Ausgabe 8/03
14. Mai
 TV-Termine:

 Schätze der Welt:
 Baku – Land des
 Feuers

 3sat: 11. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 18. Mai, 13.15 Uhr

 Schätze der Welt:
 Mzcheta – Wunder der
 Nino

 3sat: 18. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 25. Mai, 13.15



Obwohl die Wahlen zum georgischen Parlament erst für den 2. November angesetzt sind, beginnen die Parteien schon jetzt damit, handfeste Argumente auszutauschen. In der vergangenen Woche traf es den Sozialisten-Chef Wachtang Rtscheulischwili, dessen Kopf während einer hitzigen Diskussion mit Kollgegen von der Vereinten Demokratischen Partei in einem Parlamentsbüro unglücklich von einer Vase getroffen wurde und böse malträtiert worden war. Rtscheulischwili war von einigen Abgeordneten der Vereinigten Demokraten mehr oder weniger diskret in den Raum gedrängt worden, den diese dann von innen verriegelten, bevor der seltsame Dialog begann. Als Sicherheitsleute die Tür schliesslich aufbrechen konnten, lag Rtscheulischwili verletzt am Boden. Wer von den demokratischen Parlamentariern mit dem Griff zur Vase den Disput beendete, war selbst für den Verwundeten nicht mehr auszumachen, da sich zehn Mann gemeinsam auf ihn gestürzt hätten. Staatspräsident Eduard Schewardnadse zeigt sich äusserst indigniert und wies den Generalstaatsanwalt auf der Kabinettssitzung am Mittwoch an, den Vorgang innerhalb einer Woche aufzuklären.

Hintergrund dieser Auseinandersetzung, die das politische Tbilissi und die Medien für einige Tage beschäftigte, waren Vorwürfe von Rtscheulischwili gegenüber Demokraten-Chef Surab Schwania. Diesen hatte der Sozialist wegen seiner armenischen Abstammung einerseits sezessionistischer Umtriebe in der Region Dschawacheti geziehen. Andererseits bezeichnete er ihn als Homosexuellen, was in der Gesellschaft Georgiens noch immer als eine der übelsten Beschimpfungen und Ehrabschneidungen gilt. Von den Anhängern Schwanias aufgefordert, diese Behauptungen öffentlich zurückzunehmen und sich zu entschuldigen, schlug Wachtang Rtscheulischwili stattdessen vor, die Angelegenheit in privatem Rahmen zu erledigen. So kam es denn zu der diskreten Herrenrunde hinter verschlossenen Türen, wobei der Sozialistenchef, statt sich zu entschuldigen, seine Vorwürfe wiederholt haben soll, was seine politischen Gegner wiederum als eindeutige Aufforderung verstanden, den Streit auf kaukasische Weise zu schlichten. Zum Glück, wird der Angegriffene zitiert, habe er keine Waffe getragen, während ein führender Demokrat erklärt haben soll, man werde selbst vor Schewardnadse nicht halt machen, sollte dieser sich in ähnlich despektierlicher Art über den Führer der Oppositionspartei äussern.

Der Vorgang zeigt, wie blank die Nerven auf allen Seiten knapp ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl liegen, die über die Machtverteilung für die Zeit nach Schewardnadse entscheiden wird. Seit Monaten vergeht nicht ein Tag, an dem nicht Spekulationen über neue Koalitionen und Wählerblocks die politische Landschaft verunsichern. War zum Beispiel Irina Sarischwili-Tschanturia vor einigen Monaten noch mit den Oppositionsparteien Schwanias und Saakaschwilis zusammen, hat sie das Lager gewechselt und ist jetzt eine Sprecherin des kürzlich formierten Regierungslagers "Neues Georgien". Auch Rtscheulischwili ist mit seiner Sozialistischen Partei dem neuen Bündnis Schewardnadses beigetreten, früher rühmte er sich, der einzige Opponent Schewardnadses im Parlament zu sein. Für seinen Frontwechsel wurde er mit dem Ehrenamt "Persönlicher Beauftragter des Präsidenten zur Regelung des Ossetienkonflikts" entlohnt und darf seither in Moskau offizielle Verhandlungen führen.

Auf Seiten der Opposition wird immer wieder ein einheitliches Auftreten in einem Wählerblock gefordert, bis jetzt ist aber nicht erkennbar, wer mit wem zusammen auf einer Liste anzutreten gedenkt. Die "Neuen Rechten" zum Beispiel haben unmissverständlich erklärt, dass sie sich keinem Wahlbündnis anschliessen wollen und selbständig in den Wahlkampf ziehen. Die Arbeiterpartei von Schalwa Natelaschwili ist für die westlich orientierten Parteien Saakaschwilis und Schwanias nicht koalitionsfähig, wengleich sie nach der Kommunalwahl vom vergangenen Jahr Saakaschwili auf den Posten des Parlamentspräsidenten von Tbilissi hievte. Saakaschwili, Vorsitzender der Partei der Nationalen Bewegung wiederum sieht in den "Neuen Rechten" nur verkappte Anhänger Schewardnadses und will seiner Wählerschaft keine Koalition mit dieser Gruppierung zumuten. Bleibt als Oppositionsblock nur ein Bündnis zwischen Saakaschwili und Schwania, ob es dazu kommt und vor allem, wie stabil es sein wird, ist angesichts der persönlichen Ambitionen der beiden Spitzenmänner fraglich. Beide sind ernsthafte Kandidaten im Rennen um die Amtsnachfolge Schewardnadses, die in zwei Jahren ansteht. Für die Parlamentswahl und die Zeit der Regierungsbildung dürften beide Parteien jedoch in enger Absprache agieren.

Noch nicht entschieden hat sich Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse, die von mehreren Parteien umworben wird. Möglicherweise geht sie als parteilose Direktkandidatin ins Rennen um ein Parlamentsmandat. Vorerst hat sie sich publikumswirksam mit Staatspräsident Schewardnadse persönlich angelegt, dem sie unterstellte, in Georgien eine "Diktatur" errichten zu wollen. Dieser reagierte verärgert mit der Bemerkung, als er in der Endzeit Gorbatschows solche Tendenzen festgestellt hätte, sei er konsequent gewesen und zurückgetreten.

Hauptstreitpunkt ist nach wie vor das Wahlgesetz, das noch nicht verabschiedet ist. Nach den Vorstellungen der Regierung soll die Mehrheit der Mitglieder der Zentralen Wahlkommission vom Präsidenten eingesetzt werden, was diesem eine völlige Kontrolle des Gremiums ermöglichte. Dagegen regte sich Widerstand bei den Oppositionsfraktionen, die ihrerseits einen Gesetzesentwurf einbrachten. Jetzt soll eine Parlaments-Kommission aus beiden Entwürfen ein neues Gesetz schneidern. Da sich bis jetzt kein Kompromiss abzeichnet, könnte es sein, dass auch die kommende Wahl von der im Amt befindlichen Zentralen Wahlkommission geleitet wird, die bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr offensichtlich nicht in der Lage war, faire und einwandfreie Wahlen zu organisieren. Eine durch und durch kaukasische Lösung.

Grund genug für die Botschafter der westlichen Staaten, in einem Treffen mit Eduard Schewardnadse am 1. Mai, diesen auf die Notwendigkeit fairer Wahlen hinzuweisen. Die Diplomaten hatten dem Präsidenten die Botschaft überbracht, dass der Westen seine Augen vor Wahlmanipulationen nicht verschliessen werde. Diese Botschaft sei zwar durchaus diplomatisch formuliert worden, man habe es trotzdem an Klarheit nicht fehlen lassen, erklärte dazu die International Society for Fair Elections and Democracy (ISFED) in Georgien.

Unterdessen machten sich einige Parteiführer zu Auslandsreisen auf. Mikhael Saakasvili suchte in Amerika nach Untestützung für einen pro-westlichen Kurs, während der kopfverletzte Wachtang Rtscheulischwili mit offiziellem Auftrag nach Israel reiste. Diesmal als Gesandter des georgischen Patriarchen, für den er, wie es heisst, Grundstücksgeschäfte abwickeln soll. Unter den Vereinten Demokraten, die ihn mit einer Vase blutig schlugen, macht unterdessen die Bemerkung die Runde, der Sozialistenchef wolle mit einer Wallfahrt ins heilige Land für seine Sünden büssen. Wieviele georgische Parlamentarier Gründe haben könnten, ihrerseits über eine solche Sühnereise nachzudenken, ist nicht bekannt.

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