Ausgabe 10/03
11. Juni


Es ist soweit: das georgische Stromverteilungssystem bestraft die Städte und Gemeinden des Landes, die sich durch eine allzu nachlässige Bezahlung ihrer Stromrechnungen auszeichnen, mit einer dauerhaften Abschaltung der Stromlieferungen. Möglich wurde diese Maßnahme durch eine tiefgreifende Umorganisation der georgischen Stromwirtschaft, d.h. durch die schrittweise Übernahme der entscheidenden Management-Funktionen durch ausländische Management-Gesellschaften. Damit wird der georgischen Vetternwirtschaft im Energiesektor, die vor allem dem Diebstahl von Energie diente, langsam aber sicher ein Riegel vorgeschoben. Hauptbetroffener dieser drastischen Strafe ist die Landbevölkerung, die nicht der größte Schuldanteil an der dieser Misere trifft, jetzt zunächst einmal auf jegliche Stromversorgung verzichten muss.

Ausgangspunkt der Stromabschaltung ist eine Entscheidung der georgischen Strombörse "Georgian Wholesale Electricity Market - GWEM", seinen Kunden "United Distribution Company of Georgia - UDC" ab sofort nur noch 30 % der bisher gelieferten Strommenge zuzuteilen. Der GWEM ist die zentrale Stromverteilungs- und Inkasso-Stelle der georgischen Energiewirtschaft. Alle Stromlieferungen, egal ob Inlandsproduktion oder Import - müssen über diese unabhängige Agentur verteilt werden, während wiederum alle Stromzahlungen durch Distributoren oder Direktverbraucher auf ein Treuhandkonto der GWEM zu bezahlen sind, mit deren Einnahmen diese das Überlandnetz und die Stromerzeuger anteilig nach dem von ihnen eingespeisten Strommengen bezahlt. Sind die Kunden der GWEM mit ihren Zahlungen im Rückstand, kann die GWEM ihrerseits die Strom-Produzenten nur unzureichend bezahlen, was dann - vor allem im Winter - immer wieder zu Cash-Problemen bei der Beschaffung von Primärenergie für die Thermo-Kraftwerke führt. Der GWEM gehören alle an der Stromwirtschaft beteiligten Gesellschaften an, die GWEM arbeitet völlig unabhängig, sie wird seit mehr als einem Jahr von einer spanischen Consulting-Firma gemanagt. Geschäftsführer der UDC ist der Spanier Alberto Solis. Das Überlandnetz, eine eigene Gesellschaft, wird zwischenzeitlich von einer irischen Beraterfirma gemanagt.

In der UDC wurden im Jahr 2002 acht regionale Stromverteilungsgesellschaften Georgiens mit 58 lokalen Niederlassungen in einer einzigen Firma zusammengefasst, mit Ausnahme von AES-Telasi, dem Tbilisser Stromversorgungsunternehmen. Zuvor waren die regionalen Stromverteilungsunternehmen selbständig. Jetzt werden sie als Niederlassungen der UDC geführt, deren Management mittlerweile der amerikanischen Firma PA Consulting übertragen wurde, Generaldirektor ist der Amerikaner David Thornton. Damit ist fast die gesamte georgische Stromwirtschaft derzeit in den Händen ausländischer Management-Gesellschaften und Manager. UDC beschäftigt 5.000 Mitarbeiter und versorgt 660.000 Verbraucher auf 70 % des georgischen Territoriums. Da Management-Kosten von "PA Government Services Inc.", einer Tochter der in Georgien an mehreren Stellen aktiven "PA Consulting Group", werden von USAID finanziert, fallen also nicht dem georgischen Stromverbraucher zur Last. PA hat sich in einem Vertrag mit der georgischen Regierung verpflichtet, die UDC für einen Zeitraum von 18 Monaten zu führen. In dieser Zeit soll das Unternehmen zu einem effizienten Stromverteiler (und vor allem Stromgeld-Kassierer) umgebaut werden.

Das Hauptproblem der UDC besteht in mittlerweile insgesamt 220 Millionen GEL an Altschulden, die sie von den früheren selbständigen Stromverteilungsgesellschaften übernommen hat. Mit dem Zusammenschluss hat sich jedoch die Zahlungsmoral in der georgischen Provinz nicht verbessert. Im 1. Quartal 2003 bezog die UDC Strom im Wert von 7 Millionen GEL, konnte allerdings nur 2,2 Millionen GEL einsammeln und auf das Treuhandkonto des GWEM überweisen. Das sind gerade einmal 31 %. Aus diesem Grunde sah sich der GWEM gezwungen, der UDC ab sofort nur noch 30 % der bisherigen Strommenge zur Verfügung zu stellen, was diese wiederum zwingt, vor allem die Städte und Gemeinden vom Netz zu nehmen, deren schlechte Zahlungsmoral das Ergebnis von UDC besonders schwer schädigen. Das sind insgesamt 30 Neiderlassungen, die u.a. die Städte Kutaissi, Rustawi, Poti, Sugdidi, Mzcheta und Bordschomi mit Strom versorgen.

David Thornton erklärte hierzu, dass es in aller Regel nicht die Schuld der Bevölkerung sei, dass das Inkasso-Ergebnis so schlecht ist. Es liegt vor allem an den staatlichen Verbrauchern, hauptsächlich großen Industrieunternehmen und Verwaltungen, die so gut wie gar nicht bezahlten, und an den örtlichen Stromkassierern, die entweder zu nachlässig arbeiten und nur teilweise die Stromrechnungen abkassierten oder - nach altem Brauch - einen Teil des Inkassos den Konten und Büchern der UDC vorenthielten. Anders als in Tbilissi, wo Stromzahlungen bei offiziellen Büros von AES-Telasi vorgenommen werden müssen und sofort im Computersystem von AES registriert werden, werden die Stromrechnungen im Land noch von den Stromzählern der früheren lokalen Stromverteilungsunternehmen einkassiert. Bei dieser Art des Inkassos sind Manipulationen systemimmanent.

Die UDC ist am gesamten Stromverbrauch des GWEM mit einem Anteil von 26 % vertreten. 29 % verbraucht AES-Telasi, 16 % Grossverbraucher wie die Staatliche Eisenbahn oder Industriekonzerne, 11 % andere Verbraucher. 18 % des gesamten georgischen Stromverbrauchs wird in Abchasien von der Leistung des Inguri-Kraftwerkes direkt abgezapft, weitaus mehr als die abtrünnige Republik verbraucht. Abachsien zahlt, wen wunderts, keinen Tetri für seinen Strom, wobei Eingeweihte vermuten, dass der Stromüberschuss von Abchasien regelmäßig über russische Rechnungsstellen direkt nach Georgien exportiert wird. Zusammen mit den nur 30 % Zahlungen von UDC werden damit bereits rund 25 % des gesamten georgischen Stromverbrauchs von der GWEM kostenlos abgegeben. Natürlich ist auch der GWEM buchhalterisch völlig überschuldet, da er die Stromlieferanten seinerseits nur unzulänglich bezahlen kann.

Dazu kommen noch weitere Zahlungshindernisse, wie dem Geschäftsbericht 2002 der GWEM zu entnehmen sind:

Die Rustawi-Zement-Fabrik hat Schulden des GWEM an Tbilresi übernommen und in den ersten elf Monaten des Jahres 2002 seinerseits für 1.5 Millionen GEL Strom bezogen und nicht bezahlt.

Die Stickstofffabrik Rustawi (AZOTI) und die Staatliche Eisenbahngesellschaft haben durch sogenannte Barter-Verträge gewisse Auslandsschulden Georgiens übernommen und wurden dafür vom früheren staatlichen Strommanagement von der Bezahlung ihrer Stromrechnungen freigestellt. AZOTI zahlte in 2002 überhaupt keinen Strom, die Eisenbahnverwaltung nur 21 %. Erst seit März diesen Jahres sind die Barterverträge der Eisenbahn ausgelaufen, sodass sie jetzt ihre Stromrechnung voll zu bezahlen hat.

AES-Telasi liegt mit dem GWEM in einem Rechtsstreit. Da AES-Telasi jährlich während der Wintermonate die Primärenergie für das Thermokraftwerk Mtkvari direkt einkauft, den Strom dann pflichtgemäß in das Verteilersystem von GWEM einspeist und vor dort wieder bezieht, ohne angesichts der schlechten Kassenlage von GWEM voll bezahlt zu werden, behält AES-Telasi die Kosten, die es für den Einkauf der Primärenergie vorstreckt, von seinen Zahlungen an den GWEM ein. Teilweise hat AES-Telasi auch den Direktimport von Strom vorfinanziert, der von GWEM dann auch anderen Verbrauchern, die nicht bezahlten, zugeteilt wurde.

Es herrscht also ein heilloses Chaos in der georgischen Stromwirtschaft, bewusst herbeigeführt, sagen Insider, von denen, die im Schatten dieses Durcheinanders in aller Ruhe ihre Taschen füllten, während das Stromsystem noch nicht einmal in der Lage war, die Gehälter der Arbeiter in den Generatoren und im Leitungsnetz voll zu erwirtschaften, geschweige denn den Einsatz der benötigten Primärenergie. Mit der Übernahme entscheidender Management-Positionen durch ausländische Consultants, die von USAID oder anderen Geldgebern wie Weltbank oder EBRD finanziert werden, soll diesem für einige wenige einträglichen Chaos ein Ende bereitet werden.

Für das Jahr 2003 hat sich Alberto Solis vom GWEM das Ziel gesetzt, im Durchschnitt etwa 55 % der Stromrechnungen auch tatsächlich zu kassieren, womit man auch etwa 55 % der bezogenen Strommengen wird bezahlen können, denn der GWEM finanziert seine eigenen Kosten im wesentlichen durch Mitgliedsbeiträge. Das wäre ein großer Fortschritt zur Situation von vor drei oder vier Jahren, als man noch nicht einmal für 30 % des im Lande verbrauchten Stroms auch tatsächlich kassieren konnte. Mit rund 75 % Inkasso könne das Stromsystem des Landes effizient gemanagt werden, erklärte Solis gegenüber georgien-news das Fernziel seiner Bemühungen, wobei dann auch Kosten für eine Grund-Sanierung des Leitungsnetzes erwirtschaftet würden.

Um einen erneuten Stromkollaps für das ganze Land zu verhindern, hat der GWEM einfach keine andere Chance, als zur drastischen Maßnahme der Stromsperre für säumige Zahler zu greifen. Sollen die Ziele des Jahres 2003 auch erreicht werden, so steht es im Geschäftsbericht des GWEM 2002, muss die Regierung ihrerseits endlich den Stromverbrauch all ihrer Behörden bezahlen und einen Ausgleich schaffen für den Strom, den sich die abtrünnige Provinz Abchasien kostenlos dafür abzweigt, dass sie vom Inguri-Kraftwerk, das auf abchasischem Boden liegt, überhaupt Strom nach Georgien liefern lässt.

Die kommunale Stromsperre war schon einmal verfügt worden, wurde aber vom rein georgischen Management von UDC durch direkte Vernetzungen mit den Stromgeneratoren umgangen. Mit der amerikanischen Managementfirma PA sollen solche Manipulationen nicht mehr vorkommen. Trotzdem gab es noch einmal eine Verzögerung. GWEM wollte die Stromsperre am 3. Juni vollziehen, dem Tag der von der Opposition angekündigten Massenproteste vor dem georgischen Parlament. Aus Angst vor Ausweitungen dieser Proteste hat der georgische Energieminister um eine kurzfristige Verschiebung der Stromsperren auf den 9. Juni gebeten. Die Nerven der georgischen Regierung liegen anscheinend blank.

In einem parlamentarischen Nachspiel forderte der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Temur Giorchelidse, die Rücknahme der allgemeinen Stromsperren durch den GWEM und forderte differenzierte Stromsperren, die diejenigen nicht träfen, die ihren Strom pünktlich bezahlt hätten. Alberto Solis vom GWEM entgegnete, dass die Stromsperren aufrechterhalten blieben und die UDC erst dann wieder voll mit Strom beliefert würde, wenn sie mindestens 70 % des Stroms bezahlen könne, den sie vom GWEM beziehe. Der technische Zustand des Netzes lasse derzeit eine differenzierte Stromsperre nicht zu, man sei aber dabei, dieses Problem zu lösen.


Copyright © 2003 ERKA-Verlag E-mail Impressum Kontakt Webmaster