Ausgabe 4/03
19. März
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Nur wenige, die Georgien bereisen oder dort für geraume Zeit leben, schaffen es, der abgelegenen Bergprovinz Swanetien einen Besuch abzustatten. Zum einen ist die Anfahrt über die Ingurischlucht recht beschwerlich, man muss sich mindestens vier bis fünf Tage Zeit nehmen, wenn man auch nur die wichtigsten Plätze dieses herrlichen Landstrichs besuchen will. Für Bildungsreisende mit einem normalen Zeitkonto ist dies angesichts der Vielfalt der ansonsten im Land vorhandenen Reiseziele nur selten einzuplanen. Außerdem gilt nach wie vor: Swanetien ist ein besonderes Revier, das man ohne hinreichend eingeführte und in der lokalen Gesellschaft vernetzte Führer besuchen sollte. GN stellt im März und April in zwei ausführlichen Fotostrecken diesen einmalig schönen Landstrich vor.

Die Fahrt nach Swanetien ist so etwas wie eine Zeitreise in eine archaisch anmutende Welt. Um Swanen und ihre Gesellschaft zu begreifen, sollte man nicht per Hubschrauber oder Flugzeug in Mestia, der Provinzstadt, oder in Uschguli, Europas höchstem Dorf einfliegen. Im Überfliegen kann man kaum das sammeln, was wir zu Recht seit Jahrhunderten "Erfahrung" nennen. Statt dessen sollte man sich der Mühe einer Autofahrt von Sugdidi den Inguri hinauf unterziehen. Nicht einmal 150 Kilometer lang ist die Strecke von der Kolchis bis Mestia, für die man inklusive Photo- und Picknickpausen mindestens sechs bis acht Stunden einplanen sollte. Es wäre ein Frevel, durch das imposante Tal des Inguri gedankenlos hindurchzubrausen. Aber keine Angst, die kurvenreiche, teilweise recht enge und sich hoch über den Fluß dahinziehende Straße begrenzt die Geschwindigkeit von alleine. Sie wurde erst 1937 trassiert, und manchmal will es scheinen, als habe sie seither keine Ausbesserung erfahren.

Bis dahin hatte nur ein kleiner Trampelpfade in die unzugängliche Bergwelt Swanetiens geführt, einer der Gründe dafür, dass sich die Swanen ihre archaische Kultur, ihre in Jahrhunderten gewachsene Clanstruktur bis heute haben erhalten können. Oberswanetien nennt sich stolz das "Freie Swanetien", weil es sich niemals irgendwelchen Feudalherren, weder einheimischen noch fremden, unterwerfen musste, und wenn, dann nur auf dem Papier. Ob dies ganz der historischen Wahrheit entspricht, sei dahingestellt. Tatsache ist zumindest, dass die Swanen, die nicht umsonst die Leibgarde der Königin Tamara gebildet haben sollen, bis 1846 den Russen und ihren Annexionsansprüchen trotzdem, während Ostgeorgien bereits 1801, Westgeorgien 1810 dem Zarenreich eingegliedert wurden. Später mussten sie auch der Sowjetmacht ihren Tribut zollen, wenngleich sie nicht immer alles ausführten, was ihnen die roten Zaren vorschrieben. Noch heute tut sich die Zentralregierung in Tbilissi manchmal recht schwer, sich mit ihren Gesetzen und Normen auch in Swanetien Geltung zu verschaffen.

(Fortsetzung am 2. April)

Text aus dem Buch Kaukasus
Georgien, Armenien, Aserbaidschan
Prestel-Verlag München
ISBN 3-7913-2420-9




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