Ausgabe 9/03
28. Mai
 TV-Termine:

 Schätze der Welt:
 Baku – Land des
 Feuers

 3sat: 11. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 18. Mai, 13.15 Uhr

 Schätze der Welt:
 Mzcheta – Wunder der
 Nino

 3sat: 18. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 25. Mai, 13.15



Petrus höchstpersönlich ist vom NATO-Himmel heruntergekommen und zwar in Person von Generalsekretär Lord George Robertson, um den kaukasischen Ländern das gewachsene atlantische Interesse an einer regionalen Stabilität im Kaukasus mitzuteilen. Er stärkte dabei auch den Optimismus der Offiziellen in Aserbaidschan und Georgien hinsichtlich einer möglichen NATO-Mitgliedschaft beider Länder, als er erklärte, dass die Türen der NATO für beide Mitgliedskandidaten offen seien. Der georgische Aussenminister Irakli Menagarischwili erklärte pflichtbewusst, er sei hinsichtlich des NATO-Beitritts nach diesem Besuch optimistischer als zuvor, während eine Parlamentarier-Delegation der Opposition, die kurz zuvor in Brüssel weilte, erklärte, die Türen der NATO könnten für Georgien möglicherweise rasch geschlossen werden, wenn die Regierung die Vorgaben der NATO nicht schneller erfülle. Diese Stereotypen werden sich wohl bis zu den Wahlen im November wiederholen: Die Regierung macht auf NATO-Optimismus, während die Opposition der Regierung unzulängliche Umsetzung ihres hehren politischen Ziels vorwirft. An den nordatlantischen Himmelspforten klopfen beide gleichermassen heftig.

Lord Robertson erklärte in allen drei Hauptstädten das wachsende strategische Interesse der NATO an der Region Kaukasus. Der Kaukasus als Energie-Transportsektor einerseits und seine Bedrohung als Unterschlupf des internationalen Terrorismus andererseits sind verantwortlich dafür, dass die NATO ihr Profil in der Region stärkt. Zur gleichen Zeit erklärte Lord Robertson aber, dass es Grenzen der NATO-Möglichkeiten gebe, einen Sicherheitsschirm über der Region auszubreiten. Mit dieser Bemerkung reagierte Lord Robertson auf vielerlei Spekulationen, wonach die NATO bei der Lösung der territorialen Probleme des Kaukasus eine aktive Rolle spielen könne. Die NATO sei keine Wunderwaffe gegen alle geopolitischen Krankheiten dieser Region. "Die NATO kann keine führende Rolle bei der Beschleunigung der Friedensprozesse im Kaukasus spielen." Die Verantwortung für einen Frieden liege zunächst einmal bei den drei Ländern, wobei der NATO-Generalsekretär auch besonders die Rolle Russlands hervorhob. Langfristige Erfolge in der Lösung der Konflikte seien ohne auswärtige Kräfte, allen voran Russland, nicht zu erzielen, erklärte Robertson.

Vorbehalte äusserte Robertson gegenüber Bedenken gegen eine zu starke NATO-Präsenz im Kaukasus, die unter anderem in Brüssel aufgetaucht waren. Demnach würde ein verstärktes Engagement der NATO zu Spannungen mit Russland führen. Die NATO werde keine Aktionen unternehmen, die in Russland als Provokation angesehen werden könnten. "Lange Zeit war Russland unser Feind. Die Situation hat sich aber radikal geändert", erklärte Robertson in Armenien, dem engsten Freund Russlands im Kaukasus. In Tbilissi kündigte Lord Robertson den Plan der NATO an, in der georgischen Hauptstadt eine Koordinationsstelle zu etablieren, die alle NATO-Aktivitäten im Südkaukasus kooridieren soll. Hinsichtlich des Beitrittswunsches von Aserbaidschan und Georgien erklärte Robertson allerdings auch sehr deutlich, dass der Weg zu diesem Ziel lang und sehr schwer sei und es an den beiden Ländern selbst liege, ihn zu bestreiten. Insbesondere mahnte Lord Robertson demokratische Reformen in beiden Ländern an und machte die für dieses Jahr anstehenden Wahlen in beiden Ländern zu einem wichtigen Prüfstein.

Ähnlich äusserten sich auch einige georgische Parlamentarier, die tags zuvor von ihrem Brüssel-Besuch berichteten. Mangelnde Fortschritte in Fragen der Menschenrechte seien in Brüssel ebenso moniert worden wie die katastrophale Energieversorgung des Landes. Das Verhalten der georgischen Regierung, wonach die Einladung zur NATO-Mitgliedschaft Georgiens bereits beschlossene Sache sei, könne rasch dazu führen, dass die Tore der NATO für immer verschlossen blieben. Dabei, so die Parlamentariergruppe, sei das Thema demokratischer und fairer Wahlen weitaus wichtiger als Fortschritte bei den Reformen des Militärbereichs.

Dass es im Verteidigungssektor nicht zum besten steht, ist in Tbilissi allerseits bekannt. Zwar hat man dank des georgisch-amerikanischen Trainingsprogramms jetzt die eine oder andere Vorzeigeeinheit ausgebildet, der Zustand der übrigen Armee ist allerdings mehr als bedenklich. Diese Diagnose können auch die 1.200 Mann, die von den US-Boys bisher ausgebildet wurden, nicht verhindern. Weitere 1.200 Mann sollen bis zum Jahr 2004 folgen. Das Programm lastet allerdings schwer auf dem georgischen Verteididungshaushalt. Denn neben den 64 Millionen $, die Amerika investiert, liegt es an den Georgiern, den Sold für diese Elitesoldaten bereitzustellen. Der georgische Generalsstabschef Joni Pirtskhalaishvili musste einräumen, dass sein Ministerium zwar den finanziellen Kraftakt GTEP geschafft habe, dass dafür aber alle anderen Planungen des Ministeriums zurückgestellt werden mussten, zumal der Finanzminister bis jetzt nur 60 % der im Etat zugesagten Mittel hat bereitstellen können. Wegen Geldmangels musster der Verteidigungsminister sogar die traditionelle Militärparade am Nationalfeiertag, dem Unabhängigkeitstag am 26. Mai, streichen.

Im NATO-Planungsstab in Brüssel kann man sich nicht vorstellen, wie der georgische Verteidigungsminister unter diesen Umständen seine Ziele, die gesamte Armee auf NATO-Standard zu trimmen, erreichen soll. Ein georgischer Verteidigungsexperte warnt denn auch vor grossen Spannungen innerhalb der Armee, die Gefahr laufe, sich in zwei Armeen auzuspalten, einmal die von den Amerikanern gut ausgerüstete und trainierte und von der georgischen Regierung gut besoldeten Spezialeinheiten des GTEP-Programms, auf der anderen Seite der Rest einer frustrierten und unterbezahlten Armee. Ein Kandidat für die NATO-Mitgliedschaft kommt anders daher.


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