Obwohl die Wahlen zum georgischen Parlament erst für den 2.
November angesetzt sind, beginnen die Parteien schon jetzt damit,
handfeste Argumente auszutauschen. In der vergangenen Woche traf
es den Sozialisten-Chef Wachtang Rtscheulischwili, dessen Kopf während
einer hitzigen Diskussion mit Kollgegen von der Vereinten Demokratischen
Partei in einem Parlamentsbüro unglücklich von einer Vase
getroffen wurde und böse malträtiert worden war. Rtscheulischwili
war von einigen Abgeordneten der Vereinigten Demokraten mehr oder
weniger diskret in den Raum gedrängt worden, den diese dann
von innen verriegelten, bevor der seltsame Dialog begann. Als Sicherheitsleute
die Tür schliesslich aufbrechen konnten, lag Rtscheulischwili
verletzt am Boden. Wer von den demokratischen Parlamentariern mit
dem Griff zur Vase den Disput beendete, war selbst für den
Verwundeten nicht mehr auszumachen, da sich zehn Mann gemeinsam
auf ihn gestürzt hätten. Staatspräsident Eduard Schewardnadse
zeigt sich äusserst indigniert und wies den Generalstaatsanwalt
auf der Kabinettssitzung am Mittwoch an, den Vorgang innerhalb einer
Woche aufzuklären.
Hintergrund dieser Auseinandersetzung, die das politische Tbilissi
und die Medien für einige Tage beschäftigte, waren Vorwürfe
von Rtscheulischwili gegenüber Demokraten-Chef Surab Schwania.
Diesen hatte der Sozialist wegen seiner armenischen Abstammung
einerseits sezessionistischer Umtriebe in der Region Dschawacheti
geziehen. Andererseits bezeichnete er ihn als Homosexuellen, was
in der Gesellschaft Georgiens noch immer als eine der übelsten
Beschimpfungen und Ehrabschneidungen gilt. Von den Anhängern
Schwanias aufgefordert, diese Behauptungen öffentlich zurückzunehmen
und sich zu entschuldigen, schlug Wachtang Rtscheulischwili stattdessen
vor, die Angelegenheit in privatem Rahmen zu erledigen. So kam
es denn zu der diskreten Herrenrunde hinter verschlossenen Türen,
wobei der Sozialistenchef, statt sich zu entschuldigen, seine
Vorwürfe wiederholt haben soll, was seine politischen Gegner
wiederum als eindeutige Aufforderung verstanden, den Streit auf
kaukasische Weise zu schlichten. Zum Glück, wird der Angegriffene
zitiert, habe er keine Waffe getragen, während ein führender
Demokrat erklärt haben soll, man werde selbst vor Schewardnadse
nicht halt machen, sollte dieser sich in ähnlich despektierlicher
Art über den Führer der Oppositionspartei äussern.
Der Vorgang zeigt, wie blank die Nerven auf allen Seiten knapp
ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl liegen, die über die
Machtverteilung für die Zeit nach Schewardnadse entscheiden
wird. Seit Monaten vergeht nicht ein Tag, an dem nicht Spekulationen
über neue Koalitionen und Wählerblocks die politische
Landschaft verunsichern. War zum Beispiel Irina Sarischwili-Tschanturia
vor einigen Monaten noch mit den Oppositionsparteien Schwanias
und Saakaschwilis zusammen, hat sie das Lager gewechselt und ist
jetzt eine Sprecherin des kürzlich formierten Regierungslagers
"Neues Georgien". Auch Rtscheulischwili ist mit seiner
Sozialistischen Partei dem neuen Bündnis Schewardnadses beigetreten,
früher rühmte er sich, der einzige Opponent Schewardnadses
im Parlament zu sein. Für seinen Frontwechsel wurde er mit
dem Ehrenamt "Persönlicher Beauftragter des Präsidenten
zur Regelung des Ossetienkonflikts" entlohnt und darf seither
in Moskau offizielle Verhandlungen führen.
Auf Seiten der Opposition wird immer wieder ein einheitliches
Auftreten in einem Wählerblock gefordert, bis jetzt ist aber
nicht erkennbar, wer mit wem zusammen auf einer Liste anzutreten
gedenkt. Die "Neuen Rechten" zum Beispiel haben unmissverständlich
erklärt, dass sie sich keinem Wahlbündnis anschliessen
wollen und selbständig in den Wahlkampf ziehen. Die Arbeiterpartei
von Schalwa Natelaschwili ist für die westlich orientierten
Parteien Saakaschwilis und Schwanias nicht koalitionsfähig,
wengleich sie nach der Kommunalwahl vom vergangenen Jahr Saakaschwili
auf den Posten des Parlamentspräsidenten von Tbilissi hievte.
Saakaschwili, Vorsitzender der Partei der Nationalen Bewegung
wiederum sieht in den "Neuen Rechten" nur verkappte
Anhänger Schewardnadses und will seiner Wählerschaft
keine Koalition mit dieser Gruppierung zumuten. Bleibt als Oppositionsblock
nur ein Bündnis zwischen Saakaschwili und Schwania, ob es
dazu kommt und vor allem, wie stabil es sein wird, ist angesichts
der persönlichen Ambitionen der beiden Spitzenmänner
fraglich. Beide sind ernsthafte Kandidaten im Rennen um die Amtsnachfolge
Schewardnadses, die in zwei Jahren ansteht. Für die Parlamentswahl
und die Zeit der Regierungsbildung dürften beide Parteien
jedoch in enger Absprache agieren.
Noch nicht entschieden hat sich Parlamentspräsidentin Nino
Burdschanadse, die von mehreren Parteien umworben wird. Möglicherweise
geht sie als parteilose Direktkandidatin ins Rennen um ein Parlamentsmandat.
Vorerst hat sie sich publikumswirksam mit Staatspräsident
Schewardnadse persönlich angelegt, dem sie unterstellte,
in Georgien eine "Diktatur" errichten zu wollen. Dieser
reagierte verärgert mit der Bemerkung, als er in der Endzeit
Gorbatschows solche Tendenzen festgestellt hätte, sei er
konsequent gewesen und zurückgetreten.
Hauptstreitpunkt ist nach wie vor das Wahlgesetz, das noch nicht
verabschiedet ist. Nach den Vorstellungen der Regierung soll die
Mehrheit der Mitglieder der Zentralen Wahlkommission vom Präsidenten
eingesetzt werden, was diesem eine völlige Kontrolle des
Gremiums ermöglichte. Dagegen regte sich Widerstand bei den
Oppositionsfraktionen, die ihrerseits einen Gesetzesentwurf einbrachten.
Jetzt soll eine Parlaments-Kommission aus beiden Entwürfen
ein neues Gesetz schneidern. Da sich bis jetzt kein Kompromiss
abzeichnet, könnte es sein, dass auch die kommende Wahl von
der im Amt befindlichen Zentralen Wahlkommission geleitet wird,
die bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr offensichtlich nicht
in der Lage war, faire und einwandfreie Wahlen zu organisieren.
Eine durch und durch kaukasische Lösung.
Grund genug für die Botschafter der westlichen Staaten,
in einem Treffen mit Eduard Schewardnadse am 1. Mai, diesen auf
die Notwendigkeit fairer Wahlen hinzuweisen. Die Diplomaten hatten
dem Präsidenten die Botschaft überbracht, dass der Westen
seine Augen vor Wahlmanipulationen nicht verschliessen werde.
Diese Botschaft sei zwar durchaus diplomatisch formuliert worden,
man habe es trotzdem an Klarheit nicht fehlen lassen, erklärte
dazu die International Society for Fair Elections and Democracy
(ISFED) in Georgien.
Unterdessen machten sich einige Parteiführer zu Auslandsreisen
auf. Mikhael Saakasvili suchte in Amerika nach Untestützung
für einen pro-westlichen Kurs, während der kopfverletzte
Wachtang Rtscheulischwili mit offiziellem Auftrag nach Israel
reiste. Diesmal als Gesandter des georgischen Patriarchen, für
den er, wie es heisst, Grundstücksgeschäfte abwickeln
soll. Unter den Vereinten Demokraten, die ihn mit einer Vase blutig
schlugen, macht unterdessen die Bemerkung die Runde, der Sozialistenchef
wolle mit einer Wallfahrt ins heilige Land für seine Sünden
büssen. Wieviele georgische Parlamentarier Gründe haben
könnten, ihrerseits über eine solche Sühnereise
nachzudenken, ist nicht bekannt.
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