Die Szene hatte schon etwas Groteskes: Ausgerechnet mit einem Marienbild,
wie bei einem Exorzismus gen Himmel gestreckt, protestierte eine
aufgebrachte Georgierin vor den Stufen des Parlaments gegen einen
Vertrag, den ihre Regierung mit dem Vatikan abzuzeichnen gedachte,
mit jener Institution der römischen Weltkirche, deren Papst
sich in unter seinen katholischen Schäfchen gerade wegen der
aus seiner polnischen Tradition stammenden, inbrünstigen Marienverehrung,
vorsichtig ausgedrückt, nicht nur Freunde gemacht hat. Ob die
hohe Frau im Himmel diese menschliche Verwirrung um ihre Rolle unter
den Christenmenschen irgendwann wird einmal schlichten können?
Worum geht es bei diesem neuen "Religionsskandal in Georgien"?
Während eines dreitägigen Besuches des vatikanischen
Aussenstaatssekretärs, Erzbischof Jean-Louis Tauran, sollte
ein bilaterales Abkommen zwischen dem Vatikan und Georgien unterzeichnet
werden, das von beiden Seiten unter strenger Geheimhaltung vorbereitet
worden war. Während die georgische Regierung erklärte,
in dem zwischenstaatlichen Vertrag würden nur die Rechte
festgeschrieben, die nach georgischer Verfassung und geltendem
Recht sowieso Gültigkeit hätten, klagte vor allem die
Orthodoxie, dass der Vertrag weit über die Regelungen eines
staatlichen Abkommens hinausginge, der katholischen Kirche Rechte
verspräche, die den Interessen Georgiens und vor allem denen
seiner orthodoxen Kirche zuwiderliefen. Sogar Katholikos-Patriarch
Ilia II. suchte, was äusserst selten vorkommt, in einer Pressekonferenz
den Weg in die Öffentlichkeit, wandte sich gegen diesen "Geheimvertrag"
und erklärte, er habe in einem Schreiben an den Staatspräsidenten
diesen gebeten, den Vertrag nicht unterzeichnen zu lassen. Schliesslich
blockierten, anscheinend wohl organisiert vom fundamentalisitischen
Flügel des georgischen Klerus, ein paar Hundert Studenten
- das georgische Fernsehen hatte sie allerdings auf einige Tausend
"hochgerechnet" - für ein paar Stunden den Rustaweli-Prospekt
vor dem Parlament mit dem Erfolg, daß die georgische Regierung
ihren Gast aus dem Vatikan unverrichteter Dinge wieder abziehen
lassen mußte. Der Vertrag liegt vorerst auf Eis und die
Frage, wie man hierzulande mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften
nicht orthodoxen Glaubens umgeht, scheint einer Lösung ferner
denn je.
Ein Blick in eine Arbeitsversion dieses Vertrages, die GN vorliegt,
zeigt, dass das Papier keineswegs so harmlos ist, wie die georgische
Regierung der Öffentlichkeit glauben machen wollte. Schon
in der Präambel wird der eigentliche Zweck des Vertrags,
"den rechtlichen Status der katolische Kirche in Georgien
zu definieren" deutlich beschrieben. Es hat demnach den Anschein,
als habe der Vatikan seine Rolle als Staat dazu benutzt, um seiner
katholischen Kirche mit diesem Vertrag eine rechtliche Basis in
Georgien zu schaffen, nachdem sich das Parlament bislang geweigert
hat, in einem Religionsgesetz die juristische Basis für alle
Religionen und Glaubensgemeinschaften zu regulieren. Nur die Orthodoxie
hat im vergangenen Jahr mit einem Konkordat ihre besondere Rolle
innerhalb des georgischen Staates unterstreichen können und
damit als einzige Kirche eine Rechtsbasis erhalten, obwohl die
Verfassung Religionsfreiheit vorsieht und der Orthodoxie die Rolle
einer Staatskirche eindeutig nicht zuweist. Alle anderen Kirchen
und Religionsgemeinschaften schweben derzeit im rechtsfreien Raum.
GN berichtete darüber.
Nach dem GN vorliegenden Vertragsentwurf sollte die Katholische
Kirche vom georgischen Staat als juristische Person mit dem Recht
auf Selbstorganisation anerkannt werden und das Recht bekommen,
Bistümer, Diözesen und Pfarreien zu gründen. Der
georgische Staat garantiert der katholischen Kirche Steuerfreiheit
für kirchliche und soziale Tätigkeit, die Unversehrtheit
ihres Besitzes, sofern er kirchlichen und sozialen Zwecken dient,
und die Unantastbarkeit des Beichtgeheimnisses. Überdies
darf die katholische Kirche nach dem Vertragsentwurf eigene Schulen
gründen und erhält das Recht auf katholischen Religionsunterricht
in den öffentlichen Schulen, wobei explizit erklärt
wird, das Studium der katholischen Religion habe das Ziel, "den
ökumenischen Geist zu verstärken und die Vertiefung
des Respekts gegenüber anderen Religionen, was gleichzeitig
die Anerkennung der Rolle der orthodoxen Kirche in der georgischen
Geschichte und und Kultur bedeutet." Alles Regelungen, die
normalerweise in einem Religionsgesetz für alle Religionen
bindend festgeschrieben sein sollten. Ein solcher Gesetzesentwurf,
abgesprochen mit allen Kirchen und Religionsgemeinschaften, liegt
dem Parlament bereits vor, es ist einer Lobby an ultraorthodoxen
Politikern jedoch bislang gelungen, eine Behandlung dieses Gesetzes
zu verhindern. Der Vatikan wollte mit seinem Vertrag anscheinend
vorpreschen und ein Exempel statuieren.
Dass es in dem strittigen Vertrag nicht um einen normalen zwischenstaatlichen
Vertrag sondern um die Festschreibung der Rechte der rund 50.000
Seelen starken katholischen Kirche in Georgien ging, zeigt sich
vor allem auch an den vatikanischen Reaktionen nach dem Abbruch
des offiziellen Besuchs von Jean-Louis Tauran. Dieser erklärte
kurz vor seinem vorzeitigen Abflug, dass die katholische Gemeinschaft
Georgiens unter diesem Vorgang zu leiden habe, da sie jetzt nach
wie vor völlig rechtlos sei. Erzbischof Tauran erklärte
auch, dass Informationen des orthodoxen Patriarchats nicht der
Wahrheit entsprächen, insbesondere die, über den Fortgang
der Gespräche nicht unterrichtet worden zu sein. Es habe
immer die Bereitschaft des Vatikans gegeben, das Patriarchat über
den Inhalt der Verhandlungen mit dem georgischen Staat zu informieren.
Wenige Tage vor der geplatzen Unterzeichnung des Vertrages fand
auch ein Treffen eines Vatikan-Vertreters mit dem georgischen
Patriarchat statt.
Der georgische Staatspräsident, der während des Besuchs
des Vatikan-Aussenministers gerade beim GUS-Gipfel in Jalta weilte,
bedauerte auf einer Pressekonferenz das Scheitern der Unterzeichnung
dieses Vertrags und erklärte, sich im neuen Parlament für
eine baldige Verabschiedung eines Religionsgesetzes einsetzen
zu wollen. Unter der Hand erklärten Insider der georgischen
Regierung, dass einflussreiche Regierungsmitglieder den Präsidenten
angesichts des massiven Widerstands des Patriarchats gegen diesen
Vertrag telefonisch gebeten hätten, die Unterzeichnung abzusagen.
Man befürchtete erhebliche Stimmenverluste, wenn man kurz
vor den Wahlen die Orthodoxie als Wahlkampfgegner aufbaue. Gleichzeitig
erklärten Insider, dass man die Unterzeichnung des Vertrages
eigentlich erst nach den Wahlen habe vornehmen wollen, jedoch
vom Vatikan mehr oder weniger deutlich gebeten worden sei, diesen
Akt jetzt bei der Kaukasus-Dreiländerreise des päpstlichen
Aussenministers auf alle Fälle vorzunehmen. Mit etwas diplomatischem
Geschick hätte der Eklat zumindest aus dem Umfeld der Wahlen
herausgehalten werden können.
Was bleibt, ist die Tatsache, dass die Orthodoxie wieder einmal
allen gezeigt hat, wer in Georgien der Herr im Hause Gottes ist.
Der Patriarch erklärte ohne Umschweife, die georgische Kirche
existiere jetzt 2.000 Jahre und sei in dieser Zeit immer der Hauptfaktor
georgischer Integration gewesen. Das werde auch in Zukunft so
sein. Und Bischof Zenon aus Dmanissi gab dem vatikanischen Abgesandten
mit auf seinen Heimweg, dass die Orthodoxie die eigentliche Basis
der europäischen Kultur sei, da es ja unmöglich sei,
zu leugnen, daß die katholische Kultur sich von der Byzantinischen
entfernt habe. Alle römischen Kirchen seien nach byzantinischen
Regeln gebaut und ausgemalt und alle römischen Reliquien
habe die katholische Kirche aus Byzanz, mitgebracht von ihren
Kreuzrittern. Der Vatikan sollte dies anerkennen, erklärte
der Bischof in einem Zeitungsinterview und zur Kenntnis nehmen,
dass niemand die Macht habe, anderer Leute Interessen zu tangieren
unter dem Vorwand der Demokratie.
Das Problem des legalen Status der Katholiken in Georgien sei
ein künstliches, da diese schon seit Jahrhunderten ungehindert
in Georgien leben würden. Das Problem habe mit einer massiven
Kampagne des Vatikan zur Ausbreitung seines Glaubens in Georgien
begonnen. Der Vatikan sei eher an einer massiven Stärkung
seiner Stellung interessiert als an einem guten Verhältnis
zur Orthodoxie. Demgegenüber haben Vertreter des Vatikans
wie auch Beobachter der letzten Jahre immer wieder festgestellt,
dass die Katholische Kirche in Georgien gerade nicht missionarisch
auftrete sondern sich vor allem im sozialen Bereich engagiere,
ungeachtet der Religionszugehörigkeit derer, die einer Betreuung
bedürfen. In Georgien leben rund 50.000 Katholiken, ein Großteil
davon in Südgeorgien in der Nähe der georgisch-türkischen
Grenze bei Vale und Achalziche. In Tbilissi gibt es zwei katholische
Kirchen.
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