Wäre es nach allen Bedenkenträgern gegangen, regierungsamtlichen
im fernen Europa sowie selbst ernannten hierzulande, dann wäre
der georgische Teil der 1. Schwarzmeer-Rallye folgendermassen abgelaufen:
Korrupte Zöllner hätten bei der Einreise ebenso schamlos
abkassiert wie unzählige Polizeiposten im Lande; die 15 Harley
Davidson Motorräder wären das Opfer Hunderter Souvenirjäger
geworden, die alles abschraubten, was nicht niet- und nagelfest
war, wenn sie nicht gleich ganze Motorräder geklaut und über
Südossetien nach Moskau verschoben hätten; die Bikes wären
beim miserablen Zustand der Strassen reihenweise zusammengebrochen
und ihre Piloten lägen mit gebrochenen Knochen in den Krankenhäusern
des Landes; marodierende Räuberbanden hätten die PS-Ritter
aus Deutschland überfallen und ausgeraubt bis auf die Unterhose
und so weiter und so weiter. Nichts von alledem ist eingetroffen,
die erste Harley-Davidson-Rallye in Georgien bescherte ihren Organisatoren
einen Riesen-Erfolg und den Teilnehmern unwiderbringliche Eindrücke.
Schon jetzt ist so gut wie sicher, dass es im nächsten Jahr
eine zweite Rallye durch die drei Kaukasus-Länder Georgien,
Armenien und Aserbaidschan geben wird. Die Route soll vom Mittelmeer
über das Kaspische Meer zum Schwarzen Meer führen und
von da zurück nach Deutschland.
Biker und Organisatoren, das Tbilissi Tourist Center, wurden
bei dem fünftägigen Trip durch Georgien angenehm überrascht.
Georgien, weltweit bekannt als Hort der Unsicherheit und Kriminalität,
hat sich von seiner besten, nämlich gastfreundlichen Seite
gezeigt. Die Zollabfertigung in Supsa war äusserst zuvorkommend
und absolut korrekt, ebenso die bei der Ausreise im Hafen von
Poti. Die Polizeiposten an den Straßen - auch die im berüchtigen
Adscharien - hielten den Konvoi nicht ein einziges Mal an, um
unter irgendwelchen Vorwänden die Hand aufzuhalten. Im Gegenteil,
meist grüssten sie den Pulk der sanft vorbeiblubbernden Bikes
mit einem freundlichem Winken. Und als am letzten Tag des Georgienaufenthalts
die bulgarische Fähre, die die Harleys samt Besatzung nach
Noworossisk bringen sollte, auch pünktlich im Hafen Poti
eingelaufen war, die Buchung ohne weiteren "Aufpreis"
Bestand hatte und das Schiff auch noch einigermassen pünktlich
auslief, war auf georgischer Seite der letzte Unsicherheitsfaktor
des Unternehmens überwunden. Denn die Biker waren in Deutschland
fast schon gestartet, als endlich die Bestätigung der Fährpassage
durch die bulgarische Reederei eintraf. Was andernorts mit einem
Fax oder einer e-mail organisiert und gebucht werden kann, wächst
sich hierzulande gelegentlich zu einem nervenaufreibendenen Telefon-
und Fax-Marathon aus. Aber, wie immer, am Ende klappt es dann
allen Schwierigkeiten zum Trotz doch.
Bis auf einen kleinen Diebstahl eines Handys und einer Lederjacke
bei einem Tankstopp in Chaschuri gab es nicht einen einzigen Versuch,
die Motorradfreaks aus Deutschland zu beklauen. Und schliesslich:
Bikes wie Fahrer haben die zugegebenermassen teilweise rustikalen
Strassen Georgiens mit Bravour überstanden, wenn man von
einem Motortotalschaden absieht. Aber der ist durchaus nicht dem
Straßenzustand Georgiens geschuldet und auch in Sachen Diebstahl
mussten die Gäste der Weisheit Tribut zollen, wonach man
in den seltensten Fällen beklaut wird, sich meistens jedoch
beklauen lässt. Denn das Handy lag beim Tankstopp, der Hunderte
von Menschen vom benachbarten Markt anlockte, frei auf einem Motorradsitz
herum und die Lederjacke hing einladend im geöffneten und
für einen Augenblick nicht bewachten Begleitfahrzeug. "Grob
vorsätzliche Verführung zum Eigentumsdelikt und damit
eigentlich strafbar" bewertete einer der Biker den Vorgang
lakonisch. Denn vor allem die Tankstopps in den Städten gerieten
recht schnell zum grossen Publikumsauflauf. Jeder wollte die auch
im Kaukasus legendären Stahlrösser anfassen, streicheln
oder wenigstens einmal auf einem solchen Bock sitzen.
Dr. Helmut Brammer, ein westfälischer Allgemeinarzt und
Psychotherapeut, hat diese Rallye organisiert. Er ist in seiner
Freizeit ein begeisterter Motorradfreak und tauscht am jedem freien
Wochenende den weissen Arztkittel mit der schwarz-ledernen Motorradkluft.
Große Rallyes in allen Teilen Europas und der Welt hat er
schon durchgezogen, die 1. Schwarzmeer-Rallye hat er mit dem Slogan:
"Nichts für Weicheier" ausgeschrieben und nicht
nur in Deutschland beworben. 13 Biker aus allen Teilen Deutschlands
und ein Österreicher, allesamt Harley-Davidson-Freaks, sind
ihm gefolgt. Allein die Reiseroute machte von vorneherein klar,
dass dies keine lockere Ausflugsfahrt werden würde: München,
Ancona, mit der Fähre nach Igoumenitsa, von da über
Saloniki, Istanbul, Ankara und Trabzon an die georgische Grenze.
In Georgien dann über Batumi und Kutaissi nach Tbilissi,
wo man einen Ruhetag dazu benutzte, per Omnibus die georgische
Heerstraße und den Kreuzpass zu befahren. Am nächsten
Tag zurück nach Poti, von da mit der Fähre nach Noworossisk
und dann auf dem Landweg über Odessa und Krakau zurück
nach Deutschland. Über 8.500 km in nur 16 Tagen, zwei Ruhetage
und zwei Fährtage einberechnet. Da kommt ein Tagesschnitt
von rund 700 km zusammen. Beileibe nichts für Weicheier.
So war denn auch die Gruppe, die sich dem Harley-Doktor aus dem
Westfälischen angeschlossen hatte, ein witziger Haufen an
kantigen Knaben: Durchschnittsalter 57 Jahre, 45 der jüngste,
63 der älteste. Und gerade einige der Motorradopas hatten
erst in den späten fünfziger Jahren ihres Lebens den
Zweiradführerschein gemacht. Zwei von ihnen hatten vor ein
paar Jahren sogar einen Schlaganfall und machten sich trotzdem
auf diesen harten Trip. Kaufleute waren darunter, ein Steuerberater,
ein paar Handwerker und selbständige Geschäftsleute,
auch zwei Harley-Händler, kurz eine handfeste Truppe, die
auch nach den heftigen Tagesritten wusste, wie man einen Abend
stimmungsvoll ausklingen lässt. In Kutaissi und Tbilissi
staunten sie nicht schlecht über die sich biegenden Balken
einer ganz normalen georgischen Tafel und über das einheimische
Bier, das kaum einen Vergleich zu scheuen braucht mit dem germanischen
Traditionsgetränk.
Natürlich ist so ein Wahnsinntrip nicht dazu angetan, Land
und Leute intensiver kennen zu lernen. Der Weg, die Strasse, das
Fahren allein ist das Ziel einer solchen Rallye. Mehr als vorbeihuschende
Eindrücke kommen da nicht zusammen, genug allerdings, um
zu erkennen, dass es um den Allgemeinzustand Georgiens nicht gerade
zum Besten steht. Sie hätten selten ein derart heruntergekommenes
Land gesehen, war unisono der Eindruck, wobei keiner der Diagnose
ihres "Chefs" widersprach , dass es alles wohl vor allem
Folgen der sozialistischen Misswirtschaft sind, an denen das Land
leidet. Und auf ihre Frage, worauf denn die Georgier überhaupt
stolz sein könnten angesichts der Lage ihres Landes, erhielten
sie beim abendlichen Toasten die einfache wie verblüffende
Antwort von Giorgi, ihrem Tourguide aus Tbilissi: "Darauf,
dass wir noch leben!"
Auffallend war für die Biker die grosse Polizeidichte am
Strassenrand, wenngleich sie nicht ein einziges Mal in den Genuss
der unangenehmen Erfahrung mit dieser besonderen Spezies von Ordnungshütern
gekommen sind. Vermutlich hat sie die Grösse des Motorradpulks
vor dem Eingreifen der Uniformierten geschützt. Grössere
Probleme gab es da schon, vor allem in Westgeorgien, mit den vielen
Kühen und Schweinen, die sich der Straße bemächtigten.
Für europäische Biker ein ungewöhnliches Szenario,
das die volle Aufmerksamkeit erforderte. Vor allem in Westgeorgien
war immer wieder ein Rinder- oder Schweineslalom angesagt. An
den Straßenzustand hatte man sich rasch gewöhnen können,
wobei bis auf wenige Ausnahmen Strecken ausgewählt wurden,
die zumindest für hiesige Verhältnisse mehr oder weniger
problemlos zu befahren sind. Autobahnen europäischer Qualität
hatte ohnehin keiner erwartet. Trotzdem, der Strassenzustand war
eines der beherrschenden Themen abendlicher Unterhaltungen, wobei
die Gäste aus Deutschland vor allem auf ihrer Rückreise
nach Poti anerkennend vermerken konnten, dass man an vielen Stellen
daran war, die Straßenschäden des harten Winters auszubessern.
In Tbilissi nutzte Dr. Helmut Brammer, der Organisator der Rallye,
die Gelegenheit, das Zentrale Kinderkrankenhaus der Republik zu
besuchen. Für dieses hatte man im Begleitfahrzeug eine Kiste
mit Medikamenten und Sanitätsartikeln mitgeführt. Auch
über diese Rallye hinaus soll der Kontakt aufrechterhalten
werden und das Krankenhaus unterstützt werden. Schon die
nächstjährige 2. Kaukasus-Rallye wird dafür Gelegenheit
geben. Die mögliche Route dieses neuen Supertrips wurde am
Ruhetag in Tbilissi schon einmal besprochen: München - Brindisi
- Fähre nach Cezme - Izmir - Ankara - Erzurum - Posov - Achalziche
- Gjumri - Eriwan - Sewan-See - Tbilissi - Scheki - Baku - Gandja
- Tbilissi - Batumi - Istanbul - Saloniki und dann auf dem Landweg
nach Deutschland. 21 Tage soll der Kurs dauern, beileibe wiederum
nichts für Weicheier. Aber eine Chance für die drei
Kaukasusländer, sich in Europa als einheitliche Reiseregion
zu präsentieren. GN wird diese Rallye publizistisch vorbereiten
und begleiten.
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