Ausgabe 8/03
14. Mai
 TV-Termine:

 Schätze der Welt:
 Baku – Land des
 Feuers

 3sat: 11. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 18. Mai, 13.15 Uhr

 Schätze der Welt:
 Mzcheta – Wunder der
 Nino

 3sat: 18. Mai, 21.00 Uhr
 SWR: 25. Mai, 13.15



Die Gegensätze könnten krasser nicht sein: in den 590 Betten des ehemaligen Intourist-Hotels Adjara wohnen seit Jahren schon 650 Flüchtlinge aus Abchasien. Im ersten Zwischengeschoss, wo früher ein Groß-Restaurant mit dem allseits bekannten Sowjet-Charme war, tobt mittlerweile an jedem Wochenende ab zehn Uhr abends der Disco-Bär.



Daneben wartet ein ebenso funkelnagelneues wie elegantes italienisches Restaurant mit 150 Plätzen auf seine zahlungskräftige Kundschaft. Ein



Stockwerk darunter, in der ehemaligen Empfangshalle, rollt in einem üppig ausgestatteten Spielcasino seit Jahren der Rubel und im



Kellergeschoss wartet der größte Wett-Totalisator Georgiens auf mehr oder weniger solvente Zocker. Ein Jazzclub ist - wieder - im Entstehen, ebenso ein Fitnesscenter mit Sauna und Swimmingpool. Das Adjara, einst Zentrale vor allem der ostdeutschen, zentral gelenkten Arbeiterlandverschickung in den Kaukasus, ist klammheimlich im



Kapitalismus angekommen. Von aussen nimmt man fast nur die reichlich unwirtlich wirkende Aufbewahrungsburg georgischer Flüchtlinge aus Abchasien wahr. Im Innern ist das Adjara längst ein Tempel der Unterhaltungsindustrie, der feinste in Georgien.


Juristisch gesehen ist das ehemalige Intouristhotel eine Aktiengesellschaft, also privatisiert. Rund 350 Aktionäre sind es, wenn aber drei oder vier von ihnen zusammensitzen, ist der überwiegende Teil des Aktienpakets versammelt. Mehr Details über die Firmenstruktur sind nicht erhältlich, auch nicht nötig, die Wirtschaft in Georgien geht - aus einsichtbaren Gründen - recht spärlich mit genaueren Informationen um. Von den Hoteleinnahmen konnten die neuen Besitzer des Hotelklotzes das Hotel nicht unterhalten, geschweige denn davon leben. Zwei Lari vergütet ihnen der Staat für jeden Flüchtling, den er ihnen aufgebürdet hat, und das pro Monat. Das sind 1.300 Lari im Monat, in Worten nochmals zum genaueren Nachrechnen und Verstehen: Eintausenddreihundert Lari, im Jahr 15.600 Lari. Und da die Flüchtlinge wohl kaum in der Lage waren, die Restaurants sozialistischer Ausdehnung mit Leben und damit mit Umsätzen und Gewinnen auszufüllen, waren die Manager des Hotels darauf angewiesen, sich andere Einnahmequellen zu verschaffen, wollten sie an der staatlichen Zwangsbelegung des Hotels nicht zugrunde gehen. Zur Disposition standen daher nur die grossen Kommunikations-Etagen des Adjara, die jedermann kennt, der irgendwann einmal und irgendwo im großen Sowjetreich eines der Einheitshotels von Intourist besucht hatte.

Angefangen hat es vor einigen Jahren mit "David`s Jazzclub" im Keller des Adjara, jahrelang der nächtliche Treffpunkt junger, lebenslustiger Georgierinnen und Georgier sowie der vielen Expats in der Stadt. David, der Sohn des Hotelmanagers, betrieb ihn, nach ihm ist er benannt. Nach dessen Unfalltod wurde er geschlossen, heute beherbergt der Jazzkeller das größte Wettbüro der Stadt. Über 25 Wettschalter haben wir gezählt, alle voll computerisiert, darüber hinaus elf Gross-Monitore, auf denen die Sportereignisse aus aller Welt übertragen werden. Bis nahezu Tausend Menschen, so schätzen wir, können gleichzeitig im Totalisator sitzen oder flanieren, zocken und diskutieren. Und dem Manager leuchten heute noch die Augen, wenn er an das Geschäft denkt, das man während der letzten Weltmeisterschaft vor einem Jahr hier gemacht hat. Umsätze und Gewinne sind wohl nur in Millionen-Dimensionen auszudenken. Die kaukasische Spielernatur zockt gerne, Einzeleinsätze von einem Lari bis zu Zehntausenden wurden in den über 200 Wettbüros, die sich während der WM in Tbilissi auftaten, registriert. Der Totalisator im Adjara ist ganzjährig im Betrieb, die meisten WM-Wettbüros sind mittlerweile wieder geschlossen.


Mikheil Loladze, Präsident der Aktiengesellschaft "Hotel Adjara", führt uns durch sein Reich des Glücksspiels und des Vergnügens. Schon zu Sowjetzeiten war er Generaldirektor des Adjara, verantwortlich für die Unterbringung von Zehntausenden von Touristen aus der DDR, die jährlich Tbilissi besuchten. Mikheil spricht deshalb fliessend Deutsch.



Vom kleinen Bürotrakt in der Zwischenetage des Adjara, der noch immer den Mief der UdSSR atmet, führt er uns durch eine Hintertür zur Disco, dem zu Sylvester erst eröffneten neuesten Musik-Tempel in Tbilissi. Von da aus gelangt man direkt in das italienische Restaurant, über eine grosszügige Treppe dann zum Kasino und zum Haupteingang in den Vergnügungstrakt des Adjara, der direkt gegenüber dem Sportpalast an der Kostava-Straße liegt. Das Wettbüro hat einen eigenen Eingang gleich daneben.


541 qm misst die Disco, die 1.000 Besucher aufnehmen kann. Die Bühne ist 12 m auf 6,5 m und lässt sich jederzeit mit portablen Bühnenelementen vergrössern. Alles ist da, was an moderner Ton- und Lichttechnik benötigt wird. Die Übertragungsanlage hat 2,4 kW, der Disco-Sound noch einmal 10 kW. Die technischen Voraussetzungen sowie die Grundausstattung an Instrumenten, zum Beispiel ein komplettes Schlagzeug der oberen Preisklasse, lassen keinen professionellen Wunsch offen und die Equipment-Liste, die Mikheil Loladse vorlegen kann, lässt das Herz eines jeden DJ`s oder Musikers



höher schlagen. Mit Stolz zitiert er einen Musiker aus St. Petersburg, der hier kürzlich aufgetreten ist, mit der Bemerkung: So etwas hätten sie in Petersburg und in Moskau noch nicht gesehen. In Hunderttausenden von Dollar kann man das Investment in diese perfekte Disco nicht abgreifen, das wurde schon richtig Geld bewegt, um den Tempel herzustellen, in dem die wohlhabendere Jugend von Tbilissi am Wochenende abtanzt. Der Eintritt ist nur auf den ersten Blick teuer, 20 Lari pro Mann, eine weibliche Begleitung ist frei. Die Preise für Getränke liegen im Rahmen einer solchen Institution: Das Bier kostet 4 GEL, dafür tanzen die nabelfrei bekleideten Meedels mit den weißen Baseballkappen zum Disco-Sound, wenn sie ein Getränk an den Tisch bringen.

Die DJ`s sind international, sie kommen aus Istanbul, Großbritannien, Deutschland, der Schweiz oder aus Moskau. Neben den Disco-Veranstaltungen gibt es Modeschauen oder Musik-Live-Gigs, am 24. Mai kommen zwei deutsche Gruppen "Kreidler" aus Düsseldorf und Thomas Brinkmann aus Köln. Beide Namen stehen für Electronic-Musik. Am 8. Juni ist Billy Cobham angesgat, einer der besten Jazz-Drummer der Welt.


Woher denn das Geld für die Invstitionen komme, wollen wir wissen, ohne allerdings zu erwarten, auch wirklich bis ins letzte Detail aufgeklärt zu werden. Immerhin sind im Adjara in den letzten fünf Jahren nach laienhafter Schätzung einige Millionen $ verbaut worden, denn soweit wir sehen können, ist weder vor noch hinter den Kulissen gespart worden. Alles sieht sehr solide aus, alles ist vom Feinsten, alles technisch pefekt, eigentlich eher ungeorgisch. Mikheil Loladse hat dafür eine sehr einfache, wenngleich ebenso ungeorgische Erklärung: Die Haupt-Aktionäre des Adjara würden seit Jahren auf eine Gewinnausschüttung verzichten. Alle Gewinne würden sofort re-investiert, was dann nur den Schluss zulässt, dass im Spielcasino und im Totalisator in den vergangenen Jahren genügend Kleingeld abgefallen ist, um aus dem sozialistischen Touristen-Einheits-Versorgungs-Trakt einen Tempel des Kapitalismus zu machen, in dem vor allem dessen Hauptgötze verehrt wird, das Geld. Dabei wurden einige Hundert Arbeitsplätze geschaffen und das Adjara ist ein guter Steuerzahler, wie Loladse nicht vergisst, anzumerken. Mit dem Einkommen aus der Zwangs-Beherbergung der Flüchtlinge wäre das Hotel heute längst pleite. So trägt man zur Finanzierung des Staatswesens bei.


Die Flüchtlinge bekommen von alledem nicht allzuviel mit, sie verkehren durch den tristen alten Haupteingang am Platz des 1. Mai. Und wenn sie irgendwann einmal zurückkehren können in ihre abchasiche Heimat, wird den Aktionären des Adjara sicher etwas Neues einfallen, ihre Gewinne aus dem Vergnügungstempel in eine sinnvolle Renovierung des Bettentraktes zu investieren. Über das notwendige Kleingeld werden sie verfügen können, nicht zuletzt dank ihrer klugen Investitionspolitik.

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