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Ausgabe 03/04
18. Februar
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Mag sein, dass sich die neuen Regierenden in Georgien an die altbewährte Regel halten, politische Grausamkeiten gefälligst sofort nach erfolgreichen Wahlen zu begehen. Für viele, die während der letzten Monate auf Seiten derer gestanden haben, die ein Ende der Regierung Schewardnadse forderten, sind es derzeit aber einige Grausamkeiten zu viel, die sich Saakaschwili und Schwania seit der glanzvollen Präsidentenwahl vom 4. Januar geleistet haben. Von Nino Burdschanadse spricht in diesem Zusammenhang kaum jemand, sie zählt eindeutig zu den Verlierern im innenpolitischen Machtkampf nach Schewardnadse. Mehr als eine Statistenrolle wird ihr derzeit nicht mehr zugetraut.

"Diese neue Regierung arbeitet mit den Methoden der alten und begründet das mit der Ausnahmesituation im post-revolutionären Georgien", erklärt Tinatin Chidascheli von der Nicht-Regierungs-Organisation "Georgian Young Lawyers Association", die seit nunmehr zehn Jahren für demokratische Reformen und eine rechtsstaatliche Entwicklung in Georgien streitet. Und sie fügt sofort hinzu, dass diese Der-Zweck-heiligt-die-Mittel-Politik "absolut unakzeptabel" sei.

Drei Themen sind es, die in den politischen Zirkeln der georgischen Hauptstadt für Diskussionen sorgen:

- die Änderung der Verfassung
- der Kampf gegen die Korruption
- die zeitgleiche Absetzung mehrerer kritischer TV-Sendungen.

Und bei allen drei Themen macht die Regierung keine allzu gute Figur, wenn man die demokratischen Prinzipien zum Maßstab nimmt, unter denen sie angetreten ist.

Die Verfassungsänderung mit der Einführung eines von einem Premier-Minister angeführten Minister-Kabinetts war lange Zeit angekündigt. Dass sie kommen würde, konnte niemanden überraschen. Überrascht waren viele aber vom konkreten Ergebnis und vor allem auch vom Vorgehen, das alles anderem entsprach als demokratischen Regeln.

Zum einen erklären die Kritiker, dass es wohl kaum einer angemessenen politischen Moral entspreche, das alte Parlament, dessen Amtszeit eigentlich längst abgelaufen ist und das nur noch als Übergangsparlament funktioniert, solche weitreichenden Entscheidungen treffen zu lassen. Zum anderen wird der Ablauf des Verfahrens kritisiert. Nach der Verfassung müssen Änderungen derselben mindestens einen Monat in der Öffentlichkeit diskutiert werden, nachdem sie offiziell im Parlament eingebracht wurden. Erst danach kann sich, so will es die Verfassung, das Parlament mit den Änderungsbegehren beschäftigen. Die jetzige Verfassungsänderung wurde aber bereits vier Tage, nachdem sie im Parlament als Entwurf eingebracht worden war, vom Parlament verabschiedet. Die Begründung von Präsident und designiertem Premier, also von Saakaschwili und Schwania, sie dürften vor allem im Kampf gegen die Korruption keine Zeit verlieren, stuft Tinatin Chidascheli wieder als "völlig unakzeptabel" ein.

Kopfschütteln löste bei den jungen Anwälten auch der Verfahrenskniff aus, dessen sich die Regierung bediente, um die umstrittene Verfassung durchs Parlament zu bringen. Um die Umgehung der Monatsfrist für die Offenlegung der Verfassungsänderung begründen zu können, erklärte man den neu eingebrachten Entwurf kurzerhand als einen Folgeentwurf einer Verfassungsänderung, die vor Jahren von Eduard Schewardnadse schon einmal dem Parlament vorgelegt worden war. Somit beriefen sich die Rosen-Revolutionäre ausgerechnet auf den, den sie mit Schimpf und Schande davon gejagt hatten, dabei großzügigerweise die Tatsache übersehend, dass sie natürlich ein paar Änderungen an dem früheren Entwurf vorgenommen haben. In postrevolutionären Zeiten kann man das alles nicht so genau nehmen und auch ein deutscher Innenminister hat ja einmal erklärt, nicht jeden Tag mit der Verfassung unter dem Arm herum laufen zu können.

Die neue Verfassung selbst - wir werden sie in einer späteren Ausgabe in einer detaillierten Analyse vorstellen - hat einige Besonderheiten. Während man im allgemeinen damit gerechnet hatte, dass die Position des Parlaments gestärkt würde und stattdessen die Rechte des Präsidenten beschnitten, wurden die Rechte des Parlaments noch einmal entschieden eingeschränkt. Es kann jetzt vom Präsidenten aufgelöst werden, wenn es dessen Personal-Vorschlag einer Regierung dreimal ablehnt oder wenn es den vom Präsidenten eingebrachten Haushalt ablehnt. Gerade das Haushaltsrecht, das Königrecht eines jeden Parlaments, wird dem georgischen Parlament nach dieser Verfassungsänderung de facto vorenthalten. Nach der Entlassung des Parlaments sind Neuwahlen innerhalb von zwei Monaten abzuhalten. Zusammen mit der Auszählungsfrist von einem weiteren Monat kann der Präsident in einem solchen Fall drei Monate ohne jede parlamentarische Kontrolle regieren und zum Beispiel ein Budget per Dekret festsetzen oder eine Regierung einsetzen, an die dann das neu gewählte Parlament gebunden sind.

Auch gegenüber der Regierung ist die Macht des Präsidenten gewachsen. Zwar wird der Posten des Premierministers geschaffen, der als Kabinettschef für alle exekutiven Entscheidungen verantwortlich ist. Aber der Präsident kann jederzeit ihm unangenehme Entscheidungen der Regierung kassieren oder eine Regierungssitzung einberufen, um sich mit der Regierung "zu beraten". Entscheidungen zu strittigen Fragen trifft er alleine. Außerdem kann er die Regierung jederzeit und ohne Nennung von Gründen entlassen.

In einer ersten Stellungnahme der Venedig-Kommission des Europarates (Kommission für rechtsstaatliche Demokratie) heißt es, diese Verfassungsänderung stärke die Macht des Präsidenten, da sie ihm die Möglichkeit eröffne, eine Regierung zu ernennen, die vom Parlament nicht bestätigt wurde oder eine Regierung in voller Funktion zu belassen, der vom Parlament das Vertrauen entzogen wurde.

"Solange Saakaschwili und Schwania mit dieser Situation klar kommen", resumiert Tinatin Chidascheli, "leben wir in Ruhe und Stabilität, aber nie in einer Demokratie". Was aber passieren wird, wenn diese interne und informelle Gewaltenteilung zwischen den Führern der Revolution nicht mehr stimmt, daran mag die engagierte Anwältin derzeit nicht denken. Noch überwiegt bei ihr die Hoffnung, dass das alles nur zum Wohle Georgiens geschieht. Aber das Glas ist nur noch halb voll, sagt sie auch. Manche meinen auch, es sei schon halb leer. In ein paar Wochen, wenn die Parlamentskandidaten des Regierungsblocks aufgestellt sein werden, wird sie klarer sehen, wohin die Reise geht. Wenn Saakaschwili und Schwania nur Jasager präsentieren, dann sieht auch Tinatin Chidascheli einige weitere Tropfen im halbleeren Glas verdunsten.

Tinantin ist besonders besorgt angesichts der Gerüchte, in Amerika sei die Parole ausgegeben worden, nichts gegen diese Regierung zu unternehmen, will sagen, ihr den einen oder anderen demokratischen Fehltritt durchgehen zu lassen nach dem Motto: "Right or wrong - my ally". Noch schlimmer wäre es, wenn sich die Gerüchte bestätigten, dass amerikanische Finanzquellen, die in den letzten Jahren einen Großteil der NGO`s und damit der für eine Demokratie so lebenswichtigen "civil society" finanzierten, nicht mehr so üppig sprudeln sollten wie in den vergangenen Zeiten, als es gegen die Regierung Schewardnadse ging. Ohnehin seien die NGO`s durch die Ereignisse erheblich geschwächt. Ein Teil ihrer führenden Köpfe hat sich in die neue Regierung einbinden lassen, ein anderer Teil sucht seine Zukunft im diplomatischen Dienst, wo dringend eine Blutauffrischung mit jungen, im internationalen Geschäft erfahrenen Leuten gebraucht würde. An diesem Verlust an Führungspersonal hat die in den letzten Jahren überaus aktive Szene an regierungskritischen Organisationen zunächst einmal schwer zu knabbern.

Auch beim zweiten, wichtigen Thema der ersten Regierungstage Saakaschwilis, dem Kampf gegen die Korruption, gibt es heftige Kritik von vielen Seiten. Bürgerrechtler und Juristen monieren, dass die Aktionen der Strafverfolgungsbehörden recht willkürlich vonstatten gingen, insbesondere wird die Art und Weise von plötzlichen Verhaftungen früherer Offizieller durch maskierte Spezialkommandos kritisiert. Und dies immer vor laufenden Fernseh-Kameras. Auch Kritiker, die nicht aus dem Lager Schewardnadses stammen, fordern die Regierung auf, unbedingt rechtsstaatliche Prinzipien bei der Verfolgung der Korruption einzuhalten und auf propagandistische Aktionen zu verzichten.

So hat die Menschenrechtsgruppe "Artikel 42 der Verfassung" in einem offenen Brief festgestellt, dass die Regierung demokratische Reformen mit undemokratischen Mitteln angehe und unter dem Motto Kampf gegen die Korruption die Menschenrechte verletzte. Es gehe nicht an, dass Vertreter des Staates, unter ihnen auch Präsident Michael Saakaschwili, mit markigen Sprüchen im Kampf gegen die Korruption das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat untergraben. Es sei schlimm, heißt es in dem Brief, das auch nach dem Regierungswechsel die alte Devise fort gelte, der Erfolg heilige die Mittel. Ähnlich drastisch äußerte sich auch der seitherige Bildungsminister Alexander Kartosia, der ins Fadenkreuz der Ermittler geraten ist. Kartosia warf den Behörden vor, dass anstelle der Unschuldsvermutung eines Rechtsstaates in Georgien heute die Vermutung der Schuld dominiere und staatliches Handeln bestimme (siehe Background: "Erklärung von Alexander Kartosia").

Beim dritten wichtigen Thema, das die Gemüter erhitzt, sieht die Regierung erneut alles andere als gut aus. Die beiden TV-Sender Mze und Rustavi 2 stellten Anfang Februar ohne Vorankündigung und am selben Tag zwei mitternächtliche Talkshows ein, die zu den populärsten Programmen im Lande gehörten, weil sie mit kontroversen Diskussionen zu vielen politischen Themen die Meinungsvielfalt im Lande sicher stellten. Eine schon länger geplante "Reorganisation der Programm-Formate" war unisono die Antwort der Programmverantwortlichen. Gerüchte, wonach die Programme aus vorauseilendem Gehorsam gegenüber der neuen Regierung oder gar auf deren diskreten Druck hin eingestellt wurden, wollen in Tbilissi seither nicht verstummen. Inga Grigolia, ansonsten meinungsfreudige Talkshow-Präsentatorin, wurde allerdings recht einsilbig, als sie auf entsprechende Gerüchte angesprochen wurde. "Ich kann diese Gerüchte weder bestätigen noch dementieren. Ich kann nur erklären, dass ich jetzt erst einmal ins Ausland gehe, um mich zu erholen", erklärte sie einer englischsprachigen Tageszeitung auf deren bohrende Nachfrage.

So wartet in Tbilissi alles mit Spannung auf die neuen TV-Programme, die für Anfang März angekündigt sind, auf die Wahlen am 28. März und auf all die kleinen Grausamkeiten, die die Regierung noch auf Lager hat.



Tinatin Chidascheli
Georgian Young Lawyers Association

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