Jetzt wissen wir es ganz genau: Zumindest 11.000 Georgier haben
Ordnung im häuslichen Schreibtisch und konnten so innerhalb
weniger Stunden das Eintrittsticket zum abgebrochenen Fussball-Länderspiel
gegen Russland vom 12. Oktober vergangenen Jahres wieder finden.
Denn nur mit diesem Ticket, so eine Entscheidung der UEFA-Berufungskammer,
war der Zutritt zur Wiederholung des EM-Qualifikationsspiels am
30. April erlaubt. Zuvor hatte der Kontroll- und Disziplinarausschuss
der UEFA die Georgier mit einem Zuschauerverbot für dieses
Spiel dafür bestraft, dass ein Fan beim EM-Qualifikationsspiel
gegen Irland am 29. März einen Spieler der Gästemannschaft
mit einem Messerwurf verletzte. Ein Geisterspiel drohte, was vermutlich
den in der georgischen Profiliga spielenden Kickern wenig ausgemacht
hätte, die es längst gewohnt sind, vor nahezu leeren Rängen
zu spielen. Ob aber die publikumsverwöhnten Legionäre
ohne den berühmten 12. Mann zur vollen Leistungsstärke
finden würden, war eine viel diskutierte Frage in Georgien.
Die UEFA hatte schliesslich ein Einsehen und verdonnerte den georgischen
Fussballverband statt dessen zu einer Strafe von 53.000 €.
Für den Fall aller Fälle hatte man im benachbahrten Vake-Park
zwei Großbildwände aufgebaut und die Fans dorthin eingeladen,
so hätte der Jubel wenigstens von da ins leere Stadion hinüberschallen
können.
Das war aber nicht nötig, denn natürlich geschah das
Wunder: alle 11.000 Zuschauer vom Oktober waren anscheinend wieder
im Stadion, denn Haupt- und Gegentribüne waren bis auf den
letzten Platz besetzt, als das Spiel zum zweiten Mal angepfiffen
wurde. Lediglich die beiden Kurven waren von Sicherheitskräften
hermetisch abgeriegelt und blieben leer.
Im vergangenen Oktober musste das Spiel beim Stand von 0:0 wegen
des Ausfalls der Flutlichtanlage zur Halbzeit abgebrochen werden.
Um es vorwegzunehmen: Beim zweiten Anlauf hatten die Elektriker
des neuen Lokomitive-Stadions, das der georgischen Eisenbahnverwaltung
gehört, ihre Hausaufgaben erledigt. Das Flutlicht hielt.
Verdunkelungefahr war nicht mehr gegeben. Trotzdem war die ursprünglich
einmal angesagte politische Promienz vor allem aus Russland vorsichtshablber
zu Hause geblieben. Im Oktober noch musste Eduard Schewardnadse
das Stadion noch bei Nacht und Nebel verlassen. Das Spiel, das
auf dem Höhepunkt der georgisch-russischen Krise durchaus
eine gewisse politische Brisanz aufwies, endete mit einer peinlichen
Blamage für Georgien.
In und um das Stadion waren jetzt bei der Wiederholung rund 3.000
Polizeibeamte eingesetzt, das Spiel konnte unter optimalen Bedingungen
durchgeführt werden, wenngleich die 11.000 Georgier das schmucke
Fussballstadion in einen Hexenkessel verwandelten. Große
Stimmung war angesagt, immerhin ging es um das wichtigste Fussballspiel
des Jahres. Nach den beiden Heimspielpleiten gegen die Schweiz
(0:0) und Irland (1:2) war Nationaltrainer Alexander Tschikwadse
zurückgetreten und hatte dem kroatischen Fussballlehrer Ivo
Shushak Platz gemacht, der früher schon einmal Dynamo Tbilissi
trainiert hatte. Ein Unentschieden oder gar eine Niederlage hätte
die Georgier selbst um die theoretische Chance einer EM-Teilnahme
gebracht. Mit dem 1:0-Sieg ist wenigstens rechnerisch noch alles
drin, denn der Tabelleletzte Georgien liegt jetzt mit 4 Zählern
auf der Habenseite nur zwei Punkte hinter dem Tabellenzweiten
Russland.
Wer die georgische Mannschaft aus den lahmen Begegnungen gegen
die Schweiz und Irland noch in Erinnerung hatte, wunderte sich
recht bald über Kampfkraft und Spielkultur der Truppe. Ivo
Shushak hat anscheinend den richtigen Ton gefunden, um aus elf
Individualisten ein blendend eingespieltes Team zu formen. Der
Erfolg der Georgier ging in Ordnung, sie waren die bessere, weil
spielfreudigere Mannschaft. Dabei sollte nicht übersehen
werden, dass auch die Russen eine ganze Reihe hochkarätiger
Torchancen hatten, die sie ebenso kläglich vergaben wie die
Georgier ihrerseits mehrere Möglichkeiten grosszügig
verspielten, das Ergebnis auszubauen. Aber um das eine Tor von
Debütant Malchas Asatiani aus der 11. Minute waren sie eben
besser und Malchas Asatiani, der seine Dollars seit Februar ausgerechnet
in
Moskau beim dortigen Lokomotiv-Club verdient, hat sich für
alle Zeiten zum Nationalhelden geschossen. So standen die Kaukasier
nach einer Gesamtspielzeit von insgesamt 135 Minuten im Oktober
und April als Punktsieger gegen den grossen Rivalen aus Russland
fest. Ob dieser Sieg allerdings reicht, um in einem Heimspiel
gegen Albanien (6. September) und drei Auswärtsspielen in
Irland (11. Juni), Albanien (10. September) und Russland (11.
Oktober) das Unmögliche, die Teilnahme an der Europameisterschaft,
doch noch möglich zu machen, ist fraglich.
Für Mittwoch Nacht waren allerdings erst einmal Jubel in
Tbilissi angesagt. Die Fans aus dem Stadion zogen fast wie in
einem Triumphmarsch in die Innenstadt, wo sie teilweise von einem
Spalier Beifall klatschender Passanten begrüsst wurden, als
ob sie, die Fans, die wahren Helden des Abends gewesen wären
und nicht die Fussballprofis.
Wer das Geschehen am heimischen Fernseher verfolgt hatte, wollte
wohl jenen den gehörigen Tribut zollen, die durch ihre Ordnung
im häuslichen Schreibtisch dafür gesorgt hatten, dass
das Spiel doch nicht vor leeren Rängen stattfinden musste.
Denn, wie gesagt, 11.000 Georgier konnten mit einer Eintrittskarte
vom 12. Oktober nachweisen, dass sie bereits beim ersten Spielversuch
der beiden Nationalteams auf den Rängen gesessen hatten.
Sie waren die wahren Helden dieses Fussballfestes.
PS.: Die Strafe von 53.000 € wird dem georgischen Fussballverband
vermutlich nicht allzuschwer fallen. Immerhin wurden Tickets für
dieses Spiel vor dem Stadion für 30 GEL verkauft. Ob diese
tatsächlich erst einmal bei all den Besuchern des Vorjahres
eingesammelt wurden? Oder ob da nicht eher Restbestände unverkaufter
Tickets vom vergangenen Oktober einem unerwarteten Recycling zugeführt
wurden?
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