Fährt man die Wascha Pschawela in Richtung Metro-Station Delissi,
ist linkerhand ein neuer Glaspalast nicht zu übersehen. In
der Nacht schon gar nicht, wenn die satt-rote Lichtreklame mit dem
Schriftzug "Crystall" schon von weitem die Nachtschwärmer
anlockt. Denn das Crystall ist eine Art Nachtclub, keiner von der
schummrigen Art, eher, wie der Name verspricht, kristallklar. Das
Innere zeigt sich mit viel buntem Neonlicht, ein halbrundes Theater
mit einigen Stufen, die immer einen guten Blick auf die Bühne
freigeben. Seit Dezember hat das Crystall eröffnet, vorher
war hier das Restaurant Matador.
Das Programm beginnt immer um zehn Uhr abends, wer früher
kommt, will meist ausgiebig tafeln. Und das kann man mehr als
ausgezeichnet im Crystall, das sich vornehmlich für Geburtstagsfeiern
oder größere Parties anbietet. Die Küche ist von
13.00 Uhr bis zum frühen Morgen geöffnet. Das Menu orientiert
sich überwiegend an der traditionellen georgischen Küche.
Bei einem nicht vorgesehenen Test anlässlich einer Geburtstags-einladung
haben deutsche Gaumen von georgien-news das georgische Routine-Angebot
auf dem Tisch in der Qualität als weit über dem Durch-schnitt
eingestuft. Nach einigen Jahren Mphkali, Chatschapuri und Mzwa-di
will das schon was heissen. Die Preise liegen im üblichen
Rahmen für diejenigen, die sich solche Restaurants leisten
können, andere Kunden verirren sich im Crystall ohnehin nicht.
Für das Showprogramm werden zehn Lari Aufpreis pro Person
verlangt.
Im Mittelpunkt des Programms steht die Showtanzgruppe "Vernissage",
die mehrere 20-Minuten-Blocks am Abend bestreitet und das sechs
mal in der Woche und im übrigen mehr als ordentlich. Das
Opening in knappen Lederoutfit, danach kommen die Mädchen
etwas eleganter daher, am Ende gibts sogar einen Can Can, ein
Hauch von Amüsement parisienne weht durch das Neon-nüchterne
Ambiente des Crystall an der Wascha Pschawela.
Zweimal in der Woche spielt eine Latino-Band und meist singt
Schorena Karkaraschwili, die sich im übrigen auch als künstlerische
Leiterin des Hauses vorstellt. Schorena ist eine von Hunderten
begabter Popsän-gerinnen in der Stadt, die allenthalben mit
einer Begleit-CD und fünf oder sechs Songs statt Begleit-Band
durch die Bars und Clubs tingeln. Schorenas Stimme hat sicher
nichts Aufregendes, sie repräsentiert allerdings guten georgischen
Unterhaltungs-Durchschnitt, der allemal in der Lage wäre,
diejenigen in Grund und Boden zu singen, die sich nach einem neudeutschen
TV-Format im Teenager-Alter schon Superstars nennen dürfen.
Vielleicht kommen die Herren Bohlen und Stein mal in den Kaukasus
auf Talentsuche, der Trip dürfte sich sicher lohnen.
Kurz vor Ostern haben wir im Crystall gleich zweimal ein fünfköpfiges
Vokalensemble gehört, das ganz sicher nicht mehr unter der
Rubrik "Talentschuppen" geführt werden kann. Fünf
ausgebildete Operetten-sänger machen in zwei halbstündigen
Auftritten alles nieder, was die Musikliteratur hervorgebracht
hat: Italienische Opern, Carmen, Jazz und Soul und selbst georgische
traditionelle Volksmusik ist nicht sicher vor ihrem gesanglichen
Rundumschlag. "Mkholod schen erts" heisst die Truppe,
was soviel wie "Just for you" oder "Nur für
Dich" bedeutet und ein bekanntes georgisches Lied zitiert.
Leider sind die fünf immer wieder wochenlang in Moskau engagiert,
wo es in Bars, Casinos und Clubs mehr Auftrittsmöglichkeiten
gibt als in Tbilissi. Auch ohne die fünf mit ihren Stimmlagen
vom Heldentenor bis zum Koloraturbass ist das Crystall-Programm
unterhaltsam, ab zwölf geht dann richtig die Post ab, dann
ist Disco-Time angesagt.
Druckversion
|