Sensationelle Agenturmeldung:
Kommt Putin nach Georgien?


Was haben die Außenminister Deutschlands und Georgiens gemeinsam? Wenn Sie Interviews geben, werden sie von unbedarften Journalisten gelegentlich derart missverstanden, dass sie von ihren Chefs zurückgepfiffen werden müssen. Das ist an der Kura nicht viel anders als an der Spree.

Da zitiert doch am Mittwoch eine Tbilisser Nachrichtenagentur den georgischen Außenminister Irakli Menagarischwili mit der „Hoffnung“, der russische Präsident werde zur Unterzeichnung des neuen Rahmenvertrages der gegenseitigen Beziehungen nach Georgien reisen. Der Entwurf dieses Dokumentes, zitiert die Nachrichtenagentur den Minister weiter, sei „praktisch komplett“, womit der Eindruck vermittelt wird, eine Unterzeichnung des Dokuments könne jederzeit stattfinden. Gleichwohl verzichtete Menagarischwili ausdrücklich darauf, ein genaues Datum dieses Besuches zu verkünden, der, sollte er wirklich in absehbarer Zeit zustande kommen, einer mittleren Sensation gleichkäme. Außenminister müssen wohl gelegentlich ihrer Zeit ein wenig vorausdenken.

Eine Nachfrage im georgischen Staatsministerium hat dagegen nur Verwunderung hervorgerufen. Bei den Gesprächen mit Russland gäbe es zwar durchaus Fortschritte, wenn man überlege, mit welchen Forderungen Moskau angetreten war. Moskaus Vorstellungen gingen zum Beispiel von gemeinsamen Grenzschutztruppen und Zollverwaltungen aus. Mittlerweile ist solch hegemoniales Ansinnen außerhalb jeglicher Diskussion. Aber die Zeit sei trotz allem noch lange nicht reif für einen solchen Besuch, heißt es in der Staatskanzlei, der Außenminister sei mit Sicherheit völlig falsch verstanden worden.

Zum Hintergrund: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Unabhängigkeit Georgiens hatten Georgien und die Russische Föderation im Jahr 1994 einen Rahmenvertrag für die bilateralen Beziehungen unterzeichnet, den die russische Duma im Gegensatz zum georgischen Parlament allerdings niemals ratifizierte. Seit dem Jahr 2000 wird erneut verhandelt, im vergangenen Jahr, so schien es, waren sich beide Seiten recht nahe gekommen, bis es dann zum großen Bruch in den Beziehungen zwischen Georgien und Russland kam. Gleichwohl, so darf man vermuten, sind die Gespräche hinter den Kulissen keineswegs zum Stillstand gekommen.

Hauptstreitpunkt ist der Abzug der russisch-georgischen Beziehungen ist die Frage des Abzugs der beiden russischen Militärbasen in Georgien, nämlich in Achalkalaki und Batumi. Georgien fordert – seit Jahren schon – eine dreijährige Frist, Russland eine elfjährige. Wenn nur lange genug verhandelt wird, werden die Russen ihr Ziel ohnehin erreichen, auch wenn sich die Georgier irgendwann in ein paar Jahren formal mit der Dreijahresfrist durchsetzen.

Dabei spielen beide Seiten in dieser Frage mit gezinkten Karten. Russland begründet seine Abzugsfrist von elf Jahren mit der Tatsache, dass es weder Geld noch Unterkünfte für die in beiden Garnisonen stationierten Soldaten habe. Das stimmt nur zur Hälfte, denn in beiden Garnisonen stehen nur eine begrenzte Zahl von Russen unter Waffen, den größten Teil der Soldaten hat Russland unter der lokalen Bevölkerung, Armenier und Adscharen, rekrutiert. Diese haben zwar alle russische Pässe erhalten, im Zweifelsfalle würden jedoch armenische Landser lieber in Dschawacheti bleiben als irgendwo in die Weiten Russlands verbracht zu werden. Von den adscharischen Soldaten in russischer Uniform kann ähnliches vermutet werden.

Aber auch die georgische Regierung spielt dieses Hauptthema in den Beziehungen zu Russland derzeit nicht sonderlich hoch. Für Tbilissi birgt der Abzug der Russen aber Probleme, die es kaum bewältigen kann. In der Gegend von Achalkakali wohnen nahezu ausschließlich Armenier, die in der Anwesenheit der Russen eine gewisse Sicherheitsgarantie sehen. Sie haben mit erheblichem Argwohn zugeschaut, wie sich vor allem die türkische Armee um die Rehabilitierung der Militärbasen in Georgien kümmerte, die Russland bereits verlassen hat. Außerdem bringen die Russen immerhin ein wenig Geld in diese gottverlassene Region, für die niemand in der georgischen Regierung auch nur einen Ansatz von politischen oder wirtschaftlichen Lösungen in petto hätte, sollten die Russen sich wirklich zurückziehen. Ein weiteres Sezessionsgebiet, diesmal an der Grenze zu Armenien, wäre unweigerlich die Folge. Abziehende russische Offiziere würden das Feuer eher anfachen als es auszutreten. Davon darf ausgegangen werden.

Deshalb, so ist in Tbilissi zu vernehmen, haben Europäer und Amerikaner den Georgiern geraten, sich bei diesem Thema zurückzuhalten. Zwar wurde Tbilissi angedeutet, wenn es ultimativ den Abzug der Russen fordere, würde Moskau diesem Verlangen sicher nachkommen müssen. Man spricht in Georgien sogar davon, dass im Rahmen von OSZE-Fonds Zuschüsse aus dem westlichen Ausland bereitgestellt werden könnten, wenn es den Russen wirklich am notwendigen Kleingeld für den Abzug mangele. Es scheint aber derzeit eine Interessensgleichheit zwischen Tbilissi und Moskau in dieser Frage zu bestehen unabhängig von allen Propagandaschlachten, die in den Medien fleißig geschlagen werden. Aber zwischen Medieninszenierungen und den real existierenden Beziehungen und Interessen klafft immer wieder eine erstaunenswerte Lücke. Keine georgische Regierung könnte ihren eigenen Leuten ungestraft die Tatsache verkaufen, dass man es mit dem russischen Rückzug aus Achalkalaki keineswegs besonders eilig hat.

Auch auf anderen Feldern der Zusammenarbeit klappt es auf der Arbeitsebene weitaus besser als die Schlagzeilen der Presse in beiden Hauptstädten vermuten lassen. So hat Russland, um nur ein Beispiel zu nennen, auf die Auslieferung von Tschetschenen durch Georgien mit der sofortigen Auslieferung von zwei Männern geantwortet, denen man die Beteiligung an Anschlägen gegen Schewardnadse zur Last legt. Auch in anderen Fragen, beispielsweise im Bereich der Energieversorgung, sind sich beide Länder auf der Arbeitsebene in den letzten Monaten erheblich näher gekommen. Der georgische Energieminister wurde gerade zusammen mit einem russischen Energiefunktionär von der GUS mit einer besonderen Auszeichnung bedacht.

Trotzdem ist die georgisch-russische Agenda noch lange nicht abgearbeitet, weshalb der Vorstoß des georgischen Außenministers zu einem Besuch Putins in Tbilissi nicht nur in der georgischen Regierungszentrale eher mit Verwunderung aufgenommen wurde. Aber vielleicht wurde der Mann von den Journalisten der Nachrichtenagentur tatsächlich heftig missverstanden. Vielleicht sollte das auch nur eine verklausulierte Einladung an Putin sein, nach Eriwan und Baku irgendwann einmal auch Tbilissi in sein Reiseprogramm aufzunehmen. Bis zur feierlichen Verabschiedung von Eduard Schewardnadse sind es nur noch zwei Jahre. Da muss man sich rechtzeitig um einen Platz in den Terminkalendern der beiden Staatsoberhäupter kümmern.

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