übersetzen
könnte. Jedenfalls haben wir die Erklärung des Wortes
Genazvale durch den Inhaber so verstanden. Goga Kuraschwili heißt
er, kommt aus Tbilissi und lebt seit 1990 in Deutschland. Aus
privaten Gründen ist er damals in die Bundesrepublik gekommen,
nicht, wie viele seiner Generation, aus politischen Erwägungen.
Der frühere Rugby-Profi hat Betriebswirtschaft studiert und
einige Jahre Erfahrung in der Gastronomie in Deutschland gesammelt,
bis er jetzt das "GENAZVALE" eröffnete.
Trotz aller Versuche, mit ein paar folkloristischen Dekorationen
etwas georgisches Flair in die Kneipe zu zaubern, kann man in
dem Restaurant nicht übersehen, dass es vor seiner Entdeckung
durch den Kaukasus einmal einer anderen Nation zum kulinarischen
Auftritt diente: Italien. Aber Goga Kuraschwili hat gut daran
getan, den Charakter des Restaurants zu belassen. Wenn ein Original
unmöglich ist, sind kleine Andeutungen - ein paar Pirosmani-Kopien
und hie und da ein kaukasisches Zupfinstrument - zusammen mit
einer Galerie georgischer Weine völlig hinreichend. Mehr
wirkt da schnell peinlich. Wichtig ist ohnehin, was auf den Tisch
kommt. Und da hat sich Goga Kuraschwili einen durchaus erfolgversprechenden
Trick einfallen lassen.
Denn eine Speisekarte, mit der sich ein deutscher Gast der Vielfalt
der georgischen Vorspeisen, die er kaum kennen kann, hilflos ausgeliefert
fühlt, ist bei einigen anderen Versuchen, georgische Küche
in Deutschland einzuführen, fehl geschlagen. Wenn der Kunde
bei der Bedienung erst einmal einen halbstündigen Nachhilfekurs
in Speisen und ihren Zutaten belegen muss, bevor er sich auszuwählen
traut, ist es mit der Bereitschaft, sich auf eine kulinarische
Entdeckungsreise zu begeben, schnell vorbei. Außerdem ist
die Tradition der georgischen Vorspeisen, die gleich serienweise
auf den Tisch kommen, kaum zu vereinbaren mit einer europäischen
Speisekarte, auf der alles seinen eigenen Preis haben muss. Da
würde die Vielfalt der Vorspeisen eher abschrecken als animieren.
So bietet das GENAZVALE ganz einfach nur fünf Hauptgerichte
an, zu denen es aber gleich eine ganze Reihe von Vorspeisen gibt.
"Der Vorspeisenknüller vom Schwarzen Meer" betitelte
eine Berliner Restaurant-Kritik daher das erste georgische Restaurant
in der deutschen Hauptstadt. Alle zwei Wochen, so Goga Kuraschwili,
wird diese Speisekarte geändert. Wer also in diesem Rhythmus
das GENAZVALE besucht, wird sich immer nur bemühen müssen,
eine Hauptspeise auszuwählen, den Rest erledigt Goga`s Team.
Wenn man da in einer kleinen Gruppe kommt und für jeden eine
andere Hauptspeise auswählt, hat man ganz schnell einen kulinarischen
Streifzug durch die georgische Küche beisammen, bei dem alles
passt. Man muss nur bereit sein, sich auf etwas Neues einzulassen.
Für rund 25 € ohne Getränke (sieben Vorspeisen,
ein Hauptgericht und jede Menge Brot) ist das auch finanziell
durchaus verantwortbar.
Denn die Vorspeisen-Tournee im GENAZVALE ist wirklich ein Hammer,
vor allem, was die Qualität angeht. Um es vorweg zu nehmen:
Bis heute habe ich kein Restaurant in Georgien und andernorts
gefunden, in dem sich die oftmals doch recht rustikale und wenig
raffinierte georgische Küche derart europäisch präsentiert.
Das ist selbstredend noch weit entfernt von der Raffinesse der
französischen oder italienischen Küche und deren Leichtigkeit.
Und natürlich kann man nachvollziehen, wenn jemand Lobio,
dem Eintopf aus roten Bohnen mit viel grünem Koriander und
Sulguni-Käse, wie er im georgischen Lobio-Mekka Mzcheta serviert
wird, nicht allzu viel abgewinnen kann, was übrigens kaum
ein Georgier so richtig verstehen mag. Aber vor einer vorschnellen
Verurteilung dieses Gerichtes als "tumbem Bauernfutter"
sollte man Gogas Lobio probiert haben: Da wird aus dem einfältigen
Bohnentopf ein pikant und raffiniert gewürztes Ragout, das
es mit vielen Gerichten der europäischen Küche aufnehmen
kann. Alle Achtung.
Bleiben wir aber noch einen Moment beim Neuen, mit dem man sich
im GENAZVALE einfach anfreunden muss, weil man keine andere Wahl
hat: Weine werden nicht im Glas serviert sondern in flachen und
bunt emaillierten Tonschalen. Für einen erfahrenen georgischen
Gastmahl-Freund, ist das keine große Überraschung,
denn kaum eine Tafel vergeht, bei der der Tamada nicht zu einem
Sondertoast mit Tonschalen aufrufen würde. An diese Tradition
in einem Restaurant in Deutschland anzuknüpfen, ist sicher
etwas gewagt und mag sich vielleicht mit der durchschnittlichen
Qualität der bisher in Deutschland angebotenen georgischen
Weine rechtfertigen lassen. Da war folkloristische Originalität
durchaus angesagt, um eine Alleinstellung der Weine zu rechtfertigen.
Je besser aber die georgischen Roten werden und je teurer auch,
desto mehr werden europäische Kunden ein schönes, großes
Rotweinglas vermissen, in dem ein wirklich guter Wein auch seine
Talente voll zur Entfaltung bringen kann. Mittlerweile ist der
georgische Weinbau in der Lage, solche Weine herzustellen und
auch in Deutschland anzubieten.
Zurück zum Menu. Bei unserem Testessen haben wir vier Hauptspeisen
gewählt, die allesamt ohne jede Beanstandung waren: Mzwadi,
ein wirklich fein gewürztes und super-zart gegrilltes Schweinefleisch,
so zart gegrillt, wie ich es in Georgien in 13 Jahren noch nicht
vorgesetzt bekam; Schmkeruli, gegrilltes Hähnchen in einer
herzhaften Knoblauchsauce; Tschanachi, ein aromatischer Lammauflauf
mit Auberginen, Tomaten und Kartoffeln und schließlich Chatschapuri
"Adjaruli", eine Art feiner Käselasagne. Auf das
ebenfalls angebotene Adschapsandali, einen vegetarischen Auflauf
aus Auberginen, Tomaten und Kartoffel, haben wir verzichtet, mit
der Gemüse-Komponente im Lammauflauf haben wir dieses Gerichtes
sozusagen zusätzlich kosten können. Noch einmal: Wer
nach der Tournee durch die Vorspeisen beim Hauptgang noch Einsatz
zeigte, konnte sich über keine der angebotenen Speisen wirklich
beklagen. Das war georgische Küche vom Feinsten.
Jetzt endlich die Vorspeisen: Pchali aus Spinat und Auberginen
gab es und Sulguni, der irgendwo in Brandenburg hergestellt wird
und allerdings nicht ganz dem entsprach, was man in Tbilissi an
Qualität und Frische finden kann. Dann in Essig und Robe-Bete-Saft
eingelegtes Weißkraut und jede Mende an frischem Grünzeug,
so wie auf jeder georgischen Tafel. Dazu hatten wir einen Tomaten-Gurken-Salat
geordert mit einem pikanten Dressing, bei dem weder Koriander
noch Walnüsse zu dominierend waren. Die Chatschapauri und
Lobio waren ausgezeichnet, vor allem der mit Bohnen gefüllte
Brotfladen war von einer pikanten Würze, die viele eher trostlose
Erfahrungen in der Heimat dieser einfältigen Fastenspeise
vergessen machte. Dasselbe, wie bereits gesagt, gilt auch für
den Bohneneintopf im Tonkrug. Dazu gab es eine Kalbfleischsuppe,
Chartscho, und die unvermeidlichen und ebenfalls überdurchschnittlich
guten Chinkali. Von der Nachspeise, Pelamuschi, einem mit Stärkemehl
eingedickten Traubensaft, haben wir ebenso abgesehen wie die Berliner
Test-Kollegen vor uns, die sich über eine andere Zusammenstellung
der Vorspeisenpalette ebenso positiv äußerten wie wir.
Noch einmal: Wer die Leichtigkeit der italienischen Küche
erwartet, die Raffinesse der französischen oder die Vielfalt
der asiatischen, der sollte seine Erwartungen nicht allzu hoch
schrauben, wenn er das GENAZVALE betritt. Wer aber bereit ist,
sich aber auf eine kulinarische Entdeckungsreise zu begeben, der
ist im ersten georgischen Restaurant in Berlin ebenso gut aufgehoben
wie der, der all diese Gerichte aus Georgien kennt. In Tbilissi
wäre Goga Kuraschwili mit seiner Form der georgischen Küche
ohne jeden Zweifel mein einheimisches Lieblingsrestaurant, was
nicht zuletzt auch am effektiven und kompetenten Service liegt,
den wir an unserem Testabend erlebten.
Einziger Nachteil im Vergleich mit den In-Restaurants in Tbilissi:
Das Fladenbrot ist zwar frisch gebacken, aber ein deutscher Backofen
kann nicht annähernd den traditionellen georgischen Tonkrug
mit Holzkohlenfeuerung ersetzen, mit dem sich mittlerweile die
meisten Event-Restaurants der georgischen Hauptstadt schmücken.
Einen solchen Ofen hat das deutsche Gewerbeaufsichtsamt dem GENAZVALE
untersagt. Schade, man müsste den Herrschaften einmal frisches
Detas Puri vorführen. Sie würden ihre Paragraphen sofort
ändern.
Adresse:
Restaurant GENAZVALE
Georgische Spezialitäten
Windscheidstraße 14
10627 Berlin
Telefon: 030/45086026
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