Die Gegensätze könnten krasser nicht sein: in den 590
Betten des ehemaligen Intourist-Hotels Adjara wohnen seit Jahren
schon 650 Flüchtlinge aus Abchasien. Im ersten Zwischengeschoss,
wo früher ein Groß-Restaurant mit dem allseits bekannten
Sowjet-Charme war, tobt mittlerweile an jedem Wochenende ab zehn
Uhr abends der Disco-Bär.
Daneben wartet ein ebenso funkelnagelneues wie elegantes italienisches
Restaurant mit 150 Plätzen auf seine zahlungskräftige
Kundschaft. Ein
Stockwerk darunter, in der ehemaligen Empfangshalle, rollt in einem
üppig ausgestatteten Spielcasino seit Jahren der Rubel und
im
Kellergeschoss wartet der größte Wett-Totalisator Georgiens
auf mehr oder weniger solvente Zocker. Ein Jazzclub ist - wieder
- im Entstehen, ebenso ein Fitnesscenter mit Sauna und Swimmingpool.
Das Adjara, einst Zentrale vor allem der ostdeutschen, zentral gelenkten
Arbeiterlandverschickung in den Kaukasus, ist klammheimlich im
Kapitalismus angekommen. Von aussen nimmt man fast nur die reichlich
unwirtlich wirkende Aufbewahrungsburg georgischer Flüchtlinge
aus Abchasien wahr. Im Innern ist das Adjara längst ein Tempel
der Unterhaltungsindustrie, der feinste in Georgien.
Juristisch gesehen ist das ehemalige Intouristhotel eine Aktiengesellschaft,
also privatisiert. Rund 350 Aktionäre sind es, wenn aber
drei oder vier von ihnen zusammensitzen, ist der überwiegende
Teil des Aktienpakets versammelt. Mehr Details über die Firmenstruktur
sind nicht erhältlich, auch nicht nötig, die Wirtschaft
in Georgien geht - aus einsichtbaren Gründen - recht spärlich
mit genaueren Informationen um. Von den Hoteleinnahmen konnten
die neuen Besitzer des Hotelklotzes das Hotel nicht unterhalten,
geschweige denn davon leben. Zwei Lari vergütet ihnen der
Staat für jeden Flüchtling, den er ihnen aufgebürdet
hat, und das pro Monat. Das sind 1.300 Lari im Monat, in Worten
nochmals zum genaueren Nachrechnen und Verstehen: Eintausenddreihundert
Lari, im Jahr 15.600 Lari. Und da die Flüchtlinge wohl kaum
in der Lage waren, die Restaurants sozialistischer Ausdehnung
mit Leben und damit mit Umsätzen und Gewinnen auszufüllen,
waren die Manager des Hotels darauf angewiesen, sich andere Einnahmequellen
zu verschaffen, wollten sie an der staatlichen Zwangsbelegung
des Hotels nicht zugrunde gehen. Zur Disposition standen daher
nur die grossen Kommunikations-Etagen des Adjara, die jedermann
kennt, der irgendwann einmal und irgendwo im großen Sowjetreich
eines der Einheitshotels von Intourist besucht hatte.
Angefangen hat es vor einigen Jahren mit "David`s Jazzclub"
im Keller des Adjara, jahrelang der nächtliche Treffpunkt
junger, lebenslustiger Georgierinnen und Georgier sowie der vielen
Expats in der Stadt. David, der Sohn des Hotelmanagers, betrieb
ihn, nach ihm ist er benannt. Nach dessen Unfalltod wurde er geschlossen,
heute beherbergt der Jazzkeller das größte Wettbüro
der Stadt. Über 25 Wettschalter haben wir gezählt, alle
voll computerisiert, darüber hinaus elf Gross-Monitore, auf
denen die Sportereignisse aus aller Welt übertragen werden.
Bis nahezu Tausend Menschen, so schätzen wir, können
gleichzeitig im Totalisator sitzen oder flanieren, zocken und
diskutieren. Und dem Manager leuchten heute noch die Augen, wenn
er an das Geschäft denkt, das man während der letzten
Weltmeisterschaft vor einem Jahr hier gemacht hat. Umsätze
und Gewinne sind wohl nur in Millionen-Dimensionen auszudenken.
Die kaukasische Spielernatur zockt gerne, Einzeleinsätze
von einem Lari bis zu Zehntausenden wurden in den über 200
Wettbüros, die sich während der WM in Tbilissi auftaten,
registriert. Der Totalisator im Adjara ist ganzjährig im
Betrieb, die meisten WM-Wettbüros sind mittlerweile wieder
geschlossen.
Mikheil Loladze, Präsident der Aktiengesellschaft "Hotel
Adjara", führt uns durch sein Reich des Glücksspiels
und des Vergnügens. Schon zu Sowjetzeiten war er Generaldirektor
des Adjara, verantwortlich für die Unterbringung von Zehntausenden
von Touristen aus der DDR, die jährlich Tbilissi besuchten.
Mikheil spricht deshalb fliessend Deutsch.
Vom kleinen Bürotrakt in der Zwischenetage des Adjara, der
noch immer den Mief der UdSSR atmet, führt er uns durch eine
Hintertür zur Disco, dem zu Sylvester erst eröffneten
neuesten Musik-Tempel in Tbilissi. Von da aus gelangt man direkt
in das italienische Restaurant, über eine grosszügige
Treppe dann zum Kasino und zum Haupteingang in den Vergnügungstrakt
des Adjara, der direkt gegenüber dem Sportpalast an der Kostava-Straße
liegt. Das Wettbüro hat einen eigenen Eingang gleich daneben.
541 qm misst die Disco, die 1.000 Besucher aufnehmen kann. Die
Bühne ist 12 m auf 6,5 m und lässt sich jederzeit mit
portablen Bühnenelementen vergrössern. Alles ist da,
was an moderner Ton- und Lichttechnik benötigt wird. Die
Übertragungsanlage hat 2,4 kW, der Disco-Sound noch einmal
10 kW. Die technischen Voraussetzungen sowie die Grundausstattung
an Instrumenten, zum Beispiel ein komplettes Schlagzeug der oberen
Preisklasse, lassen keinen professionellen Wunsch offen und die
Equipment-Liste, die Mikheil Loladse vorlegen kann, lässt
das Herz eines jeden DJ`s oder Musikers
höher schlagen. Mit Stolz zitiert er einen Musiker aus St.
Petersburg, der hier kürzlich aufgetreten ist, mit der Bemerkung:
So etwas hätten sie in Petersburg und in Moskau noch nicht
gesehen. In Hunderttausenden von Dollar kann man das Investment
in diese perfekte Disco nicht abgreifen, das wurde schon richtig
Geld bewegt, um den Tempel herzustellen, in dem die wohlhabendere
Jugend von Tbilissi am Wochenende abtanzt. Der Eintritt ist nur
auf den ersten Blick teuer, 20 Lari pro Mann, eine weibliche Begleitung
ist frei. Die Preise für Getränke liegen im Rahmen einer
solchen Institution: Das Bier kostet 4 GEL, dafür tanzen
die nabelfrei bekleideten Meedels mit den weißen Baseballkappen
zum Disco-Sound, wenn sie ein Getränk an den Tisch bringen.
Die DJ`s sind international, sie kommen aus Istanbul, Großbritannien,
Deutschland, der Schweiz oder aus Moskau. Neben den Disco-Veranstaltungen
gibt es Modeschauen oder Musik-Live-Gigs, am 24. Mai kommen zwei
deutsche Gruppen "Kreidler" aus Düsseldorf und
Thomas Brinkmann aus Köln. Beide Namen stehen für Electronic-Musik.
Am 8. Juni ist Billy Cobham angesgat, einer der besten Jazz-Drummer
der Welt.
Woher denn das Geld für die Invstitionen komme, wollen wir
wissen, ohne allerdings zu erwarten, auch wirklich bis ins letzte
Detail aufgeklärt zu werden. Immerhin sind im Adjara in den
letzten fünf Jahren nach laienhafter Schätzung einige
Millionen $ verbaut worden, denn soweit wir sehen können,
ist weder vor noch hinter den Kulissen gespart worden. Alles sieht
sehr solide aus, alles ist vom Feinsten, alles technisch pefekt,
eigentlich eher ungeorgisch. Mikheil Loladse hat dafür eine
sehr einfache, wenngleich ebenso ungeorgische Erklärung:
Die Haupt-Aktionäre des Adjara würden seit Jahren auf
eine Gewinnausschüttung verzichten. Alle Gewinne würden
sofort re-investiert, was dann nur den Schluss zulässt, dass
im Spielcasino und im Totalisator in den vergangenen Jahren genügend
Kleingeld abgefallen ist, um aus dem sozialistischen Touristen-Einheits-Versorgungs-Trakt
einen Tempel des Kapitalismus zu machen, in dem vor allem dessen
Hauptgötze verehrt wird, das Geld. Dabei wurden einige Hundert
Arbeitsplätze geschaffen und das Adjara ist ein guter Steuerzahler,
wie Loladse nicht vergisst, anzumerken. Mit dem Einkommen aus
der Zwangs-Beherbergung der Flüchtlinge wäre das Hotel
heute längst pleite. So trägt man zur Finanzierung des
Staatswesens bei.
Die Flüchtlinge bekommen von alledem nicht allzuviel mit,
sie verkehren durch den tristen alten Haupteingang am Platz des
1. Mai. Und wenn sie irgendwann einmal zurückkehren können
in ihre abchasiche Heimat, wird den Aktionären des Adjara
sicher etwas Neues einfallen, ihre Gewinne aus dem Vergnügungstempel
in eine sinnvolle Renovierung des Bettentraktes zu investieren.
Über das notwendige Kleingeld werden sie verfügen können,
nicht zuletzt dank ihrer klugen Investitionspolitik.
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