Spaghetti a la Kaukasus
Ein Hilfsprogramm und seine Hintergründe
Kaum jemand in Georgien hatte irgendeinen Verdacht geschöpft,
als im Herbst vergangenen Jahres eine grössere Menge an Spaghetti
und Nudel, gespendet von der italienischen Regierung, an Bedürftige
Menschen in Georgien verteilt werden sollte. Mittlerweile ermittelt
aber die Revision des Innenministeriums gegen hohe Beamte des
Landwirtschaftsministeriums, die einen Teil der hochherzigen Spende
missbräuchlich verwendet haben sollen. Die Spaghetti tauchten
nämlich noch im vergangenen Jahr auf den Märkten von
Tbilissi auf, obwohl sie als humanitäre Hilfe eigentlich
nur an bedürftige Familien hätten verteilt werden sollen.
Die Geschichte gehört zum ganz normalen Alltag in Georgien,
sie wirft aber auch einige prinzipielle Fragen hinsichtlich der
Motive der großzügigen Spender auf.
Zunächst lief alles ganz reibungslos. Das Landwirtschaftsministerium
in Georgien hatte von der italienischen Regierung eine recht beachtliche
Menge an Nudel und Spaghetti erhalten, wobei sich weder Landwirtschaftsministerium
noch dessen Spender anscheinend Gedanken darüber gemacht
haben, ob diese Spende denn auch mit der Aufgabe des Landwirtschaftsministeriums,
die Entwicklung der georgischen Landwirtschaft zu fördern,
in Übereinstimmung zu bringen sei. Denn Georgien besitzt
eigentlich genügend landwirtschaftlicher Ressourcen samt
einer Basisstruktur an Lebensmittelindustrie, sodass die physische
Lieferung von Lebensmitteln aus dem Ausland im Rahmen humanitärer
Hilfe mittlerweile überaus fragwürdig erscheint. Im
Gegenteil: Mit jeder Gratis-Lieferung von Lebensmitteln wird der
Aufbau einer vernünftigen Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie
in Georgien erschwert. Die italienische Nudelspende hatte nach
Agenturberichten einen Wert von 3 Millionen GEL, das heißt,
dass die georgische Nudelindustrie, die es ja auch gibt, im vergangenen
Herbst urplötzlich mit einen (humanitären) Wettbewerber
von einem ganz beachtlichen Umsatzvolumen zu kämpfen hatte.
Eine georgische Nudelfabrik hätte sich über einen Auftrag
dieser Größenordnung sicher gefreut. Und wenn diese
den Auftrag aus Kapazitätsgründen hätte ablehnen
müssen, hätten sich die wirklich Bedürftigen in
Georgien auch für einen Sack Maismehl oder andere Produkte
bedankt. Ein Mensch in Not verzichtet gerne auf original italienische
Spaghetti, wenn er dafür ein Stück Maisbrot heimischer
Herkunft bekommt.
Kritiker dieser Art von humanitärer Hilfe tragen immer wieder
- und immer wieder vergebens - das Argument vor, dass man mit
dem Geld, das alleine für den Transport der Lebensmittel
aufzuwenden ist, auf dem georgischen Markt genügend Lebensmittel
einkaufen könnte, um es an die wirklich Bedürftigen
zu verteilen. Mit einer solchen Lebensmittelhilfe würde gleichzeitig
die einheimische Lebensmittelindustrie und die Landwirtschaft
gestärkt. Nachhaltigkeit nennt man so etwas.
Es hat aber den Anschein, als ob weder Geberländer noch
die Behörden der Nehmerländer ein größeres
Interesse an dieser weitaus effektiveren, weil langfristig wirkenden
Art humanitärer Lebensmittelhilfe hätten. Der Verdacht
lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die Regierungen
der Geberländer den Ankauf von Lebensmitteln im eigenen Land
zur Bedingung ihrer humanitären Hilfe machen, weil sie damit
auf Umwegen und über den unverdächtigen Haushaltstitel
"Humanitäre Hilfe" vielfach nichts anderes betreiben,
als ihrer eigenen Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie eine
Art verdeckter Subvention zukommen zu lassen. Eine Subvention,
die im Rahmen der EU-Regelungen strikt verboten ist und die -
genau genommen - die Brüsseler Wettbewerbshüter auf
den Plan rufen müsste. Oder dei WTO, deren Mitglied zu sein,
sich Georgien seit einigen Jahren rühmt.
Die Behörden-Vertreter in den Nehmerländern - oder
auch die Vertreter der zahlreichen Hilfsorganisationen und NGO`s,
die sich auf Lebensmittelhilfe spezialisiert haben - wären
bei dieser Art des Direkteinkaufs vor Ort nahezu überflüssig,
denn auf diese Art und Weise würden weitaus weniger Lebensmittel
in den humanitären Hilfskreislauf geschleust, was wiederum
kein großes Problem darstellen dürfte, denn wenigstens
in Georgien hält sich heute die Hungersnot in durchaus übersichtlichen
Grenzen. Bei der Verteilung dieser Lebensmittelshilfe fiele dann
nicht mehr genügend Überschuss für Beamte und Hilfsorganisationen
ab, um in gewohnt georgischer Art zu partizipieren.
Im konkreten Fall lief die Aktion nämlich folgendermaßen
ab: Das Landwirtschaftsministerium teilte einen Teil der gelieferten
Mengen anerkannt seriösen Hilfsorganisationen oder karitativen
Einrichtungen zu mit der Auflage, diese an Bedürftige zu
verteilen. Eine Koordination der Auslieferung zwischen den Hilfsorganisationen
fand nicht statt, ebenso wenig eine seriöse Bedarfsermittlung
vorab durch die Hilfsorganisationen. Die Verteilung der Spaghetti
wurde dann PR-gerecht unter Hinzuziehung von Fernsehen, Radio
und Presse inszeniert, womit allen gedient war, den italienischen
Spendern, den georgischen Behörden und den humanitären
Organisationen: Alle hatten sie ihre wohlfeile PR und konnten
sich gegenseitig anerkennend auf die Schultern klopfen.
Wie viel der gesamten Spaghetti-Spende nun wirklich an Bedürftige
ausgeteilt wurde und wie groß denn tatsächlich der
Spaghetti-Bedarf der ärmsten Georgier ist, sei dahingestellt.
Kritiker dieser Aktion haben schon damals errechnet, dass der
Umfang der italienischen Spaghetti-Hilfe einen ansehnlichen Prozentsatz
des gesamten georgischen Jahresverbrauchs an Spaghetti ausmachte.
Jedenfalls lag der Umfang der italienischen Spaghetti-Lieferung
haushoch über dem, was man auch bei großzügiger
Bedarfsermittlung für Bedürftige hätte einsetzen
müssen.
Eine solche Menge an Spaghetti - humanitäre Hilfe wohlgemerkt
- unterliegt, ist sie erst einmal im Lande, den Gesetzen der Marktwirtschaft
und muss sich ihren Markt suchen, wobei im besten Fall davon ausgegangen
werden kann, dass die eventuell im Überfluss bedachten bedürftigen
Familien sich ihre Haushaltskasse einfach damit aufbesserten,
dass sie einen Teil der geschenkten Spaghetti im nächsten
Kiosk verkauften. Dann wäre die Hilfe zumindest pekuniär
bei denen angekommen, für die sie eigentlich gedacht war.
Es steht aber zu vermuten - und dies wird durch die Ermittlungen
des Innenministeriums ja auch bestätigt - dass der humanitäre
Überschuss von den Organisatoren direkt an den Handel abgegeben
wurde, bevor er verkam und weggeworfen werden muss. Auch humanitäre
Hilfe hat sich an Haltbarkeitsdaten und Verzehrfristen zu halten.
Ein Schuft, wer Böses dabei denkt oder gar von vorneherein
Absicht unterstellt.
Eine ähnliche Aktion humanitärer Lebensmittelhilfe
endete für den Organisator, einen Exil-Georgier in einem
nordamerikanischen Land, mit einem kleinen Fiasko. Per Schiff
wollte er monatlich einen Container Dosenbohnen und ebenfalls
Nudelprodukte als humanitäre Hilfe nach Georgien bringen,
diese über eine internationale Hilfsorganisation abgabenfrei
durch den Zoll schleusen und dann den größten Teil
an die Flüchtlingsorganisationen in Westgeorgien verteilen.
Niemandem ist dabei die Frage in den Sinn gekommen, ob die georgischen
Landwirtschaft mit ihrer heimischen Lobio-Produktion die nordamerikanischen
Dosen-Beans als Konkurrenz brauchen kann. Die humanitäre
Hilfsorganisation in Tbilissi, auf deren Konto die zollfreie Einfuhr
in Tbilissi abgewickelt werden sollte, sollte mit einem geringen
Prozentsatz der Gesamtlieferung entlohnt werden, der dann in Tbilissi
wirkungsvoll zur humanitären Verteilung hätte kommen
sollen. Der überwiegende Rest der Bohnen sollte in Westgeorgien
an Flüchtlinge verteilt werden. Humanitäre Hilfe der
üblichen Art und das Monat für Monat. Der wohlgemeinte
Deal platzte, da sich die ausgesuchte internationale Organisation
letztendlich weigerte, die Zollabwicklung zu übernehmen,
ohne den gesamten Inhalt der Lieferung in eigener Regie an Bedürftige
verteilen zu dürfen. Genau daran hatte der edle Spender und
seine westgeorgischen Partnerorganisationen wiederum wenig Interesse.
So gammeln die Dosenbohnen anscheinend noch heute in irgendeinem
Container auf dem Zollhof in Tbilissi herum. Denn der nordamerikanische
Wohltäter hatte den ersten Container bereits auf die Reise
geschickt, ohne sich vor Ort des humanitären Zoll-Partners
zu versichern. Nach monatelangem Verhandlungs-Marathon waren die
Zoll-Lagergebühren derart hoch, dass sich keine Hilfsorganisation
mehr finden wollte, die Bohnen auszulösen und an bedürftige
Georgier zu verteilen. Diese mussten sich in der Zwischenzweit
mit ihrer täglichen Ration georgischer Lobio, Maisbrot und
Käse über die Runden retten.
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