Ausgabe 7/03
30. April
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 Baku – Land des
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 SWR: 18. Mai, 13.15 Uhr

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:: 0:0 gegen die Schweiz
:: Hilfsgüter missbraucht
:: Georgische Friedenssoldaten in Deutschland trainiert
:: Nato-Generalsekretär besucht Georgien
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Jetzt wissen wir es ganz genau: Zumindest 11.000 Georgier haben Ordnung im häuslichen Schreibtisch und konnten so innerhalb weniger Stunden das Eintrittsticket zum abgebrochenen Fussball-Länderspiel gegen Russland vom 12. Oktober vergangenen Jahres wieder finden. Denn nur mit diesem Ticket, so eine Entscheidung der UEFA-Berufungskammer, war der Zutritt zur Wiederholung des EM-Qualifikationsspiels am 30. April erlaubt. Zuvor hatte der Kontroll- und Disziplinarausschuss der UEFA die Georgier mit einem Zuschauerverbot für dieses Spiel dafür bestraft, dass ein Fan beim EM-Qualifikationsspiel gegen Irland am 29. März einen Spieler der Gästemannschaft mit einem Messerwurf verletzte. Ein Geisterspiel drohte, was vermutlich den in der georgischen Profiliga spielenden Kickern wenig ausgemacht hätte, die es längst gewohnt sind, vor nahezu leeren Rängen zu spielen. Ob aber die publikumsverwöhnten Legionäre ohne den berühmten 12. Mann zur vollen Leistungsstärke finden würden, war eine viel diskutierte Frage in Georgien. Die UEFA hatte schliesslich ein Einsehen und verdonnerte den georgischen Fussballverband statt dessen zu einer Strafe von 53.000 €. Für den Fall aller Fälle hatte man im benachbahrten Vake-Park zwei Großbildwände aufgebaut und die Fans dorthin eingeladen, so hätte der Jubel wenigstens von da ins leere Stadion hinüberschallen können.

Das war aber nicht nötig, denn natürlich geschah das Wunder: alle 11.000 Zuschauer vom Oktober waren anscheinend wieder im Stadion, denn Haupt- und Gegentribüne waren bis auf den letzten Platz besetzt, als das Spiel zum zweiten Mal angepfiffen wurde. Lediglich die beiden Kurven waren von Sicherheitskräften hermetisch abgeriegelt und blieben leer.



Im vergangenen Oktober musste das Spiel beim Stand von 0:0 wegen des Ausfalls der Flutlichtanlage zur Halbzeit abgebrochen werden. Um es vorwegzunehmen: Beim zweiten Anlauf hatten die Elektriker des neuen Lokomitive-Stadions, das der georgischen Eisenbahnverwaltung gehört, ihre Hausaufgaben erledigt. Das Flutlicht hielt. Verdunkelungefahr war nicht mehr gegeben. Trotzdem war die ursprünglich einmal angesagte politische Promienz vor allem aus Russland vorsichtshablber zu Hause geblieben. Im Oktober noch musste Eduard Schewardnadse das Stadion noch bei Nacht und Nebel verlassen. Das Spiel, das auf dem Höhepunkt der georgisch-russischen Krise durchaus eine gewisse politische Brisanz aufwies, endete mit einer peinlichen Blamage für Georgien.

In und um das Stadion waren jetzt bei der Wiederholung rund 3.000 Polizeibeamte eingesetzt, das Spiel konnte unter optimalen Bedingungen durchgeführt werden, wenngleich die 11.000 Georgier das schmucke Fussballstadion in einen Hexenkessel verwandelten. Große Stimmung war angesagt, immerhin ging es um das wichtigste Fussballspiel des Jahres. Nach den beiden Heimspielpleiten gegen die Schweiz (0:0) und Irland (1:2) war Nationaltrainer Alexander Tschikwadse zurückgetreten und hatte dem kroatischen Fussballlehrer Ivo Shushak Platz gemacht, der früher schon einmal Dynamo Tbilissi trainiert hatte. Ein Unentschieden oder gar eine Niederlage hätte die Georgier selbst um die theoretische Chance einer EM-Teilnahme gebracht. Mit dem 1:0-Sieg ist wenigstens rechnerisch noch alles drin, denn der Tabelleletzte Georgien liegt jetzt mit 4 Zählern auf der Habenseite nur zwei Punkte hinter dem Tabellenzweiten Russland.

Wer die georgische Mannschaft aus den lahmen Begegnungen gegen die Schweiz und Irland noch in Erinnerung hatte, wunderte sich recht bald über Kampfkraft und Spielkultur der Truppe. Ivo Shushak hat anscheinend den richtigen Ton gefunden, um aus elf Individualisten ein blendend eingespieltes Team zu formen. Der Erfolg der Georgier ging in Ordnung, sie waren die bessere, weil spielfreudigere Mannschaft. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass auch die Russen eine ganze Reihe hochkarätiger Torchancen hatten, die sie ebenso kläglich vergaben wie die Georgier ihrerseits mehrere Möglichkeiten grosszügig verspielten, das Ergebnis auszubauen. Aber um das eine Tor von Debütant Malchas Asatiani aus der 11. Minute waren sie eben besser und Malchas Asatiani, der seine Dollars seit Februar ausgerechnet in

Moskau beim dortigen Lokomotiv-Club verdient, hat sich für alle Zeiten zum Nationalhelden geschossen. So standen die Kaukasier nach einer Gesamtspielzeit von insgesamt 135 Minuten im Oktober und April als Punktsieger gegen den grossen Rivalen aus Russland fest. Ob dieser Sieg allerdings reicht, um in einem Heimspiel gegen Albanien (6. September) und drei Auswärtsspielen in Irland (11. Juni), Albanien (10. September) und Russland (11. Oktober) das Unmögliche, die Teilnahme an der Europameisterschaft, doch noch möglich zu machen, ist fraglich.



Für Mittwoch Nacht waren allerdings erst einmal Jubel in Tbilissi angesagt. Die Fans aus dem Stadion zogen fast wie in einem Triumphmarsch in die Innenstadt, wo sie teilweise von einem Spalier Beifall klatschender Passanten begrüsst wurden, als ob sie, die Fans, die wahren Helden des Abends gewesen wären und nicht die Fussballprofis.

Wer das Geschehen am heimischen Fernseher verfolgt hatte, wollte wohl jenen den gehörigen Tribut zollen, die durch ihre Ordnung im häuslichen Schreibtisch dafür gesorgt hatten, dass das Spiel doch nicht vor leeren Rängen stattfinden musste. Denn, wie gesagt, 11.000 Georgier konnten mit einer Eintrittskarte vom 12. Oktober nachweisen, dass sie bereits beim ersten Spielversuch der beiden Nationalteams auf den Rängen gesessen hatten. Sie waren die wahren Helden dieses Fussballfestes.

PS.: Die Strafe von 53.000 € wird dem georgischen Fussballverband vermutlich nicht allzuschwer fallen. Immerhin wurden Tickets für dieses Spiel vor dem Stadion für 30 GEL verkauft. Ob diese tatsächlich erst einmal bei all den Besuchern des Vorjahres eingesammelt wurden? Oder ob da nicht eher Restbestände unverkaufter Tickets vom vergangenen Oktober einem unerwarteten Recycling zugeführt wurden?

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