„Wissentlich
oder unwissentlich falsch begründet“
Deutsche
Studie über die Al Qaida Hysterie in Georgien
Das
angesehene Berliner „Institut für Wissenschaft und Politik“ beschäftigt
sich in einer umfangreichen Analyse mit den Hintergründen um den Streit
über die Entsendung amerikanischer Militärberater nach Georgien. Sie
kommt u.a. zu folgender Schlussfolgerung:
„Die Mission „Ausbildung und Ausrüstung“ hat wenig
mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu tun und wurde wissentlich oder
unwissentlich von der Bush-Administration falsch begründet.
Vielmehr ist sie Teil der langjährigen Militärkooperation beider Länder,
welche ursprünglich auf die Sicherheit der Pipelines und des Transportkorridors
ausgelegt war. Nach den Ereignissen des 11. September sind Teile der
Zusammenarbeit Ende letzten Jahres so modifiziert worden, daß der Antiterror-Ausbildung
größere Aufmerksamkeit gewidmet werden konnte. Unlängst erklärten hochrangige
Offizielle der Bush-Administration, daß man zwar über die Präsenz islamistischer
Kämpfer in Georgien besorgt sei, das Hauptziel des neuen Hilfsprogramms
jedoch die Befähigung der georgischen Seite zur Wiedererlangung der
Kontrolle über ihr Territorium ist.“
GN veröffentlicht diese Studie, wenngleich die Schlussfolgerungen
über mögliche US-Militärbasen in Georgien im Absatz 5 der Berwertungen
nicht nachvollziehbar sind. Vor allem die Einbeziehung Georgiens in
einen eventuellen Militärschlag gegen den Irak erscheint nach allen
Informationen, die GN hier in Tbilissi vorliegen, als äusserst gewagt
und konstruiert. Trotzdem ist die Analyse in ihrem überwiegenden Teil
zutreffend und klärt über den wahren Hintergrund der ganzen Al Qaida
Hysterie auf, die in den internationalen Medien in den vergangenen Wochen
hochgekocht wurde. GN wird, wenn immer entsprechende Studien zur Politik
in Georgien und im Kaukasus vorliegen, seinen Lesern diese zur Verfügung
stellen und die entsprechenden Links anbieten. Das Original der SWP-Studie
kann unter der webadresse: www.swp-berlin.org
beschafft werden.
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Krieg
gegen den Terrorismus im Südkaukasus?
Die USA entsenden Militärberater nach Georgien
Jürgen Schmidt
Das jüngste Kapitel des von den USA angeführten ‚Kriegs gegen den Terrorismus‘
wurde unlängst in der südkaukasischen Republik Georgien aufgeschlagen
durch die Entsendung der ersten von bis zu 200 Militärberatern zur Ausbildung
und Ausrüstung der georgischen Armee und Grenztruppen.
Hintergrund
Als Begründung für die neue US-Initiative wird die
Situation in der georgischen Pankisi-Schlucht angeführt. Die Schlucht
befindet sich am tschetschenischen Abschnitt der russisch-georgischen
Grenze und ist überwiegend von ethnischen Verwandten der Tschetschenen
mit georgischer Staatsbürgerschaft, den Kisten, bewohnt. Insbesondere
seit dem Beginn des zweiten russischen Tschetschenienkriegs 1999 steht
das Tal außerhalb der Kontrolle georgischer Staatsmacht. Es wurde in
dieser Zeit nicht nur Zufluchtsort von mehreren Tausend Flüchtlingen
aus Tschetschenien, sondern auch von Kriminellen aus der ganzen Region.
Von Pankisi aus betreiben sie - angeblich protegiert von kriminellen
Elementen in der georgischen Regierung und dem Innenministerium - einträgliche
Geschäfte wie Waffen- und Drogenhandel sowie Entführungen. Unter den
Flüchtlingen aus Tschetschenien befinden sich auch bewaffnete Vertreter
des radikal-islamistischen Lagers des tschetschenischen Widerstands.
Neben der Teilhabe an den kriminellen Aktivitäten nutzen diese die Schlucht
insbesondere als Rückzugs- und Durchgangsgebiet für ihren Kampf in Tschetschenien.
Dabei werden sie insbesondere von saudischen Nichtregierungsorganisationen
und türkischen Extremisten logistisch und finanziell unterstützt.
Konsequenzen
aus dem 11. September
Die weltpolitischen Ereignisse als Reaktion auf die
Geschehnisse des 11. September haben eskalierend auf die Situation in
Pankisi gewirkt. Die westliche Staatengemeinschaft zeigte mehr Verständnis
für Rußlands Tschetschenienkrieg und erkannte einen Teil des tschetschenischen
Widerstands als Komponente des internationalen Terrorismus an. Zudem
eröffnete der Krieg gegen den Terrorismus russischen Hardlinern eine
erneute Option zu militärischem Eingreifen in Pankisi. Nur wenige Tage
nach den US-Angriffen auf Afghanistan riefen russische Politiker und
Militärs bereits nach russischen Aktionen in der Pankisi-Schlucht, wie
sie den USA in Afghanistan zugestanden wurden. Die Erklärung Präsident
Bushs, wonach alle Länder Feinde der USA seien, die auf ihrem Territorium
die Anwesenheit internationaler Terroristen erlaubten, führte zur zusätzlichen
Legitimation einer möglichen russischen Operation in Pankisi.
Aufgrund der Erfahrungen mit russischen Militärinterventionen
in den Kriegen gegen die separatistischen Gebiete Abchasien und Südossetien
war für die georgische Führung selbst eine gemeinsame russisch-georgische
Aktion in Pankisi keine Option. Die unverhältnismäßige russische Gewaltanwendung
auch gegen die Zivilbevölkerung in Tschetschenien rechtfertigen die
georgische Ablehnung.
Somit befanden sich die USA hinsichtlich der Lage in
Pankisi bereits im September 2001 in einem Dilemma. Einerseits mußte
Präsident Bush seinem russischen Kollegen Putin klar machen, daß die
territoriale Unverletzbarkeit des strategischen Verbündeten Georgien
für die Vereinigten Staaten von höchster Wichtigkeit ist. Andererseits
mußte Washington von der Regierung Schewardnadse glaubwürdig eine Nulltoleranzpolitik
hinsichtlich Kriminalität und Korruption auch in Pankisi einfordern.
Kämpfe
in Abchasien
Die Art, wie die georgischen Offiziellen das Problem
der Anwesenheit tschetschenischer Kämpfer in Pankisi schließlich lösen
wollte, führte das Land im Herbst 2001 ein weiteres mal an den Rand
des Abgrunds. Mehrere Hundert Tschetschenen unter dem Kommando des Feldkommandeurs
Ruslan Gelajew wurden von den georgischen Innen- und Staatssicherheitsministerien
aus Pankisi quer durchs Land in die Kodori-Schlucht nach Abchasien transportiert.
Der obere Teil Kodoris ist das letzte abchasische Gebiet unter nomineller
georgischer Kontrolle, während der untere Teil bereits vom abchasischen
Separatistenregime kontrolliert wird. Die Kodori-Schlucht ist von herausragender
militärstrategischer Bedeutung, da ein erfolgreicher georgischer Vorstoß
hier die gesamten abchasischen Verteidigungspositionen entlang der georgisch-abchasischen
Waffenstillstandslinie von den Hauptnachschub- und Kommunikationslinien
abschneiden und die abtrünnige Republik faktisch zweiteilen würde. An
genau dieser Stelle starteten die mehreren Hundert Tschetschenen vereint
mit offiziellen und irregulären georgischen Verbänden im Herbst eine
Offensive, welche von den abchasischen Verbänden nur durch russische
Ausrüstungs- und Luftunterstützung zurückgeschlagen werden konnte.
Anhaltende
politische Krise in Georgien
Die Ereignisse in Abchasien und Pankisi führten zum
Rücktritt der Minister für Staatssicherheit und Inneres. Der Privatsender
Rustawi 2 machte die beiden nicht nur für das Abchasiendebakel verantwortlich,
sondern bezichtigte den Innenminister Targamadse auch der direkten Beteiligung
an Drogengeschäften in Pankisi. Versuche der beiden Minister, den Fernsehsender
einzuschüchtern, brachten schließlich Tausende von Demonstranten auf
die Straße. Die mehrtägigen Proteste führten schließlich zum Rücktritt
der gesamten Regierung und der Auswechslung der Staatssicherheits- und
Innenminister. Eine Konsequenz aus der Regierungsumbildung war eine
zunehmend realistischere Einschätzung der Situation in Pankisi, was
den russischen Druck erhöhte. Nach einer ernsthaften Verschlechterung
der georgisch-russischen Beziehungen aufgrund eines erneuten russischen
Luftangriffs auf georgisches Territorium im November bat Präsident Schewardnadse
schließlich die USA um Hilfe im Kampf gegen Kriminelle und Terroristen
in Pankisi.
Der
Auftakt zur US-Präsenz
Am 11. Februar teilte Philip Remler, der Charge d’Affaires
der US-Botschaft in der georgischen Hauptstadt einer georgischen Wochenzeitung
mit, daß sich einige Dutzend Kämpfer der al-Qaida aus Afghanistan in
die Pankisi-Schlucht geflüchtet haben. Er bezeichnete diesen Ort als
„extrem gefährlich für Georgien“ und bot gleichzeitig die Mithilfe der
USA beim Aufbau einer speziellen Antiterror-Struktur im georgischen
Verteidigungsministerium im Rahmen der laufenden bilateralen Militärkooperation
an.
Remlers überraschende Eröffnungen über die Anwesenheit
von al-Qaida-Kadern auf dem Staatsgebiet Georgiens wich von bisherigen
amerikanischen Darstellungen ab und untermauerte erstmals die russische
Kritik an der Passivität der georgischen Behörden hinsichtlich der Lage
in Pankisi. In Moskau wurden diese Hinweise von Teilen der Regierung
als grünes Licht für ein militärisches Eingreifen durch Rußland interpretiert.
Am 15. Februar sprach der russische Außenminister Igor Iwanow von der
Möglichkeit, daß sich Osama bin Laden selbst in Pankisi aufhalten könnte.
Kurz darauf legte der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow
nach und bezeichnete Pankisi als ‚Mini-Afghanistan‘. Er betonte, daß
die Sicherheit Rußlands auf dem Spiel stehe, und Moskau deswegen nicht
einfach nur weiter zusehen könne.
Das
US-Programm „train and equip“ für Georgien
Erst nach ihrer Abreise wurde die Visite von etwa 40
Mitgliedern von US-Spezialeinheiten in Tiflis am 26. Februar durch einen
Sprecher des US European Command bestätigt. Es habe sich hierbei um
eine Erkundungsmission zur Ermittlung georgischer Sicherheitsbedürfnisse
durch Einheiten der Spezialkräfte gehandelt, welche eine Schlüsselrolle
in der Afghanistan-Kampagne gespielt hatten. Analysten in den USA und
Rußland wiesen zudem auf die Beteiligung eines Logistikteams der US-Luftwaffe
hin, das normalerweise auf dem Stützpunkt Incirlik in der Türkei stationiert
sei.
Am 27. Februar traf eine hochrangige US-Militärdelegation
in Tiflis ein, welche im Rahmen ihrer Mission alle drei Staaten des
Südkaukasus bereisten. Gemeinsam mit ihren georgischen Gesprächspartnern
aus dem Verteidigungsministerium wurden Pläne für ein neues Ausbildungs-
und Ausrüstungskonzept für die georgische Armee diskutiert. Am selben
Tag fanden in Washington Pressekonferenzen im Außen- und Verteidigungsministerium
statt, auf welchen das neue Hilfsprogramm für die georgische Armee vorgestellt
wurde. Das State Department gab bekannt, daß im Rahmen einer bereits
mehr als fünfjährigen intensiven Sicherheitspartnerschaft nun ein Ausbildungs-
und Ausrüstungsprogramm für Einheiten des georgischen Verteidungsministeriums
und der Grenztruppen begonnen werde. Ziel des Programms ist die Entwicklung
von Fähigkeiten zur besseren Kontrolle der Grenzen und der Durchführung
begrenzter Antiterror-Operationen. Das US-Verteidigungsministerium fügte
hinzu, daß dieses Trainingsprogramm letztlich den Krieg gegen den weltweiten
Terrorismus unterstützen werde, da es in Georgien „Anzeichen für Verbindungen
der al-Qaida in das Land“ gibt.
Anfang März wurden weitere Details des US-Programms
bekannt. Demnach werde die georgische Armee über die nächsten sechs
Monate mit leichter Bewaffnung, Fahrzeugen und Kommunikationsmitteln
im Wert von etwa 64 Millionen Dollar ausgestattet. Die Unterstützung
für die georgischen Streitkräfte in Trainings- und Logistikfragen werde
„in großem Umfang“ erfolgen. Gedacht ist an die Ausbildung von vier
georgischen Armee-Einheiten sowie etwa 500 Mann der Grenztruppen, insgesamt
etwa 2000 Soldaten und Offiziere. Zudem wird mit amerikanischer Unterstützung
ein Krisenmanagement-Zentrum im georgischen Verteidigungsministerium
eingerichtet, welches für die Planung von Antiterrormaßnahmen verantwortlich
sein wird. Die ersten Pilotenausbilder für die zehn bereits gelieferten
Transporthubschrauber sind am 17. März eingetroffen. Ein direkter Kampfeinsatz
von US-Truppen ist nicht vorgesehen.
Die
georgische Armee
Die georgischen Streitkräfte sind derzeit für keine
Schlacht gerüstet. Sie leiden an chronischer Unterfinanzierung und sind
zudem vom gesamtgeorgischen Problem der wuchernden Korruption nicht
ausgenommen. Letzten Mai meuterten Einheiten der Nationalgarde in der
Nähe der Hauptstadt aufgrund unhaltbarer Zustände wie Todesfälle aufgrund
von Armutskrankheiten, einem sechzehnmonatigen Soldrückstand oder Unterernährung.
Die georgische Armee ist zwar eine allgemeine Wehrpflichtarmee, doch
aufgrund der Zustände kaufen sich die meisten jungen Leute vom Dienst
frei. Beinahe ausschließlich die ärmsten, Minderheiten und Analphabeten
finden sich somit zum Dienst ein. Der Verteidigungshaushalt fiel stetig
über die letzten Jahre und wurde aufgrund der desolaten Finanzlage nie
vollständig ausgezahlt. Das Budget für das Jahr 2002 beläuft sich theoretisch
auf knapp 20 Mio. Dollar, zu denen die US-Militärhilfe von insgesamt
über 64 Mio. Dollar in Beziehung zu setzen ist.
Reaktionen
in Rußland
In Rußland entluden sich die Reaktionen auf die Ankündigungen
des 27. Februar in den Medien in einem Sturm der Empörung, dem sich
auch hochrangige Amtsträger nicht entzogen. In seiner ersten Reaktion
bezeichnete der russische Außenminister Igor Iwanow die Möglichkeit
einer US-Truppenpräsenz in Georgien als Verschlechterung der Situation
in der Region, welche bereits kompliziert genug sei. Gleichzeitig kündigte
er an, daß Rußland auf einer Einbeziehung in sämtliche Militäroperationen
in Pankisi bestehe. Der Vorsitzende des Duma-Ausschusses für Auswärtige
Angelegenheiten, Dmitrij Rogosin, reagierte auf die Meldungen mit der
Ankündigung, daß sein Ausschuß nun die Frage der staatlichen Anerkennung
der georgischen Separatistengebiete Abchasien und Südossetien in die
Staatsduma einbringen werde.
Präsident Putin gab am 1. März dann seine Linie vor, wonach die Präsenz
von US-Militärangehörigen in Georgien „keine Tragödie“ sei. Rußland
werde überdies jede Antiterror-Maßnahme in Georgien unabhängig davon
unterstützen, wer daran teilnehmen wird. Hier schloß er neben der Möglichkeit
einer amerikanischen Aktion ausdrücklich auch eine europäische Initiative
nicht aus.
Am 6. März verabschiedete die russische Staatsduma
die Erklärung „Über die Situation in Georgien im Zusammenhang mit der
militärischen Präsenz der USA auf georgischem Territorium“. Den russischen
Gesetzgebern zufolge entsteht aufgrund der Zusammenarbeit zwischen Georgien
und den USA bei der Terrorismusbekämpfung eine Gefahr nicht nur für
Rußland, sondern auch für die selbsternannten Republiken „Abchasien“
und „Südossetien“. Für den Fall, daß sich die Beziehungen zwischen Georgien
und den separatistischen Regimen verschlechtern sollte, droht die Duma
mit „anderen Wegen“, welche sie in bezug auf das Begehren Abchasiens
auf assoziierte Mitgliedschaft in der Rußländischen Föderation zu gehen
bereit ist.
Bewertung
1. Die Mission „Ausbildung und Ausrüstung“ hat wenig
mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu tun und wurde wissentlich oder
unwissentlich von der Bush-Administration falsch begründet. Vielmehr ist sie Teil der langjährigen Militärkooperation
beider Länder, welche ursprünglich auf die Sicherheit der Pipelines
und des Transportkorridors ausgelegt war. Nach den Ereignissen des 11.
September sind Teile der Zusammenarbeit Ende letzten Jahres so modifiziert
worden, daß der Antiterror-Ausbildung größere Aufmerksamkeit gewidmet
werden konnte. Unlängst erklärten hochrangige Offizielle der Bush-Administration,
daß man zwar über die Präsenz islamistischer Kämpfer in Georgien besorgt
sei, das Hauptziel des neuen Hilfsprogramms jedoch die Befähigung der
georgischen Seite zur Wiedererlangung der Kontrolle über ihr Territorium
ist.
2. Die Frage des Timings
scheint wenig mit neuen Erkenntnissen über arabische Personen in Pankisi
zusammenzuhängen, deren Anwesenheit seit letztem September allen Beteiligten
bekannt gewesen ist und deren Verbindungen zur al-Qaida nicht eindeutig
nachgewiesen ist. Vielmehr dürften insbesondere die russischen Reaktionen
auf die Erklärungen des amerikanischen Charges d’Affaires in Tiflis
der ausschlaggebende Grund gewesen sein. Die jetzige Ankündigung einer
US-Militärpräsenz in Georgien scheint somit der drohenden Gefahr russischer
Truppen in Pankisi zuvorgekommen zu sein.
3. Die Mission ist durch übergreifende US-Interessen
in der Region motiviert und stellt eine Revision der bisherigen US-Politik
in der gesamten südkaukasischen Region dar. Das
übergeordnete Bestreben, die Stabilität und Souveränität der südkaukasischen
Staaten zur Förderung der regionalen Sicherheit zu stärken, wird durch
die Einführung von Komponenten des Kriegs gegen den Terror qualitativ
neu gefördert. Die Erfordernisse regionaler Stabilität als notwendige
Voraussetzung für die Entwicklung und den Abtransport der Öl- und Gasreserven
der kaspischen Region und Zentralasiens gehen dabei Hand in Hand mit
der Eindämmung von Bedrohungen, welche die fragilen Staaten der Region
und die vielen rechtsfreien Räume als Rückzugsgebiete für Terroristengruppierungen
darstellen.
Das Sicherheitsengagement der USA im Südkaukasus dient
somit neben den Zielen regionaler Stabilität auch der Sicherung einer
Nachschubroute für die Militärbasen in Zentralasien und Afghanistan
sowie dem Schutz amerikanischer Investitionen in den Öl- und Gassektor
der Region.
4. Es wird in Pankisi auf absehbare Zeit weder einen
Militäreinsatz geben, noch wird das Problem mit militärischen Mitteln
gelöst werden können. Für die georgische Seite kommen zur Wiederherstellung der Ordnung in Pankisi
nur Polizeioperationen in Frage. Die Anwesenheit mehrerer Tausend Flüchtlinge
aus Tschetschenien sowie der mehrheitlich dort lebenden georgischen
Staatsbürger tschetschenischer Abstammung ist der offizielle Grund für
die Ablehnung militärischer Maßnahmen. Partikularinteressen des angeblich
in kriminelle Machenschaften in Pankisi involvierten Innenministeriums,
das derzeit ausschließlich für Einsätze in der Schlucht zuständig ist,
sind die inoffiziellen Gründe.
Laut dem Staatssicherheitsministerium hat die zunehmende
internationale Aufmerksamkeit für die Probleme in der Pankisi-Schlucht
der georgischen Staatsmacht bereits geholfen, indem sie einige Kämpfer
und Kriminelle angeblich veranlaßt hat das Tal zu verlassen. Wenige
Tage später erklärte Präsident Schewardnadse in Brüssel, daß Georgien
die Situation in Pankisi „absolut unter Kontrolle“ habe. Bleibt die
Frage, wohin die angeblich abwandernden Personen sich bewegen, und in
diesem Zusammenhang besteht die Gefahr, daß man auch dieses Frühjahr
wieder tschetschenische Kämpfer in Kodori und in Abchasien antreffen
wird.
Sollte Georgien dennoch zu militärischem Vorgehen in
Pankisi genötigt werden, dann dürfen hierzu laut Tiflis nur georgische
Bodentruppen verwendet werden. Allerdings brauchen diese dann mit ziemlicher
Sicherheit auswärtige Luftunterstützung bei Transport und Aufklärung,
worauf derzeit noch keiner der Beteiligten seine Öffentlichkeit vorbereitet
hat. Insgesamt sieht sich die georgische Regierung in Hinsicht auf die
Lage in Pankisi unter Handlungsdruck, auch wenn sie aus innenpolitischen
Gründen den Einsatz fremder Truppen vehement ablehnt. Aus diesem Grund
richtete sich auch das Hilfsersuchen an die USA nicht auf ein unmittelbares
militärisches Eingreifen in der Schlucht.
5. Der Umfang der US-Präsenz und des Programms ist
nicht abschließend geklärt. Bislang wurde noch keine Entscheidung über den Aufbau einer US-Militärbasis
in Georgien getroffen. Diese hängt laut Schewardnadse von den weiteren
Beziehungen zu Rußland und der gesamten Lage in der Region ab. Insbesondere
mit Blick auf einen möglichen amerikanischen Militärschlag gegen den
Irak bietet Georgien mit den von der Türkei modernisierten Luftwaffenbasen
in Wasiani nahe Tiflis sowie Marneuli ein ideales Aufmarsch- oder Ausweichgebiet.
Doch unabhängig von amerikanischen Plänen zum Irak
ist die Beteiligung europäischer NATO-Partner am US-Ausbildungs- und
Trainingsprogramm für Georgien wahrscheinlich. NATO-Generalsekretär
Lord Robertson hat wiederholt die europäischen Partner in der NATO zur
Unterstützung dieser US-Anstrengung in Georgien aufgefordert. Er schlug
überdies vor, daß europäische Mitgliedstaaten sich an einem Antiterror-Einsatz
in Pankisi beteiligen könnten.
6. Das neue US-Engagement birgt für eine Reihe von
Beteiligten erhebliche Risiken
Rußland: Für Putin steht die territoriale Integrität Georgiens und somit die Hauptlinie
seiner Politik gegenüber Abchasien und Südossetien außer Frage. Für
die Mehrheit der Dumamitglieder und das militärisch-nachrichtendienstliche
Lager gilt dies nicht, so daß weiterer Druck auf Georgien nicht auszuschließen
ist. Der eigentliche Test für Putin ist die Frage, ob er die Hardliner
in den eigenen Reihen von militärischen und nichtmilitärischen Destabilisierungsversuchen
abzuhalten vermag. Die Chemie zwischen Putin und seinem Militär ist
auch durch die Frage der US-Militärpräsenz in Zentralasien und nun dem
Südkaukasus nachhaltig gestört. Der Druck des Militärs und der nationalpatriotisch-kommunistischen
Kreise auf Putin wird zunehmen, und die Bombardements der Pankisi-Schlucht
letzten Herbst haben gezeigt, daß das russische Militär zu Eigeninitiative
neigt, welche auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann.
In den Augen dieser Gruppe ist Putin im Begriff, die strategischen nationalen
Sicherheitsinteressen durch eine geduldete US-Einkreisung Rußlands zu
verraten. Bis zu welchem Punkt das hinnehmbar sein wird, ist eine nicht
beantwortbare Frage.
Georgien: Die Entsendung der US-Militärberater hat die georgische Führung bereits zu
einer aggressiveren Gangart gegenüber den separatistischen Landesteilen
Abchasien und Südossetien verleitet. Georgien könnte versucht sein,
die US-Mission zur Lösung einer Vielzahl anderer Probleme auszunutzen.
Mehrere hochrangige georgische Offizielle waren sehr schnell mit Anschuldigungen
an die Adresse Suchumis, wonach Abchasien zu einem Zufluchtsort für
Terroristen mit Kontakten zur al-Qaida geworden sei. Selbst ein Kontakt
zwischen dem offiziellen Abchasien und der al-Qaida wurde vom georgischen
Innenministerium konstruiert. Die Zielsetzung dieser bislang von den
USA nicht bestätigten Informationen scheint in der Vorbereitung der
öffentlichen Meinung auf eine Militäraktion unter dem Banner des Kriegs
gegen den Terrorismus zu liegen. In dieser Hinsicht sind die ersten
Anzeichen der sich jedes Frühjahr wiederholenden Eskalation zwischen
georgischen Guerilla und abchasischen Milizen sowie russischen Friedenstruppen
in der abchasischen Gali-Region alarmierend.
Die USA
haben verstanden, daß schwache Staaten einen idealen Nährboden und ein
perfektes Rückzugsgebiet für Terroristen bieten. Somit ist die internationale
Staatengemeinschaft gut beraten, ihr Augenmerk im georgischen Fall nicht
ausschließlich auf Scheingefechte in der Pankisi-Schlucht sondern hauptsächlich
auf den Zustand des Landes und seiner dahinsiechenden Institutionen
zu lenken. Das Hauptproblem, dem die USA in Georgien gegenüberstehen,
ist nicht eine mögliche Konfrontation mit Rußland oder einigen arabischen
Kämpfern in Pankisi, sondern die Ausmaße des staatlichen Zerfalls Georgiens.
Unabhängig davon wie erfolgreich gemeinsame Operationen bei der Sicherung
der Pankisi-Schlucht sein mögen, und unabhängig davon wie effektiv die
Truppenausbildung zu einer Reform der georgischen Streitkräfte beiträgt:
die übergeordneten Ziele von Stabilität und Souveränität sind in der
Hauptsache durch die fundamentale Schwäche des georgischen Staates bedroht.
Das militärische Hilfsangebot wird nichts zur Verbesserung der Beziehungen
zwischen Tiflis und den Separatistenregimen in Abchasien und Südossetien
beitragen. Im Extremfall wird sie sogar zu größeren Spannungen zwischen
der Zentralregierung und Adscharien, dem überwiegend armenisch besiedelten
Dschawachetien und Pankisi führen. Das Fehlen einer grundsätzlichen
Strategie zur Lösung fundamentaler Probleme wie der wuchernden Korruption,
der Selbstzerfleischung der politischen Klasse oder der wirtschaftlichen,
territorialen und sozialen Desintegration, kann durch den kurzfristigen
Einsatz militärischer Instrumente nicht kaschiert werden.
Es bedarf zudem eines realistischen Augenmaßes bei
der Frage der georgischen Agenda für Abchasien, wenn es um Vorwürfe
der Verbindung des Separatistenregimes mit der al-Qaida geht. Es besteht
die Gefahr, daß am Ende der Schwanz mit dem Hund wedelt und Georgien
die USA zu einem Handeln veranlaßt, das auf fragwürdigen Erkenntnissen
basiert, zumal dann, wenn die USA hinsichtlich ihrer Informationen zu
den Vorgängen in Pankisi und Abchasien tatsächlich überwiegend auf georgische
Quellen angewiesen sein sollten. Die derzeitige Stabilität in Georgien
ist trügerisch, und die Ankunft von US-Militärberatern könnte ein weiteres
gefährliches Element zur Verschärfung der hochexplosiven politischen
Lage im Kaukasus hinzufügen.
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