Ausgabe 9/03
28. Mai
 TV-Termine:

 Schätze der Welt:
 Baku – Land des
 Feuers

 3sat: 11. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 18. Mai, 13.15 Uhr

 Schätze der Welt:
 Mzcheta – Wunder der
 Nino

 3sat: 18. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 25. Mai, 13.15



Wäre es nach allen Bedenkenträgern gegangen, regierungsamtlichen im fernen Europa sowie selbst ernannten hierzulande, dann wäre der georgische Teil der 1. Schwarzmeer-Rallye folgendermassen abgelaufen: Korrupte Zöllner hätten bei der Einreise ebenso schamlos abkassiert wie unzählige Polizeiposten im Lande; die 15 Harley Davidson Motorräder wären das Opfer Hunderter Souvenirjäger geworden, die alles abschraubten, was nicht niet- und nagelfest war, wenn sie nicht gleich ganze Motorräder geklaut und über Südossetien nach Moskau verschoben hätten; die Bikes wären beim miserablen Zustand der Strassen reihenweise zusammengebrochen und ihre Piloten lägen mit gebrochenen Knochen in den Krankenhäusern des Landes; marodierende Räuberbanden hätten die PS-Ritter aus Deutschland überfallen und ausgeraubt bis auf die Unterhose und so weiter und so weiter. Nichts von alledem ist eingetroffen, die erste Harley-Davidson-Rallye in Georgien bescherte ihren Organisatoren einen Riesen-Erfolg und den Teilnehmern unwiderbringliche Eindrücke. Schon jetzt ist so gut wie sicher, dass es im nächsten Jahr eine zweite Rallye durch die drei Kaukasus-Länder Georgien, Armenien und Aserbaidschan geben wird. Die Route soll vom Mittelmeer über das Kaspische Meer zum Schwarzen Meer führen und von da zurück nach Deutschland.


Biker und Organisatoren, das Tbilissi Tourist Center, wurden bei dem fünftägigen Trip durch Georgien angenehm überrascht. Georgien, weltweit bekannt als Hort der Unsicherheit und Kriminalität, hat sich von seiner besten, nämlich gastfreundlichen Seite gezeigt. Die Zollabfertigung in Supsa war äusserst zuvorkommend und absolut korrekt, ebenso die bei der Ausreise im Hafen von Poti. Die Polizeiposten an den Straßen - auch die im berüchtigen Adscharien - hielten den Konvoi nicht ein einziges Mal an, um unter irgendwelchen Vorwänden die Hand aufzuhalten. Im Gegenteil, meist grüssten sie den Pulk der sanft vorbeiblubbernden Bikes mit einem freundlichem Winken. Und als am letzten Tag des Georgienaufenthalts die bulgarische Fähre, die die Harleys samt Besatzung nach Noworossisk bringen sollte, auch pünktlich im Hafen Poti eingelaufen war, die Buchung ohne weiteren "Aufpreis" Bestand hatte und das Schiff auch noch einigermassen pünktlich auslief, war auf georgischer Seite der letzte Unsicherheitsfaktor des Unternehmens überwunden. Denn die Biker waren in Deutschland fast schon gestartet, als endlich die Bestätigung der Fährpassage durch die bulgarische Reederei eintraf. Was andernorts mit einem Fax oder einer e-mail organisiert und gebucht werden kann, wächst sich hierzulande gelegentlich zu einem nervenaufreibendenen Telefon- und Fax-Marathon aus. Aber, wie immer, am Ende klappt es dann allen Schwierigkeiten zum Trotz doch.


Bis auf einen kleinen Diebstahl eines Handys und einer Lederjacke bei einem Tankstopp in Chaschuri gab es nicht einen einzigen Versuch, die Motorradfreaks aus Deutschland zu beklauen. Und schliesslich: Bikes wie Fahrer haben die zugegebenermassen teilweise rustikalen Strassen Georgiens mit Bravour überstanden, wenn man von einem Motortotalschaden absieht. Aber der ist durchaus nicht dem Straßenzustand Georgiens geschuldet und auch in Sachen Diebstahl mussten die Gäste der Weisheit Tribut zollen, wonach man in den seltensten Fällen beklaut wird, sich meistens jedoch beklauen lässt. Denn das Handy lag beim Tankstopp, der Hunderte von Menschen vom benachbarten Markt anlockte, frei auf einem Motorradsitz herum und die Lederjacke hing einladend im geöffneten und für einen Augenblick nicht bewachten Begleitfahrzeug. "Grob vorsätzliche Verführung zum Eigentumsdelikt und damit eigentlich strafbar" bewertete einer der Biker den Vorgang lakonisch. Denn vor allem die Tankstopps in den Städten gerieten recht schnell zum grossen Publikumsauflauf. Jeder wollte die auch im Kaukasus legendären Stahlrösser anfassen, streicheln oder wenigstens einmal auf einem solchen Bock sitzen.


Dr. Helmut Brammer, ein westfälischer Allgemeinarzt und Psychotherapeut, hat diese Rallye organisiert. Er ist in seiner Freizeit ein begeisterter Motorradfreak und tauscht am jedem freien Wochenende den weissen Arztkittel mit der schwarz-ledernen Motorradkluft. Große Rallyes in allen Teilen Europas und der Welt hat er schon durchgezogen, die 1. Schwarzmeer-Rallye hat er mit dem Slogan: "Nichts für Weicheier" ausgeschrieben und nicht nur in Deutschland beworben. 13 Biker aus allen Teilen Deutschlands und ein Österreicher, allesamt Harley-Davidson-Freaks, sind ihm gefolgt. Allein die Reiseroute machte von vorneherein klar, dass dies keine lockere Ausflugsfahrt werden würde: München, Ancona, mit der Fähre nach Igoumenitsa, von da über Saloniki, Istanbul, Ankara und Trabzon an die georgische Grenze. In Georgien dann über Batumi und Kutaissi nach Tbilissi, wo man einen Ruhetag dazu benutzte, per Omnibus die georgische Heerstraße und den Kreuzpass zu befahren. Am nächsten Tag zurück nach Poti, von da mit der Fähre nach Noworossisk und dann auf dem Landweg über Odessa und Krakau zurück nach Deutschland. Über 8.500 km in nur 16 Tagen, zwei Ruhetage und zwei Fährtage einberechnet. Da kommt ein Tagesschnitt von rund 700 km zusammen. Beileibe nichts für Weicheier.


So war denn auch die Gruppe, die sich dem Harley-Doktor aus dem Westfälischen angeschlossen hatte, ein witziger Haufen an kantigen Knaben: Durchschnittsalter 57 Jahre, 45 der jüngste, 63 der älteste. Und gerade einige der Motorradopas hatten erst in den späten fünfziger Jahren ihres Lebens den Zweiradführerschein gemacht. Zwei von ihnen hatten vor ein paar Jahren sogar einen Schlaganfall und machten sich trotzdem auf diesen harten Trip. Kaufleute waren darunter, ein Steuerberater, ein paar Handwerker und selbständige Geschäftsleute, auch zwei Harley-Händler, kurz eine handfeste Truppe, die auch nach den heftigen Tagesritten wusste, wie man einen Abend stimmungsvoll ausklingen lässt. In Kutaissi und Tbilissi staunten sie nicht schlecht über die sich biegenden Balken einer ganz normalen georgischen Tafel und über das einheimische Bier, das kaum einen Vergleich zu scheuen braucht mit dem germanischen Traditionsgetränk.

Natürlich ist so ein Wahnsinntrip nicht dazu angetan, Land und Leute intensiver kennen zu lernen. Der Weg, die Strasse, das Fahren allein ist das Ziel einer solchen Rallye. Mehr als vorbeihuschende Eindrücke kommen da nicht zusammen, genug allerdings, um zu erkennen, dass es um den Allgemeinzustand Georgiens nicht gerade zum Besten steht. Sie hätten selten ein derart heruntergekommenes Land gesehen, war unisono der Eindruck, wobei keiner der Diagnose ihres "Chefs" widersprach , dass es alles wohl vor allem Folgen der sozialistischen Misswirtschaft sind, an denen das Land leidet. Und auf ihre Frage, worauf denn die Georgier überhaupt stolz sein könnten angesichts der Lage ihres Landes, erhielten sie beim abendlichen Toasten die einfache wie verblüffende Antwort von Giorgi, ihrem Tourguide aus Tbilissi: "Darauf, dass wir noch leben!"

Auffallend war für die Biker die grosse Polizeidichte am Strassenrand, wenngleich sie nicht ein einziges Mal in den Genuss der unangenehmen Erfahrung mit dieser besonderen Spezies von Ordnungshütern gekommen sind. Vermutlich hat sie die Grösse des Motorradpulks vor dem Eingreifen der Uniformierten geschützt. Grössere Probleme gab es da schon, vor allem in Westgeorgien, mit den vielen Kühen und Schweinen, die sich der Straße bemächtigten. Für europäische Biker ein ungewöhnliches Szenario, das die volle Aufmerksamkeit erforderte. Vor allem in Westgeorgien war immer wieder ein Rinder- oder Schweineslalom angesagt. An den Straßenzustand hatte man sich rasch gewöhnen können, wobei bis auf wenige Ausnahmen Strecken ausgewählt wurden, die zumindest für hiesige Verhältnisse mehr oder weniger problemlos zu befahren sind. Autobahnen europäischer Qualität hatte ohnehin keiner erwartet. Trotzdem, der Strassenzustand war eines der beherrschenden Themen abendlicher Unterhaltungen, wobei die Gäste aus Deutschland vor allem auf ihrer Rückreise nach Poti anerkennend vermerken konnten, dass man an vielen Stellen daran war, die Straßenschäden des harten Winters auszubessern.

In Tbilissi nutzte Dr. Helmut Brammer, der Organisator der Rallye, die Gelegenheit, das Zentrale Kinderkrankenhaus der Republik zu besuchen. Für dieses hatte man im Begleitfahrzeug eine Kiste mit Medikamenten und Sanitätsartikeln mitgeführt. Auch über diese Rallye hinaus soll der Kontakt aufrechterhalten werden und das Krankenhaus unterstützt werden. Schon die nächstjährige 2. Kaukasus-Rallye wird dafür Gelegenheit geben. Die mögliche Route dieses neuen Supertrips wurde am Ruhetag in Tbilissi schon einmal besprochen: München - Brindisi - Fähre nach Cezme - Izmir - Ankara - Erzurum - Posov - Achalziche - Gjumri - Eriwan - Sewan-See - Tbilissi - Scheki - Baku - Gandja - Tbilissi - Batumi - Istanbul - Saloniki und dann auf dem Landweg nach Deutschland. 21 Tage soll der Kurs dauern, beileibe wiederum nichts für Weicheier. Aber eine Chance für die drei Kaukasusländer, sich in Europa als einheitliche Reiseregion zu präsentieren. GN wird diese Rallye publizistisch vorbereiten und begleiten.























































































































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