Zwei Schweizer Investoren haben die seit Jahren stillgelegte Seidenfabrik
in der Innenstadt von Tbilissi wieder aktiviert. Auf neu eingerichteten
Produktionsstrasse produzieren sie Mineralwasserflaschen aus Ton,
die sie auf der anderen Produktionsstrasse wieder recyclen und zu
Tonblocks verarbeiten, die verpackt und auf einer Palette gestapelt
darauf warten, erneut zu Mineralwasserflaschen gepresst zu werden.
Neun Arbeitsplätze wurden geschaffen, allerdings nur für
wenige Stunden und nur an vier Tagen. Haimo Ganz und Martin Blum
heissen die beiden Unternehmer mit vollem Namen. Sie sind Aktionskünstler
aus der Schweiz, bekannt unter dem Namen Schweizer und Schweizer.
Ihre Produktions-Performance wird derzeit im Rahmen der Internationalen
Kunstausstellung "Appendix 2" in Tbilissi gezeigt.
Es ist eine sinnlose Produktion, die da in der Fabrikruine abläuft,
allerdings arbeitsteilig höchst effektiv durchorganisiert.
Und Schweizer und Schweizer, in roten Arbeitsjacken als Chefs
erkennbar, kontrollieren ihre Nonsens-Fabrik und werfen jede Tonflasche,
die ihren Qualitätsvorstellungen nicht entspricht, gleich
wieder in die Badewanne, in der einer ihrer Arbeiter den Rohstoff
für die Massenproduktion von Tonflaschen aufbereitet. Eine
wahnwitzige Performance in einem Land, in dem vor etwas mehr als
zehn Jahren noch das Recht auf Arbeit
jedermann irgendeinen Job garantierte und in dem jetzt die Mehrheit
der Menschen ohne sinnvolle Arbeit lebt, entweder auswandern muss
oder mit Handelsgeschäften das Überleben absichert.
Dazu eine sphärenartige Hintergrundmusik, am PC gemixt von
Dima Dadiani, Trupi. Die Premierengäste, ein paar Hundert
an der Zahl, waren begeistert.
Georgien als wurmfortsatzgrosses Modell der Globalisierung -
das ist das Thema dieser zweiten internationalen Kunstausstellung,
zu der mehr als 30 Künstler aus mehreren Ländern eingeladen
wurden, darunter auch Künstler aus Georgien, Armenien und
Aserbaidschan. Die Werte, Attitüden, Produkte und Ideologien
der Globalisierung breiten sich unaufhaltsam in der Welt aus,
Brüche und Widersprüche, Rebellion und Resignation,
Erruptionen oder innere Emigrationen sind die Folge. Die Veranstalter,
das Projekt "mafi - media art farm" haben ihre künstlerischen
Gäste aufgefordert, im Kaukasus auf die Spurensuche all dieser
Entwicklungen zu gehen. Gezeigt werden die Produkte künstlerischer
Recherchen an sieben Plätzen, indoor und outdoor, unter anderem
im Park des 9. April zwischen Rustaweli-Prospekt und amerikanischer
Botschaft. Schon die Wahl dieses Platzes hat Symbolcharakter.
Am 9. April 1989 schlug die untergehende Sowjetmacht ein letztes
Mal zu, als sie vor dem Palamentsgebäude demonstrierende
Studenten der jungen georgischen Nationalbewegung mit Giftgas
und Spaten traktierte. Auf der anderen Seite des Parks demonstriert
die US-Botschaft mit ihrem Schutzwall, der mitten in die Strasse
betoniert wurde, mehr als überdeutlich den Paradigmenwechsel
im Kaukasus.
In diesem Park hat das holländische Atelier van Lieshout
aus Armierungsstahl, eines der wenigen Industrieprodukte, das
in Georgien derzeit hergestellt wird, sieben Gefängniszellen
mit jeweils 2,30 Metern im Quadrat als Grundfläche aufgebaut.
Alle Zellen sind gut verschlossen. Sechs Zellen sind den verschiedenen
Invasoren, Räubern und Besatzern der georgischen Geschichte
gewidmet, angefangen von den Argonauten bis hin zu den Vereinigten
Staaten von Amerika, die Gefahr laufen, sich nahtlos in die Geschichte
fremder Herren im Kaukasus einzureihen. Die siebte Zelle ist den
Georgiern selbst reserviert, weil sie unfähig genug waren,
Invasionen zu widerstehen. Angesichts einer drohenden Neu-Invasion,
die freilich viel subtiler daherkommt als die ihrer Vorgänger,
ein deutliches Signal der holländischen Gäste an ihre
georgischen Gastgeber, sich und ihren Staat aus eigener Kraft
besser zu organisieren, soll die neu gewonnene Selbständigkeit
wirklich von Bestand sein.
Der Franzose Philippe Meste hat seine Installationen in der ganzen
Innenstadt von Tbilissi verteilt. An allen möglichen und
unmöglichen Stellen hat er aus weißen, mit Sand gefüllten
Säcken, kleine Verteidigungsanlagen aufgebaut, die manch
einem in dieser Stadt durchaus real vorkommen mögen. Sie
fügen sich jedenfalls seltsam bekannt in das Stadtbild ein.
Philippe Meste hat mit diesen kleinen Verteidigungsbauten einen
strategischen Ring um ein spezielles Gebäude gefertigt, dessen
Identität er allerdings aus Sicherheitsgründen nicht
preisgibt. Er allein weiß, welches Bauwerk er mit seinen
vielen Sandsackburgen verteidigen möchte. Doch Vorsicht,
so der Künstler in einem TV-Interview zur besten Morgenzeit,
die Besatzungen dieser Wehranlagen könnten sich auch umdrehen
und das Gebäude, das sie zu verteidigen vorgäben, angreifen.
Eine Metapher, die gar nicht so weit vom real existierenden georgischen
Polit-Alltag entfernt ist. Jedenfalls
wurde der Organsiator der Ausstellung, der junge Fotograf Wato
Tsereteli, nach diesem TV-Auftritt des Franzosen einen Tag lang
vom georgischen Sicherheitsministerium, dem Nachfolger des früher
allmächtigen KGB, verhört, bis man ihn angesichts der
offensichtlichen Harmlosigkeit der Philipp'schen Installationen
dann doch laufen liess. Allerdings vergassen die Herren der Staatssicherheit
nicht, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er alleine verantwortlich
dafür sei, sollte mit den Sandsack-Fortifikationen dennoch
irgendwelcher Missbrauch getrieben werden. Ganz so harmlos ist
die Erfindung von Philippe Meste denn anscheinend doch nicht und
Kunst, die in keine der hergebrachten Schablonen passt, ist und
bleibt eben suspekt. Da sind die Subalternen der georgischen Staatsmacht
nicht alleine auf der Welt.
Vor allem die Objekte im öffentlichen Raum sind für
Tbilissi und seine Bewohner eine künstlerische Herausforderung.
Denn was hierzulande an alt-sozialistischer Kunst wie auch an
Neuschöpfungen des modernen Georgiens auf Strassen und Plätzen
herumsteht, fällt meist unter den Straftatbestand der ästhetischen
Umweltverschmutzung. Es ist das Verdienst dieser Ausstellung,
der georgischen und ausländischen
Avantgarde in einem künstlerischen und ästhetischen
Umfeld, das noch schwer unter der Gängelung ideologisch vorgegebener
Schranken leidet, ein Forum gegeben zu haben, das Aufmerksamkeit
erregen muss. Und es ist das Verdienst der Sponsoren, dass sie
die ambitionierten Kunst-Macher um Wato Tsereteli herum mit einem
hinreichend soliden Budget ausgestattet haben.
Unter den Künstlern, die in der Alten Karawanserei, dem
Französischen Kulturzentrum Alexandre Dumas, dem Club 22,
der Seidenfabrik, der Art-synthesis Gallery und den Parks und
Strassen von Tbilissi ausstellen, sind bekannte Namen, unter anderem
der Deutsche Harun Farocki, der am 21. Mai selbst zu einem Vortrag
im Goetheinstitut nach Tbilissi
kommt. Seine bereits im Jahr 2001 in Deutschland entstandene und
gezeigte Installation "Eye/machine", in der er Video-Aufnahmen
des sogenannten "klinisch reinen" Krieges verarbeitet,
hat angesichts des gerade beendeten zweiten Golfkrieges eine ungeheure
Aktualität.
Aktuell ist auch die Hausaufgabe einer Geografie-Stunde, die
der Azerbaidschaner Orkhan Huseynov den Ausstellungsbesuchern
aufgibt. Mit einfachen Filzstift-Strichen hat er eine Weltkarte
auf Papier
gezeichnet, die von den Besuchern ergänzt, verändert,
kommentiert oder auch ausradiert werden kann. So entsteht bis
zum 29. Mai eine neue Weltkarte und keiner weiß, ob die
Fantasien der Besucher sich allzu sehr von denen machtlüsterner
Kriegsherren und Weltstrategen in den Regierungsetagen der Weltmächte
unterscheiden.
Drei Orthoboxen steuert der Georgier Gio Sumbadze bei. In einem
offenen Metall-Quader sitzt der Betrachter inmitten der Skulptur.
Ein Ffadenkreuz vor ihm gibt ihm Orientierung, während aus
zwei kleinen Lautsprechern Geräusche unterschiedlicher Frequenzen
auf ihn
einströmen. Ein transparenter Ort, der einlädt, sich
von den vielfältigen Einflüssen der global gewordenen
Umwelt abzuschotten und sich auf seine eigenen Sinne zu verlassen.
Appendix 2 ist noch bis zum 29. Mai zu sehen. Mehr Informationen
unter www.farm.ge
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