"Gasabschaltungen - Russland erpresst Georgien." Auf diese
einfache Formel reduzierte man in Georgien in den letzten Jahren
die immer wiederkehrenden Aussetzer in der öffentlichen Gasversorgung.
Daran ist sicher ein Funken Wahrheit, ist doch der russische Nachbar
der einzige Gaslieferant Georgiens, ein Ergebnis der sowjetischen
Planungswirtschaft, die einseitige Abhängigkeiten durchaus
billigend in Kauf genommen hatte. An den Folgen dieser dirigistischen
Planungen leidet Georgien heute noch, wenngleich man in der Kaukasusrepublik
die internationalen Handelsgesetze nicht außer Acht lassen
darf, dass normalerweise niemand von seinem Lieferanten mit einer
Liefersperre belegt wird, der seine Rechnungen anstandslos und einigermaßen
pünktlich bezahlt.
Eine Untersuchung des gesamten Gassystems Georgiens im Rahmen
des EU-finanzierten TACIS-Programms brachte jedoch zutage, dass
die georgische Gasversorgung auch ohne georgische Misswirtschaft
und russische Willkürakte in hohem Masse gefährdet ist.
Die Gründe sind einfach: ein technisch völlig unzureichender
Zustand des Pipelinesystems und das Fehlen von Zwischenspeichern.
Kommt es, wie im vergangenen Winter, irgendwo im Verlauf der Hauptpipeline
Wladikawkas-Tbilissi zu einer technischen Störung, bricht
die Gasversorgung im ganzen Land binnen weniger Stunden zusammen.
Deshalb plant man in Georgien den Bau großer unterirdische
Gasspeicher in der Gegend von Ninozminda, um in Zukunft die Versorgungssicherheit
zu gewährleisten. Ausländische Experten bezweifeln aber,
ob es einer solchen Investition bedarf und mahnen zunächst
einmal eine Sanierung des bestehenden Systems in technischer wie
kaufmännischer Hinsicht an.
Neben den kaufmännischen Problemen - schlechte Zahlungsmoral,
Korruption, Kriminalität und ineffektives Management - sind
es vor allem technische Probleme, die eine künftige Katastrophe
vorzeichnen. Denn der Zustand der Gaspipes im Lande ist derart
besorgniserregend, das europäische Experten dem Gassystem
Georgiens nur noch eine Funktionsfähigkeit von fünf
bis sechs Jahren prognostizieren, wenn nicht rasch Abhilfe geschaffen
wird. Der Leitungsverlust innerhalb Georgiens liegt heute schon
bei 7 bis 8 %, im internationalen Vergleich rechnet man mit höchstens
3 %. Dabei sind, so ein TACIS-Experte, alle offiziell erhältlichen
Zahlen aus dem System mit großer Vorsicht zu genießen,
da die Insider des Systems "smart" genug seien, mit
offensichtlich fingierten Messdaten all das zu verschleiern, was
man unter dem Begriff "real existierende georgische Privatwirtschaft
im öffentlichen Sektor" einigermaßen zutreffend
umschreiben kann.
Das georgische Pipelinenetz umfasst insgesamt 1.940 km. Eine
der Hauptpipelines führt von Russland nach Armenien, Georgien
wird für den Transit mit Gas bezahlt. Eine weitere Pipeline
führt von der russischen Grenze bis nach Rustawi, einem der
Hauptabnehmer, denn 90 % des nationalen Gasbedarfs ist in Tbilissi
und Rustawi (Tbilgaz, Rustawi Zementfabrik, Azoti-Düngemittelfabrik
und das Kraftwerk in Gardabani) anzusiedeln. Eine Ringleitung
erschließt Kachetien, sie führt von Rustawi über
Telawi und Tianeti nach Schinwali. Ein Ast führt von Rustawi
über Zalka in die Gegend von Achalkalaki, eine Trassenführung,
der jetzt auch die beiden neuen Pipelines von Baku in die Türkei
(Erdöl und Erdgas) folgen. Ein weiterer Ast führt von
Saguramo nach Westgeorgien zu den Endpunkten Batumi, Poti und
Suchumi. Von diesem Ast zweigen Pipelines nach Bordschomi und
Bakuriani sowie nach Zchinwali ab.
Drei kleinere Pipelines kommen von Aserbaidschan, in denen früher
Gas aus Aserbaidschan und dem Iran geliefert wurde. Alle drei
Pipes sind außer Betrieb, da Georgien seit 1978 ausschließlich
aus Russland beliefert wird.
Dabei ist der Gaskonsum in den letzten 12 Jahren dramatisch zurückgegangen.
1989 verbrauchte Georgien noch 6 Mrd. cbm Gas pro Jahr, in den
Jahren 1999 - 2002 nur noch 0,9 Mrd. cbm. Nahezu völlig zusammengebrochen
ist der Anteil der Großindustrie, die statt 2,9 Mrd. cbm
nur noch 0,3 Mrd. cbm verbraucht. Die Stromwirtschaft, die früher
2,3 Mrd. cbm jährlich in ihre Generatoren leitete, braucht
heute nur noch 0,4 Mrd. cbm. Und der private Verbrauch, in dem
auch Handel und Gewerbe einfließen, liegt heute bei 0,2
Mrd. cbm anstelle von 0,8 Mrd. cbm zur Sowjetzeit.
Diese Zahlen verdeutlichen auch, dass die Reserven in der georgischen
Gasversorgung sogar im jetzigen Leitungssystem liegen könnten,
wenn es denn effektiv genug eingesetzt würde. Sogar in der
Spitze transportiert des System heute höchstens 30 % der
Gasmengen, die zu Sowjetzeiten im Spitzenbedarf eingespeist wurden.
So stellte die TACIS-Studie zum Beispiel fest, dass das Leitungssystems
nur mit maximal 7 bar betrieben werden kann, um angesichts der
vorhandenen Leckagen größere Transportverluste zu vermeiden.
Ein Teil der Leitungen muss sogar mit einem geringeren Druck arbeiten.
Allein durch eine Erhöhung des Betriebsdruckes auf 20 Bar
könnte die Speicherkapazität des Leitungsnetzes von
derzeit 550.000 cbm auf eine Million cbm erhöht werden
Die TACIS-Studie geht von einem Reparaturbedarf von 35 Millionen
US-$ bis zum Jahr 2008 aus, wenn das georgischen Gassystem bis
dahin nicht total zusammenbrechen soll. Dabei muss ein Teil der
Pipelines völlig ersetzt werden, bei anderen Strecken genügt
ein verbesserter Korrosionsschutz, dazu kommen einige Mess- und
Reglerstationen. Dass die Investition nicht vom georgischen Gassystem
aufgebracht werden kann, versteht sich von selbst. Nahezu alle
am System beteiligten Gesellschaften sind, was ihre Bücher
angeht, kaum noch kreditwürdig, wenn nicht schon längst
bankrott. Trotzdem kann sich die Investition, die von internationalen
Finanzinstituten abgesichert werden müsste, rechnen. Denn
der größte Teil der Investition kann durch die Rückführung
der technischen Leitungsverluste auf den internationalen Standard
von 3 % erwirtschaftet werden, haben die TACIS-Berater errechnet.
Das würde dann aber, siehe Stromwirtschaft, auch tiefgreifende
Veränderungen im Management der georgischen Gaswirtschaft
zur Folge haben, wo man, so ein TACIS-Experte, endlich lernen
müsse, einfach einmal Kaufverträge und die daraus resultierenden
finanziellen Verpflichtungen zu respektieren.
Eine weitere Reserve sehen die TACIS-Berater auch in einem verbesserten
Management des gesamten Energiesystems. So würden zum Beispiel
die georgischen Stromproduzenten just zu der Jahreszeit in die
Thermo-Energie einsteigen, in der der Gasverbrauch saisonbedingt
am höchsten ist, im Winter. Im Sommer, wenn es gesamtwirtschaftlich
Sinn machen würde, mit billigeren Gaslieferungen Strom zu
erzeugen und Wasserkraft für die Winterspitze auch im Stromverbrauch
aufzubewahren, würden das georgische Stromsystem aus kurzfristigen
Liquiditätsüberlegungen bedenkenlos die "kostenlosen"
Wasserspeicher leer fahren, um dann im Winter wieder mit Gas die
Spitze abzudecken. Ein einigermaßen kluges Energiemanagement
würde genau das Gegenteil tun: nämlich im Sommer mit
billigem Gas Strom produzieren und im Winter die Wasserkraft ausnutzen.
So kommt man nach einer Studie der TACIS-Empfehlungen relativ
rasch zum dem Schluss, dass es vorerst keiner weiteren Investition
in unterirdische Gasspeicher bedarf, um die georgische Gasversorgung
mittelfristig zu sichern, selbst wenn man für die Zukunft
einen erhöhten Gasverbrauch einkalkuliert. So haben die TACIS-Experten
für das Jahr 2020 einen jährlichen Gasbedarf von 4,2
Mrd. cbm in einer optimistischen Variante geschätzt. Die
pessimistische Variante prognostiziert 1,3 Mrd. cbm, während
die mittlere, als realistisch bezeichnete, Variante von 2,3 Mrd.
cbm ausgeht. Zum Vergleich: Derzeit verbraucht Georgien noch nicht
einmal 1 Mrd. cbm Gas pro Jahr, zur Sowjetzeit, als mit Energie
noch recht verschwenderisch umgegangen wurde und die im Weltmarkt
heute kaum noch wettbewerbsfähige Großindustrie brummte,
waren es 6 Mrd. cbm. Unter diesen Prämissen erscheint erscheint
selbst ein Verbrauch von 2,3 Mrd. cbm im Jahr 2020 noch durchaus
optimistisch, setzt er doch mehr als eine Verdoppelung der Nachfrage
voraus. Und die muss selbstredend hauptsächlich von der produzierenden
Wirtschaft kommen, die heute, die Stromerzeugung ist da außen
vor, noch nicht einmal 0,5 Mrd. cbm im Jahr verbraucht.
Dass es um die zukünftige Gasversorgung Georgiens gar nicht
so schlecht aussieht, wenn das System erst einmal repariert ist
und vernünftig gemanagt wird, haben die TACIS-Experten in
ihren Untersuchungen ebenfalls errechnet. Denn zunächst einmal
erhält Georgien für den Gastransit Russland-Armenien
pro Jahr rund 240 Millionen cbm Gas. Die neue Pipeline Baku-Tbilissi-Erzurum
bringt zusätzliche 290 Millionen cbm. Das sind über
500 Millionen cbm Gas, für die kein Cent bezahlt werden muss.
Dazu kommen noch knapp 500 Millionen cbm, die Georgien zu einem
Vorzugspreis in Aserbaidschan einkaufen kann. Damit wäre
in wenigen Jahren der heutige Gasverbrauch bei weitem gedeckt
und Georgien wäre nicht mehr alleine von russischen Gaslieferungen
abhängig.
Für künftiges Wirtschaftswachstum müsse man deshalb
heute noch nicht an die Investition von Gasspeichern denken, erklären
die TACIS-Experten im vertraulichen Gespräch, zumal sich
angesichts des Investitionsklimas in Georgien kaum jemand finden
wird, der die geschätzten 60 bis 90 Millionen US-$ für
die unterirdischen Gasspeicher aufbringen will. Denn mit der Investition
in die Speicherkapazität alleine kann das georgische Gassystem
nicht saniert werden, wenn es nicht bereit und fähig ist,
das eingelagerte Gas auch zu bezahlen. Und sollte dies wider Erwarten
dennoch möglich werden, so stehen im benachbarten Aserbaidschan
ein paar still gelegte Gasspeicher zu Verfügung, die für
geringeres Geld jederzeit reaktiviert und angemietet werden könnten.
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