Ausgabe 8/03
14. Mai
 TV-Termine:

 Schätze der Welt:
 Baku – Land des
 Feuers

 3sat: 11. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 18. Mai, 13.15 Uhr

 Schätze der Welt:
 Mzcheta – Wunder der
 Nino

 3sat: 18. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 25. Mai, 13.15



Zwei Schweizer Investoren haben die seit Jahren stillgelegte Seidenfabrik in der Innenstadt von Tbilissi wieder aktiviert. Auf neu eingerichteten Produktionsstrasse produzieren sie Mineralwasserflaschen aus Ton, die sie auf der anderen Produktionsstrasse wieder recyclen und zu Tonblocks verarbeiten, die verpackt und auf einer Palette gestapelt darauf warten, erneut zu Mineralwasserflaschen gepresst zu werden. Neun Arbeitsplätze wurden geschaffen, allerdings nur für wenige Stunden und nur an vier Tagen. Haimo Ganz und Martin Blum heissen die beiden Unternehmer mit vollem Namen. Sie sind Aktionskünstler aus der Schweiz, bekannt unter dem Namen Schweizer und Schweizer. Ihre Produktions-Performance wird derzeit im Rahmen der Internationalen Kunstausstellung "Appendix 2" in Tbilissi gezeigt.


Es ist eine sinnlose Produktion, die da in der Fabrikruine abläuft, allerdings arbeitsteilig höchst effektiv durchorganisiert. Und Schweizer und Schweizer, in roten Arbeitsjacken als Chefs erkennbar, kontrollieren ihre Nonsens-Fabrik und werfen jede Tonflasche, die ihren Qualitätsvorstellungen nicht entspricht, gleich wieder in die Badewanne, in der einer ihrer Arbeiter den Rohstoff für die Massenproduktion von Tonflaschen aufbereitet. Eine wahnwitzige Performance in einem Land, in dem vor etwas mehr als zehn Jahren noch das Recht auf Arbeit



jedermann irgendeinen Job garantierte und in dem jetzt die Mehrheit der Menschen ohne sinnvolle Arbeit lebt, entweder auswandern muss oder mit Handelsgeschäften das Überleben absichert. Dazu eine sphärenartige Hintergrundmusik, am PC gemixt von Dima Dadiani, Trupi. Die Premierengäste, ein paar Hundert an der Zahl, waren begeistert.

Georgien als wurmfortsatzgrosses Modell der Globalisierung - das ist das Thema dieser zweiten internationalen Kunstausstellung, zu der mehr als 30 Künstler aus mehreren Ländern eingeladen wurden, darunter auch Künstler aus Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Die Werte, Attitüden, Produkte und Ideologien der Globalisierung breiten sich unaufhaltsam in der Welt aus, Brüche und Widersprüche, Rebellion und Resignation, Erruptionen oder innere Emigrationen sind die Folge. Die Veranstalter, das Projekt "mafi - media art farm" haben ihre künstlerischen Gäste aufgefordert, im Kaukasus auf die Spurensuche all dieser Entwicklungen zu gehen. Gezeigt werden die Produkte künstlerischer Recherchen an sieben Plätzen, indoor und outdoor, unter anderem im Park des 9. April zwischen Rustaweli-Prospekt und amerikanischer Botschaft. Schon die Wahl dieses Platzes hat Symbolcharakter. Am 9. April 1989 schlug die untergehende Sowjetmacht ein letztes Mal zu, als sie vor dem Palamentsgebäude demonstrierende Studenten der jungen georgischen Nationalbewegung mit Giftgas und Spaten traktierte. Auf der anderen Seite des Parks demonstriert die US-Botschaft mit ihrem Schutzwall, der mitten in die Strasse betoniert wurde, mehr als überdeutlich den Paradigmenwechsel im Kaukasus.


In diesem Park hat das holländische Atelier van Lieshout aus Armierungsstahl, eines der wenigen Industrieprodukte, das in Georgien derzeit hergestellt wird, sieben Gefängniszellen mit jeweils 2,30 Metern im Quadrat als Grundfläche aufgebaut. Alle Zellen sind gut verschlossen. Sechs Zellen sind den verschiedenen Invasoren, Räubern und Besatzern der georgischen Geschichte gewidmet, angefangen von den Argonauten bis hin zu den Vereinigten Staaten von Amerika, die Gefahr laufen, sich nahtlos in die Geschichte fremder Herren im Kaukasus einzureihen. Die siebte Zelle ist den Georgiern selbst reserviert, weil sie unfähig genug waren, Invasionen zu widerstehen. Angesichts einer drohenden Neu-Invasion, die freilich viel subtiler daherkommt als die ihrer Vorgänger, ein deutliches Signal der holländischen Gäste an ihre georgischen Gastgeber, sich und ihren Staat aus eigener Kraft besser zu organisieren, soll die neu gewonnene Selbständigkeit wirklich von Bestand sein.


Der Franzose Philippe Meste hat seine Installationen in der ganzen Innenstadt von Tbilissi verteilt. An allen möglichen und unmöglichen Stellen hat er aus weißen, mit Sand gefüllten Säcken, kleine Verteidigungsanlagen aufgebaut, die manch einem in dieser Stadt durchaus real vorkommen mögen. Sie fügen sich jedenfalls seltsam bekannt in das Stadtbild ein. Philippe Meste hat mit diesen kleinen Verteidigungsbauten einen strategischen Ring um ein spezielles Gebäude gefertigt, dessen Identität er allerdings aus Sicherheitsgründen nicht preisgibt. Er allein weiß, welches Bauwerk er mit seinen vielen Sandsackburgen verteidigen möchte. Doch Vorsicht, so der Künstler in einem TV-Interview zur besten Morgenzeit, die Besatzungen dieser Wehranlagen könnten sich auch umdrehen und das Gebäude, das sie zu verteidigen vorgäben, angreifen. Eine Metapher, die gar nicht so weit vom real existierenden georgischen Polit-Alltag entfernt ist. Jedenfalls



wurde der Organsiator der Ausstellung, der junge Fotograf Wato Tsereteli, nach diesem TV-Auftritt des Franzosen einen Tag lang vom georgischen Sicherheitsministerium, dem Nachfolger des früher allmächtigen KGB, verhört, bis man ihn angesichts der offensichtlichen Harmlosigkeit der Philipp'schen Installationen dann doch laufen liess. Allerdings vergassen die Herren der Staatssicherheit nicht, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er alleine verantwortlich dafür sei, sollte mit den Sandsack-Fortifikationen dennoch irgendwelcher Missbrauch getrieben werden. Ganz so harmlos ist die Erfindung von Philippe Meste denn anscheinend doch nicht und Kunst, die in keine der hergebrachten Schablonen passt, ist und bleibt eben suspekt. Da sind die Subalternen der georgischen Staatsmacht nicht alleine auf der Welt.


Vor allem die Objekte im öffentlichen Raum sind für Tbilissi und seine Bewohner eine künstlerische Herausforderung. Denn was hierzulande an alt-sozialistischer Kunst wie auch an Neuschöpfungen des modernen Georgiens auf Strassen und Plätzen herumsteht, fällt meist unter den Straftatbestand der ästhetischen Umweltverschmutzung. Es ist das Verdienst dieser Ausstellung, der georgischen und ausländischen



Avantgarde in einem künstlerischen und ästhetischen Umfeld, das noch schwer unter der Gängelung ideologisch vorgegebener Schranken leidet, ein Forum gegeben zu haben, das Aufmerksamkeit erregen muss. Und es ist das Verdienst der Sponsoren, dass sie die ambitionierten Kunst-Macher um Wato Tsereteli herum mit einem hinreichend soliden Budget ausgestattet haben.


Unter den Künstlern, die in der Alten Karawanserei, dem Französischen Kulturzentrum Alexandre Dumas, dem Club 22, der Seidenfabrik, der Art-synthesis Gallery und den Parks und Strassen von Tbilissi ausstellen, sind bekannte Namen, unter anderem der Deutsche Harun Farocki, der am 21. Mai selbst zu einem Vortrag im Goetheinstitut nach Tbilissi



kommt. Seine bereits im Jahr 2001 in Deutschland entstandene und gezeigte Installation "Eye/machine", in der er Video-Aufnahmen des sogenannten "klinisch reinen" Krieges verarbeitet, hat angesichts des gerade beendeten zweiten Golfkrieges eine ungeheure Aktualität.


Aktuell ist auch die Hausaufgabe einer Geografie-Stunde, die der Azerbaidschaner Orkhan Huseynov den Ausstellungsbesuchern aufgibt. Mit einfachen Filzstift-Strichen hat er eine Weltkarte auf Papier



gezeichnet, die von den Besuchern ergänzt, verändert, kommentiert oder auch ausradiert werden kann. So entsteht bis zum 29. Mai eine neue Weltkarte und keiner weiß, ob die Fantasien der Besucher sich allzu sehr von denen machtlüsterner Kriegsherren und Weltstrategen in den Regierungsetagen der Weltmächte unterscheiden.

Drei Orthoboxen steuert der Georgier Gio Sumbadze bei. In einem offenen Metall-Quader sitzt der Betrachter inmitten der Skulptur. Ein Ffadenkreuz vor ihm gibt ihm Orientierung, während aus zwei kleinen Lautsprechern Geräusche unterschiedlicher Frequenzen auf ihn



einströmen. Ein transparenter Ort, der einlädt, sich von den vielfältigen Einflüssen der global gewordenen Umwelt abzuschotten und sich auf seine eigenen Sinne zu verlassen.

Appendix 2 ist noch bis zum 29. Mai zu sehen. Mehr Informationen unter www.farm.ge

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