Ramaz Sakwarelidse zum Irakkrieg und seinen Folgen, den bevorstehenden
Wahlen und dem Ende der Ära Schewardnadse.
GN: Der Krieg im Irak ist zumindest vorläufig zum
Ende gekommen und Georgien steht auf der Seite der Sieger-Koalition.
Welche Folgen wird dies haben?
Ramaz Sakwarelidse: Der Irakkrieg und sein schnelles Ende
war für alle sehr wichtig, nicht nur für uns, insbesondere
auch für Russland. Das ist viel wichtiger, denn die Folgen
für Russland haben auch etwas mit den Folgen für Georgien
zu tun. Russland muss jetzt befürchten, dass die Amerikaner
mit dem Irak-Öl den Preis auf dem Weltmarkt drücken.
Das hat schwerwiegende Auswirkungen auf die russische Wirtschaft
und den Staatshaushalt. Ich war während des Krieges mit einer
Delegation von Wissenschaftlern und Regierungsvertretern in Moskau.
Da hat uns ein Mitglied des russichen Föderationsrates erklärt:
"Wir wissen, wieviel Geld wir derzeit in unseren Kassen haben.
Was aber nach dem Krieg sein wird, können wir noch nicht
übersehen." Man darf dabei nicht vergessen, dass die
russische Wirtschaft zu 70 % vom Öl abhängt. Wenn die
Amerikaner jetzt den Ölpreis senken können, wird Russland
zu den Verlierern des Krieges gehören.
GN: Was bedeutet das konkret für Georgien?
Ramaz Sakwarelidse: Georgien wartet jetzt erst einmal
darauf, dass die Amerikaner uns für den Eintritt in die Koalition
"belohnen". Sie haben ganz sicher das Interesse, diese
Koalition zu stärken, wobei es ihnen ja nicht nur um den
Irak geht. Es gibt da durchaus auch Verbindungen mit dem Öl
im Kaspischen Meer und Zentralasien. Amerika kann auf Dauer keine
Konfliktzonen entlang der grossen Energie-Versorgungsstränge
zulassen. Das ist unsere Hoffnung in Sachen Abchasien und Süd-Ossetien.
GN: Glauben Sie, dass Russland seine Faustpfänder
in Abchasien und Südossetien hergeben wird, sein einziges
Störpotential gegen die amerikanisch-georgische Allianz?
Ramaz Sakwarelidse: Russland wird voll und ganz von der
Ölpreisentwicklung abhängen und das ist der Hebel, mit
dem Amerika Russland zu einem Kompromiss in Abchasien bewegen
kann.
GN: In Sotschi klang das aber ganz anders. Da hat Putin
mächtig aufgetrumpft und das Thema Abchasien auf die bilaterale
Ebene plus Abchasen gezogen.
Ramaz Sakwarelidse: Der Dialog Putin Schewardnadse in
Sotschi ging in eine gänzlich andere Richtung. Es ging da
um ein paar kleine Fortschritte im Detail, nicht um die grosse
Lösung. Die große Lösung in Abchasien hängt
mehr von den Amerikanern ab. Wenn Russland erst einmal unter den
Druck des amerikanischen Ölpreises gerät, dann wird
es auch in Abchasien nachgeben. Amerika kann Russland den Atem
abwürgen. Das wird man dort schon zur Kenntnis nehmen. Und
Amerika will ein friedliches Umfeld in seiner Öl-Politik.
GN: Mr. Bush steht vor einem wichtigen Wahlkampf. Glauben
Sie, dass er da Zeit hat, sich um Abchasien und Georgien zu kümmern?
Ramaz Sakwarelidse: Bush muss in seinem Wahlkampf nachweisen,
was er getan hat. Er hat Afghanistan angefangen und zu Ende geführt.
Er hat den Irakkrieg angefangen und ihn zu Ende geführt.
Jetzt muss er auch das Thema Kaukasus zu Ende bringen. Der Kaukasus
ist für Amerika von großer Bedeutung, insbesondere
nachdem sich die Türkei im Irakkrieg ja nicht gerade als
zuverlässigster Bündnispartner erwiesen hat. Der Kaukasus
ist wie ein kleines Israel inmitten einer muslimischen Welt.
GN: Und Georgien das Zentrum weltpolitischer Überlegungen?
Ramaz Sakwarelidse: Amerika braucht einen Platz in dieser
Region, auf dem es das Sagen hat. Georgien kann so etwas wie eine
kleine pro-amerikanische Insel sein im anti-amerikanischen Ozean,
der aus der islamischen Welt und Russland gebildet wird. Amerika
wird verhindern wollen, dass diese beiden Kräfte sich zu
einer Einheit zusammenfinden. Georgien ist der Platz, dies zu
tun.
GN: Viele sagen, Georgien habe seine Seele an Amerika
verkauft.
Ramaz Sakwarelidse: Das würde ich nicht so sehen,
trotzdem muss man darüber nachdenken. Aber hatten wir eine
andere Wahl? Wenn wir Amerika und seinen Interessen im Kaukasus
die kalte Sachulter gezeigt hätten, wer würde dann die
Russen in ihrem Drang, den Kaukasus so zu beherrschen, wie sie
es gewohnt waren, stoppen? Niemand in Europa würde dem Kaukasus
in seinem Kampf mit Russland zur Hilfe eilen. Wenn es Amerika
nicht gegeben hätte, würde Russland weiter Bomben auf
uns werfen, so wie man es im vergangenen Jahr im Pankisi gemacht
hat.
Und wenn Amerika ein wirklicher Partner ist, dann haben wir uns
nicht verkauft. Ein wirklicher Partner wird uns nie so bevormunden
wie wir es jahrhundertlang mit Russland erleben mussten. Russland
ist immer davon ausgegangen, wenn ihm ein Land gehörte, dann
total und ganz und gar. Amerika ist da anders, wie wir im Falle
Deutschlands sehen. Es hat Deutschlands Aufbau finanziert und
es trotzdem nicht bevormundet.
GN: Amerika hat Deutschland allerdings für seine
kritische Haltung im Irakkrieg abgestraft.
Ramaz Sakwarelidse: Deutschlands Haltung in dieser Frage
ist mir unverständlich und dass es von Amerika jetzt irgednwie
bestraft wird, ist nur logisch.
GN: Also heißt in Georgien die Parole: Mit voller
Kraft voraus in Richtung Amerika. Wird diese Frage den kommenden
Wahlkampf bestimmen?
Ramaz Sakwarelidse: Nein, der Wahlkampf wird mit innenpolitischen
Themen geführt werden, das Thema Nordorientierung oder Westorientierung
wird keine Rolle spielen, obwohl es viele Gruppierungen gibt,
deren russische Orientierung offenkundig ist: Aghorzineba aus
Adscharien zum Beispiel, oder Ertoba und die Sozialisten Rcheulischwilis.
GN: Wagen Sie eine Prognose zum Wahlkausgang?
Ramaz Sakwarelidse: Der Regierungsblock wird etwa gleichauf
liegen mit Aghorzineba, der Arbeiterpartei von Schalwa Natelaschwili
und Saakaschwilis Nationalisten. Diese Parteien sehe ich sicher
im Parlament. Die neuen Rechten und die Industrialisten von Gogi
Topadse haben daneben am ehesten die Chance, die Sperrklausel
zu überwinden. Schwania wird es mit seiner Partei nach den
derzeitigen Umfrageergebnissen nur schaffen, wenn er eine Koalition
mit anderen eingeht.
GN: Das heisst aber, dass sich Schewardnadse für
die letzten Jahre seiner Amtszeit eine neue Mehrheit im Parlament
wird suchen müssen.
Ramaz Sakwarelidse: So wird es sein, aber das ist ein
normaler Vorgang und völlig logisch, so logisch wie die Auflösung
der Bürgerunion, der ich ja angehörte. Das war nie eine
Partei sondern immer ein Zusammenschluss verschiedener Interessengruppen
um eine Person nicht um eine Idee.
GN: Wird ein neues Parlament die Verfassung ändern
und so demokratischere Spielregeln einführen?
Ramaz Sakwarelidse: Ich denke nicht, dass das allzuviel
bringt. Alle potsowjetischen Länder haben sehr junge Parlamente
ohne Erfahrung und demokratische Kultur. Wir sollten diesen nicht
alle Entscheidungen überlassen. Es braucht noch einige Zeit
eine starke Führung im Land, die nicht den alltäglichen
Zufälligkeiten parlamentarischer Mehrheiten unterliegt.
GN: Schewardnadse war so ein starker Mann, sehen Sie einen
Nachfolger ähnlichen Formats?
Ramaz Sakwarelidse: Bis heute sehe ich weder im Regierungslager
noch in der Opposition eine Figur, die dafür infrage käme.
Aber bis zur Wahl eines neuen Präsidenten haben wir ja noch
etwas Zeit.
GN: Sie kennen Schewardnadse aus achtjähriger Parlamentsarbeit
und zwei Jahren als sein Pressesprecher. Wenn Sie jetzt schon
Bilanz seiner Präsidentschaft ziehen müssten, was käme
dabei heraus?
Ramaz Sakwarelidse: Schewardnadse hat dem Land zunächst
einmal eine Rolle in der Welt zugewiesen, die akzeptiert wird.
Das war seine größte Leistung. Dann Georgien durch
ihn dem Einfluss Russlands widerstanden, ohne dass dies zu schweren
Verwerfungen geführt hätte. Er hat drittens die demokratischen
Institutionen im Lande installiert und lässt diesen ihren
freien Spielraum. Das georgische Parlament wird nicht annähernd
so stark vom Präsidenten und seinem Clan kontrolliert wie
dies beispielsweise in anderen postsowjetischen Ländern der
Fall ist. Das kann ich beurteilen, ich war lange genug im Parlament.
Auch die Medien geniessen in unserem Land ein Mass an Pressefreiheit,
das man in anderen postsowjetischen Ländern nicht findet.
GN: In der Wirtschafts- und Innenpolitik sieht die Bilanz
aber bei Weiten nicht so gut aus.
Ramaz Sakwarelidse: Da haben Sie recht, da sieht die Situation
düster aus, das wissen wir alle. Wer Schewardnadse kennt,
weiss, dass er immer nur ein einziges politisches Ziel vor Augen
hatte, dieses verfolgte und dafür andere Aufgaben vernachlässigte.
Und er hatte sich eben hauptsächlich der Aussenpolitik zugewandt
in der Überzeugung, dass jede Innenpolitik sinnlos sei, wenn
die aussenpolitische Einordnung des Landes in die Weltgemeinschaft
nicht stimmt.
GN: Schön und gut, dafür läuft Georgien
derzeit der Gefahr, von seinen westlichen Förderern in Europa
als "failed country" bewertet zu werden, weil es unter
Schewardnadse auf dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung so
gut wie keine Fortschritte gibt. In Europa ist der Frust über
Georgien mit Händen zu greifen.
Ramaz Sakwarelidse: Ach Ihr Europäer. Wenn ein Land
einmal nicht so funktioniert, wie Ihr Euch das für Europa
vorstellt, dann ist es schon ein verlorenes Land. Man muss doch
wissen, woher wir kommen. Georgien war im Sozialismus schon das
Korruptionsland Nr. 1. Das hat nicht nur die ganz oben betroffen,
jeder einzelne, auch jeder kleine Mann war auf seiner Ebene in
die Korruption verstrickt. Wie soll man dies in kurzer Zeit ändern?
Ich kann mich sehr gut an eine Klage Schewardnadses im kleinen
Kreis erinnern, als er sagte: "Was soll ich denn machen.
Selbst wenn ich Leute von der Strasse als Minister berufe, die
seit ihres Lebens nichts mit dem korrupten Sowjetsystem zu tun
hatten, werden sie nach kurzer Zeit die Regeln der Korruption
verinnerlicht haben." Das ist ja alles verständlich,
oder kennen Sie ein Land mit einer so geringen Wirtschaftsleistung
wie Georgien, in der die Korruption nicht blüht? In einem
armen Land kann man Korruption nicht bekämpfen, man muss
erst einmal dafür sorgen, dass es bergauf geht mit der Wirtschaft.
Ich glaube nicht, dass wir das Thema derzeit viel besser handeln
könnten als wir es jetzt tun. Wir brauchen einfach etwas
mehr Zeit. Ein kleines Baby wird man doch auch nicht von der Windel
entwöhnen wollen, wenn seine körperlichen Funktionen
noch nicht ausgebildet sind.
GN: Und warum haben Sie die Politik verlassen?
Ramaz Sakwarelidse: Ich musste mich entscheiden zwischen
Politik und Wissenschaft. Nach acht Jahren Politik habe ich die
Wissenschaft vorgezogen, das war eine rein persönliche Entscheidung.
GN: Herr Sakvarelidse, vielen Dank für dieses Gespräch.
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