Ausgabe 9/03
28. Mai
 TV-Termine:

 Schätze der Welt:
 Baku – Land des
 Feuers

 3sat: 11. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 18. Mai, 13.15 Uhr

 Schätze der Welt:
 Mzcheta – Wunder der
 Nino

 3sat: 18. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 25. Mai, 13.15



Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Georgien (ELKG) ist geschichtlich mit einer Auswanderungswelle vor allem schwäbischer Protestanten in den Jahren 1817 und 1818 verbunden, die dem Ruf des Zaren folgten und sich im Kaukasus niederliessen, hier lebten und eineinhalb Jahrhunderte später vertrieben wurden. Dass im Jahr 1999 dennoch eine evangelische Kirche in Georgien juristisch gegründet werden konnte, ist ebenfalls mit dem Namen eines Schwaben verbunden, dem ihres ersten Bischofs, Prof. Dr. Gert Hummel, von dessen Vorfahren selbst eine Familie unter den Siedlern des vorletzten Jahrhunderts war. Die ELKG

hat heute fünf Gemeinden in Georgien und zwar in Tbilissi, Bolnissi, Gardabani, Rustawi und Bordschomi. Dazu kommen noch ein paar vereinzelte evangelische Familien an weiteren 12 Orten. Und seit kurzem zählt Gert Hummel auch noch zwei evangelische Gemeinden in Baku und im abchasischen Suchumi zu seinem Sprengel, wenngleich diese direkt der ELKRAS angeschlossen sind, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland und anderen Staaten, deren Mitglied die ELKG ist.

Die zwei geschichtlichen Wurzeln dieser Kirche sind schnell erzählt. Zum einen ist es die der Auswanderung. Mehrere Hundert schwäbischer Familien liessen sich Anfang des vorletzten Jahrhunderts im Kaukasus nieder. Zunächst trieb sie die wirtschaftliche Not in Deutschland, zum anderen die erwartete Wiederkunft Christi im Jahr 1836, zu der man dem Ort des Geschehens möglichst nahe sein wollte. Dörfer wie Katharinenfeld (heute Bolnisi), Marienfeld (Sartichala), Elisabethental (Asureti), Neu-Tiflis oder Annenfeld und Helenendorf (Samchor und Chanlar in Aserbaidschan) wurden gegründet und entwickelten sich nach anfänglichen Rückschlägen zu prächtigen, wirtschaftlich starken Gemeinden mit einer stolzen evangelisch-lutherischen Kirche als Mittelpunkt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Deutschen im Kaukasus, rund 45.000 an der Zahl, von Stalin deportiert, ihre Kirchen geschleift oder als Kino und Sporthallen zweckentfremdet. Erst mit der Perestroika Gorbatschows und dem Zerfall der UdSSR entstand im Kaukasus langsam wieder ein kleines evangelisches Gemeindeleben, zunächst nur in Tbilissi.


Und da beginnt der zweite Teil der Geschichte dieser Kirche. Als Partnerschaftsbeauftragter der Universität Saarbrücken stattete der schwäbsiche Theologieprofessor Dr.Gert Hummel der Universität Tbilissi regelmässige Besuche ab. Bei einer dieser Gelegenheiten erklärte ihm ausgerechnet ein Professor für Atheismus, dass es hier in Tbilissi noch eine versprengte Gruppe deutscher Protestanten gäbe. Der Rest ist schnell erzählt: Hummel brachte ab sofort bei jedem Tbilissi-Besuch seinen Pastorentalar mit und hielt neben seinen universitären Terminen noch einen Gottesdienst für die stetig wachsende evangelische Gemeinde in Tbilissi. Denn Ende der 90-er Jahre kamen immer mehr Protestanten aus den entlegensten Gegenden Russlands zurück nach Georgien. Der Entschluss reifte bei Gert Hummel und seiner Frau Christiane, nach der Emeritierung als deutscher Professor nach Georgien zu kommen und hier als Gemeinde-Pastor eine neue Kirchengemeinde aufzubauen. Jetzt sind sie bereits im fünften Jahr im Kaukasus, aus der kleinen Gemeinde in Tbilissi wurde eine eigenständige georgische Landeskirche und aus dem Gemeinepastor der erste evanglische Bischof Georgiens. Mittlerweile zählt Gert Hummel rund 1.000 Gläubige in seinem Beritt, Baku und Suchumi inklusive.


Dass es gelungen ist, die noch erhaltene, im Jahr 1913 erbaute lutherische Kirche in der abtrünnigen Republik Abchasien wieder aktivieren zu können, ist eines der Husarenstücke des zähen Schwaben, der mittlerweile 71 Jahre zählt. Denn bei seinem ersten Besuch in Abchasien wurde er eher als Spion eingestuft, was zu ernsthaften diplomatisch-politischen Aktivitäten hinter den Kulissen führte. Später, als auch die abchasischen Behörden die politische Harmlosigkeit des deutsch-georgischen Kirchenmannes erkannt hatten, kam der Vizepremier von Suchumi von selbst auf Gert Hummel zu und offerierte ihm die Dauernutzung der Kirche unter der Bedingung natürlich, dass er sie renoviere. Erfahren im Einsammeln von Spendengeldern liess sich Gert Hummel diese Chance nicht entgehen, machte aus der

heruntergekommenen Kirche, die zur Sowjetzeit das Stadtarchiv von Suchumi beherbergte, ein kleines Schmuckkästchen und darf jetzt eine kleine evanglische Gemeinde von rund 50 Seelen betreuen. Einmal im Monat fährt er im UN-Konvoi nach Suchumi, um einen Gottesdienst zu halten und auf der Diakoniestation nach dem Rechten zu sehen. Denn dass auch in Suchumi eine evangelische Kirche ohne diakonischen Auftrag nicht vorstellbar ist, versteht sich von selbst. Hummel unterstützt ein kleines privates Waisenhaus, in dem derzeit 12 Kinder untergebracht sind.

Die Diakonie absorbiert auch in Georgien einen Großteil der Arbeitskraft Gert Hummels und seiner Frau. Zwei Diakoniestationen mit Armenküche und medizinischer Betreuung, 160 Mittagessen täglich, dazu monatliche Lebensmittelpakete für 150 weitere Menschen, ein Altersheim mit zwölf Plätzen, eine mobile Ärztegruppe für medizinische Einsätze im häuslichen Bereich, ein Freizeitheim in Kvareli - mit diesen Projekten ist nur der offen strukturierte Teil der Sozialarbeit umschrieben. Viele Hilfsleistungen Hummels bleiben im Verborgenen.

Mit dem öffentlichen Teil der diakonischen Arbeit sind rund 60 Arbeitsplätze verbunden, die von der ELKG und ihrem Diakonischen Werk finanziert werden. Der Bischof ist damit auch ein Arbeitgeber mittelständischen Formats und verwaltet einen beachtlichen Haushalt. Dass ein Großteil seines Aufgabe darin besteht, in Deutschland die Finanzquellen für diese Arbeit aufzutun und vor allem aufrecht zu erhalten, davon wissen Eingeweihte ein langes Lied zu singen. Hummel ist in deutschen Kirchenlanden als Finanzgenie bekannt.

Ein kleines Finanzkunststück war es auch, in den Jahren 1995 - 1997 auf einem ehemaligen deutschen Friedhof in Tbilissi die Versöhnungskirche zu errichten, ein kleiner, einfacher, aber dennoch schmucker Kirchenbau mit Pfarrheim und Diakoniestation, der Mittelpunkt der jungen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Georgien. Im Altarraum hat Hummel den Buntsandstein von Bolnisi verwendet, jener wichtigen deutschen Siedlung Georgiens, auf deren Gemarkung auch die älteste georgische Kirche, die Sioni-Kirche steht. Hummel hat für seinen Kirchenbau auch ganz erheblich privates Geld aufgebracht.

Natürlich muss sich ein 71-jähriger die Frage stellen, ob die Kraft reicht, durchzuhalten, bis ein Nachfolger aufgebaut ist, der den Karren ziehen kann. Zunächst einmal ist er sicher, dass die Kirche nur dann eine Überlebenschance hat, wenn sie sich aus einer eher deutsch geprägten Kirche zu einer georgischen Kirche entwickelt. Ausserdem fühlt sich Hummel noch immer agil genug, den Karren noch ein paar Jahre weiter zu ziehen. Dass das irgendwann einmal nicht mehr gehen wird, dessen ist sich der Kirchenmann natürlich bewusst und weiss mit Harry Asikow, einem Pastor, der aus Baku nach Tbilissi kam, einen zweiten Mann hinter sich, der vielleicht die Zeit überbrücken muss, bis der Nachwuchs so weit ist. "Wir machen ja erst seit zehn Jahren Jugendarbeit, wo soll da der Priesternachwuchs herkommen. Das dauert, wir hatten im letzten Jahr zum ersten Mal eine Konfirmation in unserer Gemeinde." Trotzdem verweist Hummel mit einigem Stolz darauf, dass bereits ein junger georgischer Theologiestudent bei der ELKRAS in St. Petersburg seine Ausbildung erhält und in zwei Jahren vermutlich als junger Pastor nach Tbilissi kommen wird und irgendwann einmal den Stab übernehmen kann.

Ein grosses Problem ist allerdings die rechtliche Unsicherheit der ELKG. Noch immer gibt es kein Religionsgesetz in Georgien, das den Status der nicht-orthodoxen Kirchen, Konfessionen und Religionen regelt. Trotz aller Bemühungen wurde der Gesetzesentwurf, der von allen Beteiligten akzeptiert wird, mit Tausenden von Ausreden vom Parlament verschleppt, was Hummel in seinem Jahresrundbrief an seine deutschen Spender und Freunde zur sarkastischen Bemerkung brachte: "Im Parlament liefert man sich Faustkämpfe, statt Gesetze zu verabschieden." Vom jetzigen Parlament erhofft sich der Bischof nicht mehr viel, er setzt vielmehr auf das neue Parlament, das sich der Aufgabe kaum wird entziehen können, Georgien hinsichtlich der rechtlichen Lage der Kirchen auf Gesetzes-Standards zu bringen, die seinen Wünschen nach Mitgliedschaft in internationalen Organisationen entsprechen.





























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