Ausgabe 10/03
11. Juni


Ein Mann sitzt in einem kleinen Erdloch, irgendwo im Nirgendwo an der georgisch-aserbaidschanischen Grenze. Das Loch misst einen Meter Tiefe, ist etwa genauso lang und rund 50 cm breit, rechts wie links ist fein säuberlich der Erdaushub aufgeworfen. Das hintere Ende ist nicht ganz so tief ausgegraben, eine Art Sitz entstand, der Mann kann bequem in seinem Erdloch sitzen und den Ackerboden aus der Maulwurfsperspektive betrachten. Nur seine schwarze Baseballmütze, die er über das schlohweiße Haar gezogen hat, ragt über der Erdkrume hervor. Vor seinen Augen sieht er nichts als Boden, zunächst schweren, schwarzen Humusboden, darunter eine Schicht lehmhaltigen Mergels. Ein farbiges Maßband zeigt ihm die Mächtigkeit der Bodenschichtung. Der Mann macht Notizen, vergleicht die Bodenproben, die er aus dem Profil herauskratzt, mit mitgebrachten Farbskalen. Stünden um ihn herum nicht drei Dutzend Menschen mit Notizblöcken, eifrig mitschreibend, was ihnen ihr Kollege im Erdloch alles an Neuigkeiten von unten berichtet, man müsste die Szenerie in der nebeligen Landschaft von Dedopliszkaro für die Selbstinszenierung eines Irren halten. Der Mann und seine Mitstreiter rund um das Erdloch kümmern sich aber um die Zukunft der georgischen Landwirtschaft. Es sind Bodenbewerter, die vom georgischen Landkataster-Projekt der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in ihrer künftigen Aufgabe ausgebildet werden. In einem intensiven Trainingskurs erlernen sie einen für Georgien neuen Beruf.

Der Umbau einer sozialistischen Landwirtschaft mit ihren riesigen Kolchosen zu einer privatwirtschaftlichen Landwirtschaft, die vom bäuerlichen Familienbetrieb geprägt wird, fördert vielfältige Probleme zutage. Einmal mangelt es den neuen Kleinbauern an geeigneten Maschinen, zum zweiten an entsprechendem Saatgut oder Zuchtmaterial, zum dritten an gutem und preiswertem Dünger und Pflanzenschutz, zum vierten an vernünftigen Veredelungs- und Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte. Es mangelt ihnen aber auch an konkretem Wissen über die Qualität des Bodens, den sie bewirtschaften. Denn alle vorhandenen Unterlagen wie zum Beispiel Bodenwertkarten waren im Sozialismus nur dem Herrschaftswissen der Agrar-Nomenklatur vorbehalten. Oder aber, die Informationen waren im Kolchosen-Maßstab zu großflächig erhoben und zusammengestellt, als dass sie einem kleinen Landwirt mit ein paar Hektar Wirtschaftsfläche wirklich hilfreich sein könnten. Und die einzige aktuelle Bodenkarte Georgiens, die Professor Urushadse vor kurzem verdienstvollerweise herausgebracht hat, taugt ebenfalls nur für einen groben Überblick über die Bodenbeschaffenheiten des Landes. Dem einzelnen Landwirt, der in der Regel nicht viel mehr als ein Hektar Fläche bewirtschaftet, bringt sie wenig Informationen.

Das groß angelegte landesweite Katasterprojekt der KfW, in dem große Teile des georgischen Siedlungs- und Wirtschaftsgebietes neu vermessen und katastriert wurden, bemüht sich in vielen Einzelkomponenten, den Nutzen der Neukartierung der georgischen Markung den heutigen und künftigen Landeignern in allen möglichen Bereichen nutzbar zu machen. Das Beispiel Dedopliszkaro, wo der Trainingskurs der KfW den Teilnehmern eine erste Feld-Studie in Sachen Bodenbewertung ermöglichte, soll das verdeutlichen. Dort hat Landwirt Schota von der Gemeinde rund 40 ha Gelände gepachtet. Er züchtet Jungferkel, die er mit gutem Profit verkauft, Schafe und Rinder. Ein bisschen Ackerbau kommt dazu. Für das gesamte Gelände zahlt er eine jährliche Einheitspacht von 45 GEL pro Hektar, der örtliche Bürgermeister hat das so entschieden. Die Bodenuntersuchungen des KfW-Bodenbewerters haben aber ergeben, dass etwa 30 Hektar des Bodens für jeden Pflanzenanbau ungeeignet sind und nur für Weidewirtschaft genutzt werden können. Für solche Böden zahlt man in Georgien gemeinhin nur 3 GEL pro Jahr. 15 Hektar sind bester Ackerboden, der mit 45 GEL pro Hektar angemessen bezahlt ist.

Eine amtliche Bodenbewertung aus der Sowjetzeit, die man für die Ermittlung der Pacht hätte auswerten können, gibt es für dieses Grundstück nicht. Schota erfuhr von dem Bodenbewertungslehrgang der KfW, lud die Seminarteilnehmer zu sich ein und kann jetzt mit einem fundierten Gutachten in neue Pachtverhandlungen mit dem Bürgermeister der Gemeinde treten. Einigt man sich auf der Basis der vorliegenden Bodenbewertung, kann Schota den Gegenwert von mindestens einem Rind pro Jahr an Pacht einsparen. In Deutschland, wo die Bodenbewertung seit Generationen ein erprobtes Instrument der Landwirtschaf ist, kann man mit dieser Geschichte keinen Hofhund mehr hinter dem Gartenzaun hervorlocken, in Georgien betritt die KfW mit ihrem Ausbildungsseminar Neuland.

30 Plätze wollte das Katasterprojekt, das von der deutschen Consulting-Firma GfA betreut wird, eigentlich anbieten. Mit 79 Bewerbungen wurden aber alle Erwartungen übertroffen, sodass man knapp 50 Aspiranten, die eine gewisse Eignung und Vorbildung nachweisen konnten, die Chance dieses mehrwöchigen Trainings gab. Nach fünf Tagen theoretischer Ausbildung in Tbilissi wurden die künftigen Bodenbewerter in elf weiteren Tagen in verschiedenen Gegenden Georgiens in Feld-Trainings ausgebildet, fünf weitere abschließende Unterrichtstage in Tbilissi folgten. Der Kurs war kostenlos, die KfW hofft, rund 50 ehemaligen Bodenkundlern, Agrarchemikern oder Geografen, die allesamt arbeitslos geworden sind, eine Existenz als Selbständige Gutachter aufbauen zu können. Voraussetzung dafür ist, dass die Landwirte den finanziellen Nutzen erkennen, den ihnen diese Bodenbewerter bringen können. Denn eine Bodenbewertung wird nicht unerschwinglich. Mit rund 5 GEL pro Hektar ist man dabei. Die theoretische Ausbildung fand in der Kaukasischen Immobilienakademie statt, ebenfalls ein Ableger des KfW-Katasterprojekts. Hier werden normalerweise Immobilien- und Grundstückssachverständige ausgebildet, ein Beruf, der ebenfalls neu ist im postsozialistischen Georgien, aber dringend gebraucht wird.

Die Feldergebnisse der Bodenbewerter sollen dann in das vorhandene Kartenmaterial aus der Kolchosenzeit eingearbeitet und dieses damit aktualisiert werden. Es gibt zwar durchaus altes Kartenmaterial mit Angaben über Bodenqualitäten. Dies entspricht aber keineswegs internationalen Standards und gammelt in einem Archiv vor sich hin, das aus Geldmangel den größten Teil seiner Mitarbeiter entlassen musste. Im KfW-Projekt werden diese Karten digitalisiert und stehen künftig den Bodenbewertern und den Landwirten zur Verfügung. Zusammen mit dem neu erarbeiteten Informationen können landwirtschaftliche Berater in einigen Jahren oder Jahrzehnten auf das Informationsmaterial zurückgreifen, das ihren Kollegen in Deutschland längst längst zur Verfügung steht, wenn sie dem kleinen Landwirt mit einem guten Rat für die richtige Bewirtschaftung seines Bodens kommen wollen. Landwirt Schota in Dedopliszkaro musste sich beispielsweise fragen lassen, warum er auf einem Humusboden allerbester Güte nur Rinder und Schafe weiden lässt statt Gemüse anzubauen oder wenigstens Futter. Schota war früher Umwelttechniker und Inspektor bei irgendeiner Umweltbehörde. Mit seiner Landwirtschaft kann er seit einigen Jahren ganz gut überleben. Es wäre aber vielmehr drin, wenn er richtig beraten würde. Die Bodenbewerter sollen Schota und Tausenden von neuen Landwirten, die den Beruf nicht gelernt haben, dabei helfen. Sie sollen Anbautipps geben, Düngemittelpläne entwerfen und bei Grundstücksverkäufen, Flurbereinigungen oder Pachtverträgen als neutrale Gutachter auftreten. Alles Aufgaben, für die es im Sozialismus keinen Bedarf gab. Manchmal muss man sich schon um die Graswurzeln bemühen, wenn man mit dem, was die Entwicklungspolitik "Technische Zusammenarbeit" nennt, einem Land im Umbruch auf die Sprünge helfen will.



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