Ausgabe 7/03
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Spaghetti a la Kaukasus
Ein Hilfsprogramm und seine Hintergründe

Kaum jemand in Georgien hatte irgendeinen Verdacht geschöpft, als im Herbst vergangenen Jahres eine grössere Menge an Spaghetti und Nudel, gespendet von der italienischen Regierung, an Bedürftige Menschen in Georgien verteilt werden sollte. Mittlerweile ermittelt aber die Revision des Innenministeriums gegen hohe Beamte des Landwirtschaftsministeriums, die einen Teil der hochherzigen Spende missbräuchlich verwendet haben sollen. Die Spaghetti tauchten nämlich noch im vergangenen Jahr auf den Märkten von Tbilissi auf, obwohl sie als humanitäre Hilfe eigentlich nur an bedürftige Familien hätten verteilt werden sollen. Die Geschichte gehört zum ganz normalen Alltag in Georgien, sie wirft aber auch einige prinzipielle Fragen hinsichtlich der Motive der großzügigen Spender auf.

Zunächst lief alles ganz reibungslos. Das Landwirtschaftsministerium in Georgien hatte von der italienischen Regierung eine recht beachtliche Menge an Nudel und Spaghetti erhalten, wobei sich weder Landwirtschaftsministerium noch dessen Spender anscheinend Gedanken darüber gemacht haben, ob diese Spende denn auch mit der Aufgabe des Landwirtschaftsministeriums, die Entwicklung der georgischen Landwirtschaft zu fördern, in Übereinstimmung zu bringen sei. Denn Georgien besitzt eigentlich genügend landwirtschaftlicher Ressourcen samt einer Basisstruktur an Lebensmittelindustrie, sodass die physische Lieferung von Lebensmitteln aus dem Ausland im Rahmen humanitärer Hilfe mittlerweile überaus fragwürdig erscheint. Im Gegenteil: Mit jeder Gratis-Lieferung von Lebensmitteln wird der Aufbau einer vernünftigen Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie in Georgien erschwert. Die italienische Nudelspende hatte nach Agenturberichten einen Wert von 3 Millionen GEL, das heißt, dass die georgische Nudelindustrie, die es ja auch gibt, im vergangenen Herbst urplötzlich mit einen (humanitären) Wettbewerber von einem ganz beachtlichen Umsatzvolumen zu kämpfen hatte. Eine georgische Nudelfabrik hätte sich über einen Auftrag dieser Größenordnung sicher gefreut. Und wenn diese den Auftrag aus Kapazitätsgründen hätte ablehnen müssen, hätten sich die wirklich Bedürftigen in Georgien auch für einen Sack Maismehl oder andere Produkte bedankt. Ein Mensch in Not verzichtet gerne auf original italienische Spaghetti, wenn er dafür ein Stück Maisbrot heimischer Herkunft bekommt.

Kritiker dieser Art von humanitärer Hilfe tragen immer wieder - und immer wieder vergebens - das Argument vor, dass man mit dem Geld, das alleine für den Transport der Lebensmittel aufzuwenden ist, auf dem georgischen Markt genügend Lebensmittel einkaufen könnte, um es an die wirklich Bedürftigen zu verteilen. Mit einer solchen Lebensmittelhilfe würde gleichzeitig die einheimische Lebensmittelindustrie und die Landwirtschaft gestärkt. Nachhaltigkeit nennt man so etwas.

Es hat aber den Anschein, als ob weder Geberländer noch die Behörden der Nehmerländer ein größeres Interesse an dieser weitaus effektiveren, weil langfristig wirkenden Art humanitärer Lebensmittelhilfe hätten. Der Verdacht lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die Regierungen der Geberländer den Ankauf von Lebensmitteln im eigenen Land zur Bedingung ihrer humanitären Hilfe machen, weil sie damit auf Umwegen und über den unverdächtigen Haushaltstitel "Humanitäre Hilfe" vielfach nichts anderes betreiben, als ihrer eigenen Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie eine Art verdeckter Subvention zukommen zu lassen. Eine Subvention, die im Rahmen der EU-Regelungen strikt verboten ist und die - genau genommen - die Brüsseler Wettbewerbshüter auf den Plan rufen müsste. Oder dei WTO, deren Mitglied zu sein, sich Georgien seit einigen Jahren rühmt.

Die Behörden-Vertreter in den Nehmerländern - oder auch die Vertreter der zahlreichen Hilfsorganisationen und NGO`s, die sich auf Lebensmittelhilfe spezialisiert haben - wären bei dieser Art des Direkteinkaufs vor Ort nahezu überflüssig, denn auf diese Art und Weise würden weitaus weniger Lebensmittel in den humanitären Hilfskreislauf geschleust, was wiederum kein großes Problem darstellen dürfte, denn wenigstens in Georgien hält sich heute die Hungersnot in durchaus übersichtlichen Grenzen. Bei der Verteilung dieser Lebensmittelshilfe fiele dann nicht mehr genügend Überschuss für Beamte und Hilfsorganisationen ab, um in gewohnt georgischer Art zu partizipieren.

Im konkreten Fall lief die Aktion nämlich folgendermaßen ab: Das Landwirtschaftsministerium teilte einen Teil der gelieferten Mengen anerkannt seriösen Hilfsorganisationen oder karitativen Einrichtungen zu mit der Auflage, diese an Bedürftige zu verteilen. Eine Koordination der Auslieferung zwischen den Hilfsorganisationen fand nicht statt, ebenso wenig eine seriöse Bedarfsermittlung vorab durch die Hilfsorganisationen. Die Verteilung der Spaghetti wurde dann PR-gerecht unter Hinzuziehung von Fernsehen, Radio und Presse inszeniert, womit allen gedient war, den italienischen Spendern, den georgischen Behörden und den humanitären Organisationen: Alle hatten sie ihre wohlfeile PR und konnten sich gegenseitig anerkennend auf die Schultern klopfen.

Wie viel der gesamten Spaghetti-Spende nun wirklich an Bedürftige ausgeteilt wurde und wie groß denn tatsächlich der Spaghetti-Bedarf der ärmsten Georgier ist, sei dahingestellt. Kritiker dieser Aktion haben schon damals errechnet, dass der Umfang der italienischen Spaghetti-Hilfe einen ansehnlichen Prozentsatz des gesamten georgischen Jahresverbrauchs an Spaghetti ausmachte. Jedenfalls lag der Umfang der italienischen Spaghetti-Lieferung haushoch über dem, was man auch bei großzügiger Bedarfsermittlung für Bedürftige hätte einsetzen müssen.

Eine solche Menge an Spaghetti - humanitäre Hilfe wohlgemerkt - unterliegt, ist sie erst einmal im Lande, den Gesetzen der Marktwirtschaft und muss sich ihren Markt suchen, wobei im besten Fall davon ausgegangen werden kann, dass die eventuell im Überfluss bedachten bedürftigen Familien sich ihre Haushaltskasse einfach damit aufbesserten, dass sie einen Teil der geschenkten Spaghetti im nächsten Kiosk verkauften. Dann wäre die Hilfe zumindest pekuniär bei denen angekommen, für die sie eigentlich gedacht war.

Es steht aber zu vermuten - und dies wird durch die Ermittlungen des Innenministeriums ja auch bestätigt - dass der humanitäre Überschuss von den Organisatoren direkt an den Handel abgegeben wurde, bevor er verkam und weggeworfen werden muss. Auch humanitäre Hilfe hat sich an Haltbarkeitsdaten und Verzehrfristen zu halten. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt oder gar von vorneherein Absicht unterstellt.

Eine ähnliche Aktion humanitärer Lebensmittelhilfe endete für den Organisator, einen Exil-Georgier in einem nordamerikanischen Land, mit einem kleinen Fiasko. Per Schiff wollte er monatlich einen Container Dosenbohnen und ebenfalls Nudelprodukte als humanitäre Hilfe nach Georgien bringen, diese über eine internationale Hilfsorganisation abgabenfrei durch den Zoll schleusen und dann den größten Teil an die Flüchtlingsorganisationen in Westgeorgien verteilen. Niemandem ist dabei die Frage in den Sinn gekommen, ob die georgischen Landwirtschaft mit ihrer heimischen Lobio-Produktion die nordamerikanischen Dosen-Beans als Konkurrenz brauchen kann. Die humanitäre Hilfsorganisation in Tbilissi, auf deren Konto die zollfreie Einfuhr in Tbilissi abgewickelt werden sollte, sollte mit einem geringen Prozentsatz der Gesamtlieferung entlohnt werden, der dann in Tbilissi wirkungsvoll zur humanitären Verteilung hätte kommen sollen. Der überwiegende Rest der Bohnen sollte in Westgeorgien an Flüchtlinge verteilt werden. Humanitäre Hilfe der üblichen Art und das Monat für Monat. Der wohlgemeinte Deal platzte, da sich die ausgesuchte internationale Organisation letztendlich weigerte, die Zollabwicklung zu übernehmen, ohne den gesamten Inhalt der Lieferung in eigener Regie an Bedürftige verteilen zu dürfen. Genau daran hatte der edle Spender und seine westgeorgischen Partnerorganisationen wiederum wenig Interesse. So gammeln die Dosenbohnen anscheinend noch heute in irgendeinem Container auf dem Zollhof in Tbilissi herum. Denn der nordamerikanische Wohltäter hatte den ersten Container bereits auf die Reise geschickt, ohne sich vor Ort des humanitären Zoll-Partners zu versichern. Nach monatelangem Verhandlungs-Marathon waren die Zoll-Lagergebühren derart hoch, dass sich keine Hilfsorganisation mehr finden wollte, die Bohnen auszulösen und an bedürftige Georgier zu verteilen. Diese mussten sich in der Zwischenzweit mit ihrer täglichen Ration georgischer Lobio, Maisbrot und Käse über die Runden retten.

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