Ein Mann sitzt in einem kleinen Erdloch, irgendwo im Nirgendwo an
der georgisch-aserbaidschanischen Grenze. Das Loch misst einen Meter
Tiefe, ist etwa genauso lang und rund 50 cm breit, rechts wie links
ist fein säuberlich der Erdaushub aufgeworfen. Das hintere
Ende ist nicht ganz so tief ausgegraben, eine Art Sitz entstand,
der Mann kann bequem in seinem Erdloch sitzen und den Ackerboden
aus der Maulwurfsperspektive betrachten. Nur seine schwarze Baseballmütze,
die er über das schlohweiße Haar gezogen hat, ragt über
der Erdkrume hervor. Vor seinen Augen sieht er nichts als Boden,
zunächst schweren, schwarzen Humusboden, darunter eine Schicht
lehmhaltigen Mergels. Ein farbiges Maßband zeigt ihm die Mächtigkeit
der Bodenschichtung. Der Mann macht Notizen, vergleicht die Bodenproben,
die er aus dem Profil herauskratzt, mit mitgebrachten Farbskalen.
Stünden um ihn herum nicht drei Dutzend Menschen mit Notizblöcken,
eifrig mitschreibend, was ihnen ihr Kollege im Erdloch alles an
Neuigkeiten von unten berichtet, man müsste die Szenerie in
der nebeligen Landschaft von Dedopliszkaro für die Selbstinszenierung
eines Irren halten. Der Mann und seine Mitstreiter rund um das Erdloch
kümmern sich aber um die Zukunft der georgischen Landwirtschaft.
Es sind Bodenbewerter, die vom georgischen Landkataster-Projekt
der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in ihrer
künftigen Aufgabe ausgebildet werden. In einem intensiven Trainingskurs
erlernen sie einen für Georgien neuen Beruf.
Der Umbau einer sozialistischen Landwirtschaft mit ihren riesigen
Kolchosen zu einer privatwirtschaftlichen Landwirtschaft, die
vom bäuerlichen Familienbetrieb geprägt wird, fördert
vielfältige Probleme zutage. Einmal mangelt es den neuen
Kleinbauern an geeigneten Maschinen, zum zweiten an entsprechendem
Saatgut oder Zuchtmaterial, zum dritten an gutem und preiswertem
Dünger und Pflanzenschutz, zum vierten an vernünftigen
Veredelungs- und Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte.
Es mangelt ihnen aber auch an konkretem Wissen über die Qualität
des Bodens, den sie bewirtschaften. Denn alle vorhandenen Unterlagen
wie zum Beispiel Bodenwertkarten waren im Sozialismus nur dem
Herrschaftswissen der Agrar-Nomenklatur vorbehalten. Oder aber,
die Informationen waren im Kolchosen-Maßstab zu großflächig
erhoben und zusammengestellt, als dass sie einem kleinen Landwirt
mit ein paar Hektar Wirtschaftsfläche wirklich hilfreich
sein könnten. Und die einzige aktuelle Bodenkarte Georgiens,
die Professor Urushadse vor kurzem verdienstvollerweise herausgebracht
hat, taugt ebenfalls nur für einen groben Überblick
über die Bodenbeschaffenheiten des Landes. Dem einzelnen
Landwirt, der in der Regel nicht viel mehr als ein Hektar Fläche
bewirtschaftet, bringt sie wenig Informationen.
Das groß angelegte landesweite Katasterprojekt der KfW,
in dem große Teile des georgischen Siedlungs- und Wirtschaftsgebietes
neu vermessen und katastriert wurden, bemüht sich in vielen
Einzelkomponenten, den Nutzen der Neukartierung der georgischen
Markung den heutigen und künftigen Landeignern in allen möglichen
Bereichen nutzbar zu machen. Das Beispiel Dedopliszkaro, wo der
Trainingskurs der KfW den Teilnehmern eine erste Feld-Studie in
Sachen Bodenbewertung ermöglichte, soll das verdeutlichen.
Dort hat Landwirt Schota von der Gemeinde rund 40 ha Gelände
gepachtet. Er züchtet Jungferkel, die er mit gutem Profit
verkauft, Schafe und Rinder. Ein bisschen Ackerbau kommt dazu.
Für das gesamte Gelände zahlt er eine jährliche
Einheitspacht von 45 GEL pro Hektar, der örtliche Bürgermeister
hat das so entschieden. Die Bodenuntersuchungen des KfW-Bodenbewerters
haben aber ergeben, dass etwa 30 Hektar des Bodens für jeden
Pflanzenanbau ungeeignet sind und nur für Weidewirtschaft
genutzt werden können. Für solche Böden zahlt man
in Georgien gemeinhin nur 3 GEL pro Jahr. 15 Hektar sind bester
Ackerboden, der mit 45 GEL pro Hektar angemessen bezahlt ist.
Eine amtliche Bodenbewertung aus der Sowjetzeit, die man für
die Ermittlung der Pacht hätte auswerten können, gibt
es für dieses Grundstück nicht. Schota erfuhr von dem
Bodenbewertungslehrgang der KfW, lud die Seminarteilnehmer zu
sich ein und kann jetzt mit einem fundierten Gutachten in neue
Pachtverhandlungen mit dem Bürgermeister der Gemeinde treten.
Einigt man sich auf der Basis der vorliegenden Bodenbewertung,
kann Schota den Gegenwert von mindestens einem Rind pro Jahr an
Pacht einsparen. In Deutschland, wo die Bodenbewertung seit Generationen
ein erprobtes Instrument der Landwirtschaf ist, kann man mit dieser
Geschichte keinen Hofhund mehr hinter dem Gartenzaun hervorlocken,
in Georgien betritt die KfW mit ihrem Ausbildungsseminar Neuland.
30 Plätze wollte das Katasterprojekt, das von der deutschen
Consulting-Firma GfA betreut wird, eigentlich anbieten. Mit 79
Bewerbungen wurden aber alle Erwartungen übertroffen, sodass
man knapp 50 Aspiranten, die eine gewisse Eignung und Vorbildung
nachweisen konnten, die Chance dieses mehrwöchigen Trainings
gab. Nach fünf Tagen theoretischer Ausbildung in Tbilissi
wurden die künftigen Bodenbewerter in elf weiteren Tagen
in verschiedenen Gegenden Georgiens in Feld-Trainings ausgebildet,
fünf weitere abschließende Unterrichtstage in Tbilissi
folgten. Der Kurs war kostenlos, die KfW hofft, rund 50 ehemaligen
Bodenkundlern, Agrarchemikern oder Geografen, die allesamt arbeitslos
geworden sind, eine Existenz als Selbständige Gutachter aufbauen
zu können. Voraussetzung dafür ist, dass die Landwirte
den finanziellen Nutzen erkennen, den ihnen diese Bodenbewerter
bringen können. Denn eine Bodenbewertung wird nicht unerschwinglich.
Mit rund 5 GEL pro Hektar ist man dabei. Die theoretische Ausbildung
fand in der Kaukasischen Immobilienakademie statt, ebenfalls ein
Ableger des KfW-Katasterprojekts. Hier werden normalerweise Immobilien-
und Grundstückssachverständige ausgebildet, ein Beruf,
der ebenfalls neu ist im postsozialistischen Georgien, aber dringend
gebraucht wird.
Die Feldergebnisse der Bodenbewerter sollen dann in das vorhandene
Kartenmaterial aus der Kolchosenzeit eingearbeitet und dieses
damit aktualisiert werden. Es gibt zwar durchaus altes Kartenmaterial
mit Angaben über Bodenqualitäten. Dies entspricht aber
keineswegs internationalen Standards und gammelt in einem Archiv
vor sich hin, das aus Geldmangel den größten Teil seiner
Mitarbeiter entlassen musste. Im KfW-Projekt werden diese Karten
digitalisiert und stehen künftig den Bodenbewertern und den
Landwirten zur Verfügung. Zusammen mit dem neu erarbeiteten
Informationen können landwirtschaftliche Berater in einigen
Jahren oder Jahrzehnten auf das Informationsmaterial zurückgreifen,
das ihren Kollegen in Deutschland längst längst zur
Verfügung steht, wenn sie dem kleinen Landwirt mit einem
guten Rat für die richtige Bewirtschaftung seines Bodens
kommen wollen. Landwirt Schota in Dedopliszkaro musste sich beispielsweise
fragen lassen, warum er auf einem Humusboden allerbester Güte
nur Rinder und Schafe weiden lässt statt Gemüse anzubauen
oder wenigstens Futter. Schota war früher Umwelttechniker
und Inspektor bei irgendeiner Umweltbehörde. Mit seiner Landwirtschaft
kann er seit einigen Jahren ganz gut überleben. Es wäre
aber vielmehr drin, wenn er richtig beraten würde. Die Bodenbewerter
sollen Schota und Tausenden von neuen Landwirten, die den Beruf
nicht gelernt haben, dabei helfen. Sie sollen Anbautipps geben,
Düngemittelpläne entwerfen und bei Grundstücksverkäufen,
Flurbereinigungen oder Pachtverträgen als neutrale Gutachter
auftreten. Alles Aufgaben, für die es im Sozialismus keinen
Bedarf gab. Manchmal muss man sich schon um die Graswurzeln bemühen,
wenn man mit dem, was die Entwicklungspolitik "Technische
Zusammenarbeit" nennt, einem Land im Umbruch auf die Sprünge
helfen will.
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