Diese Geschichte erzählt man sich in der Freiburger Fußballwelt
nach wie vor mit großem Genuss: Als Jungprofi Tobias Willi
in der Spielzeit 1999/2000 im Schwarzwald erstmals richtig in Erscheinung
trat, wurde er von einem unkundigen Reporter als einer aus der Georgien-Connection
gehandelt und kurzerhand als Tobiaschwili verkauft. Dabei spielt
der Sohn eines früheren SC-Profis schon seit der C-Jugend bei
den Breisgauern. Aber der SC Freiburg, die Multikultimannschaft
der deutschen Profiszene schlechthin, galt (und gilt) eben als das
Zentrum der georgischen Legionäre in Deutschland. In der Spitze
hatte man zeitweise fünf Georgier im Kader, drei "Schwilis"
und zwei "Adses". Jetzt, zum Wiederaufstieg in das Fußballoberhaus,
sind`s nur noch zwei: Lewan Tskitischwili, der Mittelfeldspieler,
und Alexander Iaschwili, der Dribbelkönig. Lewan Kobiaschwili
hatte den SC im vergangenen Jahr zwar zum sofortigen Wiederaufstieg
geführt, den Verein dann aber doch verlassen. Er spielt jetzt
bei Schalke 04 und hofft darauf, sich bald in einem internationalen
Wettbewerb, am besten Champions-League, präsentieren zu können.
Die Geschichte der georgischen Fußballer im Schwarzwald
hat viel mit Volker Finke zu tun, dem Freiburger Langzeit-Trainer,
ohne den der SC nicht annähernd das wäre, was er heute
ist. Als der frühere Gymnasiallehrer, der jetzt seit 13 Jahren
den SC-Freiburg betreut, vor etwa sechs Jahren eine neue Mannschaft
aufbauen musste, ließ er sich Länderspiele der sogenannten
kleinen Fußballnationen per Video vorführen: Talentsuche
mit System. Dabei fiel ihm im Spiel Georgien gegen Italien ein
überragender Lewan Kobiaschwili auf. Finke wollte den Spieler
unbedingt haben, was damals allerdings nicht ganz so einfach war.
Denn im russischen Wladikawkas lockten Dollar-Beträge unbekannter
Herkunft, mit denen der für seine solide Wirtschaftsweise
bekannte badische Proficlub nicht mithalten konnte. Kobiaschwilis
Manager schickten ihren Jungstar durchaus auch aus eigenem Interesse
zunächst einmal in den Nordkaukasus. Erst als er dort wegen
einer schweren Leistenverletzung zum Dauerpatienten zu werden
drohte, erinnerten sich die Hintermänner Kobiaschwilis wieder
an den deutschen Interessenten. Dieser musste den mit Medikamenten
voll gepumpten Kicker erst einmal chiropraktisch behandeln lassen
- mit weitaus besserem Erfolg als die Chemie-Methoden der russischen
Sportärzte -, bevor er ihn dann endgültig verpflichten
konnte.
Kobiaschwili dankte den Freiburgern diese und andere menschliche
Hilfestellungen mit 164 Pflichtspielen in sechs Jahren und schlug
während dieser Zeit sogar ein mehr als ehrenhaftes Angebot
des FC Bayern München aus. Damals hatte er mit dem SC gerade
den UEFA-Cup erreicht und ließ sich daher leicht dazu überreden,
im Badischen zu bleiben. Als nach dem erneuten Abstieg der Freiburger
in die zweite Liga ernsthafte Angebote großer deutscher
Clubs ausblieben, liebäugelte der Mittelfeld-Stratege zum
Jahreswechsel 2002/2003 mit einer dollarschweren Offerte von ZSKA
Moskau. Volker Finke erbat sich von seinem Schützling 48
Stunden Zeit, organisierte selbst einen Eil-Kontakt zum FC Schalke
04 und nach kurzer Verhandlungen waren sich Spieler und die beteiligten
Vereine handelseinig: Lewan wechselt zur Saison 2003/04 in den
Westen, bleibt somit der Bundesliga erhalten, und der SC hatte
zumindest für die Rückrunde der Zweitliga, in der der
Wiederaufstieg perfekt zu machen war, seinen wichtigsten Spieler
gehalten. "Solch ein Vereinswechsel ist eine selten schöne
Sache in diesem Geschäft" sagt Volker Finke heute, der
weiß, dass er Spieler mit Potenzial zur ganz großen
Karriere nur über eine gewisse Zeit an der Dreisam halten
kann. "Ich kann doch keinem jungen Menschen im Wege stehen."
Aber wenn einer schon gehen muss, dann soll es für seinen
Schützling ein Fortschritt sein, nicht nur für ihn,
auch für seine Familie. "Stellen Sie sich mal vor, der
würde als Kaukasier in diesen Zeiten in Moskau spielen müssen
und dort mit seiner Familie wohnen. Das ginge doch überhaupt
nicht ohne Bodyguards. Das kann man doch der Familie nicht zumuten."
Dabei schlug der FC im Fall Kobiaschwili sogar eine anständige
Ablösesumme aus, die die russischen Finanziers von ZSKA angeboten
hatten. Jeder andere Profiverein hätte dankend zugegriffen
und den Mann ziehen lassen.
Die Familien. Volker Finke schätzt an seinen Kaukasiern
vor allem den Kontakt mit den Familien. Kluge junge Frauen hätten
seine Georgier, das erleichtert den Umgang mit den Spielern, da
deren Frauen recht schnell und gut deutsch gelernt hätten.
Vieles kann der Verein direkt mit den Spielerfrauen besprechen,
wobei Finkes Frau, eine TV-Journalistin mit Georgien-Grundkenntnissen,
intensive freundschaftliche Kontakte zu den Kicker-Familien unterhält.
Mehrfach war der Trainer selbst in Georgien und kennt die Elternhäuser
seiner Spieler: "Alles Top-Familien mit Erziehung und Bildung".
Zum Beispiel die Familie Iaschwili, angesehene Ärzte aus
Tbilissi. Mutter Iaschwili war bereits mehrfach zu Medizin-Kongressen
in Freiburg, der junge Alexander hatte neben seiner Fußballausbildung
in Tbilissi gar ein paar Semester Medizin studiert. "Das
sind Fußballer, die man im Hotel bei Auswärtsspielen
schon mal hinter einem Buch findet." Eine Seltenheit im Fußballgewerbe,
erklärt uns Volker Finke, das Niveau bestsellernder Buchautoren
unter Alt-Kickern bewusst mit der gehörigen Verachtung übergehend.
Alexander Iaschwili war dem Fußballlehrer auf Talentsuche
bei einem Spiel des VfB Lübeck aufgefallen. "Wie heißt
denn der junge Bengel, der da bei Euch im Sturm war?" telefonierte
er tags darauf in den Norden, wo Iaschwili gerade mal auf Leihbasis
spielte. Kaum einer kannte ihn wirklich. Der Kontakt war schnell
hergestellt und Alexander wechselte im Oktober 1997 noch während
der Saison von der Kura, wo er nach seinem Lübeck-Gastspiel
wieder kickte, an die Dreisam. 138 mal trug der Dribbelkünstler
bis heute das Trikot der Freiburger und jetzt, nach dem Wiederaufstieg
in die 1. Bundesliga, zählt er zu einer der Stützen
der jungen Mannschaft. Iaschwili kam in den Breisgau noch vor
Lewan Kobiaschwili, der damit gleich einen Landsmann in der SC-Mannschaft
vorfand. Jetzt, beim FC Schalke 04, spielt er zum ersten Mal in
einem Team ohne georgischen Freund, was ihm nach eigener Aussage
nicht gerade leicht fällt: "Aber ich bin nun seit mehr
als zehn Jahren Profi und dadurch erwachsen genug, schwierige
Situationen zu meistern. Mit 21 hätte ich vielleicht Probleme
damit gehabt, jetzt aber nicht mehr."
So sind`s beim SC "Dynamo" vom Dreisamtal nur noch
zwei Georgier, nachdem Zaza Zamataradse und Giorgi Kiknadse nicht
wirklich haben Fuß fassen können. Ersterer brachte
es immerhin zu Einsätzen im Oberligateam des SC, während
letzterer die großen Hoffnungen, die Finke in ihn gesetzt
hatte, aus gesundheitlichen Gründen nicht erfüllen konnte.
"Kiknadse war eigentlich von der Papierform her der erfahrenste
und beste Georgier, den wir verpflichteten." Aber schon sechs
Wochen nach Vertragsabschluss mit den Badenern wurde der Mann
schwer krank, eine Bandscheibengeschichte kam später dazu,
sodass der SC statt eines bundesligatauglichen Profis einen Dauerpatienten
in seinen Reihen hatte. Die menschlich faire Art, wie der SC ihn
und Zamtaradse, der sportlich den Anschluss nicht schaffte, in
schwierigen Zeiten unterstützte, hätten auch die anderen
Georgier dem Verein nie vergessen, erzählt uns Volker Finke,
ohne dabei aufdringlich zu wirken. Das haben er und der SC Freiburg
nicht nötig, sie stehen im Alltag des rauen Showbusiness
Fußball für einen Rest an Wertvorstellungen, den man
andernorts vergeblich sucht.
In einem Interview mit dem Spiegel von dieser Woche erläuterte
Finke denn auch einen wesentlichen Teil der Philosophie des SC
Freiburg: "Zu viel Werbung und zu viel Medienpräsenz
stören die Entwicklungsmöglichkeiten eines Spielers
genauso wie ein Wechsel zum falschen Verein. Wichtig ist, wo er
mit 25 und 28 Jahren steht, da kann er zwei große Verträge
machen". Dass dies nicht nur so dahergesagt ist, bekommen
wir auch zu spüren: Unseren Wunsch, die beiden Georgier,
die bei unserem Besuch kein Balltraining hatten und nur einen
Fahrradtour in die Schwarzwaldberge unternahmen, wenigstens im
Entmüdungsbecken und bei der Massage fotografieren zu können,
hat Volker Finke mit klarer Bestimmtheit abgelehnt, weshalb wir
diese Geschichte nicht ganz so üppig bebildern können
wie wir dies gerne möchten. Halbnackte Kicker oder Homestories
mit idyllischen Klischees von Frau und Kindern sind beim SC Freiburg
verpönt. Die Idylle des Schwarzwaldes beugt der Gefahr von
Medienauswüchsen wie die um Oliver Kahn und dessen Privatleben
anscheinend wirksam vor. Und das ist es wohl auch, was die Georgier,
ohnehin kaum lebensfähig ohne ihre familiäres Umfeld,
an Freiburg schätzen.
Das erscheint durchaus glaubwürdig, wenn man sich mit den
beiden in Freiburg verbliebenen Spielern unterhält. Ihr Lob
für den Arbeitgeber klingt nicht aufgesetzt, sie fühlen
sich in Südbaden wirklich wohl. Es gibt ja auch keine andere
deutsche Gegend oder Stadt, die dem Lebensgefühl der Georgier
näher kommen könnte als die südbadische Universitätsstadt,
eine quicklebendige und gleichermaßen beschaulich-überschauliche
Großstadt. Und von Lewan Kobiaschwili, dem Neu-Schalker,
erzählen die beiden Freiburger, dass er sich nach den Jahren
in Südbaden jetzt nur schwer im Ruhrpott zurecht finden könne.
Da fällt es dann kaum ins Gewicht, dass Lewan Tskitischwili
unser Gespräch recht schnell beenden muss, da er mit seiner
Frau gerade auf Wohnungssuche ist. Die Nachbarn beschweren sich
über den Lärm der beiden Kinder - drei und ein Jahr
alt sind sie -, sodass sich die Tskitischwilis nach vier Jahren
um ein neues Zuhause in Freiburg bemühen müssen. Für
einen Georgier eine schier unvorstellbare Geschichte, wenngleich
Lewans Frau diplomatisch genug viel Verständnis für
die Nachbarin aufbringt, immerhin sei sie schwer krank und deshalb
besonders ruhebedürftig.
In Georgien, erzählt uns Lewan, habe er im Training fast
nur mit dem Ball gearbeitet. In Deutschland ist das anders: "Da
muss man alles machen, vor allem Laufen und Kämpfen."
Volker Finke weiß um dieses Problem, ist es ihm bisher doch
gelungen, drei der Kaukasus-Brasilianer an den deutschen Profifußball
heranzuführen: "Technisch sind die sensationell gut,
aber die robustesten sind sie leider nicht." Es sei eine
ständige Gratwanderung, auf die er sich als Trainer begeben
müsse, da die überragende Spielfreude seiner Georgier
ganz schnell in Lethargie umkippen könne, wenn die Erfolgserlebnisse
ausbleiben. Das könne sich bis in Lähmungserscheinungen
auf dem Platz auswachsen. "Schauen Sie sich doch die georgische
Nationalmannschaft an: Wenn die im Ballbesitz sind, dann spielen
sie Fußball auf Top-Niveau. Hat der Gegner den Ball, geht
die Freude am Spiel sichtbar zurück." Sie bekämpfen
den Gegner nicht wie wir es gewohnt sind, würden sich aber
schämen, den Ball einfach sinnlos nach vorne zu dreschen.
Letztere Eigenschaft ist einer der Gründe, warum sich die
Kaukasier in der Freiburger Kombinationsfabrik besonders wohl
fühlen. Und das notwendige Defensivverhalten, hat ihnen Finke
schon beigebogen.
Natürlich träumen Lewan und Alexander davon, einmal
bei einem richtig großen Verein zu spielen. Vorerst gilt
es aber, mit dem SC Freiburg die höchste deutsche Spielklasse
zu erhalten. Ein anderes Ziel nennen sie nicht, vielleicht darauf
vertrauend, dass ihnen Trainer und Verein keinen Stein in den
Weg legen werden, sollte wirklich einmal ein deutscher oder europäischer
Top-Verein mit einem Vertrag winken. Alt genug sind sie ja für
einen Wechsel und den "großen Vertrag", von dem
ihr Trainer im Spiegel-Interview sprach. Und wenn es denn doch
nicht klappen sollte mit einem Vertrag des Lebens, können
sie sich mit des Trainers anderer Einschätzung trösten,
dass man auch nach zehn Jahren beim SC Freiburg genügend
Geld auf der hohen Kante haben kann, um den Rest des Lebens sorglos
gestalten zu können.
Lewan Kobiaschwili hat erst einmal den Absprung zu einem deutschen
Top-Verein geschafft. Ob er sich in Schalke allerdings fest etablieren
kann, muss die Zukunft beweisen. Am 20. September schon gastieren
die Gelsenkirchener beim SC Freiburg. Da steht ein großes
Fußballfest ins Haus: Heynkes gegen Finke, das Duell der
interessantesten Trainer der Republik. Und - so hofft man in Freiburg
- wieder einmal drei Georgier auf dem Dreisam-Rasen. Beim Abschiedsspiel
im Mai (3:1 im Baden-Derby gegen den Karlsruher SC) hatte das
Freiburger Publikum seinen georgischen Liebling mit minutenlangen
"Kobi, Kobi" Rufen gefeiert. "Dass 25.000 Menschen
meinen Namen gerufen haben", habe ihn zum "glücklichsten
Menschen der Welt" gemacht. Am 20. September werden sie ihn
ganz sicher wieder mit viel Sympathie empfangen, auch wenn er
dann auf der anderen Seite steht.
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