Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Georgien (ELKG) ist geschichtlich
mit einer Auswanderungswelle vor allem schwäbischer Protestanten
in den Jahren 1817 und 1818 verbunden, die dem Ruf des Zaren folgten
und sich im Kaukasus niederliessen, hier lebten und eineinhalb
Jahrhunderte später vertrieben wurden. Dass im Jahr 1999
dennoch eine evangelische Kirche in Georgien juristisch gegründet
werden konnte, ist ebenfalls mit dem Namen eines Schwaben verbunden,
dem ihres ersten Bischofs, Prof. Dr. Gert Hummel, von dessen Vorfahren
selbst eine Familie unter den Siedlern des vorletzten Jahrhunderts
war. Die ELKG
hat heute fünf Gemeinden in Georgien und zwar in Tbilissi,
Bolnissi, Gardabani, Rustawi und Bordschomi. Dazu kommen noch
ein paar vereinzelte evangelische Familien an weiteren 12 Orten.
Und seit kurzem zählt Gert Hummel auch noch zwei evangelische
Gemeinden in Baku und im abchasischen Suchumi zu seinem Sprengel,
wenngleich diese direkt der ELKRAS angeschlossen sind, der Evangelisch-Lutherischen
Kirche in Russland und anderen Staaten, deren Mitglied die ELKG
ist.
Die zwei geschichtlichen Wurzeln dieser Kirche sind schnell erzählt.
Zum einen ist es die der Auswanderung. Mehrere Hundert schwäbischer
Familien liessen sich Anfang des vorletzten Jahrhunderts im Kaukasus
nieder. Zunächst trieb sie die wirtschaftliche Not in Deutschland,
zum anderen die erwartete Wiederkunft Christi im Jahr 1836, zu
der man dem Ort des Geschehens möglichst nahe sein wollte.
Dörfer wie Katharinenfeld (heute Bolnisi), Marienfeld (Sartichala),
Elisabethental (Asureti), Neu-Tiflis oder Annenfeld und Helenendorf
(Samchor und Chanlar in Aserbaidschan) wurden gegründet und
entwickelten sich nach anfänglichen Rückschlägen
zu prächtigen, wirtschaftlich starken Gemeinden mit einer
stolzen evangelisch-lutherischen Kirche als Mittelpunkt. Nach
dem zweiten Weltkrieg wurden die Deutschen im Kaukasus, rund 45.000
an der Zahl, von Stalin deportiert, ihre Kirchen geschleift oder
als Kino und Sporthallen zweckentfremdet. Erst mit der Perestroika
Gorbatschows und dem Zerfall der UdSSR entstand im Kaukasus langsam
wieder ein kleines evangelisches Gemeindeleben, zunächst
nur in Tbilissi.
Und da beginnt der zweite Teil der Geschichte dieser Kirche.
Als Partnerschaftsbeauftragter der Universität Saarbrücken
stattete der schwäbsiche Theologieprofessor Dr.Gert Hummel
der Universität Tbilissi regelmässige Besuche ab. Bei
einer dieser Gelegenheiten erklärte ihm ausgerechnet ein
Professor für Atheismus, dass es hier in Tbilissi noch eine
versprengte Gruppe deutscher Protestanten gäbe. Der Rest
ist schnell erzählt: Hummel brachte ab sofort bei jedem Tbilissi-Besuch
seinen Pastorentalar mit und hielt neben seinen universitären
Terminen noch einen Gottesdienst für die stetig wachsende
evangelische Gemeinde in Tbilissi. Denn Ende der 90-er Jahre kamen
immer mehr Protestanten aus den entlegensten Gegenden Russlands
zurück nach Georgien. Der Entschluss reifte bei Gert Hummel
und seiner Frau Christiane, nach der Emeritierung als deutscher
Professor nach Georgien zu kommen und hier als Gemeinde-Pastor
eine neue Kirchengemeinde aufzubauen. Jetzt sind sie bereits im
fünften Jahr im Kaukasus, aus der kleinen Gemeinde in Tbilissi
wurde eine eigenständige georgische Landeskirche und aus
dem Gemeinepastor der erste evanglische Bischof Georgiens. Mittlerweile
zählt Gert Hummel rund 1.000 Gläubige in seinem Beritt,
Baku und Suchumi inklusive.
Dass es gelungen ist, die noch erhaltene, im Jahr 1913 erbaute
lutherische Kirche in der abtrünnigen Republik Abchasien
wieder aktivieren zu können, ist eines der Husarenstücke
des zähen Schwaben, der mittlerweile 71 Jahre zählt.
Denn bei seinem ersten Besuch in Abchasien wurde er eher als Spion
eingestuft, was zu ernsthaften diplomatisch-politischen Aktivitäten
hinter den Kulissen führte. Später, als auch die abchasischen
Behörden die politische Harmlosigkeit des deutsch-georgischen
Kirchenmannes erkannt hatten, kam der Vizepremier von Suchumi
von selbst auf Gert Hummel zu und offerierte ihm die Dauernutzung
der Kirche unter der Bedingung natürlich, dass er sie renoviere.
Erfahren im Einsammeln von Spendengeldern liess sich Gert Hummel
diese Chance nicht entgehen, machte aus der
heruntergekommenen Kirche, die zur Sowjetzeit das Stadtarchiv
von Suchumi beherbergte, ein kleines Schmuckkästchen und
darf jetzt eine kleine evanglische Gemeinde von rund 50 Seelen
betreuen. Einmal im Monat fährt er im UN-Konvoi nach Suchumi,
um einen Gottesdienst zu halten und auf der Diakoniestation nach
dem Rechten zu sehen. Denn dass auch in Suchumi eine evangelische
Kirche ohne diakonischen Auftrag nicht vorstellbar ist, versteht
sich von selbst. Hummel unterstützt ein kleines privates
Waisenhaus, in dem derzeit 12 Kinder untergebracht sind.
Die Diakonie absorbiert auch in Georgien einen Großteil
der Arbeitskraft Gert Hummels und seiner Frau. Zwei Diakoniestationen
mit Armenküche und medizinischer Betreuung, 160 Mittagessen
täglich, dazu monatliche Lebensmittelpakete für 150
weitere Menschen, ein Altersheim mit zwölf Plätzen,
eine mobile Ärztegruppe für medizinische Einsätze
im häuslichen Bereich, ein Freizeitheim in Kvareli - mit
diesen Projekten ist nur der offen strukturierte Teil der Sozialarbeit
umschrieben. Viele Hilfsleistungen Hummels bleiben im Verborgenen.
Mit dem öffentlichen Teil der diakonischen Arbeit sind rund
60 Arbeitsplätze verbunden, die von der ELKG und ihrem Diakonischen
Werk finanziert werden. Der Bischof ist damit auch ein Arbeitgeber
mittelständischen Formats und verwaltet einen beachtlichen
Haushalt. Dass ein Großteil seines Aufgabe darin besteht,
in Deutschland die Finanzquellen für diese Arbeit aufzutun
und vor allem aufrecht zu erhalten, davon wissen Eingeweihte ein
langes Lied zu singen. Hummel ist in deutschen Kirchenlanden als
Finanzgenie bekannt.
Ein kleines Finanzkunststück war es auch, in den Jahren
1995 - 1997 auf einem ehemaligen deutschen Friedhof in Tbilissi
die Versöhnungskirche zu errichten, ein kleiner, einfacher,
aber dennoch schmucker Kirchenbau mit Pfarrheim und Diakoniestation,
der Mittelpunkt der jungen Evangelisch-Lutherischen Kirche in
Georgien. Im Altarraum hat Hummel den Buntsandstein von Bolnisi
verwendet, jener wichtigen deutschen Siedlung Georgiens, auf deren
Gemarkung auch die älteste georgische Kirche, die Sioni-Kirche
steht. Hummel hat für seinen Kirchenbau auch ganz erheblich
privates Geld aufgebracht.
Natürlich muss sich ein 71-jähriger die Frage stellen,
ob die Kraft reicht, durchzuhalten, bis ein Nachfolger aufgebaut
ist, der den Karren ziehen kann. Zunächst einmal ist er sicher,
dass die Kirche nur dann eine Überlebenschance hat, wenn
sie sich aus einer eher deutsch geprägten Kirche zu einer
georgischen Kirche entwickelt. Ausserdem fühlt sich Hummel
noch immer agil genug, den Karren noch ein paar Jahre weiter zu
ziehen. Dass das irgendwann einmal nicht mehr gehen wird, dessen
ist sich der Kirchenmann natürlich bewusst und weiss mit
Harry Asikow, einem Pastor, der aus Baku nach Tbilissi kam, einen
zweiten Mann hinter sich, der vielleicht die Zeit überbrücken
muss, bis der Nachwuchs so weit ist. "Wir machen ja erst
seit zehn Jahren Jugendarbeit, wo soll da der Priesternachwuchs
herkommen. Das dauert, wir hatten im letzten Jahr zum ersten Mal
eine Konfirmation in unserer Gemeinde." Trotzdem verweist
Hummel mit einigem Stolz darauf, dass bereits ein junger georgischer
Theologiestudent bei der ELKRAS in St. Petersburg seine Ausbildung
erhält und in zwei Jahren vermutlich als junger Pastor nach
Tbilissi kommen wird und irgendwann einmal den Stab übernehmen
kann.
Ein grosses Problem ist allerdings die rechtliche Unsicherheit
der ELKG. Noch immer gibt es kein Religionsgesetz in Georgien,
das den Status der nicht-orthodoxen Kirchen, Konfessionen und
Religionen regelt. Trotz aller Bemühungen wurde der Gesetzesentwurf,
der von allen Beteiligten akzeptiert wird, mit Tausenden von Ausreden
vom Parlament verschleppt, was Hummel in seinem Jahresrundbrief
an seine deutschen Spender und Freunde zur sarkastischen Bemerkung
brachte: "Im Parlament liefert man sich Faustkämpfe,
statt Gesetze zu verabschieden." Vom jetzigen Parlament erhofft
sich der Bischof nicht mehr viel, er setzt vielmehr auf das neue
Parlament, das sich der Aufgabe kaum wird entziehen können,
Georgien hinsichtlich der rechtlichen Lage der Kirchen auf Gesetzes-Standards
zu bringen, die seinen Wünschen nach Mitgliedschaft in internationalen
Organisationen entsprechen.
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