Es ist soweit: das georgische Stromverteilungssystem bestraft die
Städte und Gemeinden des Landes, die sich durch eine allzu
nachlässige Bezahlung ihrer Stromrechnungen auszeichnen, mit
einer dauerhaften Abschaltung der Stromlieferungen. Möglich
wurde diese Maßnahme durch eine tiefgreifende Umorganisation
der georgischen Stromwirtschaft, d.h. durch die schrittweise Übernahme
der entscheidenden Management-Funktionen durch ausländische
Management-Gesellschaften. Damit wird der georgischen Vetternwirtschaft
im Energiesektor, die vor allem dem Diebstahl von Energie diente,
langsam aber sicher ein Riegel vorgeschoben. Hauptbetroffener dieser
drastischen Strafe ist die Landbevölkerung, die nicht der größte
Schuldanteil an der dieser Misere trifft, jetzt zunächst einmal
auf jegliche Stromversorgung verzichten muss.
Ausgangspunkt der Stromabschaltung ist eine Entscheidung der
georgischen Strombörse "Georgian Wholesale Electricity
Market - GWEM", seinen Kunden "United Distribution Company
of Georgia - UDC" ab sofort nur noch 30 % der bisher gelieferten
Strommenge zuzuteilen. Der GWEM ist die zentrale Stromverteilungs-
und Inkasso-Stelle der georgischen Energiewirtschaft. Alle Stromlieferungen,
egal ob Inlandsproduktion oder Import - müssen über
diese unabhängige Agentur verteilt werden, während wiederum
alle Stromzahlungen durch Distributoren oder Direktverbraucher
auf ein Treuhandkonto der GWEM zu bezahlen sind, mit deren Einnahmen
diese das Überlandnetz und die Stromerzeuger anteilig nach
dem von ihnen eingespeisten Strommengen bezahlt. Sind die Kunden
der GWEM mit ihren Zahlungen im Rückstand, kann die GWEM
ihrerseits die Strom-Produzenten nur unzureichend bezahlen, was
dann - vor allem im Winter - immer wieder zu Cash-Problemen bei
der Beschaffung von Primärenergie für die Thermo-Kraftwerke
führt. Der GWEM gehören alle an der Stromwirtschaft
beteiligten Gesellschaften an, die GWEM arbeitet völlig unabhängig,
sie wird seit mehr als einem Jahr von einer spanischen Consulting-Firma
gemanagt. Geschäftsführer der UDC ist der Spanier Alberto
Solis. Das Überlandnetz, eine eigene Gesellschaft, wird zwischenzeitlich
von einer irischen Beraterfirma gemanagt.
In der UDC wurden im Jahr 2002 acht regionale Stromverteilungsgesellschaften
Georgiens mit 58 lokalen Niederlassungen in einer einzigen Firma
zusammengefasst, mit Ausnahme von AES-Telasi, dem Tbilisser Stromversorgungsunternehmen.
Zuvor waren die regionalen Stromverteilungsunternehmen selbständig.
Jetzt werden sie als Niederlassungen der UDC geführt, deren
Management mittlerweile der amerikanischen Firma PA Consulting
übertragen wurde, Generaldirektor ist der Amerikaner David
Thornton. Damit ist fast die gesamte georgische Stromwirtschaft
derzeit in den Händen ausländischer Management-Gesellschaften
und Manager. UDC beschäftigt 5.000 Mitarbeiter und versorgt
660.000 Verbraucher auf 70 % des georgischen Territoriums. Da
Management-Kosten von "PA Government Services Inc.",
einer Tochter der in Georgien an mehreren Stellen aktiven "PA
Consulting Group", werden von USAID finanziert, fallen also
nicht dem georgischen Stromverbraucher zur Last. PA hat sich in
einem Vertrag mit der georgischen Regierung verpflichtet, die
UDC für einen Zeitraum von 18 Monaten zu führen. In
dieser Zeit soll das Unternehmen zu einem effizienten Stromverteiler
(und vor allem Stromgeld-Kassierer) umgebaut werden.
Das Hauptproblem der UDC besteht in mittlerweile insgesamt 220
Millionen GEL an Altschulden, die sie von den früheren selbständigen
Stromverteilungsgesellschaften übernommen hat. Mit dem Zusammenschluss
hat sich jedoch die Zahlungsmoral in der georgischen Provinz nicht
verbessert. Im 1. Quartal 2003 bezog die UDC Strom im Wert von
7 Millionen GEL, konnte allerdings nur 2,2 Millionen GEL einsammeln
und auf das Treuhandkonto des GWEM überweisen. Das sind gerade
einmal 31 %. Aus diesem Grunde sah sich der GWEM gezwungen, der
UDC ab sofort nur noch 30 % der bisherigen Strommenge zur Verfügung
zu stellen, was diese wiederum zwingt, vor allem die Städte
und Gemeinden vom Netz zu nehmen, deren schlechte Zahlungsmoral
das Ergebnis von UDC besonders schwer schädigen. Das sind
insgesamt 30 Neiderlassungen, die u.a. die Städte Kutaissi,
Rustawi, Poti, Sugdidi, Mzcheta und Bordschomi mit Strom versorgen.
David Thornton erklärte hierzu, dass es in aller Regel nicht
die Schuld der Bevölkerung sei, dass das Inkasso-Ergebnis
so schlecht ist. Es liegt vor allem an den staatlichen Verbrauchern,
hauptsächlich großen Industrieunternehmen und Verwaltungen,
die so gut wie gar nicht bezahlten, und an den örtlichen
Stromkassierern, die entweder zu nachlässig arbeiten und
nur teilweise die Stromrechnungen abkassierten oder - nach altem
Brauch - einen Teil des Inkassos den Konten und Büchern der
UDC vorenthielten. Anders als in Tbilissi, wo Stromzahlungen bei
offiziellen Büros von AES-Telasi vorgenommen werden müssen
und sofort im Computersystem von AES registriert werden, werden
die Stromrechnungen im Land noch von den Stromzählern der
früheren lokalen Stromverteilungsunternehmen einkassiert.
Bei dieser Art des Inkassos sind Manipulationen systemimmanent.
Die UDC ist am gesamten Stromverbrauch des GWEM mit einem Anteil
von 26 % vertreten. 29 % verbraucht AES-Telasi, 16 % Grossverbraucher
wie die Staatliche Eisenbahn oder Industriekonzerne, 11 % andere
Verbraucher. 18 % des gesamten georgischen Stromverbrauchs wird
in Abchasien von der Leistung des Inguri-Kraftwerkes direkt abgezapft,
weitaus mehr als die abtrünnige Republik verbraucht. Abachsien
zahlt, wen wunderts, keinen Tetri für seinen Strom, wobei
Eingeweihte vermuten, dass der Stromüberschuss von Abchasien
regelmäßig über russische Rechnungsstellen direkt
nach Georgien exportiert wird. Zusammen mit den nur 30 % Zahlungen
von UDC werden damit bereits rund 25 % des gesamten georgischen
Stromverbrauchs von der GWEM kostenlos abgegeben. Natürlich
ist auch der GWEM buchhalterisch völlig überschuldet,
da er die Stromlieferanten seinerseits nur unzulänglich bezahlen
kann.
Dazu kommen noch weitere Zahlungshindernisse, wie dem Geschäftsbericht
2002 der GWEM zu entnehmen sind:
Die Rustawi-Zement-Fabrik hat Schulden des GWEM an Tbilresi übernommen
und in den ersten elf Monaten des Jahres 2002 seinerseits für
1.5 Millionen GEL Strom bezogen und nicht bezahlt.
Die Stickstofffabrik Rustawi (AZOTI) und die Staatliche Eisenbahngesellschaft
haben durch sogenannte Barter-Verträge gewisse Auslandsschulden
Georgiens übernommen und wurden dafür vom früheren
staatlichen Strommanagement von der Bezahlung ihrer Stromrechnungen
freigestellt. AZOTI zahlte in 2002 überhaupt keinen Strom,
die Eisenbahnverwaltung nur 21 %. Erst seit März diesen Jahres
sind die Barterverträge der Eisenbahn ausgelaufen, sodass
sie jetzt ihre Stromrechnung voll zu bezahlen hat.
AES-Telasi liegt mit dem GWEM in einem Rechtsstreit. Da AES-Telasi
jährlich während der Wintermonate die Primärenergie
für das Thermokraftwerk Mtkvari direkt einkauft, den Strom
dann pflichtgemäß in das Verteilersystem von GWEM einspeist
und vor dort wieder bezieht, ohne angesichts der schlechten Kassenlage
von GWEM voll bezahlt zu werden, behält AES-Telasi die Kosten,
die es für den Einkauf der Primärenergie vorstreckt,
von seinen Zahlungen an den GWEM ein. Teilweise hat AES-Telasi
auch den Direktimport von Strom vorfinanziert, der von GWEM dann
auch anderen Verbrauchern, die nicht bezahlten, zugeteilt wurde.
Es herrscht also ein heilloses Chaos in der georgischen Stromwirtschaft,
bewusst herbeigeführt, sagen Insider, von denen, die im Schatten
dieses Durcheinanders in aller Ruhe ihre Taschen füllten,
während das Stromsystem noch nicht einmal in der Lage war,
die Gehälter der Arbeiter in den Generatoren und im Leitungsnetz
voll zu erwirtschaften, geschweige denn den Einsatz der benötigten
Primärenergie. Mit der Übernahme entscheidender Management-Positionen
durch ausländische Consultants, die von USAID oder anderen
Geldgebern wie Weltbank oder EBRD finanziert werden, soll diesem
für einige wenige einträglichen Chaos ein Ende bereitet
werden.
Für das Jahr 2003 hat sich Alberto Solis vom GWEM das Ziel
gesetzt, im Durchschnitt etwa 55 % der Stromrechnungen auch tatsächlich
zu kassieren, womit man auch etwa 55 % der bezogenen Strommengen
wird bezahlen können, denn der GWEM finanziert seine eigenen
Kosten im wesentlichen durch Mitgliedsbeiträge. Das wäre
ein großer Fortschritt zur Situation von vor drei oder vier
Jahren, als man noch nicht einmal für 30 % des im Lande verbrauchten
Stroms auch tatsächlich kassieren konnte. Mit rund 75 % Inkasso
könne das Stromsystem des Landes effizient gemanagt werden,
erklärte Solis gegenüber georgien-news das Fernziel
seiner Bemühungen, wobei dann auch Kosten für eine Grund-Sanierung
des Leitungsnetzes erwirtschaftet würden.
Um einen erneuten Stromkollaps für das ganze Land zu verhindern,
hat der GWEM einfach keine andere Chance, als zur drastischen
Maßnahme der Stromsperre für säumige Zahler zu
greifen. Sollen die Ziele des Jahres 2003 auch erreicht werden,
so steht es im Geschäftsbericht des GWEM 2002, muss die Regierung
ihrerseits endlich den Stromverbrauch all ihrer Behörden
bezahlen und einen Ausgleich schaffen für den Strom, den
sich die abtrünnige Provinz Abchasien kostenlos dafür
abzweigt, dass sie vom Inguri-Kraftwerk, das auf abchasischem
Boden liegt, überhaupt Strom nach Georgien liefern lässt.
Die kommunale Stromsperre war schon einmal verfügt worden,
wurde aber vom rein georgischen Management von UDC durch direkte
Vernetzungen mit den Stromgeneratoren umgangen. Mit der amerikanischen
Managementfirma PA sollen solche Manipulationen nicht mehr vorkommen.
Trotzdem gab es noch einmal eine Verzögerung. GWEM wollte
die Stromsperre am 3. Juni vollziehen, dem Tag der von der Opposition
angekündigten Massenproteste vor dem georgischen Parlament.
Aus Angst vor Ausweitungen dieser Proteste hat der georgische
Energieminister um eine kurzfristige Verschiebung der Stromsperren
auf den 9. Juni gebeten. Die Nerven der georgischen Regierung
liegen anscheinend blank.
In einem parlamentarischen Nachspiel forderte der Vorsitzende
des Wirtschaftsausschusses, Temur Giorchelidse, die Rücknahme
der allgemeinen Stromsperren durch den GWEM und forderte differenzierte
Stromsperren, die diejenigen nicht träfen, die ihren Strom
pünktlich bezahlt hätten. Alberto Solis vom GWEM entgegnete,
dass die Stromsperren aufrechterhalten blieben und die UDC erst
dann wieder voll mit Strom beliefert würde, wenn sie mindestens
70 % des Stroms bezahlen könne, den sie vom GWEM beziehe.
Der technische Zustand des Netzes lasse derzeit eine differenzierte
Stromsperre nicht zu, man sei aber dabei, dieses Problem zu lösen.
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