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Ausgabe 11/03
1. Juli


"Gasabschaltungen - Russland erpresst Georgien." Auf diese einfache Formel reduzierte man in Georgien in den letzten Jahren die immer wiederkehrenden Aussetzer in der öffentlichen Gasversorgung. Daran ist sicher ein Funken Wahrheit, ist doch der russische Nachbar der einzige Gaslieferant Georgiens, ein Ergebnis der sowjetischen Planungswirtschaft, die einseitige Abhängigkeiten durchaus billigend in Kauf genommen hatte. An den Folgen dieser dirigistischen Planungen leidet Georgien heute noch, wenngleich man in der Kaukasusrepublik die internationalen Handelsgesetze nicht außer Acht lassen darf, dass normalerweise niemand von seinem Lieferanten mit einer Liefersperre belegt wird, der seine Rechnungen anstandslos und einigermaßen pünktlich bezahlt.

Eine Untersuchung des gesamten Gassystems Georgiens im Rahmen des EU-finanzierten TACIS-Programms brachte jedoch zutage, dass die georgische Gasversorgung auch ohne georgische Misswirtschaft und russische Willkürakte in hohem Masse gefährdet ist. Die Gründe sind einfach: ein technisch völlig unzureichender Zustand des Pipelinesystems und das Fehlen von Zwischenspeichern. Kommt es, wie im vergangenen Winter, irgendwo im Verlauf der Hauptpipeline Wladikawkas-Tbilissi zu einer technischen Störung, bricht die Gasversorgung im ganzen Land binnen weniger Stunden zusammen. Deshalb plant man in Georgien den Bau großer unterirdische Gasspeicher in der Gegend von Ninozminda, um in Zukunft die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Ausländische Experten bezweifeln aber, ob es einer solchen Investition bedarf und mahnen zunächst einmal eine Sanierung des bestehenden Systems in technischer wie kaufmännischer Hinsicht an.

Neben den kaufmännischen Problemen - schlechte Zahlungsmoral, Korruption, Kriminalität und ineffektives Management - sind es vor allem technische Probleme, die eine künftige Katastrophe vorzeichnen. Denn der Zustand der Gaspipes im Lande ist derart besorgniserregend, das europäische Experten dem Gassystem Georgiens nur noch eine Funktionsfähigkeit von fünf bis sechs Jahren prognostizieren, wenn nicht rasch Abhilfe geschaffen wird. Der Leitungsverlust innerhalb Georgiens liegt heute schon bei 7 bis 8 %, im internationalen Vergleich rechnet man mit höchstens 3 %. Dabei sind, so ein TACIS-Experte, alle offiziell erhältlichen Zahlen aus dem System mit großer Vorsicht zu genießen, da die Insider des Systems "smart" genug seien, mit offensichtlich fingierten Messdaten all das zu verschleiern, was man unter dem Begriff "real existierende georgische Privatwirtschaft im öffentlichen Sektor" einigermaßen zutreffend umschreiben kann.

Das georgische Pipelinenetz umfasst insgesamt 1.940 km. Eine der Hauptpipelines führt von Russland nach Armenien, Georgien wird für den Transit mit Gas bezahlt. Eine weitere Pipeline führt von der russischen Grenze bis nach Rustawi, einem der Hauptabnehmer, denn 90 % des nationalen Gasbedarfs ist in Tbilissi und Rustawi (Tbilgaz, Rustawi Zementfabrik, Azoti-Düngemittelfabrik und das Kraftwerk in Gardabani) anzusiedeln. Eine Ringleitung erschließt Kachetien, sie führt von Rustawi über Telawi und Tianeti nach Schinwali. Ein Ast führt von Rustawi über Zalka in die Gegend von Achalkalaki, eine Trassenführung, der jetzt auch die beiden neuen Pipelines von Baku in die Türkei (Erdöl und Erdgas) folgen. Ein weiterer Ast führt von Saguramo nach Westgeorgien zu den Endpunkten Batumi, Poti und Suchumi. Von diesem Ast zweigen Pipelines nach Bordschomi und Bakuriani sowie nach Zchinwali ab.

Drei kleinere Pipelines kommen von Aserbaidschan, in denen früher Gas aus Aserbaidschan und dem Iran geliefert wurde. Alle drei Pipes sind außer Betrieb, da Georgien seit 1978 ausschließlich aus Russland beliefert wird.

Dabei ist der Gaskonsum in den letzten 12 Jahren dramatisch zurückgegangen. 1989 verbrauchte Georgien noch 6 Mrd. cbm Gas pro Jahr, in den Jahren 1999 - 2002 nur noch 0,9 Mrd. cbm. Nahezu völlig zusammengebrochen ist der Anteil der Großindustrie, die statt 2,9 Mrd. cbm nur noch 0,3 Mrd. cbm verbraucht. Die Stromwirtschaft, die früher 2,3 Mrd. cbm jährlich in ihre Generatoren leitete, braucht heute nur noch 0,4 Mrd. cbm. Und der private Verbrauch, in dem auch Handel und Gewerbe einfließen, liegt heute bei 0,2 Mrd. cbm anstelle von 0,8 Mrd. cbm zur Sowjetzeit.

Diese Zahlen verdeutlichen auch, dass die Reserven in der georgischen Gasversorgung sogar im jetzigen Leitungssystem liegen könnten, wenn es denn effektiv genug eingesetzt würde. Sogar in der Spitze transportiert des System heute höchstens 30 % der Gasmengen, die zu Sowjetzeiten im Spitzenbedarf eingespeist wurden. So stellte die TACIS-Studie zum Beispiel fest, dass das Leitungssystems nur mit maximal 7 bar betrieben werden kann, um angesichts der vorhandenen Leckagen größere Transportverluste zu vermeiden. Ein Teil der Leitungen muss sogar mit einem geringeren Druck arbeiten. Allein durch eine Erhöhung des Betriebsdruckes auf 20 Bar könnte die Speicherkapazität des Leitungsnetzes von derzeit 550.000 cbm auf eine Million cbm erhöht werden

Die TACIS-Studie geht von einem Reparaturbedarf von 35 Millionen US-$ bis zum Jahr 2008 aus, wenn das georgischen Gassystem bis dahin nicht total zusammenbrechen soll. Dabei muss ein Teil der Pipelines völlig ersetzt werden, bei anderen Strecken genügt ein verbesserter Korrosionsschutz, dazu kommen einige Mess- und Reglerstationen. Dass die Investition nicht vom georgischen Gassystem aufgebracht werden kann, versteht sich von selbst. Nahezu alle am System beteiligten Gesellschaften sind, was ihre Bücher angeht, kaum noch kreditwürdig, wenn nicht schon längst bankrott. Trotzdem kann sich die Investition, die von internationalen Finanzinstituten abgesichert werden müsste, rechnen. Denn der größte Teil der Investition kann durch die Rückführung der technischen Leitungsverluste auf den internationalen Standard von 3 % erwirtschaftet werden, haben die TACIS-Berater errechnet. Das würde dann aber, siehe Stromwirtschaft, auch tiefgreifende Veränderungen im Management der georgischen Gaswirtschaft zur Folge haben, wo man, so ein TACIS-Experte, endlich lernen müsse, einfach einmal Kaufverträge und die daraus resultierenden finanziellen Verpflichtungen zu respektieren.

Eine weitere Reserve sehen die TACIS-Berater auch in einem verbesserten Management des gesamten Energiesystems. So würden zum Beispiel die georgischen Stromproduzenten just zu der Jahreszeit in die Thermo-Energie einsteigen, in der der Gasverbrauch saisonbedingt am höchsten ist, im Winter. Im Sommer, wenn es gesamtwirtschaftlich Sinn machen würde, mit billigeren Gaslieferungen Strom zu erzeugen und Wasserkraft für die Winterspitze auch im Stromverbrauch aufzubewahren, würden das georgische Stromsystem aus kurzfristigen Liquiditätsüberlegungen bedenkenlos die "kostenlosen" Wasserspeicher leer fahren, um dann im Winter wieder mit Gas die Spitze abzudecken. Ein einigermaßen kluges Energiemanagement würde genau das Gegenteil tun: nämlich im Sommer mit billigem Gas Strom produzieren und im Winter die Wasserkraft ausnutzen.

So kommt man nach einer Studie der TACIS-Empfehlungen relativ rasch zum dem Schluss, dass es vorerst keiner weiteren Investition in unterirdische Gasspeicher bedarf, um die georgische Gasversorgung mittelfristig zu sichern, selbst wenn man für die Zukunft einen erhöhten Gasverbrauch einkalkuliert. So haben die TACIS-Experten für das Jahr 2020 einen jährlichen Gasbedarf von 4,2 Mrd. cbm in einer optimistischen Variante geschätzt. Die pessimistische Variante prognostiziert 1,3 Mrd. cbm, während die mittlere, als realistisch bezeichnete, Variante von 2,3 Mrd. cbm ausgeht. Zum Vergleich: Derzeit verbraucht Georgien noch nicht einmal 1 Mrd. cbm Gas pro Jahr, zur Sowjetzeit, als mit Energie noch recht verschwenderisch umgegangen wurde und die im Weltmarkt heute kaum noch wettbewerbsfähige Großindustrie brummte, waren es 6 Mrd. cbm. Unter diesen Prämissen erscheint erscheint selbst ein Verbrauch von 2,3 Mrd. cbm im Jahr 2020 noch durchaus optimistisch, setzt er doch mehr als eine Verdoppelung der Nachfrage voraus. Und die muss selbstredend hauptsächlich von der produzierenden Wirtschaft kommen, die heute, die Stromerzeugung ist da außen vor, noch nicht einmal 0,5 Mrd. cbm im Jahr verbraucht.

Dass es um die zukünftige Gasversorgung Georgiens gar nicht so schlecht aussieht, wenn das System erst einmal repariert ist und vernünftig gemanagt wird, haben die TACIS-Experten in ihren Untersuchungen ebenfalls errechnet. Denn zunächst einmal erhält Georgien für den Gastransit Russland-Armenien pro Jahr rund 240 Millionen cbm Gas. Die neue Pipeline Baku-Tbilissi-Erzurum bringt zusätzliche 290 Millionen cbm. Das sind über 500 Millionen cbm Gas, für die kein Cent bezahlt werden muss. Dazu kommen noch knapp 500 Millionen cbm, die Georgien zu einem Vorzugspreis in Aserbaidschan einkaufen kann. Damit wäre in wenigen Jahren der heutige Gasverbrauch bei weitem gedeckt und Georgien wäre nicht mehr alleine von russischen Gaslieferungen abhängig.

Für künftiges Wirtschaftswachstum müsse man deshalb heute noch nicht an die Investition von Gasspeichern denken, erklären die TACIS-Experten im vertraulichen Gespräch, zumal sich angesichts des Investitionsklimas in Georgien kaum jemand finden wird, der die geschätzten 60 bis 90 Millionen US-$ für die unterirdischen Gasspeicher aufbringen will. Denn mit der Investition in die Speicherkapazität alleine kann das georgische Gassystem nicht saniert werden, wenn es nicht bereit und fähig ist, das eingelagerte Gas auch zu bezahlen. Und sollte dies wider Erwarten dennoch möglich werden, so stehen im benachbarten Aserbaidschan ein paar still gelegte Gasspeicher zu Verfügung, die für geringeres Geld jederzeit reaktiviert und angemietet werden könnten.


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