Ausgabe 8/03
14. Mai
 TV-Termine:

 Schätze der Welt:
 Baku – Land des
 Feuers

 3sat: 11. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 18. Mai, 13.15 Uhr

 Schätze der Welt:
 Mzcheta – Wunder der
 Nino

 3sat: 18. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 25. Mai, 13.15



Ramaz Sakwarelidse zum Irakkrieg und seinen Folgen, den bevorstehenden Wahlen und dem Ende der Ära Schewardnadse.

GN: Der Krieg im Irak ist zumindest vorläufig zum Ende gekommen und Georgien steht auf der Seite der Sieger-Koalition. Welche Folgen wird dies haben?

Ramaz Sakwarelidse: Der Irakkrieg und sein schnelles Ende war für alle sehr wichtig, nicht nur für uns, insbesondere auch für Russland. Das ist viel wichtiger, denn die Folgen für Russland haben auch etwas mit den Folgen für Georgien zu tun. Russland muss jetzt befürchten, dass die Amerikaner mit dem Irak-Öl den Preis auf dem Weltmarkt drücken. Das hat schwerwiegende Auswirkungen auf die russische Wirtschaft und den Staatshaushalt. Ich war während des Krieges mit einer Delegation von Wissenschaftlern und Regierungsvertretern in Moskau. Da hat uns ein Mitglied des russichen Föderationsrates erklärt: "Wir wissen, wieviel Geld wir derzeit in unseren Kassen haben. Was aber nach dem Krieg sein wird, können wir noch nicht übersehen." Man darf dabei nicht vergessen, dass die russische Wirtschaft zu 70 % vom Öl abhängt. Wenn die Amerikaner jetzt den Ölpreis senken können, wird Russland zu den Verlierern des Krieges gehören.

GN: Was bedeutet das konkret für Georgien?

Ramaz Sakwarelidse: Georgien wartet jetzt erst einmal darauf, dass die Amerikaner uns für den Eintritt in die Koalition "belohnen". Sie haben ganz sicher das Interesse, diese Koalition zu stärken, wobei es ihnen ja nicht nur um den Irak geht. Es gibt da durchaus auch Verbindungen mit dem Öl im Kaspischen Meer und Zentralasien. Amerika kann auf Dauer keine Konfliktzonen entlang der grossen Energie-Versorgungsstränge zulassen. Das ist unsere Hoffnung in Sachen Abchasien und Süd-Ossetien.

GN: Glauben Sie, dass Russland seine Faustpfänder in Abchasien und Südossetien hergeben wird, sein einziges Störpotential gegen die amerikanisch-georgische Allianz?

Ramaz Sakwarelidse: Russland wird voll und ganz von der Ölpreisentwicklung abhängen und das ist der Hebel, mit dem Amerika Russland zu einem Kompromiss in Abchasien bewegen kann.

GN: In Sotschi klang das aber ganz anders. Da hat Putin mächtig aufgetrumpft und das Thema Abchasien auf die bilaterale Ebene plus Abchasen gezogen.

Ramaz Sakwarelidse: Der Dialog Putin Schewardnadse in Sotschi ging in eine gänzlich andere Richtung. Es ging da um ein paar kleine Fortschritte im Detail, nicht um die grosse Lösung. Die große Lösung in Abchasien hängt mehr von den Amerikanern ab. Wenn Russland erst einmal unter den Druck des amerikanischen Ölpreises gerät, dann wird es auch in Abchasien nachgeben. Amerika kann Russland den Atem abwürgen. Das wird man dort schon zur Kenntnis nehmen. Und Amerika will ein friedliches Umfeld in seiner Öl-Politik.

GN: Mr. Bush steht vor einem wichtigen Wahlkampf. Glauben Sie, dass er da Zeit hat, sich um Abchasien und Georgien zu kümmern?

Ramaz Sakwarelidse: Bush muss in seinem Wahlkampf nachweisen, was er getan hat. Er hat Afghanistan angefangen und zu Ende geführt. Er hat den Irakkrieg angefangen und ihn zu Ende geführt. Jetzt muss er auch das Thema Kaukasus zu Ende bringen. Der Kaukasus ist für Amerika von großer Bedeutung, insbesondere nachdem sich die Türkei im Irakkrieg ja nicht gerade als zuverlässigster Bündnispartner erwiesen hat. Der Kaukasus ist wie ein kleines Israel inmitten einer muslimischen Welt.

GN: Und Georgien das Zentrum weltpolitischer Überlegungen?

Ramaz Sakwarelidse: Amerika braucht einen Platz in dieser Region, auf dem es das Sagen hat. Georgien kann so etwas wie eine kleine pro-amerikanische Insel sein im anti-amerikanischen Ozean, der aus der islamischen Welt und Russland gebildet wird. Amerika wird verhindern wollen, dass diese beiden Kräfte sich zu einer Einheit zusammenfinden. Georgien ist der Platz, dies zu tun.

GN: Viele sagen, Georgien habe seine Seele an Amerika verkauft.

Ramaz Sakwarelidse: Das würde ich nicht so sehen, trotzdem muss man darüber nachdenken. Aber hatten wir eine andere Wahl? Wenn wir Amerika und seinen Interessen im Kaukasus die kalte Sachulter gezeigt hätten, wer würde dann die Russen in ihrem Drang, den Kaukasus so zu beherrschen, wie sie es gewohnt waren, stoppen? Niemand in Europa würde dem Kaukasus in seinem Kampf mit Russland zur Hilfe eilen. Wenn es Amerika nicht gegeben hätte, würde Russland weiter Bomben auf uns werfen, so wie man es im vergangenen Jahr im Pankisi gemacht hat.

Und wenn Amerika ein wirklicher Partner ist, dann haben wir uns nicht verkauft. Ein wirklicher Partner wird uns nie so bevormunden wie wir es jahrhundertlang mit Russland erleben mussten. Russland ist immer davon ausgegangen, wenn ihm ein Land gehörte, dann total und ganz und gar. Amerika ist da anders, wie wir im Falle Deutschlands sehen. Es hat Deutschlands Aufbau finanziert und es trotzdem nicht bevormundet.

GN: Amerika hat Deutschland allerdings für seine kritische Haltung im Irakkrieg abgestraft.

Ramaz Sakwarelidse: Deutschlands Haltung in dieser Frage ist mir unverständlich und dass es von Amerika jetzt irgednwie bestraft wird, ist nur logisch.

GN: Also heißt in Georgien die Parole: Mit voller Kraft voraus in Richtung Amerika. Wird diese Frage den kommenden Wahlkampf bestimmen?

Ramaz Sakwarelidse: Nein, der Wahlkampf wird mit innenpolitischen Themen geführt werden, das Thema Nordorientierung oder Westorientierung wird keine Rolle spielen, obwohl es viele Gruppierungen gibt, deren russische Orientierung offenkundig ist: Aghorzineba aus Adscharien zum Beispiel, oder Ertoba und die Sozialisten Rcheulischwilis.

GN: Wagen Sie eine Prognose zum Wahlkausgang?

Ramaz Sakwarelidse: Der Regierungsblock wird etwa gleichauf liegen mit Aghorzineba, der Arbeiterpartei von Schalwa Natelaschwili und Saakaschwilis Nationalisten. Diese Parteien sehe ich sicher im Parlament. Die neuen Rechten und die Industrialisten von Gogi Topadse haben daneben am ehesten die Chance, die Sperrklausel zu überwinden. Schwania wird es mit seiner Partei nach den derzeitigen Umfrageergebnissen nur schaffen, wenn er eine Koalition mit anderen eingeht.

GN: Das heisst aber, dass sich Schewardnadse für die letzten Jahre seiner Amtszeit eine neue Mehrheit im Parlament wird suchen müssen.

Ramaz Sakwarelidse: So wird es sein, aber das ist ein normaler Vorgang und völlig logisch, so logisch wie die Auflösung der Bürgerunion, der ich ja angehörte. Das war nie eine Partei sondern immer ein Zusammenschluss verschiedener Interessengruppen um eine Person nicht um eine Idee.

GN: Wird ein neues Parlament die Verfassung ändern und so demokratischere Spielregeln einführen?

Ramaz Sakwarelidse: Ich denke nicht, dass das allzuviel bringt. Alle potsowjetischen Länder haben sehr junge Parlamente ohne Erfahrung und demokratische Kultur. Wir sollten diesen nicht alle Entscheidungen überlassen. Es braucht noch einige Zeit eine starke Führung im Land, die nicht den alltäglichen Zufälligkeiten parlamentarischer Mehrheiten unterliegt.

GN: Schewardnadse war so ein starker Mann, sehen Sie einen Nachfolger ähnlichen Formats?

Ramaz Sakwarelidse: Bis heute sehe ich weder im Regierungslager noch in der Opposition eine Figur, die dafür infrage käme. Aber bis zur Wahl eines neuen Präsidenten haben wir ja noch etwas Zeit.

GN: Sie kennen Schewardnadse aus achtjähriger Parlamentsarbeit und zwei Jahren als sein Pressesprecher. Wenn Sie jetzt schon Bilanz seiner Präsidentschaft ziehen müssten, was käme dabei heraus?

Ramaz Sakwarelidse: Schewardnadse hat dem Land zunächst einmal eine Rolle in der Welt zugewiesen, die akzeptiert wird. Das war seine größte Leistung. Dann Georgien durch ihn dem Einfluss Russlands widerstanden, ohne dass dies zu schweren Verwerfungen geführt hätte. Er hat drittens die demokratischen Institutionen im Lande installiert und lässt diesen ihren freien Spielraum. Das georgische Parlament wird nicht annähernd so stark vom Präsidenten und seinem Clan kontrolliert wie dies beispielsweise in anderen postsowjetischen Ländern der Fall ist. Das kann ich beurteilen, ich war lange genug im Parlament. Auch die Medien geniessen in unserem Land ein Mass an Pressefreiheit, das man in anderen postsowjetischen Ländern nicht findet.

GN: In der Wirtschafts- und Innenpolitik sieht die Bilanz aber bei Weiten nicht so gut aus.

Ramaz Sakwarelidse: Da haben Sie recht, da sieht die Situation düster aus, das wissen wir alle. Wer Schewardnadse kennt, weiss, dass er immer nur ein einziges politisches Ziel vor Augen hatte, dieses verfolgte und dafür andere Aufgaben vernachlässigte. Und er hatte sich eben hauptsächlich der Aussenpolitik zugewandt in der Überzeugung, dass jede Innenpolitik sinnlos sei, wenn die aussenpolitische Einordnung des Landes in die Weltgemeinschaft nicht stimmt.

GN: Schön und gut, dafür läuft Georgien derzeit der Gefahr, von seinen westlichen Förderern in Europa als "failed country" bewertet zu werden, weil es unter Schewardnadse auf dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung so gut wie keine Fortschritte gibt. In Europa ist der Frust über Georgien mit Händen zu greifen.

Ramaz Sakwarelidse: Ach Ihr Europäer. Wenn ein Land einmal nicht so funktioniert, wie Ihr Euch das für Europa vorstellt, dann ist es schon ein verlorenes Land. Man muss doch wissen, woher wir kommen. Georgien war im Sozialismus schon das Korruptionsland Nr. 1. Das hat nicht nur die ganz oben betroffen, jeder einzelne, auch jeder kleine Mann war auf seiner Ebene in die Korruption verstrickt. Wie soll man dies in kurzer Zeit ändern? Ich kann mich sehr gut an eine Klage Schewardnadses im kleinen Kreis erinnern, als er sagte: "Was soll ich denn machen. Selbst wenn ich Leute von der Strasse als Minister berufe, die seit ihres Lebens nichts mit dem korrupten Sowjetsystem zu tun hatten, werden sie nach kurzer Zeit die Regeln der Korruption verinnerlicht haben." Das ist ja alles verständlich, oder kennen Sie ein Land mit einer so geringen Wirtschaftsleistung wie Georgien, in der die Korruption nicht blüht? In einem armen Land kann man Korruption nicht bekämpfen, man muss erst einmal dafür sorgen, dass es bergauf geht mit der Wirtschaft. Ich glaube nicht, dass wir das Thema derzeit viel besser handeln könnten als wir es jetzt tun. Wir brauchen einfach etwas mehr Zeit. Ein kleines Baby wird man doch auch nicht von der Windel entwöhnen wollen, wenn seine körperlichen Funktionen noch nicht ausgebildet sind.

GN: Und warum haben Sie die Politik verlassen?

Ramaz Sakwarelidse: Ich musste mich entscheiden zwischen Politik und Wissenschaft. Nach acht Jahren Politik habe ich die Wissenschaft vorgezogen, das war eine rein persönliche Entscheidung.

GN: Herr Sakvarelidse, vielen Dank für dieses Gespräch.

Druckversion


Copyright © 2003 ERKA-Verlag E-mail Impressum Kontakt Webmaster