Manchmal sind auch die banalsten Zufälle einfach zu schön,
als dass man sie übergehen könnte. Wir sitzen auf der
Besuchercouch im Büro des georgischen Sicherheitschefs Tedo
Tschaparidse, der im Vorzimmer noch ein paar bürokratische
Pflichten erledigt. Wie in allen georgischen Regierungs-Vorzimmern
läuft ununterbrochen der Fernseher. Und just in diesem Augenblick
erklingt die amerikanische Kult-Ballade "Summertime".
Ein enger Mitarbeiter Tedos, der mit uns die Zeit überbrückt,
bekommt glänzende Augen. Das sei sein Lieblingslied, erzählt
er in bestem Deutsch, einfach eine unsterbliche Melodie. Tedo Taschaparidses
Büro ist im nur mit Sonderausweis zugänglichen Sicherheitsbereich
der georgischen Staatskanzlei, ein Gebäude, das vor 15 Jahren
noch das Zentralkommitee der Kommunistischen Partei Georgiens beherbergte.
Ob Summertime damals zu den bevorzugten Melodien der Leute gehörte,
die hier arbeiteten?
Tedo Tschaparaidse gilt als der "Amerikaner" schlechthin
im engeren Führungszirkel Georgiens. Acht Jahre lang war
er Schewardnadses Botschafter in Washington, bevor er im Frühjahr
letzten Jahres zum Chef der georgischen Staatssicherheit berufen
wurde. Da war Zeit genug, sich sein Netzwerk an Freunden zu knüpfen.
Da war für die Gastgeber auch Zeit genug, Vertrauen zu dem
Mann aufzubauen, der vermutlich nicht ohne deren Zutun in das
Zentrum der georgischen Sicherheitspolitik berufen wurde.
Dass das Netzwerk hielt, zeigte sich im vergangenen Herbst, als
Tedo Tschaparidse in Washington über die Botendienste von
Mitarbeitern seiner amerikanischen Kollegin Condolezza Rice, die
er zu seinem persönlichen Freundeskreis zählt, indirekt
in deren Verhandlungen mit den beiden russischen Iwanows (Außenminister
und Verteidigungsminister führen denselben seltenen russischen
Familiennamen) einbezogen war. Diese hatten eine direkte Beteiligung
des Georgiers an den Gesprächen verweigert. Es ging damals
um den Versuch Russlands, im Pankisital militärisch einzugreifen,
was Amerika, wie man weiß, strikt abgelehnt hat. Die neue
Schutzmacht Georgiens, die Vereinigten Staaten von Amerika, haben
dem Herrscher aus früheren Zeiten die "rote Linie"
im Kaukasus gezeigt und Tedo Tschaparidse saß irgendwie
mit am Verhandlungstisch.
Dass er Freunde hat im Weissen Haus und im State Department,
die er jederzeit anrufen kann, erzählt Tedo Tschaparidse
beiläufig am Beispiel der Nowosti-Meldung vom Vortag unseres
seit längerem geplanten Treffens, wonach der amerikanische
Botschafter in Moskau erklärt habe, es gäbe noch immer
eine terroristische Bedrohung für Russland, die im georgischen
Pankisital Unterschlupf gefunden habe. Ein schneller Anruf in
Washington noch am Abend und die Verwirrung war ausgeräumt.
Dazu eine knappe e-mail-Korrespondenz zur US-Botschaft in Moskau:
"Is it true-I mean is it true that Sandy`s said this? Cheers,
Tedo." Die Antwort war ebenso knapp: "Tedo - I`m sending
you the whole speech - as usual the Novosti version is a bit exaggerated.
Best regards, John." Man kennt sich, man mailt sich, man
ruft sich an. Tedo Tschaparidse erzählt diese Episode unprätentiös,
sodass nie der Eindruck aufkommen kann, als müsse er mit
seinen Connections prahlen. Er hat sie, er nutzt sie. Immerhin
hat er auch Freunde in anderen Hauptstädten der Welt, insbesondere
Moskau, wo er jahrzehntelang studierte und danach als Amerikanist
arbeitete. Erst 1989 kehrte er nach Georgien zurück.
Also "Summertime - and the living is easy" erklingt,
als Tedo Tschaparidse, der im Aussehen und Auftreten so ganz und
gar nicht den Klischees vom georgischen Geheimdienstmann oder
Regierungsbürokraten entspricht, das Büro betritt, sich
angesichts der fast schon sommerlichen Schwüle seines Jacketts
entledigt und das Gespräch beginnt, in bestem Englisch natürlich.
Es ist zwar erst Mai, aber das Quecksilber steht schon auf Summertime,
das Leben in Georgien ist aber alles andere als easy. Sein Stellvertreter
zieht sich zurück, das Hintergrundgespräch läuft
ohne weiteren Mithörer ab. In vielen Amtsstuben Gorgiens
sitzt bei solchen Gesprächen im Hintergrund noch immer ein
stummer, unauffällig auffällig stenographierender Begleiter.
Ob er sich erkenne, wenn er als Pro-Amerikaner betitelt werde,
wollen wir wissen. Tedo lächelt ein wenig, zögert nur
ganz kurz und erzählt dann die Geschichte seiner vielen Freunde
in der Welt, vor allem derer in Moskau, und dass er sich zuallererst
als einer fühle, der 100 % pro Georgien denke, danach in
anderen Kategorien. Dass er sich allerdings vor allem den Werten
der Demokratie, der Marktwirtschaft und der Liberalität verpflichtet
fühlt, zieht sich durch das ganze Einstundengespräch
und weisst ihn dann wieder als eindeutigen Westler aus. Und wenn
er darüber philosophiert, welche Aufgaben seinem Land bevorstehen,
dann wird sich die Frage nach seiner Grundorientierung nicht mehr
stellen. Der Mann ist ein Amerikaner.
Natürlich dreht sich unser Gespräch um die aktuellen
politischen Fragen, um Abchasien, Pankisi, das Verhältnis
zu Russland und vieles mehr, worüberauch wir regelmässig
berichten und wozu sich Tedo Tschaparidse regelmässig auch
in der Öffentlichkeit äussert. Im Gegensatz zu seinem
Vorgänger, der sich im letzten Jahr in seinem Büro in
der Staatskanzlei das Leben genommen hatte, hat Tedo Tschaparidse
keine Scheu vor öffentlichen Auftritten. Auch das ist neu
für einen Sicherheitschef in diesen Breitengraden, auch das
zeigt die amerikanische Schule. Und wir erinnern uns bei diesem
Gespräch, dass er im ersten Interview nach seiner Berufung,
das er noch in den USA einem amerikanischen Journalisten gab,
erklärte, er sehe es als seine Hauptaufgabe an, den Menschen
in seinem Heimatland zuallererst die Wahrheit zu sagen, auch seinem
Präsidenten, dem er zu berichten habe.
Eine dieser Wahrheiten spricht er aus, als wir das Thema Abchasien
anschneiden. Was immer in den verschiedenen politischen und diplomatischen
Formaten an Fortschritten erzielt werden känne, das Problem
Abchasien werde letztendlich nur dann gelöst werden, wenn
Georgien politisch so stabil und wirtschaftlich so stark sei,
dass es für die Abchasen attraktiver sei, sich Georgien anzunähern
als sich von ihm zu entfernen. An dieser Wahrheit führt für
Tedo Tschaparidse kein Weg vorbei. Und an dem Punkt seien die
Georgier zuallerst selbst gefragt, da könne ihnen niemand
helfen. "Lass uns Geschäfte miteinander machen, lass
uns gemeinsam Geld verdienen, dann lösen sich alle anderen
Probleme viel leichter." Der Amerikaner Tedo lässt grüssen:
Money makes the world go around.
Deshalb auch der Versuch von Sotschi, über gemeinsame wirtschaftliche
Interessen in humanitären Fragen wie die der Repatriierung
von Flüchtlingen einen Schritt voranzukommen. Wandel durch
Handel hiess dieses Konzept einmal, als mit ihm die deutsch-deutsche
Eiszeit aufgebrochen wurde. Dass Russland dabei Statusfragen ausklammern
und die internationalen Vermittlungsbemühungen aushebeln
wollte, räumt Tedo Tschaparidse indirekt ein, indem er -
wie auf einer Pressekonferenz einer Woche zuvor - wortreich erklärt,
dass zwischen Sotschi und dem sogenannten Genfer Format der Freunde
Georgiens in den UN überhaupt kein Widerspruch bestünde.
Anscheinend, so muss man das alles verstehen, haben Putin und
Schewardnadse aus den teilweise harschen Reaktionen auf Sotschi
erkannt, dass sie ohne internationale Absicherung kein Direktgeschäft
in Sachen Abchasien machen können. In dieser Frage bleibt
Tedo Tschaparidse zwar im Unverbindlichen, die diplomatische Wortakrobatik,
mit der die Rückkehr ins Genfer Format umschrieben wird,
lässt aber kaum einen anderen Schluss zu, wobei er einräumt,
dass es innerhalb der Freunde Georgiens eine paralelle Frontlinie
zu der im Irakkonflikt gegeben habe. Deutschland und Frankreich
seien nach Sotschi irritiert gewesen, während Amerika und
Großbritannien erklärten "Sotschi has not been
thad bad."
Auch für Russland müsse ein stabiles und wirtschaftlich
starkes Georgien besser sein als ein labiles, entwickelt er seine
politischen Ideale für den Kaukasus weiter, wie umgekehrt
Georgien auch an einer Stabilisierung Russlands interessiert sein
müsse. Dabei sind zwei Eckpfeiler unverrückbar. Zum
einen der, dass Abchasien niemals aus dem georgischen Staatsverbund
herausgelöst werden könne, auch wenn Russland noch soviele
Reisepässe für die Bürger Abchasiens ausstelle.
Zum anderen, dass es für Georgien niemals eine militärische
Lösung des Problems gebe. "Sagen Sie dies unseren Freunden
in Deutschland und Europa: Es gibt nur eine politische Lösung
des Problems!"
Im Umkehrschluss gilt dies auch für Tschetschenien, das
der einzige Grund sei für alle Probleme, die Georgien im
Pankisital hatte. Pankisi hätte es nie gegeben ohne Tschetschenien,
wie auf der anderen Seite manche Kreise in Russland das Pankisital
immer wieder instrumentalisierten, um zu Hause erklären zu
können, warum dieser unsinnige Krieg nicht beendet werden
könne. Dabei sei Tschetschenien nie ein Problem des internationalen
Terrorismus gewesen. Wieder so eine Wahrheit, die derzeit angesichts
der internationalen Koalition gegen den Terrorismus kaum vermittelbar
ist: Nicht jeder Tschetschene ist automatisch ein Terrorist.
Wenn denn der einzige Weg, politische Stabilität zu erreichen,
über wirtschaftliche Prosperität führe, wenden
wir uns wieder den inneren georgischen Problemen zu, warum habe
dann das Land so wenig Fortschritte erreicht. Es ist doch offensichtlich,
dass es von seiner Regierung schlecht gemanagt wird, dass die
Korruption jeden Fortschritt behindert. Kein Widerspruch von Tedo
Tschaparidse, keine Entschuldigung, nur der Versuch, die Missstände
zu erklären. Das georgische Dilemma, aus dem Nichts heraus
einen Staat aufbauen zu müssen, sei eben ein schmerzhafter
Prozess, der nicht ohne Brüche und Widersprüche ablaufen
könne. "Wir mussten in vier oder fünf Jahren eine
Wegstrecke zurücklegen, für die andere Länder ein
paar Hundert Jahre Zeit hatten. Das darf man nicht vergessen."
Tedo Tschaparidse legt noch einmal großen Wert darauf, dass
er damit all die Fehler und Versäumnisse der letzten Jahre
nicht entschuldigen wolle, dass er auch nicht zulasse, dass man
sich auf den Lorbeeren ausruht, die sich das Land nebenbei doch
noch erworben hat. Immerhin sei Georgien in einigen demokratischen
Kriterien Nummer eins in der ehemaligen Sowjetunion. Tedo Tschaparidse
nennt die Pressefreiheit, die Arbeit von NGO`s, auch in der Arbeit
des Parlaments und der Justizstrukturen habe man doch einige Fortschritte
erreicht, die es andernorts nicht gäbe.
Bei den Freunden Georgiens in aller Welt bittet Tedo Tschaparidse
trotzdem um Nachsicht: "Seid geduldig mit uns. Aber vergesst
auch nicht, uns ständig mit klaren Botschaften an unsere
Hausaufgaben zu erinnern." Das Land sei voll von alten Betonköpfen
und Bürokraten, auch in dem Gebäude, in dem wir uns
gerade befinden, sei noch jede Menge an altem Ungeist vorhanden,
den auszurotten, eine Aufgabe von Generationen sei. Freiheit bedeute
viele Freiheiten und man müsse verstehen, dass die Menschen
Georgiens aus einer anderen Gesellschaftsordnung als der westlichen
kommen, in anderem Denken verwurzelt sind, Schwierigkeiten hätten,
mit diesen Freiheiten verantwortlich umzugehen.
"Wir sind verpflichtet, einen normalen Staat aufzubauen,
der seine Rolle und Funktion kennt in der internationalen Gemeinschaft
und der dort auch in dieser Rolle anerkannt wird." Tedo Tschaparidse
ist optimistisch, dass dies gelingen kann, wenngleich er immer
wieder einräumt, dass dies ein langer und schmerzhafter Prozess
sei, in dem man sich befindet. Dabei vergisst er nicht die Anekdote
beizusteuern, dass Eduard Schewardnadse ihn zwischen 1992 und
1994, als er schon einmal Sicherheitsberater des Präsidenten
war, bei ausländischen Gästen oft genug scherzhaft als
seinen "Unsicherheitsberater" vorgestellt hatte. Die
Schlussfolgerung, dass dazu heute eigentlich kein Anlass mehr
bestehe und dass mit dieser Feststellung dann doch der Beweis
für einige Fortschritte im Lande angetreten sei, überlässt
er dem Besucher.
Ob ihm der Job Spass mache, wollen wir wissen. Spass sei nicht
das Kriterium, er könne sich schönere Aufgaben vorstellen
als diese. "Aber solange mein Präsident mich auf diesem
Posten braucht, werde ich meinen Dienst erfüllen". Ob
er sich einmal vorstellen könne, seinem Land auf einer anderen
Position zu dienen, fragen wir abschliessend. Die Antwort kommt
schnell, viel zu schnell: "Ja, als Universitätsdozent.
Ich bin Wissenschaftler und würde nichts lieber tun als die
nächste Generation fit zu machen für ihre Aufgaben."
So hätten wir dies nicht gemeint, fassen wir nach. Tedo Tschaparidse
versteht und schmunzelt einen Augenblick. Vorstellbar sei vieles,
wenn er gebraucht würde, könne er sich einer Aufgabe
doch nicht verschliessen. Der Mann weiss anscheinend, dass einer
wie er noch lange gebraucht wird, wenn das Ziel, aus dem georgischen
Chaos einen geordneten Staat zu bauen, erreicht werden soll. "Wir
haben doch nur die Fundamente gegossen und die ersten Steine aufgemauert.
Es wird noch viel Zeit und viele Hände brauchen, darauf ein
ordentliches Haus zu errichten." Und sicher noch viele Sommer.
Und in sogenannten eingeweihten Kreisen von Tbilissi, erfahren
wir zwei, drei Tage später, wird er als möglicher Aussenminister
gehandelt, sollte die Regierungs-Koalition die Novemberwahlen
erfolgreich überstehen. Seine Freundschaften und e-mail-Kontakte
werden ihm dann sicher hilfreich sein.
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