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Ausgabe 12/03
23. Juli


Diese Geschichte erzählt man sich in der Freiburger Fußballwelt nach wie vor mit großem Genuss: Als Jungprofi Tobias Willi in der Spielzeit 1999/2000 im Schwarzwald erstmals richtig in Erscheinung trat, wurde er von einem unkundigen Reporter als einer aus der Georgien-Connection gehandelt und kurzerhand als Tobiaschwili verkauft. Dabei spielt der Sohn eines früheren SC-Profis schon seit der C-Jugend bei den Breisgauern. Aber der SC Freiburg, die Multikultimannschaft der deutschen Profiszene schlechthin, galt (und gilt) eben als das Zentrum der georgischen Legionäre in Deutschland. In der Spitze hatte man zeitweise fünf Georgier im Kader, drei "Schwilis" und zwei "Adses". Jetzt, zum Wiederaufstieg in das Fußballoberhaus, sind`s nur noch zwei: Lewan Tskitischwili, der Mittelfeldspieler, und Alexander Iaschwili, der Dribbelkönig. Lewan Kobiaschwili hatte den SC im vergangenen Jahr zwar zum sofortigen Wiederaufstieg geführt, den Verein dann aber doch verlassen. Er spielt jetzt bei Schalke 04 und hofft darauf, sich bald in einem internationalen Wettbewerb, am besten Champions-League, präsentieren zu können.

Die Geschichte der georgischen Fußballer im Schwarzwald hat viel mit Volker Finke zu tun, dem Freiburger Langzeit-Trainer, ohne den der SC nicht annähernd das wäre, was er heute ist. Als der frühere Gymnasiallehrer, der jetzt seit 13 Jahren den SC-Freiburg betreut, vor etwa sechs Jahren eine neue Mannschaft aufbauen musste, ließ er sich Länderspiele der sogenannten kleinen Fußballnationen per Video vorführen: Talentsuche mit System. Dabei fiel ihm im Spiel Georgien gegen Italien ein überragender Lewan Kobiaschwili auf. Finke wollte den Spieler unbedingt haben, was damals allerdings nicht ganz so einfach war. Denn im russischen Wladikawkas lockten Dollar-Beträge unbekannter Herkunft, mit denen der für seine solide Wirtschaftsweise bekannte badische Proficlub nicht mithalten konnte. Kobiaschwilis Manager schickten ihren Jungstar durchaus auch aus eigenem Interesse zunächst einmal in den Nordkaukasus. Erst als er dort wegen einer schweren Leistenverletzung zum Dauerpatienten zu werden drohte, erinnerten sich die Hintermänner Kobiaschwilis wieder an den deutschen Interessenten. Dieser musste den mit Medikamenten voll gepumpten Kicker erst einmal chiropraktisch behandeln lassen - mit weitaus besserem Erfolg als die Chemie-Methoden der russischen Sportärzte -, bevor er ihn dann endgültig verpflichten konnte.

Kobiaschwili dankte den Freiburgern diese und andere menschliche Hilfestellungen mit 164 Pflichtspielen in sechs Jahren und schlug während dieser Zeit sogar ein mehr als ehrenhaftes Angebot des FC Bayern München aus. Damals hatte er mit dem SC gerade den UEFA-Cup erreicht und ließ sich daher leicht dazu überreden, im Badischen zu bleiben. Als nach dem erneuten Abstieg der Freiburger in die zweite Liga ernsthafte Angebote großer deutscher Clubs ausblieben, liebäugelte der Mittelfeld-Stratege zum Jahreswechsel 2002/2003 mit einer dollarschweren Offerte von ZSKA Moskau. Volker Finke erbat sich von seinem Schützling 48 Stunden Zeit, organisierte selbst einen Eil-Kontakt zum FC Schalke 04 und nach kurzer Verhandlungen waren sich Spieler und die beteiligten Vereine handelseinig: Lewan wechselt zur Saison 2003/04 in den Westen, bleibt somit der Bundesliga erhalten, und der SC hatte zumindest für die Rückrunde der Zweitliga, in der der Wiederaufstieg perfekt zu machen war, seinen wichtigsten Spieler gehalten. "Solch ein Vereinswechsel ist eine selten schöne Sache in diesem Geschäft" sagt Volker Finke heute, der weiß, dass er Spieler mit Potenzial zur ganz großen Karriere nur über eine gewisse Zeit an der Dreisam halten kann. "Ich kann doch keinem jungen Menschen im Wege stehen." Aber wenn einer schon gehen muss, dann soll es für seinen Schützling ein Fortschritt sein, nicht nur für ihn, auch für seine Familie. "Stellen Sie sich mal vor, der würde als Kaukasier in diesen Zeiten in Moskau spielen müssen und dort mit seiner Familie wohnen. Das ginge doch überhaupt nicht ohne Bodyguards. Das kann man doch der Familie nicht zumuten." Dabei schlug der FC im Fall Kobiaschwili sogar eine anständige Ablösesumme aus, die die russischen Finanziers von ZSKA angeboten hatten. Jeder andere Profiverein hätte dankend zugegriffen und den Mann ziehen lassen.

Die Familien. Volker Finke schätzt an seinen Kaukasiern vor allem den Kontakt mit den Familien. Kluge junge Frauen hätten seine Georgier, das erleichtert den Umgang mit den Spielern, da deren Frauen recht schnell und gut deutsch gelernt hätten. Vieles kann der Verein direkt mit den Spielerfrauen besprechen, wobei Finkes Frau, eine TV-Journalistin mit Georgien-Grundkenntnissen, intensive freundschaftliche Kontakte zu den Kicker-Familien unterhält. Mehrfach war der Trainer selbst in Georgien und kennt die Elternhäuser seiner Spieler: "Alles Top-Familien mit Erziehung und Bildung". Zum Beispiel die Familie Iaschwili, angesehene Ärzte aus Tbilissi. Mutter Iaschwili war bereits mehrfach zu Medizin-Kongressen in Freiburg, der junge Alexander hatte neben seiner Fußballausbildung in Tbilissi gar ein paar Semester Medizin studiert. "Das sind Fußballer, die man im Hotel bei Auswärtsspielen schon mal hinter einem Buch findet." Eine Seltenheit im Fußballgewerbe, erklärt uns Volker Finke, das Niveau bestsellernder Buchautoren unter Alt-Kickern bewusst mit der gehörigen Verachtung übergehend.

Alexander Iaschwili war dem Fußballlehrer auf Talentsuche bei einem Spiel des VfB Lübeck aufgefallen. "Wie heißt denn der junge Bengel, der da bei Euch im Sturm war?" telefonierte er tags darauf in den Norden, wo Iaschwili gerade mal auf Leihbasis spielte. Kaum einer kannte ihn wirklich. Der Kontakt war schnell hergestellt und Alexander wechselte im Oktober 1997 noch während der Saison von der Kura, wo er nach seinem Lübeck-Gastspiel wieder kickte, an die Dreisam. 138 mal trug der Dribbelkünstler bis heute das Trikot der Freiburger und jetzt, nach dem Wiederaufstieg in die 1. Bundesliga, zählt er zu einer der Stützen der jungen Mannschaft. Iaschwili kam in den Breisgau noch vor Lewan Kobiaschwili, der damit gleich einen Landsmann in der SC-Mannschaft vorfand. Jetzt, beim FC Schalke 04, spielt er zum ersten Mal in einem Team ohne georgischen Freund, was ihm nach eigener Aussage nicht gerade leicht fällt: "Aber ich bin nun seit mehr als zehn Jahren Profi und dadurch erwachsen genug, schwierige Situationen zu meistern. Mit 21 hätte ich vielleicht Probleme damit gehabt, jetzt aber nicht mehr."

So sind`s beim SC "Dynamo" vom Dreisamtal nur noch zwei Georgier, nachdem Zaza Zamataradse und Giorgi Kiknadse nicht wirklich haben Fuß fassen können. Ersterer brachte es immerhin zu Einsätzen im Oberligateam des SC, während letzterer die großen Hoffnungen, die Finke in ihn gesetzt hatte, aus gesundheitlichen Gründen nicht erfüllen konnte. "Kiknadse war eigentlich von der Papierform her der erfahrenste und beste Georgier, den wir verpflichteten." Aber schon sechs Wochen nach Vertragsabschluss mit den Badenern wurde der Mann schwer krank, eine Bandscheibengeschichte kam später dazu, sodass der SC statt eines bundesligatauglichen Profis einen Dauerpatienten in seinen Reihen hatte. Die menschlich faire Art, wie der SC ihn und Zamtaradse, der sportlich den Anschluss nicht schaffte, in schwierigen Zeiten unterstützte, hätten auch die anderen Georgier dem Verein nie vergessen, erzählt uns Volker Finke, ohne dabei aufdringlich zu wirken. Das haben er und der SC Freiburg nicht nötig, sie stehen im Alltag des rauen Showbusiness Fußball für einen Rest an Wertvorstellungen, den man andernorts vergeblich sucht.

In einem Interview mit dem Spiegel von dieser Woche erläuterte Finke denn auch einen wesentlichen Teil der Philosophie des SC Freiburg: "Zu viel Werbung und zu viel Medienpräsenz stören die Entwicklungsmöglichkeiten eines Spielers genauso wie ein Wechsel zum falschen Verein. Wichtig ist, wo er mit 25 und 28 Jahren steht, da kann er zwei große Verträge machen". Dass dies nicht nur so dahergesagt ist, bekommen wir auch zu spüren: Unseren Wunsch, die beiden Georgier, die bei unserem Besuch kein Balltraining hatten und nur einen Fahrradtour in die Schwarzwaldberge unternahmen, wenigstens im Entmüdungsbecken und bei der Massage fotografieren zu können, hat Volker Finke mit klarer Bestimmtheit abgelehnt, weshalb wir diese Geschichte nicht ganz so üppig bebildern können wie wir dies gerne möchten. Halbnackte Kicker oder Homestories mit idyllischen Klischees von Frau und Kindern sind beim SC Freiburg verpönt. Die Idylle des Schwarzwaldes beugt der Gefahr von Medienauswüchsen wie die um Oliver Kahn und dessen Privatleben anscheinend wirksam vor. Und das ist es wohl auch, was die Georgier, ohnehin kaum lebensfähig ohne ihre familiäres Umfeld, an Freiburg schätzen.

Das erscheint durchaus glaubwürdig, wenn man sich mit den beiden in Freiburg verbliebenen Spielern unterhält. Ihr Lob für den Arbeitgeber klingt nicht aufgesetzt, sie fühlen sich in Südbaden wirklich wohl. Es gibt ja auch keine andere deutsche Gegend oder Stadt, die dem Lebensgefühl der Georgier näher kommen könnte als die südbadische Universitätsstadt, eine quicklebendige und gleichermaßen beschaulich-überschauliche Großstadt. Und von Lewan Kobiaschwili, dem Neu-Schalker, erzählen die beiden Freiburger, dass er sich nach den Jahren in Südbaden jetzt nur schwer im Ruhrpott zurecht finden könne. Da fällt es dann kaum ins Gewicht, dass Lewan Tskitischwili unser Gespräch recht schnell beenden muss, da er mit seiner Frau gerade auf Wohnungssuche ist. Die Nachbarn beschweren sich über den Lärm der beiden Kinder - drei und ein Jahr alt sind sie -, sodass sich die Tskitischwilis nach vier Jahren um ein neues Zuhause in Freiburg bemühen müssen. Für einen Georgier eine schier unvorstellbare Geschichte, wenngleich Lewans Frau diplomatisch genug viel Verständnis für die Nachbarin aufbringt, immerhin sei sie schwer krank und deshalb besonders ruhebedürftig.

In Georgien, erzählt uns Lewan, habe er im Training fast nur mit dem Ball gearbeitet. In Deutschland ist das anders: "Da muss man alles machen, vor allem Laufen und Kämpfen." Volker Finke weiß um dieses Problem, ist es ihm bisher doch gelungen, drei der Kaukasus-Brasilianer an den deutschen Profifußball heranzuführen: "Technisch sind die sensationell gut, aber die robustesten sind sie leider nicht." Es sei eine ständige Gratwanderung, auf die er sich als Trainer begeben müsse, da die überragende Spielfreude seiner Georgier ganz schnell in Lethargie umkippen könne, wenn die Erfolgserlebnisse ausbleiben. Das könne sich bis in Lähmungserscheinungen auf dem Platz auswachsen. "Schauen Sie sich doch die georgische Nationalmannschaft an: Wenn die im Ballbesitz sind, dann spielen sie Fußball auf Top-Niveau. Hat der Gegner den Ball, geht die Freude am Spiel sichtbar zurück." Sie bekämpfen den Gegner nicht wie wir es gewohnt sind, würden sich aber schämen, den Ball einfach sinnlos nach vorne zu dreschen. Letztere Eigenschaft ist einer der Gründe, warum sich die Kaukasier in der Freiburger Kombinationsfabrik besonders wohl fühlen. Und das notwendige Defensivverhalten, hat ihnen Finke schon beigebogen.

Natürlich träumen Lewan und Alexander davon, einmal bei einem richtig großen Verein zu spielen. Vorerst gilt es aber, mit dem SC Freiburg die höchste deutsche Spielklasse zu erhalten. Ein anderes Ziel nennen sie nicht, vielleicht darauf vertrauend, dass ihnen Trainer und Verein keinen Stein in den Weg legen werden, sollte wirklich einmal ein deutscher oder europäischer Top-Verein mit einem Vertrag winken. Alt genug sind sie ja für einen Wechsel und den "großen Vertrag", von dem ihr Trainer im Spiegel-Interview sprach. Und wenn es denn doch nicht klappen sollte mit einem Vertrag des Lebens, können sie sich mit des Trainers anderer Einschätzung trösten, dass man auch nach zehn Jahren beim SC Freiburg genügend Geld auf der hohen Kante haben kann, um den Rest des Lebens sorglos gestalten zu können.

Lewan Kobiaschwili hat erst einmal den Absprung zu einem deutschen Top-Verein geschafft. Ob er sich in Schalke allerdings fest etablieren kann, muss die Zukunft beweisen. Am 20. September schon gastieren die Gelsenkirchener beim SC Freiburg. Da steht ein großes Fußballfest ins Haus: Heynkes gegen Finke, das Duell der interessantesten Trainer der Republik. Und - so hofft man in Freiburg - wieder einmal drei Georgier auf dem Dreisam-Rasen. Beim Abschiedsspiel im Mai (3:1 im Baden-Derby gegen den Karlsruher SC) hatte das Freiburger Publikum seinen georgischen Liebling mit minutenlangen "Kobi, Kobi" Rufen gefeiert. "Dass 25.000 Menschen meinen Namen gerufen haben", habe ihn zum "glücklichsten Menschen der Welt" gemacht. Am 20. September werden sie ihn ganz sicher wieder mit viel Sympathie empfangen, auch wenn er dann auf der anderen Seite steht.



















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