Kodschori liegt rund 20 km ausserhalb von Tbilissi, ein kleiner
Ausflugsort auf etwa 1.400 m Höhe. Hier, weit weg vom Trubel
der Grossstadt, liegt ein Waisenheim, das 90 Kinder und Jugendliche
im Alter von 7 bis 17 Jahren eine Heimat bietet. Unterstützt
wird dieses Waisenheim von der Münchner Harfenistin Edith Feldmann
und dem amerikanischen Arzt Robert Klein, die seit Jahren vor allem
zusätzlichen Unterricht im musischen Bereich finanzieren. Das
Ergebnis präsentierten sie in einem Konzert im Spätsommer
in Tbilissi, GN interessierte vielmehr die Situation der Kinder
droben in Kodschori.
Die Waisenkinder kommen aus ganz Georgien, meist aus sozial schwachen
Familien, was glaubhaft ist, denn im Normalfall übernimmt
die georgische Grossfamilie die Sorge für Kinder, deren Eltern
versterben. Neun Betreuer arbeiten im Waisenheim, tagsüber
besuchen die Kinder in der Regelschule des Ortes. Edith Feldmann
hat sich vor allem um die musische Förderung der Kinder bemüht,
denn als sie vor einigen Jahren zum ersten Mal nach Kodschori
kam, machten die Kinder ein völlig verängstigten und
unsicheren Eindruck auf sie. So kommen seit drei Jahren aus Tbilissi
zweimal in der Woche ein Tanzlehrer, eine Musiklehrerin, eine
Kunsterzieherin und ein Englischlehrer. Sie bieten als Ergänzung
zum Schulunterricht und der Erziehung im Heim den Kindern die
Möglichkeit, sich künstlerisch zu entfalten und neues
Selbstbewusstsein zu bilden.
Denn mit diesem ist es nach wie vor nicht weit her. Schüchtern
und eher verängstigt beobachten die Kodschori-Kinder den
Besucher. Die Fotos, die er macht, zeigen eher melancholisch-traurige
Kinderaugen denn unbeschwert-fröhliche. Nur beim Tanzen zeigen
vor allem die Mädchen gelegentlich, dass etwas mehr in ihnen
steckt.
Die materielle Lage des Heims ist selbstverständlich schwierig.
Das Bildungsministerium, dem es untersteht, überweist pro
Quartal 13.000 GEL für den Einkauf von Lebensmitteln und
2.300 für Schuhe und Bekleidung. Das sind pro Tag 1.60 GEL
pro Kind zum Essen und 46 GEL für Schuhe und Kleider im Quartal.
Schwieriger wurde die Situation durch eine Anordnung der Regierung,
dass diese Gelder nicht mehr vom Heim direkt ausgegeben werden
dürfen sondern über eine Fremdfirma und deren Bankkonten
gezogen werden müssen. Das ist zwar fiskalpolitisch durchaus
richtig, da nur so gewährleistet werden kann, dass diese
Staatsausgaben nicht im Schwarzen Markt versickern sondern im
normalen Steuerkreislauf ausgegeben werden. Das hat aber auch
zur Folge, dass die Firma zunächst einmal die vollen 20 %
Mehrwertsteuer abziehen muss, egal ob sie ihre Produkte mit Mehrwertsteuer
eingekauft hat oder nicht, und darüberhinaus noch einmal
eine Servicepauschale von 10 %, obgleich sie als Händler
durchaus ihre Spannen an den Produkten hat, die sie liefert.
Für Otar Tschikwadse, den Heimleiter, ist das alles nicht
mehr nachvollziehbar, er sieht nur, dass sein Budget um efektiv
um 30 % gekürzt wurde, während der Rest der Gesellschaft
sich auf dem Schwarzmarkt mit Lebensmitteln eindecken kann, ohne
sich um so etwas wie Mehrwertsteuer überhaupt zu kümmern.
Früher haben er und seine Leute nur 5 % für Einkauf
und Transport abgezogen und all das eingekauft, was man brauchte.
Heute kann er sich nicht sicher sein, ob sein Vertragspartner
auch wirklich das bringt, was er bestellt. Und er kann sich des
Eindrucks nicht erwehren, dass es eben wieder einmal die Schwächsten
der Schwachen trifft, wenn der Staat ernst macht mit seiner Pflicht,
Steuern einzutreiben. Man kann Otar Tschikwadse kaum widersprechen,
denn für ihn und jedes seiner Kinder schrumpft damit das
tägliche Einkaufsbudget von 1,60 GEL auf 1,12. Und das ist
nun wirklich nicht sonderlich üppig für heranwachsende
Vielfrasse. Trotzdem kann man nicht sagen, dass die Kinder von
Kodschori gesundheitlich einen schlechten Eindruck hinterliessen.
Denn zusätzliche Hilfe gibt es von einigen Seiten. Einmal
pro Woche bringt die Caritas ein Essen, dazu liefert das World
Food Programm Grundnahrungsmittel wie Mehl, Fischkonserven oder
Bohnen. Zusammengenommen reicht das irgendwie und viele georgische
Familien müssen mit einem ähnlichen schmalen Budget
für Lebensmittel auskommen. Und wenn man sieht, dass die
Betreuer der Kinder mit einem Monatslohn von 42 GEL abgespeist
werden, erscheint das Essensbudget fast schon wieder üppig
- Zahlenspielereien, die die absurde Realität des georgischen
Sozialsystems wiederspiegeln. Da
scheint es, dass die Betreuer und Erzieher, die alle aus dem Dorf
Kodschori stammen, auch nur schwer damit umgehen können,
dass den zusätzlichen Lehrkräften die acht Unterrichtseinheiten
pro Monat mit mehr als dem Doppelten dessen vergütet werden,
was sie für eine volle monatliche Arbeitsleistung erhalten.
Aber so ist das eben mit dem privaten Sponsorentum, das darauf
wenig Rücksicht nehmen kann. Ausserdem sind die wenigen Dollar,
die Edith Feldmann und ihr amerikanischer Partner für ihre
Zusatzlehrer aufbringen können, auch nicht mehr als nur ein
kleines Zubrot im Familieneinkommen der Lehrer. Und Edith Feldmann
muss sich ihr Kodschori-Budget auch mühsam zusammenbetteln
oder mit Benefiz-Konzerten erarbeiten. Trotzdem ist sie mit Recht
stolz auf das Erreichte und präsentierte im Sommer das erste
Mädchen aus dem Kodschori-Waisenhaus, dem sie und ihre Partner
nach dem Schulabschluss ein Studium in Tbilissi finanzieren können.
Weitere sollen folgen.
Der Direktor klagt vor allem über die Energiesituation.
Nur drei oder vier Stunden Strom am Tag, ein viel zu geringer
Druck im öffentlichen Gasnetz, kein Geld für den Diesel
der Zentralheizung - die bekannte Litanei. Und dabei habe man,
wen wunderts, Schulden bei Gas-, Strom- und Wasserversorgung,
alles in allem nahezu 10.000 GEL. Und so ist er, der seit 25 Jahren
im Waisenheim arbeitet, immer wieder aufs Betteln angewiesen.
Mit Erfolg, sagen seine Mitarbeiterinnen. Mit Erfolg sagt auch
GN. Denn die Redaktion von georgien-news.de finanziert noch vor
Weihnachten die Ausbesserung der zertrümmerten Glasfenster
des Kinderheimes und wird im Frühjahr nach der Schneeschmelze
den völlig maroden Kinderspielplatz wieder in Gang setzen.
Ausländische Besucher, auch das sagen die Mitarbeiterinnen
des Direktors, sind gerne willkommen. Aber es kämen in jüngster
Zeit immer weniger.
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