Ausgabe 4/03
19. März
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Eine schillernde Persönlichkeit
Dschaba Josseliani ist tot


Eine der umstrittensten Persönlichkeiten des postsowjetischen Georgien ist gestern im Alter von 77 Jahren in einem Tbilisser Krankenhaus gestorben: Dschaba Josseliani, Gründer und Ehrenvorsitzender der Mchedrioni, jener paramilitärischen Formation, die von 1992 bis 1995 Georgien kontrollierte. Josseliani, ein Theaterwissenschaftler mit der Aura eines alternden Hollywoodcharmeurs, erlitt am 26. Februar einen Schlaganfall und lag seither im Koma. Die Agenturen berichten, dass sich sowohl der Staatspräsident als auch der Gesundheitsminister regelmäßig über den Zustand des Todkranken, der auf Vermittlung des berühmten Moskauer Bildhauers Surab Zereteli von eingeflogenen russischen Spezialisten behandelt wurde, unterrichten ließen. Am Samstag eilte gar das Oberhaupt der georgischen Orthodoxie ans Krankenbett Josselianis.


Während der Sowjetzeit, so erklärte Josseliani auf einem Wahlplakat zu den Parlamentswahlen 1992 selbst, habe er 15 Jahre in sowjetischen Gefängnissen verbracht. Was er allerdings verschwieg: Er war wegen Einbrüchen und Eigentumsdelikten verurteilt worden und machte in dieser Zeit eine recht erfolgreiche Knastkarriere. Er galt als einer der sogenannten „gesetzlichen Diebe“, das waren Leute, die es in der Hierarchie ihres Gewerbes zu höheren Weihen und damit zu einer Art privater Schiedsgerichtsfunktion in privatrechtlichen Streitereien gebracht hatten. Nach seiner Entlassung tarnte er sich zunächst als Theaterwissenschaftler, bevor er nach einem kleinen Erdbeben in Radscha mit einer Hilfsorganisation auftrat, die sich rasch als recht schlagkräftige Privatarmee entpuppte.

Mit dieser führte Dschaba Josseliani zum Jahreswechsel 1991/92 den Putsch gegen Swiad Gamsachurdia, den demokratisch gewählten ersten Präsidenten Georgiens, an und trieb diesen ins Exil. Als Mitglied einer Militärjunta holte Dschaba Josseliani den früheren georgischen KP-Chef und Außenminister der UdSSR Eduard Schewardnadse zurück nach Georgien. Mit ihm als Aushängeschild machte er sich gemeinsam mit Tengis Kitowani, dem zweiten Putschisten gegen Gamsachurdia, daran, das Land zu beherrschen. Keine Staatsfirma, in der nicht einer der Mchedrioni zumindest als stellvertretender Direktor eingesetzt wurde und für seine Organisation abkassierte. Keine Verwaltungsstruktur, in der Dschabas Leute nicht den Ton angegeben hätten, und kein Restaurant oder Hotel, dem sich nicht Dschabas Burschen als selbsternannte Schutzmannschaft zur Verfügung gestellt hätte. Obwohl sie keine offizielle militärische Einheit darstellten, war den Mitgliedern der Mchedrioni mit Dekret Eduard Schewardnadses ausdrücklich das Tragen von Waffen erlaubt. Dschabas Mchedrioni bildeten damals eine Art Staat im Staate und konnten bar jeder wirksamen Kontrolle Staat und Gesellschaft nach Belieben ausbeuten.



In den Konflikten um Südossetien und Abchasien spielten Dschabas Mchedrioni keinesfalls nur die vaterländische Heldenrolle, die ihnen ihr Anführer und Mentor danach gerne andichten ließ. Während des Ossetien-Konflikts waren die Mchedrioni an der ethnischen Säuberung von georgisch-ossetischen Mischgebieten wie Bakuriani beteiligt, als sie die dort lebenden Osseten mit brutaler Macht aus ihren Bauernhöfen vertrieben. Im Abchasienkonflikt war es Dschaba Josseliani, der in Tbilissi Freiwillige für seine Mchedrioni anheuerte, die er ohne vernünftige Ausbildung in die Auseinandersetzung mit Abchasen, unterstützt von bestens trainierten Russen und Tschetschenen, schickte. Es lag auch an der militärischen Unerfahrenheit der Mchedrioni einschließlich ihres Chefs, dass die Georgier in Abchasien schmählich davongejagt wurden.

Nach dieser bis heute noch traumatisch nachwirkenden Niederlage schickte Eduard Schewardnadse seinen ungeliebten Mitstreiter im Staatsrat Georgiens – so hieß damals das höchste Exekutivorgan des Landes – als Unterhändler zu den Waffenstillstandsverhandlungen nach Genf und überließ dem Warlord somit das schwierige Geschäft, mit dem abchasischen Feind über ein geregeltes Nebeneinander zu verhandeln. Nur so konnte Schewardnadse das Aufkommen einer Dolchstoßlegende verhindern und den Haudegen in seine Politik einbinden, die zumindest eine Lehre aus dem abchasischen Debakel gezogen hatte, nämlich die, dass es für Georgien keine militärische Option im Konflikt mit der abtrünnigen Provinz gibt. Dschaba Josseliani hatte seinen Jungs damals hoch und heilig versprochen, sie recht schnell wieder nach Suchumi zurückzuführen.

Dass es dazu nicht kommen konnte, lag an der geschickten Politik Schewardnadses, der langsam aber stetig den Sicherheitsapparat unter seine Kontrolle bekam und Josselianis Truppen entwaffnen konnte. Dieser selbst genoß als Parlamentsabgeordneter noch parlamentarische Immunität, nutzte aber die Rednertribüne des Parlaments, um Schewardnadse öffentlich eine Art Bürgerkrieg zu erklären, sollte er mit der Entwaffnung der Mchedrioni weitermachen. Nachdem sich Josseliani allerdings durch ungeschicktes Taktieren vor den Parlaments- und Präsidialwahlen im November 1995 selbst um seine politische Zukunft gebracht hatte, ließ ihn Schewardnadse gleich nach den Wahlen wegen Beteiligung an einem Attentat gegen ihn sowie illegalem Waffen- und Drogenbesitz verhaften und aburteilen. Ein Jahr zuvor hatte er ihn in einer Gedenkzeremonie der Mchedrioni für die in Abchasien Gefallenen noch mit einem Verdienstorden ausgezeichnet und ihn auf offener Bühne als seinen besten Freund bezeichnet und abgeküsst.

Nach der Inhaftierung Josselianis waren die Mchedrioni endgültig nichts anderes als ein Teil der dramatischen Geschichte des nachsowjetischen Georgiens. Im Jahr 2001 begnadigte Schewardnadse seinen ehemaligen Widersacher, der daraufhin seinen früheren paramilitärischen Verband als politische Partei registrieren ließ und erfolglos versuchte, erneut ein Parlamentsmandat zu erringen. Am 4. April verstarb Dschaba Josseliani.

Der Leichnam Josselianis wird am Freitag in die Sioni-Kathedrale überführt, wo Patriarch Illia II., das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche Georgiens, den Verstorbenen mit einem Trauergottesdienst ehren will.

(Alle Fotos aus einem Wahlplakat von Dschaba Josseliani aus dem Jahr 1992)

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